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4.

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„Fedurin braucht einen Stall,“ fand Kat.

Sie fuhr dem vor unserer Wohnstatt angeleinten Esel durch die Mähne. Dann ging sie zu einer Gruppe Frauen hinüber, die unter dem vorspringenden Dach einer Langhütte ihren Arbeiten nachgingen, und sprach mit ihnen. Fedurin schrie Kat hinterher. Vielleicht wollte er betonen, wie wichtig ein Winterstall für ihn war.

Sven und ich setzten uns auf die Bank vor unserem Wohnraum und zündeten unsere Pfeifen an. Interessiert stellte ich fest, dass Sven dafür ein anderes Zauberwort verwendete als ich. Schweigend zogen wir an unseren Pfeifen.

Schließlich meinte ich: „Eigentlich hab ich mir die Elben auch anders vorgestellt.“

Sven zuckte mit den Schultern. „Die sind schon in Ordnung hier. Stolze Krieger! Ist halt ein Wald, keine Küste - das ist das Fremdartige daran.“

Irgendwie bewunderte ich ihn dafür, dass er immer eine einfache Formel fand für das, was uns begegnete.

Gegen Abend kamen die Krieger zurück und brachten ihre Jagdbeute, Rehe und Hirsche zumeist. Ein Wildschwein, das von drei lediglich mit Bogen und langen Waidmessern bewaffneten Kriegern erlegt worden war, erregte große Aufmerksamkeit am Siedlungsfeuer. Zwei der drei hatten Verletzungen an Armen und Beinen davongetragen. Alle drei trugen zwei Federn in ihrem Stirnband. Kat, Sven und ich stellten uns zu den Frauen und Kindern, die die Jagdbeute bewunderten. Die Krieger machten keinen Hehl aus ihrem Stolz über ihr Jagdglück. Wortreich erläuterten sie ihre Jagderlebnisse in ihrer melodiösen Sprache.

Die Erzählungen wurden abrupt unterbrochen, als eine junge Frau aufschrie und mit vor den Mund gehaltener Hand auf zwei Jäger zeigte, die sich dem Siedlungsfeuer näherten. Es waren Lyana und Aeolin. Auf den Schultern trug Lyana die Jagdbeute der beiden: ein großes, katzenartiges Raubtier, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Die beiden wurden von der Menge umringt. Lyana ließ das Raubtier zu Boden gleiten. Sie sah erschöpft aus und ihr Wams war blutbesudelt wie nach der Schlacht mit den Wölfen auf unserer letzten Fahrt, aber ihr Gesicht strahlte vor verhaltenem Glück.

Die Krieger untersuchten das bäuchlings aufgeschlitzte Tier. Mehrmals hörte ich das Wort "Puma". Aeolin gab eine knappe Erklärung ab. Die Krieger sahen Lyana mit stummer Ehrerbietung an. In den Blicken mancher las ich Neid. Aeolin gab einem kleinen Jungen eine Anweisung. Er rannte zwischen den Hütten davon. Lyana beantwortete mit leiser Stimme die Fragen der erstaunten Krieger und Frauen. Augenscheinlich erwarteten alle einen weitschweifigen Jagdbericht, aber sie antwortete auf jede Frage nur kurz. Manchmal gab Aeolin eine ergänzende Erklärung.

Der Junge kam ans Siedlungsfeuer zurückgerannt. Zwischen den Wohnhütten erschien ein weißhaariger, in gemusterte Decken gehüllter Ältester. Atemlos reichte der Junge Aeolin eine lange graue Feder, wie die Krieger sie an ihren Stirnbändern trugen. Unter lauten Ausrufen der Krieger band Aeolin die Feder mit einem dünnen Lederriemen an Lyanas Stirnband, so dass ihr die Feder über das rechte Ohr herabhing. Nicht alle Rufe um die beiden her klangen freundlich. Mehrere Krieger blickten unwillig, sogar wütend.

Aeolin hielt mit fester Stimme eine Rede. Sie stand sehr aufrecht, die Hand am Messergriff. Einige der umstehenden Krieger blickten sie grimmig an, aber keiner widersprach ihr. Auch Lyana stand gerade aufgerichtet. Ihr Blick wanderte zwischen Aeolin und den Kriegern hin und her. Der Älteste hatte die Gruppe erreicht. Es war Thweronund. Die Krieger und wir senkten die Köpfe und machten ihm Platz. Er ging auf Lyana zu, umarmte sie und küsste sie auf beide Wangen. Den Arm fest um Lyanas Schulter gelegt, wandte er sich den Kriegern zu und hielt eine lange Ansprache, die er mit ausladenden Gesten seiner freien Hand bekräftigte. Schließlich blickte er zum wolkenlosen Himmel empor und deutete mit der Hand auf die im Westen stehende Sonne. Seine feierlichen Worte schienen ein Gebet zu sein. Als er Lyana losließ, neigte sie den Kopf und sprach ein paar Worte, laut und deutlich diesmal. Während Thweronund die Runde der Krieger verließ, lächelte er Kat, Sven und mir zu. Und wieder lag etwas in seinem humorvollen Alte-Männer-Lächeln, was mir klarmachte, dass ich ihn um nichts in der Welt zum Feind haben wollte.

Einer der hochgewachsenen Krieger trat auf Lyana zu und umarmte sie. Ein anderer Krieger tat es ihm nach. Zwei, drei weitere nickten Lyana zu und sagten ihr ein paar Worte, bevor sie ihre Jagdbeute nahmen und davongingen. Andere, und es waren nicht wenige, verließen die Runde stumm, ohne Lyana auch nur anzublicken.

Die Gruppe der Umstehenden löste sich auf. Als nur einige Kinder und Mädchen noch dastanden und uns mit verhaltener Neugier beäugten, hob Aeolin den erlegten Puma auf und legte sich das schwere Tier über die Schulter.

Kat machte ihrer Überraschung Luft. „Wie, Lyana, bist du gerade in den Elbenstamm aufgenommen worden?“

„Eure Schwester hat den Mut einer Kriegerin bewiesen,“ antwortete Aeolin.

Es war das erste Mal, dass sie Kat, Sven und mich ansprach. Sie sah uns mit klaren, grauen Augen an.

„Ihre Mutter gehört dem Clan der Hewroidan im Süden an. Es ist nur recht, wenn eure Schwester die Feder des Kriegers trägt.“

Sie nickte Lyana zu und stapfte mit dem Puma zu einer der Wohnhütten. Lyana sah von ihr zu uns.

„Ich erklär' euch später, was wir erlebt haben,“ meinte sie atemlos. „Wir müssen dem Puma das Fell abziehen und es aufspannen.“

Sie warf uns einen entschuldigenden Blick zu und folgte Aeolin. Sprachlos schauten wir ihr nach.

***

Am abendlichen Siedlungsfeuer hatten sich vier der fünf Ältesten eingefunden. Sie saßen verteilt in der Runde der Krieger, die die Bänke um das große Feuer einnahmen. Einer der Ältesten hielt eine lange Rede. Dabei wies er immer wieder auf Lyana, die einige Bänke weiter neben Aeolin saß, Kat, Sven und mir gegenüber. Frauen verteilten Schalen mit gerösteten Kastanien und Wildbret.

„Sie werden aus Lyana noch eine waschechte Wilde machen,“ flüsterte Kat mir zu. „Wenn es nicht bereits geschehen ist...!“

„Es war immer ihr Herzenswunsch,“ antwortete ich leise. „Ich glaube, sie hat gefunden, was sie gesucht hat.“

Lyana schaute zu uns herüber. Ich nickte ihr lächelnd zu. Langsam nickte sie zurück.

Hin und wieder bezeugten die anderen Ältesten mit einem Kopfnicken ihre Zustimmung zur Rede ihres Stammesbruders. Von Zeit zu Zeit kamen bestätigende Rufe aus der Runde der Krieger.

