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Auf der Verbrecherlaufbahn

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Zu­nächst ver­steck­te sich der jun­ge Faul­pelz hin­ter sei­ner »Braut«. Der Va­ter leiht 1500 Mark. Da­mit be­grün­det der Sohn auf den Na­men sei­ner Braut ein Fisch­ge­schäft. (An der Luther­kir­che 9.) Da­von soll sie ihn er­näh­ren. Er selbst ver­sucht sich als Ver­si­che­rungs­agent; ar­bei­tet aber gar nicht mehr, als durch Ver­fü­gung des X. Ar­mee­korps in Han­no­ver vom 15. Juli 1904 er als dau­ernd gan­zin­va­li­de und größ­ten­teils er­werbs­un­fä­hig an­er­kannt und sei­ne Mo­nats­ren­te auf 24 Mark er­höht wird. Schon zu An­fang 1904 war das vom Va­ter er­hal­te­ne Geld völ­lig auf­ge­zehrt, und mit dem Fisch­ge­schäft ging es ab­wärts. Um die­se Zeit ging auch die Ver­lo­bung mit Erna in die Brü­che. Haar­mann er­zählt uns das so: »Erna war in an­de­ren Um­stän­den von mir; sie war lieb zu mir und woll­te wei­ter pous­sie­ren; aber ich konn­te nicht mehr. Sie ver­kehr­te mit Stu­dent Hei­ne­mann. Ich sag­te es zu Emma. Da wur­de Erna gif­tig und hat mich aus dem Ge­schäft ›r­aus­ge­schmis­sen‹, und da es auf ih­ren Na­men ein­ge­tra­gen war, konn­te ich nichts ma­chen.« – Die Wahr­heit ist, dass Haar­mann bei sei­nem Lu­der­le­ben um die­se Zeit go­nor­rho­isch er­krank­te und seit­her, den Frau­en ge­gen­über im­mer gleich­gül­ti­ger wer­dend, sich aus­schließ­lich ei­nem gleich­ge­schlecht­li­chen Trieb­le­ben da­hin­gab. Aber erst aus dem Früh­jahr 1905 kann ein län­ge­res Ver­hält­nis mit ei­nem Mann nach­ge­wie­sen wer­den, in wel­chem Haar­mann zwei­fel­los der pas­si­ve Teil ge­we­sen ist. Der Be­tref­fen­de (um 1916 ver­stor­ben) war ein gräf­li­cher Kam­mer­die­ner na­mens Adolf Meil, da­mals schon ein Mann Ende Vier­zig (der von sei­ner ehe­ma­li­gen Her­rin eine Ren­te be­zog, an­geb­lich, weil er »et­was nach­ge­hol­fen hat­te«, als der alte Graf im Bad ei­nem Schlag­an­fall er­lag und die jun­ge Grä­fin zur Wit­we mach­te). Haar­mann er­zähl­te die An­fän­ge die­ser Be­kannt­schaft uns fol­gen­der­ma­ßen: »Ich kom­me vom Jahr­markt und den­ke rei­ne gar nichts. Plötz­lich re­det ei­ner mich an. Er hat ’ne Bril­le auf. Er sagt: ›Kom­men Sie auch vom Marcht?‹ Ich den­ke, das ist ein Schul­leh­rer. Er nahm mich mit zur Nel­ken­stra­ße. Bei der Kranz­bin­de­rei von Gos­lar bleibt er ste­hen und sagt: ›Hier woh­ne ich nun.‹ Ich ging mit ’rauf. Er koch­te Boh­nen­kaf­fee. Er küsst mich. Ich bin schüch­tern. Mitt­ler­wei­le wirds zwölf. Er sagt: ›Es ist doch schon so spät, schla­fe bei mir.‹ Ich tat es. Er mach­te al­les, was ich noch nicht kann­te. Ich kriegt es mit der Angst. Ich habe ihm das gan­ze Bett voll­ge­macht. Da­nach lern­te ich aber hun­dert sol­che­ne ken­nen.