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2.

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Sven kniete keuchend am Boden. Noch immer umklammerte er mit beiden Fäusten seinen Zweihänder. Er flammte nicht mehr. Lyana hatte sich ebenfalls hingehockt. Sie stützte den Kopf in die Hände und blickte mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin. Fedurin ließ Eselmist fallen und schrie seinen röchelnden Eselsschrei. Kat kam mir mit einem an Wahnsinn grenzenden Ausdruck im Gesicht entgegen.

„Was war das?“ schnappte sie. „Was war das - jetzt eben?“

Ich schaute zu der gegenüberliegenden Hügelkuppe hinauf. Die Gestalt dort oben war verschwunden.

Fünf Schritte vor mir lag mein Schwert. Ich sammelte es auf. Dann hob ich Lyanas Schwert auf und reichte es ihr.

„Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen,“ meinte ich mit trockenem Mund. „Bevor der Spuk von neuem beginnt.“

„Ich will wissen, wer uns da geholfen hat!“ kreischte Kat. Ihre Stimme überschlug sich.

Ich packte sie bei den Schultern. „Reiß dich zusammen!“

Kat biss sich auf die Lippen. Stumm hob sie ihren Bogen aus dem Schnee auf. Lyana richtete sich auf und steckte ihr Schwert in die Gürtelschlaufe. Mit blassem Gesicht sah sie mich an.

„Kat hat recht, Leif,“ flüsterte sie. „Ich glaub' auch, ich werd' gleich wahnsinnig.“

„Habt ihr denn nie davon gehört?“ rief Sven.

Er nahm Fedurin am Halfterstrick und gab uns einen energischen Wink, die nördliche Hügelkette heraufzusteigen.

„Die Soldaten, die manchmal nach Brögesand kamen, haben's auch erzählt. Manchmal, mitten im schlimmsten Schlachtgetümmel, erscheint eine mächtige Gestalt und haut die verloren Geglaubten heraus - sie nennen ihn den „schwarzen Krieger“. Auch ein paar von den Alten in unserem Dorf haben's erzählt - von der Gestalt über den Wellen, die sie in höchster Seenot, als sie ihre Seelen schon den Sternen befohlen hatten, gerettet hat. Das war der „schwarze Retter“!“

„Unsinn!“ murmelte Kat so leise, dass nur ich es hören konnte. „Götter, rettende Geister, das sind doch alles Volksmärchen!“

***

Die Gebirgshänge zu beiden Seiten glühten in der Abendsonne. Wir saßen in einem Talausgang der Nordberge um ein Lagerfeuer und verzehrten die Reste des Kaninchens, das Lyana geschossen hatte. Es war dasselbe Tal, durch das wir im Herbst aus den Bergen herabgestiegen waren. Das Lager hatten wir unter einem schützenden Felsvorsprung aufgeschlagen. Das Zelt stand ein paar Manneslängen talaufwärts auf ebenem Grund. Fedurin scharrte den Schnee mit den Hufen beiseite und rupfte, was er an Essbarem fand. Offenbar war er der Meinung, er bräuchte eine Abwechslung vom Hafer und den Rüben, die Kat ihm reichlich hingelegt hatte.

Wir schauten in die verschneite Ebene, die sich in mehreren Wellen zum See hinunter erstreckte. Das Licht der tiefstehenden Sonne spiegelte sich auf schneefreien Stellen im Eis.

Als ich den letzten Rest meines Kaninchenfleischs aufgegessen hatte, legte ich meinen Arm um Kat. „Wieder mal mit dem Leben davongekommen.“

„Aber mal ehrlich,“ rätselte Kat. „Wer hat uns da geholfen? Soll ich jetzt als Betschwester in irgendein Kloster gehen zum Dank, dass ein Elbengott mich gerettet hat?“

Lyana fuhr auf. „Jetzt hör aber mal auf mit deinem Geseier!“ schrie sie mit Tränen in den Augen. „Kannst du wenigstens einmal deine dämliche, große Schnauze halten?“

Kat starrte sie entgeistert an. Lyana sprang schluchzend auf und lief zum Talausgang, wo sie sich mit bebenden Schultern niederkauerte.