Der Krieger neben mir beugte sich mir entgegen. „Munwende, unser Vater, der die Federn nicht zählt, redet von den lange vergangenen Zeiten, als die Wälder sich weit in den Süden ausbreiteten und unser Volk zahlreich war. Er erklärt meinen Brüdern, dass es ein Segen ist, dass die junge Hewroidan-Kriegerin zu unserem Clan gefunden hat. Zu lange schon ist unsere Zahl immer geringer geworden, zu viele haben ihrer Sehnsucht nachgegeben, in die Heimat zu ziehen. Munwende sagt, das Erscheinen Lyanas, der Tochter Laendias, ist ein Zeichen, dass eine neue Zeit für den Clan der Munawhin anbricht.“

Kat, die ebenfalls gelauscht hatte, verzog kaum merklich die Mundwinkel. Mir war klar, dass sie die Erläuterungen des Kriegers für Blödsinn hielt.

Leise meinte ich zu dem Krieger: „Bisher war Aeolin die einzige Frau im Kriegerrang in eurem Clan. Jetzt habt ihr zwei Kriegerinnen...“

Der junge Mann nickte. „Nicht alle meiner Brüder sind damit einverstanden. Aber unsere Väter, die Ältesten, sind überein gekommen, dass der Weg des Kriegers auch Frauen offensteht. Siehst du Aeolin dort drüben sitzen, die Kriegerin der dritten Feder?“

Ich beobachtete sie und Lyana schon die ganze Zeit über. Lyana hatte ihre Pfeife angezündet und Aeolin und Lyana rauchten abwechselnd.

„Schon als kleines Mädchen lag sie den Kriegern in den Ohren, sie wolle eine Kriegerin werden,“ erzählte der junge Mann leise. „Ständig lief sie mit einem Messer umher, das ihr Vater ihr gegeben hatte und erlegte alles, was sie um die Siedlung herum finden konnte - Kaninchen, Eichhörnchen, Wiesel. Für Frauenarbeiten hatte sie kein Auge. Ihre Schwestern konnten sie an keinen Webstuhl setzen, weil sie alles kaputt machte, was man ihr in die Hand gab. Meine Brüder, die Krieger, spotteten über sie. Aber sie ließ sich nicht beirren.“

Der Krieger untermalte seine Erzählung mit verhaltenen Gesten, während der Älteste noch immer sprach. Kat, Sven und ich lauschten dem jungen Mann.

„Sie war noch ein Kind, als meine Brüder sie vor einer wütenden Wildsau retten mussten, vor der sie auf einen Baum geflüchtet war, nachdem sie sich an einen Frischling angepirscht und ihn erlegt hatte. Meine Schwester Aeolin kennt keine Furcht. Sie hört wohl davon sprechen, aber es ist ihr wie leerer Schall in den Ohren.“

Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers beendete der Älteste seine Rede. Von mehreren Seiten kamen bestätigende Zurufe. Aber ich sah auch viele Krieger, die finster blickten. Vorsichtig spähte ich durch die Reihen der Krieger. Lohan konnte ich nicht entdecken. Ein anderer Krieger stand auf und begann in einer langsamen, getragenen Weise zu singen. Hin und wieder fielen andere in seinen Gesang ein.

Der junge Mann neben mir fuhr mit seiner Erzählung fort. „Es war erst vor wenigen Wintern - vor einem oder zwei, wer wollte sie zählen - als Tamelund, unser Vater, Aeolin die Erlaubnis zur Großen Jagd gab, damit sie sich als Kriegerin beweisen konnte. Als sie mit Bogen und Waidmesser in den Wald aufbrach, spotteten meine Brüder, sie werde wohl wieder mit einem Kaninchen ans Feuer zurückkommen, und ob Tamelund ihr wohl ein Taubenfederchen ans Stirnband heften wolle. Sie kam lange nicht zurück. Spät in der Nacht trat sie an die Glut des heruntergebrannten Feuers, mit blutigem, zerrissenem Lederwams, bedeckt von Wunden und Schrammen. Ihre Wange war aufgerissen. Obwohl sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, stand sie aufrecht. In den Händen hielt sie die Tatze eines Höhlenbären - keines Jungtiers, die Tatze eines ausgewachsenen Bären, dreimal so groß wie sie selbst. Den Herbeigestürzten stieß sie nur entgegen, die Krieger möchten hinaufgehen in die Berge und sich vergewissern, dass der Bär, der dort tot liege, tatsächlich gerade erst von ihr erlegt sei, und dass keine Waffen ihn verletzt hätten, als allein ihr Messer. Tamelund selbst heftete ihr drei Federn ans Stirnband. Seit dieser Winternacht hat keiner meiner Brüder mehr gewagt, auch nur hinter vorgehaltener Hand über sie zu spotten.“

Wir lauschten dem getragenen Gesang. Bilder weiter Wälder stiegen vor meinem inneren Auge auf, erfüllt von Sehnsucht nach vergangener Schönheit und Größe. Kat blickte nachdenklich zu Aeolin hinüber. In ihren Augen bemerkte ich Mitgefühl für die junge Kriegerin. Als der Krieger seinen Gesang beendet hatte, stimmte Lyana ihre Flöte an. Die magischen Weisen wanden sich sanft um das knisternde Feuer und zwischen den im Kreis sitzenden Kriegern hindurch hinauf zu den Ästen der Bäume um die Siedlungsmitte und höher, voller Dankbarkeit und Sehnsucht, in das helle, klare Mondlicht über den Bergen.

Kat, Sven und ich sagten an diesem Abend nicht mehr viel zueinander in der Runde der Krieger. Wir lauschten den Frauen und Männern, die ihren Gesang anstimmten, nachdem Lyanas Musik verklungen war. Der Abend war still und feierlich. Fast vergaß ich, dass über unser Schicksal noch nicht entschieden war. Und auch die bange Furcht und die schmerzhafte Sehnsucht, die der fast volle Mond in mir weckte, war ferner als in den vergangenen Nächten. Als der Mond hell über der Lichtung stand, erhob Aeolin sich und ging langsam, ohne einen der Krieger oder Lyana noch einmal anzublicken, zu einer Wohnhütte. Lyana schaute zu mir herüber. Ich sah sie an und wir blickten uns in die Augen. Dann stand sie auf und ging zu der Langhütte hinüber, in der Aeolin verschwunden war.

Nicht lange danach standen Kat, Sven und ich ebenfalls auf, um zu unserer Wohnstatt zu gehen. Viele der Krieger hatten die Bänke um die Feuerstelle bereits verlassen. Nur eine Handvoll Krieger schauten noch in die heruntergebrannte Glut und tauschten ihre Pfeifen miteinander.

Während Kat Fedurin in seinen Stall brachte, rollten Sven und ich die Matten am Boden unseres Schlafraums aus. Einrichtungsgegenstände gab es nicht. In einer Ecke lag unser Gepäck aufgestapelt. Die Elbenfrauen hatten uns einen Krug Trinkwasser neben den Eingang gestellt. An der Rückwand war ein großer Berg glühender Holzkohlen aufgeschichtet. Trotz des nur durch eine Decke verhängten Eingangs durchwärmte die Kohlenglut den Raum. Das Rauminnere lag in schwaches rötliches Licht getaucht.

Misstrauisch beäugte Sven den Kohlenhaufen. „Wenn der Berg in der Nacht mal nicht zusammenstürzt. Könnte böse Verbrennungen geben.“

Wir legten Filzdecken auf die Matten und unsere Wolldecken darüber.

„Glaubst du, Lyana wird noch kommen?“ überlegte Sven.

„Keine Ahnung,“ meinte ich. „Vielleicht nicht...“

Einen Moment lang sahen wir uns unsicher an. Vermutlich ging ihm der gleiche Gedanke durch den Kopf wie mir. Wir ließen uns auf die Decken nieder und rückten auseinander, um Platz zu machen für Kat, deren angestammter Schlafplatz seit unserem Aufbruch aus Dwarfencast in der Mitte zwischen uns beiden war.

Sie kam kurze Zeit später herein. Als Kat den Vorhang vor den Eingang zog, fuhren Sven und ich gleichzeitig auf.

Kat drehte sich zu uns um und sah uns an. „Ist was?“

„Äh...“ sagte Sven.

„Nö,“ meinte ich.

Ich versuchte, meine Verlegenheit zu überspielen. Im Halblicht der Kohlenglut war ich mir nicht sicher, ob Kat sich ein Grinsen verbiss. Sie kroch zwischen uns unter die Wolldecken, schlang die Arme um Sven und küsste ihn ausgiebig. Dann drehte sie sich zu mir um und küsste mich auf dieselbe Weise. Ihre Zunge spielte mit meiner. Irgendwie war es in Ordnung so. Ich zog sie an mich und erwiderte ihren Kuss heftig. Sie seufzte leise, ihren Mund an meinen gepresst. Schließlich rollte sie sich in ihre Decke. Wir drei lagen eng beieinander.

