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Mit Nadel und Faden

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Am nächsten Morgen wachte Franz schon sehr früh auf. Die Nacht war unruhig, denn er wurde ständig durch seine etwas zu lebhaften Träume geweckt. Zerknirscht und noch völlig verschlafen fiel er aus seiner Hängematte heraus. Doch das war nicht weiter schlimm, denn für solche Fälle hatte er längst vorgesorgt. Schon seit Monaten lag eine alte Matratze unter seinem schwebenden Bett, welche so weich gefedert war, dass man unweigerlich in den Stand geschleudert wurde, wenn man, mit Schwung, auf sie fiel. Genau so, erging es dem kleinen Jungen. Das Kind kratzte sich kurz am Kopf und schaute sich um. Den Abend zuvor hatte Franz nicht gerade mehr viel Hausarbeit gemacht. Seine Kleidung lag kreuz und quer im Raum verteilt und der Tisch stand noch voller Geschirr und anderen Sachen. Zum Glück hatte er wenigstens noch die Kerzen gelöscht. Als er sich so umblickte, stellte er fest, dass ihm nichts übrig blieb, er musste sich an die Arbeit machen. Schnell waren seine kurze Latzhose und sein Hemd angezogen, somit konnte es losgehen. Doch Franz wäre nicht Franz gewesen, wenn er aufgeräumt hätte, wie das ein jeder tut. Der Junge hatte da so seine eigene Art. Zuerst einmal stellte er seine Spieluhr an. Diese hatte er irgendwann einmal auf dem Müll gefunden. Er liebte sie sehr und pflegte sie daher besonders. Kaum ein Staubkorn hatte genug Zeit dafür, sich auf ihr niederzulassen. Sie wurde fast minütlich geputzt, zumindest wenn er zu Hause war. Dafür schenkte sie ihm seine Lieblingsmelodie: „Oh, when the saints go marching in“. Tausende von Malen hätte er sich dieses Lied am Tag anhören können. Jedoch war die Spieluhr schon sehr alt und funktionierte nicht mehr ganz richtig. Sehr schnell wurde das Lied, nachdem man die Uhr aufgezogen hatte, immer langsamer, bis es letztendlich ganz zum Stehen kam. Diese Eigenart aber, machte Franz sich zu Nutzen, denn er beschloss nur so lange aufzuräumen, wie die Melodie auch spielte. Da diese schnell verstummte, musste er also auch nicht sehr lange sauber machen. Das Lied begann ...und der Junge raste los. Doch eben nicht so, wie das andere tun. Franz öffnete mit einem gekonnten Tritt eine Kiste, die am Ende des Tisches stand, dann sprang er an die Decke und löste ein Brett aus einer Befestigung. Dieses Brett sauste quer, an zwei Seilen befestigt, knapp über den Tisch entlang und räumte somit sämtliche Gegenstände davon ab. Mit einem lauten Krachen und Klirren, schepperten die Sachen in die Kiste hinein, welche sich, durch den harten Aufschlag des ganzen Gerümpels, von alleine wieder schloss. Die Musik verstummte. „Fertig!“, triumphierte Franz und ging zur Tür hinaus. Der Tag konnte beginnen. Der Junge streckte sich erst einmal und gähnte ganz unverfroren. Dabei stieß er einen lauten Schrei heraus und trommelte sich auf seinen Brustkorb. Sämtliche Vögel des Waldes erschraken sich so sehr, dass sie verängstigt zum Himmel aufstiegen. Dies geschah eigentlich an jedem Morgen, was wiederum zum Vorteil hatte, dass die Stadtbewohner immer Bescheid wussten, wann Franz aufgestanden war. Nämlich immer dann, wenn die Vögel voller Schrecken, aus dem Wäldchen flohen. Meistens schallte dann ein freundliches „Guten Morgen, Franz“ von den ganzen Bewohnern hinter der Stadtmauer hervor oder zumindest von denen, die sich dahinter gerade aufhielten. Das freute den Jungen sehr und ließ ihn gut in den Tag starten. Franz stand auf einer seiner Hängebrücken, die seine Zimmer, hoch in den Bäumen, miteinander verband. Es schaukelte ein wenig, aber dadurch ließ sich der Junge nicht stören, ganz im Gegenteil. Durch schwingende Bewegungen, mit seinen Armen, verstärkte er das Schaukeln sogar. Langsam stieg die Brücke höher und höher. Als sie, auf der Seite des Sees, den