„Kat,“ meinte ich mit belegter Stimme.

Sie verzog das Gesicht. „Es rettet uns aber kein höheres Wesen. Kein Gott, kein Kaiser und kein tyrannischer Statthalter. Wir müssen uns selber helfen, oder wir bleiben im Elend stecken!“

„Irgendjemand hat uns geholfen,“ meinte ich.

Ich stand auf, um zu Lyana zu gehen.

„Nein, lass,“ sagte Kat. „Das ist jetzt meine Aufgabe.“

Sie ging zu Lyana und setzte sich neben sie. Nach einer Weile rückte Kat dicht an Lyana heran. Die beiden nahmen sich in die Arme. Eng umschlungen blieben sie nebeneinander sitzen.

Ich setzte mich neben Sven. Zusammen schauten wir zu den beiden Frauen hinüber. Ich sah Sven an. Er atmete tief durch. Wir brauchten keine Worte, um uns zu verständigen.

„Wenn ich gewusst hätte, in was Katrina uns reinzieht,“ sagte Sven leise mit seiner tiefen, voll tönenden Stimme, „ich wär' trotzdem gegangen!“

„Klar,“ meinte ich.

***

Als die Kälte mich im Morgengrauen aus blutigen Träumen weckte, war Lyana schon aufgestanden. Kat und Sven schliefen noch. Ich erwachte mit dem Geschmack von Rost und Blut im Mund, im Ohr die Todesschreie eines gequälten Tiers und das dumpfe Geräusch von Eisen, das klaffende Wunden in Fleisch schlägt.

Noch vier Tage bis Vollmond.

Vorsichtig tastete ich unter meinem Hemd nach dem Lederbündel mit dem mumifizierten Menschenohr, das Ligeia mir vor unserer Fahrt in die Nordberge gegeben hatte, damit ich sie in der Not rufen konnte. Seit damals trug ich es bei mir.

Beim Frühstück zog Kat Sven damit auf, dass er sich in Kingerhag als Ritter König Ertelreds eine Kutsche kaufen müsste, weil er auf einem Pferd inzwischen zwar recht stattlich sitzen, aber nicht darauf reiten könne. Während die beiden scherzhaft miteinander stritten, nippte Lyana an ihrem Kaffee und blickte ausdruckslos vor sich hin. Ihre Grütze hatte sie kaum angerührt. Sie kam mir blasser vor als sonst. Als Sven und Kat aufstanden, um das Zelt abzubauen, laut miteinander streitend über den militärischen Nutzen von Reitpferden und ihren Wert für die Menschheit im Allgemeinen, rückte ich dicht zu Lyana. Sie hielt immer noch den halbvollen Kaffeebecher in den Händen.

„Heute Nachmittag erreichen wir die Urwälder, Lyana.“

Sie atmete heftig aus und sah mich unglücklich an. „Leif, ich weiß, es ist unsinnig, aber ich habe entsetzliche Angst, in die Wälder zu gehen.“

Ich legte den Arm um sie. „Es war immer dein Traum, Lyana.“

Sie lehnte sich an mich.

„Deshalb ja,“ flüsterte sie. „Ich hab Angst vor der Wirklichkeit. Das stille Atmen der Bäume, wenn ich Seite an Seite mit meinem Vater durch den Wald ging, die Musik der Wälder - das sind doch alles nur Kindheitserinnerungen. Vielleicht ist es in Wirklichkeit nie so gewesen wie in den Träumen, die ich träume, seit ich unterwegs bin.“

Sie seufzte. „Leif, wenn ich heute, wenn wir in die Wälder kommen, Bäume und Walddickicht finde ohne die stille Musik, wenn der Wind in den Wipfeln dort einfach nur Wind ist, nichts sonst, der Wald keine Seele hat, genau wie es war, als ich aus den Wäldern im Süden weggegangen bin...“

Verzweifelt sah sie auf die vereiste Seefläche hinunter, die noch im Schatten der Bergflanken lag.