„Gute Nacht, Jungs,“ sagte sie zärtlich.

„Gute Nacht, Kat,“ antworteten wir gleichzeitig.

***

Diese Nacht kam Lyana nicht zurück in unseren Hüttenraum. Als wir erwachten, waren wir noch immer zu dritt. Schütteres Dämmerlicht drang durch die Vorhangritzen herein. Kat tauschte mit beiden von uns - erst mit mir, dann mit Sven, dann noch einmal mit mir und ein letztes Mal mit Sven Guten-Morgen-Küsse.

Am Siedlungsfeuer hatten die Krieger, die auf die Jagd gehen wollten, ihr Frühstück bereits beendet. Wir bekamen Schalen mit gerösteten Bataten und heißen Tee. Kat saß zwischen Sven und mir. Ich schlürfte den starken Tee und stellte fest, dass ich mich sehr wohl fühlte mit Kat und Sven an meiner Seite.

Von der Langhütte, zu der sie Aeolin gestern Abend gefolgt war, kam Lyana ans Siedlungsfeuer. Ich schaute sie an, während sie sich neben mich setze. Sie blickte versonnen ins Feuer, ohne meinen Blick zu erwidern. Kurz lehnte sie ihre Schulter gegen meine, wie zur Antwort auf die Frage, die mir durch den Kopf ging. Sie nahm stumm die Schale Süßkartoffeln entgegen, die ein Mädchen ihr reichte und aß wie im Traum. Kurz darauf kam Aeolin ans Feuer. Die sonst so wachsame Kriegerin stolperte über einen herumliegenden Tontopf und rannte beinahe einen Hund um, der ihr über den Weg lief. Sie setzte sich dicht neben Lyana. Lyana teilte die Schale Süßkartoffeln mit ihr.

Heimlich beobachtete ich die beiden Mädchen. Lyana ordnete eine Falte an Aeolins Lederwams, Aeolin strich Lyana das Haar unter dem Stirnband zurecht. Bevor Aeolin nach der Mahlzeit aufstand, küsste sie Lyana verstohlen auf den Mund.

Als Aeolin zwischen den Langhütten verschwunden war, meinte ich zu Lyana: „Das Elbenmädchen wirkt ein bisschen durcheinander.“

Lyana blickte verträumt in die Flammen. Ein verhaltenes Lächeln spielte um ihren Mund.

„Es war ihre erste Nacht... Ich glaube, ich habe sie etwas aus der Fassung gebracht. Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass sie vorher noch nie mit jemandem geschlafen hatte.“

***

Aeolin und Lyana gingen auf die Jagd. Kat, Sven und ich machten einen Morgenspaziergang durchs Dorf. Zwischen den Hütten sang eine Frau. Sie stand mit offenen Armen dem Wald zugewandt. Der melodiöse Gesang hatte etwas Betörendes. Ich spürte die magische Kraft ihres Gesangs, obwohl ich den Zauber nicht kannte, den sie wirkte. Ein grauhaariger Krieger betrachtete uns, wie wir der Elbin lauschten. Er nickte freundlich und stellte sich zu uns. Von seinem Stirnband hingen drei Federn. Wir neigten unsere Köpfe zum Gruß. Mit geschlossenen Augen lauschte der breitschultrige Krieger der Frau. Hin und wieder summte er die fremdartigen Melodien leise mit.

Schließlich meinte er zu uns: „Meine Schwester besingt das Jagdglück unserer jungen Jäger. Es ist die Aufgabe der Frauen bei der Jagd.“

Die grauen Augen in seinem faltigen Gesicht blinzelten verschwörerisch. „Die Frauen sind die eigentlichen Jägerinnen unseres Clans. Ohne sie wäre die Jagd im Winter beschwerlich und oft würden wir Hunger leiden.“

„Und dann geben eure jungen Kerle so an mit dem Wild, das sie erjagt haben?“ platzte Kat heraus.

„Sie geben nicht an,“ erklärte der alte Krieger mit feinem Lächeln. „Sie erklären den Frauen, wo sie das Wild erbeutet haben und auf welche Weise, damit die Frauen wissen, was sie singen müssen.“

Unter dem Vordach einer Langhütte arbeitete eine junge Frau am Webstuhl. Kat stellte sich zu ihr.

„Woraus spinnt ihr euer Garn?“ wollte sie wissen.

„Wir sammeln die Wolle von Büschen, die in den Seitentälern der Berge wachsen,“ erklärte die Elbin.

Kat sah sie zweifelnd an. „Wolle? Von Büschen?“

Die Frau rief einem Mädchen etwas zu. Die Kleine lief los und kam gleich darauf mit einem Korb voller weißer, flauschiger Bälle wieder, nicht ganz so groß wie Äpfel. Fasziniert betasteten wir die flockigen, faserigen Früchte. Die weißen Fasern ließen sich auseinanderziehen und zu Fäden verzwirbeln wie Schafwolle.

Mittags am Siedlungsfeuer teilten die Frauen Schalen mit weichgekochten, schwarzen Bohnen an die wenigen Krieger aus, die sich am Feuer einfanden.

„Ich glaube,“ bemerkte Kat kauend, „bei den Elben sind die Geschmackssinne verkümmert. Alles, was sie uns vorsetzen, vom Wildbret mal abgesehen, schmeckt fade und mehlig.“

„Von den Kastanien und Bratäpfeln gestern zum Frühstück warst du noch begeistert,“ erinnerte Sven sie.

Thweronund setzte sich neben uns. Wir verneigten uns ehrerbietig im Sitzen, die Essschalen in den Händen.

„Haben meine Brüder und meine Schwester, die von den Völkern der Ebene zu uns gekommen sind, alles, was sie zu ihrem Wohl benötigen?“

„Danke, Vater,“ meinte ich. „Diese Nacht haben wir hervorragend geschlafen. Auch unser Lastesel ist gut untergebracht.“

Thweronund nickte lächelnd. Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Ich musste an Lyana denken, der Thweronund gestern Abend den Kriegerstand bestätigt hatte.

„In welchem Alter werden die Jugendlichen eures Clans in den Kriegerstand aufgenommen?“

„Es liegt an den jungen Männern selbst. Wenn sie die Sehnsucht danach verspüren, machen sie sich zur Großen Jagd auf, bei der sie ihr Geschick und ihren Mut beweisen können.“

„Aeolin hat diese Sehnsucht offenbar schon früh gespürt.“

Der alte Mann lächelte. „Ihr Herz ist stärker und unerschrockener als die Herzen vieler ihrer Brüder.“

Eine andere Frage beschäftigte mich. „Sag, Vater - Lohan, der Krieger der zweiten Feder - wie lange ist es her, das ihm das widerfuhr, woher er seine Narbe davongetragen hat?“

Thweronund blickte schweigend in die Ferne.

Schließlich meinte er: „Wir Munawhin zählen die Jahre nicht. Ihr Menschen der Ebene zählt jedes Jahr eures Lebens und redet an euren Feuern darüber, vor wie vielen Jahren euch dies widerfuhr und vor wie vielen jenes. Deshalb werdet ihr schnell alt und eure Lebenskraft versiegt, weil ihr sagt, ich bin jetzt sechzig oder siebzig oder achtzig Jahre alt, nun werde ich sterben. Und deshalb sterbt ihr auch. Wir aber zählen die Jahre unseres Weilens in dieser Welt nicht. Wir sterben nicht, es sei denn von der Hand eines Feindes. Wenn wir Sehnsucht verspüren nach unserer Heimat, ziehen wir hinauf in die Berge, zum Heiligen See meines Volkes. Kein Sterblicher und niemand, der dieser Welt noch verhaftet ist, kann die Berge um den Heiligen See lebend beschreiten, sie sind den Göttern geweiht. Dort oben erwartet ein Nachen die Söhne und Töchter unseres Volkes, deren Sehnsucht übermächtig geworden ist. Darin fahren sie über den See in die Heimat.“

***

Am Nachmittag ging Kat nach Fedurin sehen. Das Tier brauche ein bisschen Bewegung, meinte sie. Da sie ihn nicht zu den Ponys in die Koppel bringen mochte, weil sie fürchtete, die Ponys würden den Esel nicht akzeptieren, wollte sie Fedurin eine Stunde spazieren führen. Außerdem behauptete Kat, der Esel brauche die Gewissheit, dass sich jemand um ihn kümmere. Sven hatte zwischen den Hütten den Klang eines Schmiedehammers gehört und ging, um sich die Eisenverarbeitung bei den Waldelben näher anzusehen.