« – Bis 1904 war Haar­mann im­mer der Jus­tiz ent­gan­gen. Aber von sei­nem 26. Le­bens­jah­re an rollt sich ab eine sol­che Straf­lis­te, dass in den fol­gen­den zwan­zig Jah­ren na­he­zu ein Drit­tel al­ler Tage in Un­ter­su­chungs­zel­len, Ge­fäng­nis­sen oder Zucht­häu­sern ver­bracht wur­de. Sei­ne ers­te Straf­tat hat einen Bei­ge­schmack von Ko­mik. Er liest in der Zei­tung, dass in der Ul­tra­ma­rin­fa­brik »Laux & Vau­bel« ein »Fak­tu­rist« ge­sucht wer­de. Er weiß nicht, was das Wort Fak­tu­rist be­deu­tet, aber er ent­sen­det ein glän­zend ge­schrie­be­nes Be­wer­bungs­schrei­ben. Der Chef lässt ihn kom­men, und er ver­spricht mit der gan­zen Treu­her­zig­keit, die er vor­zutäu­schen ver­stand, jede nur er­for­der­li­che Leis­tung. Man ließ ihn nun Rech­nun­gen aus­zie­hen; aber ent­deckt nach ei­ni­gen Ta­gen zahl­lo­se Un­pünkt­lich­kei­ten. Er ent­schul­digt sich mit Krank­heit und ge­lobt Bes­se­rung. Auf sei­nem Büro ar­bei­tet ein klei­ner Lehr­ling, den er durch Zi­ga­ret­ten und Lieb­ko­sun­gen be­sticht, statt sei­ner die schwie­ri­ge­ren Ar­bei­ten zu ma­chen. Er selbst kon­trol­liert le­dig­lich die Num­mern der ab­fah­ren­den Wa­gen. Er freun­det sich an mit der in der Fa­brik rein­ma­chen­den Scheu­er­frau Guh­lisch. Eine ener­gi­sche, vor­ur­teils­freie Per­son mit ei­nem eben­so »vor­ur­teils­frei­en« zehn­jäh­ri­gen Sch­lin­gel von Sohn. Die drei be­grün­de­ten eine Art Diebs­kom­pa­nie. Nach Schluss der Bü­ros wer­den große Men­gen Ma­ri­ne­blau und an­de­re Farb­stof­fe auf die Sei­te ge­schafft. Haar­mann ar­bei­tet da­bei als An­ge­stell­ter der Frau Guh­lisch. Zwi­schen­durch macht man auch bei ei­nem Haus­ge­nos­sen der Guh­lisch klei­ne­re Ein­bruchs­dieb­stäh­le und an frei­en Aben­den un­ter­neh­men Haar­mann und der klei­ne Guh­lisch me­tho­di­sche Streif­zü­ge auf die Kirch­hö­fe, wo sie Ket­ten, Me­tal­le, Tei­le von Grab­denk­mä­lern steh­len. – Die Dieb­stäh­le in der Fa­brik ka­men erst her­aus, als Haar­mann schon lan­ge we­gen Un­brauch­bar­keit ent­las­sen war, und zwar wur­den sie erst ent­deckt, als die Kun­den sich dar­über be­schwer­ten, dass Wa­ren, wel­che sie von Haar­mann stets zu hal­b­en Prei­sen be­zo­gen hät­ten, nun­mehr wie­der dop­pelt so teu­er be­zahlt wer­den muss­ten. Vom 4. Juli bis 19. Ok­to­ber 1904 wur­de Haar­mann nicht we­ni­ger als vier­mal vom Schöf­fen­ge­richt und von der Straf­kam­mer we­gen schwe­ren Dieb­stahls und Un­ter­schla­gung ver­ur­teilt. Die fol­gen­den Jah­re brach­ten dann eine fort­lau­fen­de Ket­te neu­er Dieb­stäh­le, Ein­brü­che, Be­trü­ge­rei­en und Sitt­lich­keits­ver­bre­chen, und es ist wohl auch für die Pra­xis des Straf­voll­zugs im 20. Jahr­hun­dert kenn­zeich­nend, dass je­des Mal, wenn der Übel­tä­ter aus dem »Kitt­chen« zu­rück­kehr­te, sei­ne Ver­schla­gen­heit wie sein Ver­bre­chen grö­ßer wur­de. Die Plan­mä­ßig­keit sei­ner Ta­ten war er­staun­lich. Er kauf­te sich z. B. einen klei­nen Des­in­fek­ti­ons­ap­pa­rat und mie­te­te ein