„Was soll mir das Leben denn noch, wenn ich keinen Traum mehr habe, keine Hoffnung?“

„Als ich auf der Landspitze von Halbaru keine Hoffnung mehr hatte, hast du sie mir wiedergegeben, Lyana. Man kann immer Hoffnung haben!“

Sie blickte stumm vor sich hin.

Ich versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen. „Diese Stimme gestern in den Ahnenhügeln, bevor das Schattenheer verschwand - hast du ihre Worte verstanden?“

„Es war die Sprache der Herren des Waldes,“ meinte sie. „Die Gestalt auf dem Hügel beschwor die Geister bei der Macht Landorlins. Aber ich habe nicht verstanden, ob die Gestalt Landorlin angerufen hat - oder ob es Landorlin selbst war, der die Geister vertrieb.“

„Landorlin - wer ist das, Lyana?“

„Er ist der Urvater der Herren des Waldes, der Älteste. Es heißt, aus einem Schössling des Salabaumes sei er dem Licht entgegen gestiegen, am Morgen der Welt. In der Sprache der Herren des Waldes ist Landor der frühe Morgen. Es ist seine Stunde - die Stunde des Morgentaus, die Stunde der Schöpfung.“

„Habt ihr genug geschmust?“ rief Kat zu uns herüber. „Dann können wir nämlich aufbrechen. Fedurin ist schon ganz versessen auf den Marsch. Er denkt, je eher wir heute ankommen, um so schneller wird er sein Gepäck wieder los!“

***

Die zerklüfteten Bergflanken zu unserer Rechten entlang wanderten wir über die sanft gewellte Ebene dem Wald zu, der in der Ferne bis hoch in die Gebirgstäler hinauf stand. Schleier von Morgendunst stiegen aus den Wipfeln. Die Ebene zwischen dem See und dem Gebirge lag im Schatten der Bergriesen, aber vor uns in der Ferne, wo der Wald sich ausbreitete, wichen die Gipfel hinter den weiten Tälern zurück und der Morgennebel zwischen den Nadelbäumen glänzte hell im Sonnenlicht.

Der Schnee war fest und selten mehr als knöcheltief. Wir kamen gut voran. Das schilfbestandene Ufer wich nach und nach zurück und die zum See hin abfallende Ebene wurde breiter. Bald säumten Weiden das Seeufer. Lyana strebte uns voran, nur selten schaute sie sich nach uns um. Wir wanderten zwischen Birkengehölzen und vereinzelten alten Birken hindurch, die ihre kahlen Äste in einen Himmel streckten, der seit Tagen zum ersten Mal wolkenfrei war. Nur oben in den steilen Graten der Nordberge hingen graue Wolken. Als gegen Mittag die Sonne über den Gipfeln erschien und die verschneite Landschaft begann, hell im Sonnenschein zu glänzen, rasteten wir unter den Ästen einer großen Birke, kauten Dörrobst und rauchten unsere Pfeifen. Ich betrachtete Lyana, aber sie erwiderte meinen Blick nicht. Sie saß aufrecht da mit untergeschlagenen Beinen. Ihre flinken Augen wanderten über das Gelände, als wollte sie jedes Merkmal, auch die kleinste Einzelheit in sich aufnehmen.

Den Nachmittag über blieb es sonnig und die Wolken zwischen den Gipfeln der nach Osten zurückweichenden Bergkette verflüchtigten sich. Es war annähernd windstill. Unsere Schritte knirschten im glänzenden Schnee. Die Sonne auf meinen noch vom Nachtfrost klammen Kleidern tat wohl. Auch Fedurin schien die Sonne auf seinem Fell zu genießen. Er stieß einen langen, weit in die Ferne hallenden Eselsschrei aus.

„Schsch!“ Lyana lief zu Fedurin zurück, der Kat am Strick hinterherging.

Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und flüsterte ihm etwas in die aufgestellten Ohren. Fedurins Kopfbewegung sah aus, als würde er widerstrebend nicken.