höchsten Punkt erreichte, verabschiedete sich Franz mit einem mächtigen Satz von ihr und landete nach einem perfekten Salto, sicher im Wasser. Ein herrlich frisches Gefühl umhüllte ihn sofort, auch wenn es ein bisschen kühl erschien. Frohen Mutes paddelte er, nachdem er aufgetaucht war, zum anderen Ufer hinüber und zog sich an der Böschung hinauf. Triefend vor Nässe, schlug er den Weg in die Stadt ein. Das bisschen Wasser störte ihn überhaupt nicht, schließlich schlich sich gerade die Sonne am Horizont empor. Bald wäre er eh wieder trocken. Das Stadttor stand weit offen und man konnte die ganze Hauptstraße gut überblicken. Alle Geschäfte des Ortes klebten förmlich an ihr und boten sich aufdringlich an. Auf dem Weg wirbelte sich der Staub nur so auf, wenn die Kutschen mit ihren Pferden vorbeizogen. Autos gab es hier noch nicht sehr viele. Kaum einer konnte sich eines leisten. Deshalb staunten auch immer gleich alle Bürger und blickten voller Neugier, wenn sich eines einmal hierhin verirrte. Nein, in dieser Stadt war der Fortschritt nun wahrlich noch nicht angekommen. Am normalsten war es, sich zu Fuß oder mit dem Pferd fortzubewegen. Franz schlenderte die Straßen entlang, seine Hände steckten dabei, wie gewöhnlich, in seiner Latzhose. Unaufhörlich trommelte er mit den Fingerkuppen ungeduldig auf seinem Latz herum. Er war auf der Suche. Nur nach was, konnte er selber nicht genau beantworten. Sein Plan war es ja, ein Superheld zu werden und dafür brauchte er nun Mal noch einige Dinge. Nur was? Franz erinnerte sich an das Heft, welches ihm Max mitgebracht hatte. „Supergustl“ sah schon verwegen in seinem Kostüm aus. So eines wollte der Junge auch haben. Woher sollte er es aber nehmen, ohne zu stehlen? Geld hatte er keines und schenken würde ihm bestimmt auch keiner etwas. Da hatte er eine Idee. „Wenn ich Geld brauche, dann muss ich halt dafür arbeiten gehen!“, dachte Franz entschlossen und machte sich gleich ans Werk. Er klapperte jedes Geschäft in dem Örtchen ab und bot seine Hilfe an. Schnell hatte er einige Taler zusammen getragen. Dem Wirt half er leere Flaschen aus dem Keller zu entsorgen, beim Bäcker reinigte er die Backstube und zu guter Letzt machte er für eine ältere Dame ein paar Besorgungen. Doch reich wurde er dadurch nicht. Als er beim Schneider nach einem passenden Kostüm fragte und dabei seine paar hart verdienten Taler vorzeigte, lachte dieser ihn nur aus und schlug die Tür vor seiner Nase zu. Lange stand der Junge noch geknickt vor der Schneiderei und blickte durch die Schaufensterscheibe hinein. Nur langsam schlich er davon. Er bog an der Ecke des Hauses ab und blickte mürrisch zu Boden. Eher durch Zufall entdeckte er dabei den Müllcontainer, der sich hinter dem Haus versteckte. Dort hingen alte Stofffetzen heraus, die sein Interesse weckten. Mit aufgerissenen Augen lief er zu dem Container hin und schob ihn auf. Hier lagen jede Menge Reste herum und sogar eine halbe Rolle vom besten Tuch. Diese Rolle schnappte er sich und machte sich auf den Weg nach Hause. Wieder einmal war ein Tag besser gelaufen, als er es eigentlich angenommen hatte. Franz hatte ein paar Taler verdient und den Stoff, den er so dringend brauchte, hatte er für ganz umsonst bekommen. Strahlend bestieg er sein Baumhaus. Wer jetzt glaubt, dass das Kostüm eines Superhelden in ein oder zwei Stunden fertig genäht sein würde, der täuscht sich gewaltig, denn so etwas ist gar nicht so einfach. Franz fummelte täglich stundenlang an seinem Anzug herum. Viele vermissten ihn schon, weil er sich nirgends mehr blicken ließ. Selbst für Max hatte er keine Zeit mehr. Trotzdem war keiner der Bürger aus der Stadt wirklich beunruhigt oder besorgt. Viel zu oft nur konnte man den kleinen Kerl aus dem Wald fluchen oder schreien hören. Somit wusste jeder, dass es Franz noch gut ging. Der Junge verzweifelte fast an dem