Ich hätte mir gern eine ruhige Stelle gesucht, um mich mit der Elementarmagie der Blitze zu beschäftigen, in die Ligeia mich eingeführt hatte, aber ich traute mich nicht. Lohan schlich in der Nähe herum und ich hatte den Eindruck, er beobachtete mich. So streunte ich eine Weile allein durch die Siedlung und ging schließlich zu unserer Wohnstatt zurück, um eine Pfeife zu rauchen.

Schon seit Tagen überfiel mich eine zunehmende Rastlosigkeit, sobald mich nichts mehr ablenkte. Es waren nur noch wenige Tage bis Vollmond. Mein Körper verlangte nach dem Opferblut. Ich hatte die Opfergeräte dabei. Ligeia hatte sie mir mitgegeben, aber ich durfte sie bei Todesstrafe nicht verwenden. Seit Ligeia mich vor zwei Monaten initiiert hatte, hatte ich den Eindruck, meine Sinne würden schärfer und meine Empfindungen deutlicher, als erlebte ich mein Leben intensiver und wacher denn je. Aber auch mein Verlangen nach Leben war stärker geworden, nach der Quelle aller Lebenskraft - nach lebendigem Blut. Jetzt, mit dem nahenden Vollmond, wurde das Verlangen nahezu unwiderstehlich. Doch so sehr ich auch grübelte, ich wusste mir keinen Rat.

***

Unter den Jägern, die am Abend ihre Jagdbeute brachten, waren auch Aeolin und Lyana. Sie hatten eine Hirschkuh erlegt. Wie die anderen Krieger berichtete Aeolin weitschweifig über ihre Jagd. Am Feuer saßen die beiden eng beieinander zwischen den anderen Kriegern. Mehrmals blickten Lyana und ich uns an. Sie lächelte jedes Mal.

„Unzertrennlich, die beiden,“ meinte Kat mit einem Blick zu Lyana und Aeolin. „Wie ein Pärchen in den Flitterwochen. Ich glaube, in der nächsten Zeit werden wir Lyana nicht viel zu Gesicht bekommen.“

Kat saß zwischen Sven und mir - wie immer. Auch wir saßen nahe beieinander.

Auf einer der Bänke saß Lohan für sich allein. Die junge Frau, die ich schon am ersten Abend bei ihm gesehen hatte, bediente ihn. Er sah nicht zu mir herüber, blickte aber auch zu niemandem sonst in der Runde. Schweigend aß er sein Wildbret ohne aufzuschauen.

Ich sprach den Krieger an, der neben mir saß. „Die Frau, die sich um Lohan kümmert, wer ist das?“

„Manlaina ist seine leibliche Schwester,“ antwortete der Elb. „Sie hat seine Wunde gepflegt, nachdem Tamelund, unser Vater, ihn in jener von den Göttern verfluchten Vollmondnacht halbtot ins Dorf zurückbrachte. Die Wunde am Hals meines Bruders Lohan ist vernarbt, aber die Wunde seiner Seele vermag Manlaina nicht zu heilen.“

Als die Pfeifen der Elben und unsere eigenen - die Krieger schienen Gefallen an unserem Tabak gefunden zu haben - die Runde machten, spielte Lyana ihre Flöte. Ab und zu erhob sich eine Frauenstimme aus dem Nachtdunkel und antwortete auf Lyanas Musik mit eigenen Weisen. Die Melodien umspielten sich, fanden zueinander, schwingend von unbändiger, heiterer Lebensfreude.

***

„Unser Tabakvorrat wird nicht lange vorhalten bei dem Zuspruch in der Abendrunde,“ meinte Kat, als wir drei spät in der Nacht zu unserem Wohnraum hinübergingen.

Helles Mondlicht beleuchtete unseren Weg über den Platz.

Das Innere unseres Schlafraums lag warm im Dämmerlicht frisch aufgeschichteter, rotglühender Holzkohlen. Während Kat den Vorhang am Eingang befestigte, standen Sven und ich vor dem Lager aus Bastmatten, Filz- und Wolldecken und sahen uns unsicher an.

„Lyana wird die Nacht nicht hier verbringen,“ erklärte Kat. „Soviel steht mal fest.“

Sie zog ihre Lederjacke und das dünne Wams darunter aus. Mit einem Mal fühlte ich mich entsetzlich verlegen. Ich mochte Sven nicht ansehen, aber ich wusste, dass es ihm genauso ging. Kats Stiefel flogen in eine Ecke, gefolgt von den Socken.

„Sie und Aeolin!“ meinte sie, während sie ihre Lederhosen abstreifte. „Ich gönn's ihr, ehrlich.“

Sven räusperte sich. Kat sah von mir zu ihm. Sie trug nur noch ihr kurzes Leinenhemd.

„Ach Jungs!“ rief sie mit zärtlichem Vorwurf.

„Ich... also, ich könnt' noch'n Spaziergang machen,“ stotterte Sven heiser.

„Jetzt hört aber mal auf mit der Rumzickerei!“ rief Kat. „Alle beide!“

Sie zog ihr Hemd aus. Splitternackt stand sie vor uns. Ihre Nasenflügel bebten.

„Nun stellt euch nicht an wie die ersten Menschen! Kommt schon, Jungs, zieht euch aus!“

Verlegen nestelte ich an meinen Sachen. Ich kam mir furchtbar ungeschickt vor...

Es ging tatsächlich. Kat berührte und küsste Sven und mich ohne Scheu, so dass ich bald meine Verlegenheit verlor und mich dem atemlosen Spiel hingab, das sie mit uns beiden zugleich spielte.

Als wir alle drei erschöpft von einander abließen, drehte sich mir der Kopf, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich spürte Kat schweißnass an meiner Haut und ich spürte Svens schweren Arm, der beim Umarmen von Kat auch mich mit erwischt hatte, aber Kat weinte fast vor Glück, und ich wollte nichts lieber, als ihre Stimme hören, sie spüren und wissen, dass wir drei zusammen waren und nichts, nichts in der Welt uns würde trennen können.

Irgendwo hinten in meinem Kopf tauchte der Gedanke auf: In meinem Heimatdorf wären wir dafür totgeschlagen worden. Aber ich verjagte ihn sofort wieder.

***

Spät am Morgen verließen wir unser Nachtlager, um zur Feuerstelle hinüberzugehen. Die Krieger waren bereits zur Jagd aufgebrochen. Lyana und Aeolin waren die einzigen, die noch am Feuer saßen. Sie hielten ihre Waidmesser in den Händen und demonstrierten einander verschiedene Kampftechniken. Als wir auf den Platz hinauskamen, blickte Lyana auf. Sie steckte ihr Messer in den Gürtel und kam uns entgegen. Wir machten wohl einen etwas abwesenden Eindruck, denn sie schaute ein bisschen verwundert von einem zum anderen.

„Morgen, Lyana,“ murmelte Kat fahrig.

Lyana wechselte einen Blick mit mir und lächelte. „Guten Morgen, ihr drei!“

Nachdem wir gefrühstückt hatten, ging Kat Fedurin versorgen.

„Das Tier lässt niemanden anders an sich heran,“ behauptete sie.

Sven wollte zu der Stelle gehen, an der die Elben das Schmiedefeuer unterhielten und sich zeigen lassen, wie in der Siedlung Pfeilspitzen geschmiedet wurden.

Während Aeolin ihre und Lyanas Jagdwaffen holte, blieben Lyana und ich am Feuer sitzen. Ich versuchte nicht, meine Gedanken in Worten auszudrücken. Sie wusste ja doch alles.

Lyana rückte nahe zu mir heran. „Schön, dass es dir gut geht, Bruderherz.“

Ich schaute sie an. „Du siehst auch glücklich aus.“

Ein Leuchten trat in ihre Augen.