„Es ist keine gute Idee, unsere Ankunft in die Wälder hinauszubrüllen,“ meinte Lyana warnend.

Die Birken machten jungen Fichtendickichten und einzeln stehenden großen Kiefern Platz. Lyana lief weit voraus, vorbei an Gruppen von Tannen und Fichten, die keinen Weg boten zwischen ihren schneebedeckten Zweigen, und unter Nadelbaumriesen hindurch von einer Art, die ich nie zuvor gesehen hatte. Wir stiegen über kleine Bäche, die steinige Rinnen in die Landschaft gruben und gingen über Lichtungen im warmem Sonnenschein, auf denen gleißender Schnee uns blendete.

Das Land begann nach Norden hin anzusteigen. Die Baumriesen rückten näher zusammen. Ich blickte mich atemlos um unter ausladenden, mit Flechten bewachsenen Astarmen bemooster Urwaldriesen, die ihre sonnenbeschienenen Spitzen in schwindelnde Höhen streckten. Die Luft schien mir feuchter und wärmer als in der freien Ebene. Auf schneefreien Flächen im Windschatten der gewaltigen, gefalteten Stämme wuchs Moos. Zwischen ihren Wurzeln hätten wir vier gut und gerne ein gemeinsames Nachtlager gefunden. Auch Kat und Sven waren stehengeblieben. Fedurin stand dicht bei Kat mit aufgerichteten Ohren. Sven sah sich tief durchatmend um. Grünliches Dämmerlicht herrschte zwischen den Baumgiganten. Graue Flechten von der Größe von Betttüchern hingen von Ästen, die dicker waren als die Baumstämme, die ich von der Küste her kannte. Kat und ich tauschten einen Blick. Die Stille des Urwalds hatte einen ehrfurchtgebietenden, feierlichen Charakter. Sie flößte mir eine unerklärliche Furcht ein.

Über armdicke Wurzelgeflechte und an mannshohen umgestürzten Bäumen vorbei stiegen wir bergan. Auf vermodernden, von Käfern wimmelnden Stämmen wuchsen Moos und junge Fichten in den Sonnenstrahlen, die durch Lücken zwischen den Baumriesen zum Waldboden vordrangen. Lyana ging jetzt dicht vor uns. Sie ging langsam, blieb immer wieder stehen und lauschte. Wenn Sven und Kat leise ein Wort wechselten, machte sie ihnen mit ärgerlicher Miene Zeichen, still zu sein.

Am Rand einer mit jungen, zugeschneiten Tannen bestandenen Lichtung hielt Lyana an und sah sich um. Ich stellte mich nahe zu ihr. Im Licht der späten Nachmittagssonne warfen die Tannen lange Schatten über die Lichtung.

„Ist das der Wald, von dem du geträumt hast?“

Lyana schaute über die Lichtung zu den gegenüber stehenden Nadelbaumriesen auf. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Langsam nickte sie.

„Hörst du die Musik?“ hauchte sie, „den Atem des Waldes?“

Dieser Wald ist wie ein unfassbar großes Lebewesen, das uns beobachtet, dachte ich.

„Nicht der Wald beobachtet uns,“ flüsterte Lyana.

Sie deutete auf den Schnee vor unseren Füßen, wo Tierfährten eine schmale Spur ausgetreten hatten.

„Hirsche,“ sagte Lyana leise. „Ein ganzes Rudel.“

Sie blickte uns der Reihe nach ernst an.

„Bleibt dicht hinter mir,“ raunte sie. „Versucht, wenn irgend möglich, kein Geräusch zu machen und nicht durch die Gegend zu trampeln wie eine Herde Büffel. Wenn ich euch ein Zeichen gebe, bleibt ihr sofort stehen und rührt euch nicht. In Ordnung?“

„Lauert hier irgendwo Gefahr?“ fragte Kat flüsternd.

