Читать книгу Panoptikum des Grauens - Thomas Riedel, Susann Smith - Страница 6

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Kapitel 2

G

eräuschlos hatte er das Zimmer betreten und musterte die junge Frau eine Weile. Er tat es in der Art und Weise eines wissbegierigen Forschers, der sein aktuelles Studienobjekt auf einem Glasträger durch das Okular seines Lichtmikroskops betrachtete.

»Mein Name ist Kianoush Timurcan Shabistari«, stellte er sich nach einiger Zeit des Schweigens vor. »Ich besitze zwar einen iranischen Pass und damit die iranische Nationalität, aber eigentlich bin ich Pakistani. Mein Geburtsort liegt in jenem Teil des Landes, der 1947 nach dem Abzug der britischen Kolonialtruppen an die Moslems fiel. Allerdings war der Vater meines Großvaters zu diesem Zeitpunkt bereits aus ganz bestimmten Gründen in den Iran geflohen. Ich bin mir sicher, dass Ihnen Ihr Urgroßvater, Sir Winston, davon erzählt haben wird, Miss Coleman.«

»Mein Urgroßvater spricht ständig über seine Zeit in Indien, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass er Sie oder Ihren Vater jemals erwähnt hätte«, antwortete sie und hob vertrauensvoll ihr Engelsgesicht, das umrahmt war von einer Flut blonder Haare.

»Das mag schon möglich sein«, räumte Shabistari ein. »Er hat auch allen Grund dazu, diese Episode aus seinem Leben zu verschweigen ... Ich werde Sie also einweihen in das düstere Geheimnis, das Ihren so jovialen und beliebten Urgroßvater begleitet, … seit nahezu siebzig Jahren.« Er schwieg, um sich zu konzentrieren. Seine Nasenflügel bebten. Wie unter einer furchtbaren, seelischen Anspannung rang er seine schmalen Künstlerhände, ehe er fortfuhr: »Ihr Urgroßvater war zu jener Zeit sechsundzwanzig Jahre alt, Major und Kommandeur einer Gurkha-Einheit. Sein Auftrag war es, einen der vielen lokalen Aufstände mit aller Härte niederzuschlagen. Der Widerstand der Eingeborenen war ungewohnt heftig. Sie standen unter der Führung eines Gurus, nämlich meines Urgroßvaters, der den Engländern eine empfindliche Niederlage bereitet hatte. Lord Coleman nahm unser Dorf, das Zentrum des Widerstandes, ein und gab es prompt zur Plünderung frei. Mein Urgroßvater hatte noch rechtzeitig in die Berge fliehen können. Aber meine Urgroßmutter, … jung verheiratet, … wurde von den Gurkha-Soldaten aufgestöbert und als Frau des Anführers der Aufständischen erkannt. Man schleppte sie zu Major Winston Coleman, der daraufhin meinen Urgroßvater zu erpressen versuchte. Er ließ ihm die Nachricht zukommen, dass er meine Urgroßmutter dem zügellosen Soldatenhaufen überlassen würde, wenn er nicht innerhalb von zwei Tagen Nachricht bekäme, dass mein Urgroßvater sich aller agitatorischen Maßnahmen enthalten und seine Anhänger nach Hause schicken würde. Zusätzlich sollte mein Urgroßvater seine Heimat, sein Land verlassen. Nun, … mein Urgroßvater akzeptierte. Es blieb ihm ja auch keine Wahl, wenn er seine Frau retten wollte. Also gelobte er feierlich, alle Bedingungen des erzwungenen Vertrages zu erfüllen. Lord Coleman vertraute ihm. Die Gefangene wurde ausgetauscht. Beide Seiten hatten sich an die Vereinbarungen gehalten, sobald mein Urgroßvater die Landesgrenze hinter sich gebracht hatte.«

»Dann ist doch alles gut«, atmete Kayleen erleichtert auf.