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Weißt du, ich kann es noch kaum fassen. In Wirklichkeit habe ich nie daran geglaubt. Der Spruch der alten Wahrsagerin war die Planke im Meer, an die ich mich geklammert hab, um nicht unterzugehen auf meinen Irrwanderungen aus dem Süden herauf. Ach Leif,“ seufzend lehnte sie den Kopf an meine Schulter. „Leif, ich bin so glücklich!“

***

Nach dem Mittagsimbiss bummelten Kat, Sven und ich gemeinsam durchs Dorf. Kat hatte sich die silbernen Ohrringe angesteckt, die ich ihr auf dem Markt von Grobenfelde geschenkt hatte. Leise summend ging sie mit beschwingtem Schritt zwischen Sven und mir.

Bei der Pferdekoppel blieb Kat stehen und schaute zu den etwa drei Dutzend Ponys hinüber. Es waren auch einige Fohlen dabei. Zwischen den Tieren ging ein Krieger umher, klopfte den Ponys auf den Hals, sprach ihnen ins Ohr. Als er uns sah, kam er an den Koppelzaun. Er stieg über den Zaun und stand eine Weile neben uns, während wir die großen, langfelligen Ponys betrachteten.

„Wozu haltet ihr die Tiere hier in den Wäldern?“ sprach ich den jungen Elb an.

„Oben in den Bergen erstrecken sich weite Täler, die man auf Pferden schneller durchquert als zu Fuß.“

Der Elbenkrieger hob mit einer ausladenden Geste die Hand, wie die Elben es immer machten, wenn sie eine Rede halten wollten. Wir sahen ihn mit höflicher Aufmerksamkeit an.

Feierlich erklärte er: „Früher, zu den Zeiten unserer Vorväter, breiteten sich die Wälder von hier bis zur Küste. Damals war die Zahl der Krieger meines Volkes nicht zu ermessen. Wenn sie auf dem Rücken ihrer Pferde in den Krieg zogen, füllten sie die Gebirgstäler wie eine heraufsteigende Flut und vom Stampfen der Hufe erzitterten die Berge. Damals trieben wir die Zwerge weit zurück in ihre Höhlen hoch oben im Gebirge. Der Gesang der Ruhmestaten unserer Väter an den Feuern hatte kein Ende.“

Sven und ich nickten. Ich hoffte, es sah hinreichend respektvoll aus. Gleichzeitig knuffte ich Kat in die Seite, damit sie nicht zu grinsen anfing.

Nachdem der junge Krieger zwischen den Hütten fortgegangen war, meinte Kat: „Auf einen Ausritt auf dem Ponyrücken hätt' ich jetzt Lust. Durch weite Täler galoppieren, Wind um die Nase spüren...“

Sie sah uns fröhlich an.

„Nee danke,“ brummte Sven. „Das könnt ihr beide machen, wenn ihr wollt. Da bin ich nicht dabei!“

Kat seufzte. „Dann eben nicht. Lasst uns einfach ein bisschen den Fluss hinunter wandern, ja? Ich will mit euch beiden zusammen sein.“

Als wir die Siedlung zum Fluss hin verließen, stand Lohan einen Steinwurf weit ab zwischen den Hütten und dem Waldrand. Hoch aufgerichtet, die Hand am Messergriff schaute er zu uns herüber. Wie ein Schatten verschwand er zwischen den Bäumen.

Am Fluss fanden wir einen schmalen Pfad, dem wir zwischen dichtem Strauchwerk hindurch flussabwärts folgten. Das Gewirr der Zweige lichtete sich bald und wir fanden uns auf demselben Weg wieder, auf dem wir drei Tage zuvor durch die Dunkelheit dem Dorf entgegengestolpert waren. Jetzt, am hellen Nachmittag, blinkte die verschneite, von Weiden und Buchen bestandene Flussaue im Sonnenlicht. Kat ging mal voraus, mal neben Sven oder mir. Sie reckte sich im Gehen mit erhobenen Armen, schloss die Augen und atmete seufzend durch. So lange ich sie kannte, hatte ich sie noch nie so glücklich gesehen.

„Die Zwerge in die Höhlen oben in den Bergen zurückgejagt!“ spottete sie. „Die Ruinen einer der heiligen Tempelstädte der Zwerge liegen südlich von hier unterhalb der Ahnenhügel! Eher glaube ich, die Zwerge mit ihrem magischen Gral haben diese Wilden tief in den Wald zurückgejagt, wenn sie sich wirklich mal in den Bergen blicken ließen!“

„Genau das ist auf einem der Wandreliefs in der Eingangshalle von Dwarfencast abgebildet!“ rief Sven. „Zwergenkrieger, die mit dem Gral ein Elbenheer besiegen!“

Er hatte recht. Als wir im vergangenen Herbst in Dwarfencast angekommen waren, hatte ich mich über die in Stein gemeißelte Wanddarstellung gewundert und gerätselt, was sie darstellte.

Während Kat und Sven miteinander plauderten, wurde ich den Gedanken an Lohan nicht los. Ich war sicher, dass er uns folgte. Er würde mich in den nächsten Tagen nicht aus den Augen lassen, davon war ich überzeugt. Lohan wusste, welche Bedeutung der Vollmond für die Rituale der Schwarzmagier hatte. Wenn ich die Andeutungen über das, was ihm widerfahren war - von Ligeias Hand, dachte ich bitter - recht verstand, dann hatte er das Vollmondopfer am eigenen Leib erlebt. Ich würde keinerlei Möglichkeit haben, das schwarze Ritual unentdeckt durchzuführen. Andererseits graute mir vor dem Gedanken, was mit mir geschehen würde, wenn ich es nicht durchführte. Die Vorstellung war kaum zu ertragen. Ich wollte das Opferritual, jede Faser meines Leibes verlangte danach.

Ich muss hier weg, raus aus dem verfluchten Elbenwald, bevor es zu spät ist!

Aber Tamelund hatte uns die Abreise verboten. Sie würden mich nicht ziehen lassen.

„Du bist so still - alles in Ordnung?“ fragte Kat.

Ich schreckte auf. „Was? Ja - alles gut,“ log ich.

Sie sah mich forschend an. „Wirklich?“

„Ja, Kat. Es ist nichts. Ich hab nur über was nachgedacht.“

Wir wandten uns vom Flussufer ab und stiegen einen bewaldeten Hang hinauf. Oben auf der Hügelkuppe setzten wir uns zwischen den Bäumen in den Schnee und schauten den gewundenen Flusslauf entlang talabwärts. Eine Wegstunde weiter verschwand der Fluss im Westen hinter den Hügeln. Nebel stieg dort zwischen den Hügeln auf. Das Waldland an der Flussmündung gehöre nicht zu ihrem Gebiet, hatten die Elbenkrieger gesagt. Dort hinab würden sie nicht gehen. Tamelund hatte mir lediglich verboten, schwarze Magie auf dem Gebiet der Elben auszuüben... Ein Gedanke begann sich in meinem Kopf zu formen.

Kat blickte über die verschneite, im Sonnenlicht glänzende Waldlandschaft und seufzte wohlig. Sven hatte den Arm um sie gelegt. Ihre Hand lag auf meinem Oberschenkel.

„Wenn ich es recht bedenke, ist es bei diesen Wilden gar nicht so schlecht,“ meinte sie. „Dieser Tamelund kann sich mit seiner Entscheidung ruhig noch eine Weile Zeit lassen.“

***

Wir lauschten den Gesängen der Elben und den Klängen von Lyanas Flöte am Siedlungsfeuer unter dem fast vollen Mond bis spät in die Nacht. Zurück in unserer von der Kohlenglut geheizten Schlafkammer streiften wir wie selbstverständlich unsere Sachen ab, um uns zu dritt zu lieben, als hätte es nie einen Zweifel daran gegeben, dass das möglich war, als gehörten wir alle drei schon lange zusammen.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Kohlenglut war fast erloschen und ich hoffte, dass der Arm, der quer über meiner Brust lag, Kat gehörte und nicht Sven - aber es war ihrer, ich erkannte den Geruch ihrer Haut sofort. Ich spürte Kats Atem leise an meinem Ohr. Ihr Haar lag über meinem Gesicht. Sven schnarchte neben ihr. Mondlicht sickerte unter dem Türvorhang hindurch in die Kammer. Ich konnte das Licht kaum ausmachen, aber ich wusste, dass es da war.