Lyana spähte unruhig umher. „Ich weiß noch nicht.“

Im Schatten ausladender Äste pirschten wir am Rand der Lichtung entlang hinter Lyana her. In der ringsum herrschenden Stille hatte ich den Eindruck, meine Stiefel erzeugten ohrenbetäubendes Getöse im unter dem Schnee knackenden Unterholz. Lyana schien den gleichen Eindruck zu haben, denn sie blickte sich ein paar Mal unwillig um. Vollkommen lautlos glitt sie zwischen Bäumen und schneebedecktem Bruchholz hindurch. Wir ließen die Lichtung hinter uns. Über einen vereisten Bach gelangten wir in ein Waldgebiet mit weiter auseinander stehenden Nadelbäumen. Sie hatten eine stattliche Größe, waren aber längst nicht so Furcht einflößend wie die Urwaldriesen, zwischen denen wir bereits hindurch gekommen waren. Es lag kaum Schnee und der weiche Boden war nahezu frei von Unterholz, so dass wir schneller ausschreiten konnten, ohne allzu viel Geräusch zu machen.

Mit einem Mal ging Lyana langsamer. Sie spähte rasch zwischen den Bäumen umher. Ich sah mich um, konnte jedoch nichts erkennen. Plötzlich blieb sie abrupt stehen und gab uns ein Zeichen. Wir standen stockstill. Unwillkürlich hielt ich die Luft an. Lyana schien zu lauschen. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf und ging weiter. Ich wollte ihr nachgehen, aber mitten im Schritt prallte ich zurück. Kat rempelte hinter mir gegen meinen Schild.

„Pass doch auf!“ zischte sie.

„Still!“ flüsterte ich, ohne mich zu rühren.

In dem Baumstamm neben mir, genau vor meinem Gesicht, zitterte ein langer, schlanker Pfeilschaft.

***

„Oh Scheiße, verdammte!“ entfuhr es Kat.

Sie riss ihren Schild nach vorn und zog Lichthüter aus dem Gürtel. Das Schwert glänzte hell auf im Halbdunkel des Waldes. Auch ich hatte die Hand am Schwert.

Lyana war mit einem Satz bei uns. „Steck' das Schwert weg, Kat!“ schrie sie, dass es durch den Wald hallte. Ihre Stimme überschlug sich. „Um alles in der Welt, lasst die Hände von den Waffen!“

Kat starrte sie an, als hätte Lyana der Wahnsinn gepackt. „Wir werden angegriffen!“

„Steck' das Schwert zurück, Kat.“ Lyanas Stimme zitterte. „Bitte tu, was ich dir sage!“

Zögernd schob Kat ihr Schwert in die Schwertschlaufe zurück. Auch ich nahm die Hand vom Schwert, obwohl ich wusste, dass Feinde in der Nähe waren. Die Klinge hatte blau geglüht, als ich mein Schwert berührt hatte. Sven stand in angespannter Haltung neben mir und spähte in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war.

Um uns herum erwachten die Bäume zum Leben. Für einen Moment glaubte ich tatsächlich, die Stämme selbst begännen sich zu regen. Im schattigen Unterholz zeichneten sich die Umrisse schlanker, großer Gestalten ab. Sie verschmolzen so sehr mit dem dunklen Waldhintergrund, dass sie nur dann auszumachen waren, wenn sie sich bewegten.

Lautlos traten sie unter den Bäumen hervor. Es mochte ein knappes Dutzend langgliedriger Männer in Lederkleidung sein, die uns mit großen, gespannten Bögen gegenüber traten. Ihre Pfeilspitzen zielten direkt auf unsere Köpfe. Mein Puls begann wie rasend zu hämmern. Im Bruchteil eines Augenblicks konnten sie uns alle vier töten. Und ich hatte keinen Zauber, der dagegen gewirkt hätte. Selbst eine Feuerwalze hätte die Pfeile nicht aufhalten können.