Stoff und dem Vorhaben, sich ein eigenes Superheldenkostüm zu schneidern. Wenn er sich nicht gerade mit der Nadel in den Finger pickte und dabei jaulte, fluchte er, weil es an einer anderen Stelle wieder einmal nicht passte. Es war zum Haare raufen. Doch nach etlichen Tagen war es dann vollbracht. Franz konnte es selber kaum glauben. Hurtig zog er seine Alltagskleidung aus, schmiss sie durch den Raum und schlüpfte in seinen neuen Dress, welchen er zuvor hektisch vom Kleiderhaken riss. Irgendetwas am Nacken störte ihn, jedoch wusste er nicht was. Zögernd blickte er in seinen, halb zerbrochenen, Spiegel. „Okay! Schön, ist was anderes!“, stellte er, nicht ganz zufrieden, fest. Der Anzug war wahrlich etwas zu eng für seinen kugeligen Bauch geraten und auch die Hosenbeine schienen etwas kurz zu sein. Jedoch hatte er bei der Ärmellänge nicht gerade gespart. Lustig wurde es, wenn er tief einatmete, denn dann zogen sich die Hosen bis über die Knie hoch und die Ärmel passten plötzlich genau. Sein Kreuz wirkte riesig und stark in diesem Kostüm, leider hing die Kapuze auf seinem Kopf etwas windschief herum, aber alles in allem, war es ein wunderbarer rosa Anzug. Rosa Anzug? Franz konnte es nicht fassen, da hatte er doch mehrere Tage lang an diesem Stoff gearbeitet und nun fiel ihm erst auf, dass sein Kostüm rosa war? Der Junge schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, dass es nur so klatschte. Um die Tatsache, dass sein Anzug rosa war, etwas angenehmer zu gestalten, entschied sich der kleine Möchtegern-Held dazu, sich den Buchstaben „F“, für Franz, vorne auf die Brust zu malen. Dies sollte von der etwas mädchenhaften Farbe seines Dresses ablenken. Der Junge wählte dafür ein saftiges Blau. Das würde das Ganze etwas unauffälliger machen. So dachte er zumindest. Natürlich konnte Franz weder Lesen noch Schreiben, aber Max hatte ihm einmal beigebracht, wie sein Name geschrieben aussah. Er stellte sich also vor den Spiegel, malte seinen Anfangsbuchstaben als Vorlage auf die Scheibe und begann ihn, mit einem dicken Pinsel, auf seine stolze Brust zu übertragen. Dies stellte sich jedoch nur allzu schnell als Fehler heraus, denn was in einem Spiegel richtig herum erscheint, ist, wenn man es auf der anderen Seite abzeichnet, falsch herum. Das nennt man spiegelverkehrt. Franz bemerkte den Fehler natürlich nicht. Wie auch, wenn man nicht richtig Lesen und Schreiben kann? Er war damit zufrieden, dass die auffällige Kostümfarbe nun etwas abgemildert wurde und sehr stolz darauf, dass sein eigener Anfangsbuchstube nun von ihm herab strahlte … wenn auch leider, verkehrt herum. Jetzt fehlte dem kleinen Jungen nicht mehr viel, um ein kompletter Superheld zu sein. Ein Cape hatte er sich schnell aus einem grünen Handtuch gezaubert und knotete es sich hektisch um den Hals. Da er keine kurze Hose fand, die er noch überziehen hätte können, entschloss er sich dazu, eine seiner Unterhosen zu opfern. Zu allem Unglück, hatte er nur weiße, was die Farbkombination seines Anzuges nun völlig durcheinander wirbelte. Ihm war es mittlerweile egal, als er sich so, bei Kerzenschein, im Spiegel betrachtete. Er fand es originell und chic. Voller Überzeugung betrat er seine Terrasse, stemmte die Hände in die Hüfte und verkündete schreiend: „Hallo! Hier komme ich! SUPERFRANZ! Ich werde die Welt retten!“. Eine Weile lang blickte er sich um. Stille! Es war schon sehr spät geworden, niemand von den Stadtbewohnern war mehr wach gewesen und keiner hatte ihn bemerkt. So beschloss er ebenfalls schlafen zu gehen, schließlich war er müde und morgen wäre ja auch noch genügend Zeit gewesen um die Welt zu retten, oder nicht? Erschöpft, aber glücklich sank er in seine Hängematte nieder und wiegte sich, samt seines Kostüms, in den Schlaf.

Franz, der etwas andere Superheld

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