Hof­zim­mer, an­geb­lich, um eine Des­in­fek­ti­ons­an­stalt zu be­trei­ben. Dann ver­folg­te er die To­des­an­zei­gen in den Zei­tun­gen und ging in die Trau­er­häu­ser, wo er sich als »Be­am­ter der städ­ti­schen Des­in­fek­ti­on« vor­stell­te und den Leu­ten riet, dass sie das To­ten­zim­mer oder die Sa­chen des Ver­stor­be­nen des­in­fi­zie­ren las­sen soll­ten; die­se Des­in­fek­ti­on nahm er dann dem Schei­ne nach vor und be­nutz­te die Ge­le­gen­heit zu Dieb­stäh­len; wenn man ihm ge­le­gent­lich eine Er­qui­ckung an­bot, so lehn­te er treu­her­zig ab mit der Be­grün­dung: »Ich darf als Be­am­ter in den Häu­sern nichts an­neh­men.« Ein an­der­mal wur­de er nahe der Her­ren­häu­ser Al­lee beim Ab­schrau­ben ei­nes Tür­drück­ers er­tappt; er wies nach, dass an sei­ner Hau­stü­re der Drücker feh­le und dass er das feh­len­de eben habe er­gän­zen wol­len. Sei­ne Frech­heit war so groß, dass er ein­mal un­mit­tel­bar, ehe er in Un­ter­su­chungs­haft ab­ge­führt wur­de, noch schnell sei­nem Lo­gis­wirt einen Topf mit sech­zig ein­ge­leg­ten Ei­ern stahl. Wäh­rend des Jah­res 1905 wur­de Haar­mann ins­ge­samt zu 13 Mo­na­ten Ge­fäng­nis ver­ur­teilt; aber in den spä­te­ren Jah­ren scheint er sei­ne Ta­ten vor­sich­ti­ger aus­ge­führt oder bes­ser ver­bor­gen ge­hal­ten zu ha­ben. Die Feind­schaft mit dem Va­ter, wel­cher ihn für kern­ge­sund aber ar­beits­scheu hielt und als großen Si­mu­lan­ten be­zeich­ne­te, führ­te da­hin, dass Haar­mann am 1. No­vem­ber 1906 we­gen Kör­per­ver­let­zung des Va­ters zu ei­nem Mo­nat Ge­fäng­nis ver­ur­teilt wur­de. Die Strei­tig­kei­ten zwi­schen bei­den hat­ten haupt­säch­lich zum Ge­gen­stand, dass der Sohn die Her­aus­ga­be sei­nes müt­ter­li­chen Erb­teils ver­lang­te und der Va­ter es nicht aus­zah­len zu kön­nen er­klär­te. In den fol­gen­den Jah­ren un­ter­nahm er im­mer wie­der mit dem jun­gen Guh­lisch Rau­b­aus­flü­ge auf die Kirch­hö­fe (wo­bei viel­leicht der Grund ge­legt wur­de zu sei­ner spä­te­ren Gleich­gül­tig­keit ge­gen das Han­tie­ren mit Lei­chen­tei­len). Zwi­schen­durch fand er durch Ver­mitt­lung sei­nes Bru­ders Adolf Stel­lung auf der »Con­ti­nen­tal«, wo er gut ver­dien­te. – Man darf es als Glücks­fall be­trach­ten, dass Haar­mann ein Jahr vor Aus­bruch des Welt­krie­ges eine Zucht­haus­stra­fe von 5 Jah­ren er­litt, so­dass er wäh­rend der Kriegs­jah­re in den Straf­an­stal­ten Cel­le, Lü­ne­burg, Rends­burg und Ra­witsch in­ter­niert war; es wäre nicht aus­zu­den­ken, was ein sol­cher Mensch in ei­ner Zeit, wo je­der Ge­wal­tin­stinkt dem »Fein­de« ge­gen­über frei­ge­ge­ben wur­de, an Ver­bre­cher­ta­ten hät­te be­ge­hen kön­nen. Üb­ri­gens kann auch der fol­gen­de Um­stand zu den­ken ge­ben: Als in den letz­ten Kriegs­jah­ren Man­gel an Ar­beits­kräf­ten herrsch­te, weil alle ver­füg­ba­re Mann­heit an der Front war, da wur­den die Zucht­haus­sträf­lin­ge als