Ich will nicht daran denken!

Es nützte nichts. Mein Herz klopfte wild. So sehr ich auch versuchte, den Gedanken an Blut wegzudrängen, er kam immer wieder...

Ramonas große, rätselhafte Augen, als sie mir in der Sturmnacht auf dem Opferhügel die Schale mit dem Blut des Wisentbullen reichte - „mögest du leben, Liebster,“ hatte sie geflüstert. - Das Blut des kreischenden Ferkels in Kingerhag, wie es warm über meine Hand floss, die den Ritualdolch hielt - der Geruch des Bluts aus der Pulsader Wedekinds in jener Nacht, in der der Hexer sie angefallen hatte, Geruch menschlichen Bluts vermischt mit schwarzmagischen Kräuterdämpfen - das jagende Verlangen, das mich nach diesem Blut ergriffen hatte - Ligeias schlanke Hände, mit denen sie mir die Schale mit dem Opferblut der Ziege reichte, der ich eigenhändig die Halsschlagader aufgeschnitten hatte - der dunkle Blick Ligeias, voller Verlangen nach Leben, nach Liebe und Extase...

Dabei hatte ich es alles hier und jetzt - Leben, Liebe - und waren wir nicht frei zu leben, uns zu lieben, Kat, Sven und ich? Was sollte mir die schwarze Magie?

Glaub mir, Leif, Katrina hat ein unstetes, zerrissenes Wesen.

Es waren Ligeias Worte in jener Vollmondnacht.

Sie wird nicht bei dir bleiben. Sie bleibt bei keinem Mann für lange Zeit. Jetzt willst du davon nichts wissen, aber es ist doch so. Eines Tages lässt sie dich fallen wie eine heiße Kartoffel, als wäre nie etwas gewesen zwischen ihr und dir. Ich weiß es, Leif. Du wirst noch an meine Worte denken.

Es war eine Lüge. Ligeia hatte ein Netz aus Lügen um mich gestrickt, in dem ich mich wieder und wieder verfing. Und dennoch sehnte ich mich nach ihr. Die Sehnsucht nach Kat, nach dem Zusammensein mit ihr und Sven, die gemeinsame Erfüllung, die wir gefunden hatten, es konnte mein heftiges Verlangen nach Ligeia, nach ihrer Liebe, nach Blut nicht beiseite drängen. Ich brauchte beides - das Zusammensein mit Kat - mit ihr und Sven - und die schwarzmagischen Rituale.

Morgen Nacht gehe ich hinunter zur Flussmündung...

***

Erst spät am Vormittag kleideten wir uns an, um unsere Schlafkammer zu verlassen. Als Kat ein sauberes Leinenhemd aus ihrem Rucksack zog, fiel eine kleine Metalldose zu Boden - die Pillendose, die Kat in den Wetterbergen gefunden hatte und von der sie glaubte, dass sie Andreas Amselfeld gehört hatte. Kat fuhr zusammen. Behutsam nahm sie das Döschen auf. Sie betrachtete die Pillendose geistesabwesend, runzelte die Stirn und stopfte das Kleinod zurück in den Rucksack.

Lyana und Aeolin nahmen sich Ponys und ritten zur Jagd aus. Kat, Sven und ich streunten den Tag über durchs Dorf, sahen den Elben bei verschiedenen Tätigkeiten zu, ließen uns von ihnen ihre Fertigkeiten beim Weben und beim Verarbeiten von Leder erklären.

Aber obwohl ich mich den Tag über immer wieder von Kats Heiterkeit und Svens trockener Fröhlichkeit anstecken ließ, wanderten meine Gedanken doch jedes Mal wieder der Nacht entgegen, dem Vollmondopfer und dem Ritual, das ich vollziehen wollte.

„Du bist so still,“ meinte Kat.

Sie sah mich besorgt an. „Bist du unglücklich wegen uns dreien? Oder ist es wegen Vollmond?“

„Es hat nichts mit dir und Sven zu tun, Kat,“ beteuerte ich. „Wirklich nicht!“

„Der Vollmond?“ vermutete sie. „Das, was Ligeia dir gesagt hat?“

Ich nickte stumm.

Nach einer Weile meinte sie: „Du könntest Tamelund bitten, dir zu helfen. Er könnte dich vor Ligeia schützen - und den Zauberbann brechen, den sie über dich gelegt hat.“

„Ja,“ murmelte ich zögernd. „Das könnte ich tun.“

Ich wartete, bis Kat in der Abenddämmerung den Esel versorgen ging. Lyana und Aeolin waren damit beschäftigt, ihr Jagdwild auszuweiden. Ich stand dabei, während Sven sich mit einer Gruppe von Kriegern über irgendwelche Heldensagen unterhielt. Ich hörte nicht zu. Vorsichtig blickte ich mich um. Lohan konnte ich nirgendwo ausmachen. Ich nickte Sven kurz zu, der mit ausladenden Gesten den Mythos eines alten Kriegerkönigs zum besten gab, und ging zu unserer Schlafkammer. Aus meinem Rucksack holte ich den Krummdolch und den Lederbeutel mit den Ritualgegenständen und steckte sie mir unter die Wolljacke. Ich tastete unter meinem Hemd nach dem Lederpäckchen mit dem mumifizierten Ohr. Mein Puls schlug heftig. Ich schlug den schwarzen Umhang um mich und trat unter das Vordach.

Lohan war nirgends zu sehen. Sven stand noch immer und erzählte den Elbenkriegern Heldenmärchen. Kat war vom Stall noch nicht zurück. Ohne mich zu sehr zu beeilen, strebte ich dem Rand der Siedlung zu. Ich sah mich nicht noch einmal um.

***

In der Abenddämmerung wand der vereiste Fluss sich wie ein graues Band durch die Waldlandschaft. Die Silhouetten der Bäume verschmolzen zu ununterscheidbaren Schatten. Dunst stieg vom Boden auf. Der Mond war noch nicht über den Berggipfeln erschienen. Nur ein fahler Schein im Osten ließ die Gipfelgrate schwarz vor dem Nachthimmel hervortreten. Im kalten Sternenlicht krochen Dunstschwaden das Flussufer herauf wie Gespenster.

Es war empfindlich kalt geworden, trotz der Windstille. Ich zog den Umhang fest um mich. Meine Schritte knirschten im verharschten Schnee. Mein Atem ging stoßweise. Das einzige Geräusch in der froststarren nächtlichen Flussaue außer meinen Schritten war das Pochen meines Herzens. Immer wieder blieb ich stehen und lauschte. Die Stille schmerzte in meinen Ohren. Doch selbst wenn er mir folgte - ich würde Lohan weder sehen noch hören können.

Ich musste mehrere Stunden unterwegs gewesen sein, immer flussabwärts zwischen ausgedehnten Uferdickichten und Auenwäldern voller Unterholz, als ich vom bewaldeten Kamm einer Erhebung, die steil zum Fluss abfiel, auf eine weit hingestreckte Schilflandschaft blickte. In unzähligen Rinnsalen verlor der Fluss sich im Schilfmeer. Weit hinten glänzte die schneebedeckte Eisfläche des Sees hell im ersten Mondlicht, das über die Gipfel in meinem Rücken schien.

Durch dichtes Buschwerk zwängte ich mich zum Ufer hinunter. Als meine Stiefel auf dem Eis knirschten, umgeben von Wäldern aus umgeknicktem Schilfrohr, blickte ich mich erleichtert um. Ich hatte das Gebiet der Elben verlassen. Hierher würden sie mir nicht folgen. Ich tastete unter meinem Hemd nach dem Lederpäckchen. Behutsam wickelte ich das schwarze, ledrige Menschenohr aus. Ich hielt es nahe vor meinen Mund.

„Ligeia!“ Mein Atem flatterte, während ich ihren Namen hauchte.

Langsam ging ich durchs Schilf. Ich ließ die kalten Nebel hinter mir und trat hinaus in helles Mondlicht zwischen bleichem Schilfrohr, Schnee und Eis. Vor mir klimperten Eisschollen. Eine breite Rinne schwarzen Wassers zog sich durch das Eis. Ich wunderte mich nicht darüber. Mein Blut pochte. Ich hatte ihr Reich betreten.