Die Bogenschützen standen schweigend um uns im Halbkreis. Alle von ihnen überragten uns, sogar Sven, um mindestens einen Kopf. Noch immer konnte ich sie im schattigen Dämmer unten den Bäumen nur schwer erkennen. Die leichten Lederwämser, die sie trugen, hatten Lederfransen an den Ärmeln, genau wie dasjenige von Lyana. Ihre langen, hellen Haare wurden von ledernen Stirnbändern gehalten, von denen über dem rechten Ohr eine oder zwei lange Vogelfedern herabhingen. Tatsächlich waren sie ganz genau wie Lyana gekleidet, bis auf die Mokassins, die sie statt Stiefeln trugen. In ihren Gürteln steckten lange Messer.

Lyana stand einen Schritt vor Kat, Sven und mir. Fedurin drängte sich hinter uns dicht an Kat. Er presste seine Schnauze gegen ihre Seite. Langsam hob Lyana die Hand zum Gruß.

„Landorlin il Vendona hwen nayin,“ formulierte sie mit fester Stimme.

Einer der Bogenschützen trat einen Schritt auf sie zu, ohne den Bogen herunterzunehmen. Aus unmittelbarer Nähe zielte er ihr mitten zwischen die Augen. Er antwortete ihr in der melodischen Sprache, von der ich wusste, dass es die Sprache der Elben, der Herren des Waldes war, aber seine Stimme klang hart. Lyana erwiderte ihm ruhig, doch er antwortete nur knapp mit kalter Stimme. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Lyana kniete sich vor ihn hin. Ihre Stimme begann zu zittern. Entsetzt verfolgte ich den Wortwechsel. Und mir fiel nichts ein, was ich hätte tun können. Die Pfeilspitzen waren nach wie vor auf uns gerichtet. Eine unbedachte Bewegung von einem von uns, und wir alle wären auf der Stelle tot.

Eine feste, helle Stimme ertönte hinter den Bogenschützen. Zwischen den großen Männern kam ein Junge mit glatten, hellbraunen Haaren hervor, die ihm sanft über die Schultern fielen. Er war gekleidet wie die Bogenschützen, aber zierlich schlank und noch einen halben Kopf kleiner als ich. Er hatte seinen Bogen über die Schulter gehängt und die schmale Hand am Messer. Ich korrigierte mich sofort: es war eine junge Frau. In ihrem Stirnband hingen drei große Federn.

Mit langen Schritten ging sie auf Lyana zu und sprach sie an. Der Jäger, der vorher zu Lyana gesprochen hatte, trat einen Schritt zurück und senkte den Bogen. Er sah verärgert aus. Das Mädchen und Lyana wechselten ein paar Worte, dann griff die junge Frau Lyana bei den Schultern und Lyana stand auf. Die beiden sahen einander in die Augen. Das Mädchen nahm das Amulett in die Hand, das Lyana um den Hals hing. Sie zeigte es den Männern hinter ihr und sagte etwas dazu. Ihre Stimme klang entschlossen. Dann deutete sie auf uns. Lyana erklärte leise mehrere Sätze in der Elbensprache. Die Schützen senkten ihre Bögen. Ich wollte gerade aufatmen, als mir erneut der Schreck in die Knochen fuhr. Vier gespannte Bögen blieben auf meine Augen gerichtet.

„Lasst sie selber reden, wenn sie verständige Wesen sind und nicht viehisch wie Tiere!“

Einer der Bogenschützen hatte es in der Reichssprache gerufen, ein großer Mann mit breiten Schultern und starken Armmuskeln, die sich unter seinem dünnen Lederwams abzeichneten. Er schob seinen Pfeil in den Köcher und hängte den Bogen über die Schulter. Mit ein paar Schritten kam er auf uns zu, die rechte am Griff des Messers in seinem Gürtel. Sein glattes, langes Haar hatte die Farbe von Bronze. Die Augen in seinem hellhäutigen Gesicht waren eisgrau. Mit stechendem Blick musterte er uns. Er stellte sich mit hoch erhobenem Kinn vor Kat.

„Was ist dein Gewerbe, Frau aus dem Volk der Menschen?“ Seine Stimme klang hart.