Land­ar­bei­ter auf Gü­tern ver­wen­det; auch Haar­mann ar­bei­te­te in die­ser Zeit auf den Län­de­rei­en ei­nes Rit­ter­guts­be­sit­zers v. Hugo bei Rends­burg; und zwar so zu all­ge­mei­ner Zufrie­den­heit, dass man ihn lieb ge­wann und nicht wie­der zie­hen las­sen woll­te. Die fünf­jäh­ri­ge Zucht­haus­stra­fe 1913 wur­de un­ter sehr er­schwe­ren­den Um­stän­den ver­hängt. Ende 1913 fan­den in dem vor­neh­men Vier­tel »die List« zahl­rei­che Kel­ler­dieb­stäh­le statt. Schließ­lich wur­de Haar­mann bei dem Ver­such, einen Kel­ler­ein­bruch zu ver­üben, er­tappt und fest­ge­nom­men. Man fand bei der Durch­su­chung sei­ner Woh­nung ein rie­si­ges La­ger ge­stoh­le­ner Kon­ser­ven, Wein­fla­schen, Eier und Fleisch­wa­ren. Sei­ner Woh­nungs­wir­tin und sei­nem 17­jäh­ri­gen Freun­de Fritz Al­ger­mis­sen hat­te er lan­ge Zeit hin­durch Ess­wa­ren ge­schenkt oder bil­lig ver­kauft, un­ter dem Vor­ge­ben, er sei Che­mi­ker auf der Con­ti­nen­tal-Fa­brik und habe eine Agen­tur für Le­bens­mit­tel. Trotz ein­wand­frei­er Be­wei­se für schwe­re Dieb­stäh­le in zehn Fäl­len, schwur Haar­mann: »Bei Gott und dem Gra­be mei­ner Mut­ter. Ma­chen Sie mich nicht un­glück­lich. Ich bin un­schul­dig«, ver­zich­te­te aber, als er zu fünf Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt wur­de, auf Ein­le­gung ei­nes Rechts­mit­tels. Von Ende 1905 bis Ende 1912 be­fand er sich nur we­ni­ge Mo­na­te in Frei­heit. Merk­wür­dig ist es, dass, ob­wohl nach Haar­manns ei­ge­nen An­ga­ben die sitt­li­chen Ver­feh­lun­gen an Kna­ben und Jüng­lin­gen, so­bald er in Frei­heit war, na­he­zu zur täg­li­chen Ge­wohn­heit wur­den, die Ver­ur­tei­lung we­gen sol­cher Ver­ge­hen ver­hält­nis­mä­ßig sel­ten er­folg­te; meis­tens dar­um, weil die Be­trof­fe­nen zu scham­haft wa­ren ihn an­zu­zei­gen. Erst 1911 wur­de eine An­zei­ge we­gen Ver­ge­hens ge­gen § 175 StGB er­stat­tet, in­dem vier Vä­ter we­gen »Be­lei­di­gung« ih­rer Kin­der ge­mein­sam klag­ten, doch wur­de das Ver­fah­ren ein­ge­stellt, da die Aus­sa­gen der Kna­ben gar zu un­be­stimmt blie­ben. Am ab­scheu­lichs­ten war wohl je­ner Fall, der im No­vem­ber 1912 ihm eine Zu­satz­stra­fe von zwei Mo­na­ten Zucht­haus ein­trug: er hat­te einen ihm gänz­lich un­be­kann­ten 13­jäh­ri­gen Schul­kna­ben auf der Stra­ße an­ge­spro­chen und ge­gen Geld­ver­spre­chen, mit der Mah­nung, er dür­fe sei­nen El­tern nichts da­von sa­gen, in sei­ne Woh­nung zu ver­schlep­pen und zu ho­mo­se­xu­el­lem Ver­kehr zu ver­lo­cken ge­sucht. –

Die­se Vor­ge­schich­te lag vor, als Haar­mann im April 1918 aus dem Zucht­haus ent­las­sen, nach kur­z­em Gast­spiel in Ber­lin, wie­der in Han­no­ver auf­tauch­te. Und nun er­folg­ten die ers­ten Mord­ta­ten. Die ers­ten we­nigs­tens, wel­che man (al­ler­dings erst sechs Jah­re spä­ter) ihm nach­zu­wei­sen ver­moch­te.

Haarmann

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