***

In einem schwarzen Nachen kam sie die Wasserrinne herab. Lautlos glitt das flache Boot durchs Wasser, von einer unsichtbaren Strömung getragen. Sie stand aufrecht darin. Ihr Haar wehte in der Windstille, ihr dunkles Gewand schlug ihr um den Körper, ohne dass ein Lufthauch sich regte. Wie von einem Traum bewegt, stieß der Nachen gegen den Rand des Eises. Ligeia reichte mir die blasse, schmale Hand und ich stieg zu ihr ins Boot. Mein schwarzer Umhang bauschte im unspürbarem Wind. Der Kuss ihrer blassen Lippen war kaum mehr als ein Hauch. Ihre schwarzen Augen glänzten im Licht des Vollmonds.

„Mein Leif!“ hauchte sie.

Wir hielten uns an den Händen. Sie war fast einen ganzen Kopf kleiner als ich und doch hatte ich jedes Mal, wenn wir uns begegneten, den Eindruck, sie schaue auf mich herab.

Über ihre Lippen huschte ein Lächeln. „Sie haben dir gedroht,“ flüsterte sie, „haben dir Bange machen wollen - und du bist dennoch gekommen.“

„Ich... ich habe es versprochen, Ligeia,“ stammelte ich.

Zärtlich fuhr sie mit ihren Fingern über meine Stirn, als wollte sie einen bösen Traum verscheuchen.

„Mein Liebster!“

Der Nachen glitt einer von Schilfrohr umgebenen Erhebung im schwarzen Wasser zu. Oben auf dem Hügel leuchtete rötlicher Feuerschein. Wir standen Arm in Arm beieinander in dem ruhig dahingleitenden Boot. Ligeias dunkler Blick ruhte auf mir, ihr Blick, den ich so lange vermisst hatte, in dem ich ertrinken wollte.

Geräuschlos stieß der Nachen ans Ufer. Ligeia sprang hinaus und lief barfuß zwischen verschneitem Sumpfgras den Hügel hinauf. Ich folgte ihr. Rings um die Feuerstelle auf der Hügelkuppe war der Schnee geschmolzen. Ein junges Kalb war neben dem Feuer angepflockt. Trotz der Nähe der Glut zitterte das schmale, nur wenige Tage alte Kälbchen in der Kälte. Zur Seite standen Tonschalen und lederne Kräutersäckchen. Ich sah Ligeias rostigen Krummdolch neben dem Feuer liegen. Ich wusste, dass er für mich bestimmt war.

Das Kälbchen starrte uns mit schreckgeweiteten Augen entgegen. Es zerrte am Strick in dem hilflosen Versuch, aus unserer Nähe zu entkommen. Ligeia streute Ritualkräuter ins Feuer. Der weiße, dichte Rauch leuchtete im Mondlicht. Ein Jubelschrei entfuhr mir, als wilde, ekstatische Empfindungen durch meinen Körper jagten. Ligeia betrachtete mich lächelnd. Sie griff das widerstrebende Kälbchen am Ohr und zerrte es über die Flammen. Die Augen des Tieres stierten in Panik. Schaum stand ihm vor Maul und Nüstern.

Ligeia griff nach ihrem Dolch, doch ich hielt sie zurück. „Nein, lass.“

Ich holte den Krummdolch hervor, den sie mir gegeben hatte und packte das andere Ohr des Kalbs. Ligeia lachte hell. Gemeinsam stimmten wir den Opfergesang an. Wie im Fieber durchschnitt ich das weiche Halsfell des zuckenden Kälbchens, bis ich die Schlagader fand. Helles Blut ließ die Flammen aufzischen. Der Lebensstrom im beißenden Rauch füllte meine Lungen. Es war, als würden Ligeia und ich mit dem blutgetränkten Feuerrauch schwerelos emporsteigen in die Winternacht, dem Mondlicht entgegen.

Ligeia hielt eine Tonschale unter die blutende Wunde. Das Kälbchen verlor rasch seine Lebenskraft. Es brach unter meiner Hand zusammen. Mit leuchtenden, schwarzen Augen hielt Ligeia mir die blutgefüllte Schale entgegen. Ich ließ den Kalbskadaver ins Feuer sinken. Wir tranken abwechselnd von dem jungen, lebensgesättigten Blut, küssten uns lachend mit blutgefüllten Mündern. Ligeias Lippen hingen an meinen und das junge Leben, das wir mit einander teilten, machte uns zu einem einzigen, fühlenden Wesen, eingetaucht in den grenzenlosen Strom des Lebens.

Die rostige Klinge verursachte einen unendlich süßen Schmerz in meinem Arm. Ohne jeden Schrecken beobachtete ich die Verwandlung, die mit Ligeia geschah, während sie die Lippen gegen meine Armwunde presste. Ihr dichtes schwarzes Lockenhaar verlor seinen Glanz, wurde grau und strähnig, endlich weiß und dünn wie Spinnweben. Die Hände, die fest meinen Arm umklammerten, wurden gelblich und trocken, schrumpelnde Haut spannte sich über den Fingerknochen. Wie krumm ihr Rücken unter den weiten dunklen Gewändern war! Die Veränderung hielt nur wenige Atemzüge an. Als sie seufzend und mit geschlossenen Augen meinen blutenden Arm fahren ließ und tief durchatmend vor mir in die Knie sank, strahlte sie vor blasser, junger Schönheit.

Wir liebten uns neben dem Opferfeuer in der klaren Nachtluft. Das verbrannte Fell und das Fleisch des Kalbskadavers schwelte in der Glut. Wir spürten die Kälte der Winternacht nicht. In drängendem, dunklem Rausch schlangen unsere Körper sich ineinander.

***

In beißender frühmorgendlicher Kälte wusch ich mir am Ufer des kleinen Schilfhügels im eisigen Wasser das Blut von Gesicht und Oberkörper. Ligeia strich noch einmal mit ihrer Hand über die frische Narbe an meinem Unterarm, einen Heilzauber auf den Lippen, bevor ich mein blutbeflecktes Hemd und die blutverkrustete Wolljacke überstreifte. Wie schön meine Meisterin war - trotz der Spuren verkrusteten Bluts an Mund und Händen! Ich küsste sie auf die Lippen.

Frühnebel trieben von der schilfbedeckten Eisfläche her über das dunkle Wasser. Hinter den Silhouetten der Berggipfel im Osten wurde der Himmel hell. Im Dorf würden die Elben jetzt den Morgengesang anstimmen.

Ligeias sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Hat der greise Alte euch schon gesagt, was ihr tun müsst?“

„Tamelund? Nein, er hat noch nicht entschieden, was mit uns geschehen soll.“

„Er wird euch erklären, was vor euch liegt, und warum es unvermeidlich ist,“ raunte sie.

„Er ist dein Feind, nicht wahr?“

Sie blickte nachdenklich über das Wasser. „Er und ich halten respektvollen Abstand von einander. Sehr selten einmal kommt er, um mich nach meinem Rat zu fragen.“

Ich sah sie erstaunt an. „Ich dachte, ihr seid Todfeinde. Hat er nicht mit dir um diesen Elbenkrieger, Lohan, gekämpft?“

Ein böses Lächeln glitt über ihre Lippen. „Er kam und bat mich um die Herausgabe des Jungen. Tamelund respektiert meine Gesetze auf meinem Gebiet, ich die Regeln im Land seines Volks. Ich war mit dem Jungen fertig. Sein Herz schlug noch, als der Alte kam und mich bat, ihn mitnehmen zu dürfen.“

Sie sah mich mit schwarzen Augen an. „Ich dachte, er würde es nicht überleben.“

Sie verabschiedete sich von mir am Ufer des Schilfhügels.

„Viel Glück, Leif,“ hauchte sie mir zu, mich fest in die Arme schließend. „Ich will die Kräfte der Erde um Gelingen anrufen für deine Fahrt.“

Während der Nachen mit mir zwischen verschneiten Schilfgürteln den fernen Waldhügeln entgegentrieb, stand sie am Ufer und sah mir nach, ein blasses Mädchen im lautlos wehenden, braunen Gewand. Die schwarzen Locken spielten ihr ums Gesicht.