„Ich bin Feldscherin, Herr - Heilerin.“

Er blickte Kat aus eisigen Augen an. „Rede mich nicht mit „Herr“ an, das ziemt sich nicht bei meinem Volk. Ich bin Lohan. Krieger der zweiten Feder.“

Kat blickte ihm fest ins Gesicht, ohne zu antworten.

„Du bist Heilerin - so hat auch die Waldläuferin es erklärt,“ nickte der Elbenkrieger.

Er schritt zu Sven und musterte ihn missbilligend. „Deine Waffe ist feindlich, Fremder. Was hast du auf unserem Gebiet zu schaffen?“

Sven kniete sich auf ein Knie herab, wie es an einem Fürstenhof üblich gewesen wäre. „Ich habe geschworen, meine Waffe gegen alles Böse zu wenden und alle Völker der Welt vor den Schatten der Hölle zu schützen. Nur dafür verwende ich mein Schwert. Ich habe gegen Dämonen und gegen Geister aus der Hölle gekämpft. Ich stehe mit meinem Leben dafür ein, dass ich mein Schwert niemals gegen einen von euch erheben würde.“

Der Elbenkrieger sah streng auf Sven herab. „Du wirst deine Waffe auf unserem Gebiet nicht anrühren dürfen. Sagst du das zu?“

Sven seufzte. Er wechselte einen raschen Blick mit Kat und mir. Lyana sah ihn flehentlich an.

„Ich sage es zu.“

„Gut,“ stellte Lohan knapp fest. „Dann stirbt nur der schwarze Hexer. Über die anderen wird der Rat der Alten entscheiden.“

„Nein,“ schrie Lyana.

Sie sprang vor mich und deckte mich mit ihrem Körper vor den auf mich gerichteten Pfeilen.

„Leif hat mit seiner Magie mein Leben gerettet! Er würde sie niemals zum Bösen einsetzen!“ Angst schwang in ihrer Stimme. „Wenn ihr ihn töten wollt, dann tötet mich auch!“

Ein Augenblick absoluter Stille folgte, in denen keiner der Elbenkrieger sich regte.

In die Stille hinein erklang zögernd Kats Stimme. „Ich kann beschwören, dass Leifs Gesinnung edler ist, als meine eigene.“

„Sag es ihnen, Leif!“ flüsterte Lyana mit zitternder Stimme.

Ich räusperte mich. Das Herz schlug mir bis zum Hals. „Ich... ich bin gegen meinen Willen in die schwarze Magie initiiert worden, von einer mächtigen Hexe. Ich bin auf der Flucht vor ihr - “

Ich war mir nicht sicher, ob das, was ich sagte, der Wahrheit entsprach. Doch die auf mich gerichteten Bögen senkten sich. Lyana atmete schluchzend aus. Lohan trat auf mich zu. Er fixierte mich unerbittlich. Ich starrte auf die lange, hässliche Narbe, die sich von seinem linken Ohr den Hals herab bis zu seinem Brustbein zog.

„Unsere Gesetze fordern den Tod jedes schwarzen Hexers, der unser Gebiet betritt,“ schleuderte er mir entgegen. „Stirb jetzt von meiner Hand!“

„Thweon!“ rief das Mädchen mit den drei Federn am Stirnband.

Lohans Augen sprühten vor Wut, aber er trat einen Schritt zurück.

Ich holte tief Luft. „Ich bitte euch, mir Zuflucht auf eurem Gebiet zu gewähren, bis... so lange ich nach einem Mittel suche, das schwarze Gift wieder loszuwerden.“

Schweigen folgte auf meine Worte. Keiner der Elben regte sich. Lohan starrte mich zornsprühend an.

Endlich erklang die Stimme des Elbenmädchens. „Du hast es gehört, Lohan!“

Der muskulöse Krieger senkte den Kopf und ging einen weiteren Schritt zurück, doch sein unbewegtes Gesicht war rot vor Wut.

„Der Rat der Alten wird über ihn entscheiden,“ sagte er gepresst. „Aber auch ich habe eine Stimme in der Ratsversammlung!“

Gorloin

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