***

Meinen eigenen Fußspuren im Schnee folgend, stieg ich durch den Wald flussaufwärts. Den schwarzen Umhang hatte ich fest um mich geschlungen. Auf keinen Fall durften die Elben meine blutverkrustete Wolljacke sehen. Ich war froh, dass Lyana und Kat vor unserem Aufbruch aus Dwarfencast ein zweites, gebrauchtes Hemd und ein Wams für mich organisiert hatten. Ich würde Kat um Seife bitten müssen, um das Blut aus meinen Kleidern zu waschen.

Wie Kat und Sven mein Verschwinden wohl aufgenommen hatten? Sicher konnten sie sich denken, was ich vorgehabt hatte. Ich redete mir ein, Kat würde sich nicht allzu große Sorgen machen. Ich war nicht mehr der ahnungslose, hilflose Anfänger, der im letzten Herbst an Ligeias Vollmondopfer beinahe gestorben wäre. Ich sah mich zwischen den Uferweiden um. In einer halben Stunde würde ich zurück in der Siedlung sein. Dann konnten wir alles klären...

Eine Bewegung zwischen den Bäumen schreckte mich aus den nagenden Gedanken auf. Eine hohe Gestalt trat aus dem Schatten. Der breitschultrige Elb kam mir mit gemessenen Schritten entgegen. Er trug keinen Bogen. Seine große Faust umschloss den Griff des Messers in seinem Gürtel. Mit ungerührter Miene sah er mir entgegen. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Es war Lohan.

Ich erstarrte. Panik kroch mir den Rücken herauf, schnürte meine Kehle zu.

Flieh, weg hier, er bringt dich um!

Mein Körper war wie gelähmt. Wohin hätte ich vor Lohan fliehen können?

Lohan kam bis auf zwei Schritt an mich heran. Sehr aufrecht stand er vor mir und musterte mich mit unbewegtem Gesicht. Die Schlagadern an seinem Hals pulsierten. Ich richtete mich auf. Das Blut hämmerte wie wild in meinem Schädel. Angst presste mir die Lungen zusammen. Dennoch sah ich ihm in die Augen.

„Du kannst mich mit deinen schwarzen Zaubern umbringen,“ schleuderte er mir entgegen. „Dann werden meine Brüder dich mit dem Tod strafen, den du verdienst.“

„Warum sollte ich dich umbringen wollen?“ Meine Stimme war trocken und heiser.

Lohans Augen blitzten auf. „Du hast dich der schwarzen Magie schuldig gemacht! Heute Nacht! Ich schwor, dich zu töten.“

„Ich habe eure Gesetze respektiert,“ stieß ich hervor. „Ich habe keine Magie in euren Grenzen ausgeübt!“

Lohan verzog verächtlich das Gesicht. „Mein Schwur gilt!“

Stern meiner Geburt, gibt es denn gar keine Rettung?

Eine Frau kam das Flussufer herab uns entgegen. Zehn Schritt von Lohan und mir entfernt blieb sie schweigend stehen. Es war eine junge Elbenfrau. Lohan nickte ihr langsam zu.

Triumphierend sah er mich an. „Manlaina, meine Schwester. Sie wird meine Zeugin sein im Dorf, dass ich dich rechtens, im edlen Zweikampf tötete, nicht hinterrücks wie ein Feigling.“

Entsetzt sah ich die Elbin an. Aber sie wich meinem Blick aus.

„Ich habe keines eurer Gesetze gebrochen,“ versuchte ich noch einmal, mich zu verteidigen. „Ich habe nichts Unrechtes getan, wofür du mich töten könntest!“

Überlegen blickte er auf mich herab. „Alle in der Ratsversammlung haben meinen Schwur gehört, ich würde dich töten, sobald du deine schwarze Zauberei wirkst. Leugnest du etwa, es getan zu haben?“

Aus. Es ist alles vorbei.

Mit einem Mal fielen sämtliche Empfindungen von mir ab. Plötzlich nahm ich die Umgebung, Lohans geballte Faust am Messergriff, sein unerbittliches Gesicht, die rötliche Narbe an seinem Hals schärfer und deutlicher wahr, als zuvor.

Ich hätte zu Tamelund gehen sollen, wie Kat es gesagt hat. Er wartete darauf. Er wusste, was geschehen würde. Sie haben mich zum Tod verdammt - alle!

Ich holte tief Luft. „Nein, ich leugne es nicht.“

Meine Stimme war fest, obwohl mir das Herz in der Brust hämmerte.

Die Mundwinkel in Lohans bleiernem Gesicht zuckten. „Zieh dein Messer, Leif, Sohn des Brog, damit ich dich mit der Waffe in der Hand töte. Du bist im Kampf mit dem Messer nicht geübt. Oder wende deine Zauber an. Dann verhängst du dein Todesurteil über dich selbst.“

„Ich werde euer Gesetz nicht brechen,“ sagte ich trocken. „Ich werde nicht zaubern, Lohan.“

Ich schlug den Mantel zurück und zog meinen magischen Dolch. Lohan sog scharf Luft ein, als er das Blut auf meiner Jacke sah.

„Dein Herzblut soll sich mit dem Blut der Opfer mischen, die du gemordet hast,“ schrie er. „Stirb!“

Ich riss den Dolch hoch, aber er war schneller. Noch bevor ich das vorschnellende Messer wahrnahm, spürte ich den scharfen Stoß in der Brust. Ich taumelte. Ich spürte einen zweiten Stoß. Mein Atem setzte aus, Schwindel ergriff mich. Ich spürte, wie der getroffene, zuckende Herzmuskel das Blut schwallweise aus der klaffenden Wunde pumpte. Ich hatte plötzlich Blutgeschmack im Mund.

Keine Schmerzen - der Schmerz allein müsste mich umbringen. Weshalb spüre ich nichts?

Meine Knie wurden weich. Dann fühlte ich die Hitze im rechten Arm. Eine Welle heftiger Magie flutete durch meinen Körper. Ich konnte spüren, wie mein Herz wieder zu schlagen begann. Blut strömte mir in den Kopf. Ich konnte wieder klar sehen. Ich richtete mich auf. Lohan starrte mich fassungslos an. Er schnappte nach Luft, wich einen Schritt zurück. Von seinem Messer troff mein Herzblut.

Jetzt!

Ich rammte ihm den rotglühenden Dolch in den Leib. Er war so verblüfft, dass er nicht versuchte, sich zu wehren. Die Dolchklinge in seinem Leib hochreißen bis zum Widerstand des Brustbeins! Und nachstoßen, noch einmal, tief in seine Lungen! Lohan starrte mich noch immer an. Kurz bevor seine Augen glasig wurden, rannen Tränen über seine Wangen. Er sank langsam in die Knie. Mit beiden Händen umklammerte ich den Dolch, sägte ihn unterhalb von Lohans Rippen durch das Zwerchfell in die Lungen. Blut floss Lohan aus dem Mund. Sein Blick brach. Er sank zur Seite in den rot gefleckten Schnee. Ich hörte den gellenden Schrei einer Frauenstimme.

Ich brauchte meine ganze Kraft, um den zwischen Brustbein und Rippen verklemmten Dolch aus Lohans Brust zu reißen. Beinahe wäre mir die magische Waffe aus den Händen geglitten. Ich hielt den Dolch mit beiden Händen umklammert.

Nicht loslassen, dein Leben hängt an der Klinge!

Keuchend rang ich nach Atem. Der Wald schlingerte um mich her. Manlaina stürzte schreiend zu ihrem Bruder. Weinend und die Haare raufend beugte sie sich über ihn. Sie stieß Klageschreie in der Elbensprache aus, während sie auf den in seinem Blut liegenden Leichnam blickte.

Langsam drehte ich mich um und taumelte den Pfad am Flussufer hinauf. Die weißglühende Klinge meines Dolchs dampfte vor Hitze. Rotes Blut tropfte aus meiner Jacke in den Schnee, während ich mich langsam, Schritt für Schritt den Pfad entlang schleppte, bei jedem Schritt gegen die drohende Ohnmacht ankämpfend. Die Knöchel meiner um den Dolch gekrampften Finger waren weiß vor Anstrengung.

Gorloin

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