»Gut? Keineswegs!«, zischte er. In seinen Augen loderte offener Hass. »Meine Urgroßmutter, … sie hat längst Selbstmord begangen, … war eine ausgesprochen schöne Frau. Ihr Urgroßvater, Miss Coleman, damals noch unverheiratet, konnte der Versuchung nicht widerstehen. Es geschah, kurz bevor meine Urgroßmutter freigelassen wurde. Niemand fand die Möglichkeit ihrem Mann die Nachricht überbringen zu können. Er war völlig ahnungslos, und … diese Vergewaltigung … sie hatte Folgen!«

»Dann wären Sie ja ...« In ihren Blick mischte sich Verwirrung und Entsetzen.

»Kein Wort mehr, Miss Coleman!«, fauchte Kianoush Shabistari. Sein Gesicht war jetzt eine einzige Fratze aus Wut und Verzweiflung, und er brauchte eine Weile, ehe er seine Fassung zurückgewann. »Mein Urgroßvater ist schon lange Tod, aber mein Großvater und mein Vater, sie starben vor acht Jahren bei einem Bombenanschlag in Pakistan, erzogen mich im Hass auf die Engländer im Allgemeinen und Lord Coleman im Besonderen«, berichtete er weiter. »Sie zogen sich mit mir in die Einsamkeit zurück. Wir widmeten uns der Vorbereitung einer Rache, wie sie die Welt noch nicht erlebt hatte. Sie wiesen mich in alle okkultistischen Geheimlehren des Fernen Ostens ein, unterrichteten mich in Hypnose und Telepathie, Meditation und Telekinese, ohne aber die modernen Fächer zu vernachlässigen, die zur Erziehung junger Menschen gehören. Ich wurde schnell das, was man in Ihrem Land einen ›Allroundman‹ nennen würde. Reichtum stellte sich ganz nebenbei ein. Er war die natürliche Folge der übernatürlichen Kräfte meines Großvaters und Vaters, die Kranke heilten, Dämonen vertrieben und Unbequeme verschwinden lassen konnten. Sie sammelten eine Schar von Anhängern um sich und residierten in einer Felshöhle wie der Schahanschah persönlich. Tatsächlich drang ihr Ruf bis Teheran. Aber sie schlugen keinen Nutzen daraus, lebten nur für den Tag der Rache, auf den sie mich konsequent vorbereiteten. Und jetzt, Miss Coleman, ist es soweit.«

»Was haben Sie vor?«, fragte sie. Die Ankündigung versetzte sie in Panik.

»Damit Sie begreifen, was Ihren Urgroßvater erwartet und seine ganze Familie, will ich Ihnen zeigen, was ich jenem Mann angetan habe, der meine Familie auf Befehl von Colonel Winston Coleman in Pakistan aufspürte und meinen Urgroßvater und Vater ermorden wollte«, erwiderte Shabistari mit einem diabolischen Grinsen. »Der gute Lord Coleman fühlte sich nämlich nach seinem Verbrechen nicht mehr allzu sicher. Er fürchtete um seinen guten Ruf bei Hofe. Leute vom Geheimdienst, Überläufer und Kollaborateure aus dem Grenzgebiet trugen ihm die Nachricht zu, die sein schlechtes Gewissen ständig wachhielt.«

Er winkte ihr auffordernd zu, worauf sie sich widerstrebend erhob.


Ihr Instinkt warnte sie, aber sie besaß weder den Mut noch die Kraft, sich gegen seinen Willen aufzulehnen. Sie war unfähig, eine eigene Entscheidung zu treffen, und in der Hand eines Mannes, dessen Ziel es war, ihren Urgroßvater und die ganze Familie mehr leiden zu lassen, als es das je ein Mensch zuvor musste.

Shabistari führte seine Gefangene in einen dunklen Raum. Er stand dicht neben ihr, sog den Duft ihres Haares ein und fühlte ihre Gestalt an seiner Seite. Ein Umstand, der seine Vorfreude auf das, was er ihr anzutun gedachte, noch verdoppelte.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als stumm auf den Beginn der Demonstration zu warten. Sie ahnte nicht, dass er ihr genau die Rolle zugedacht hatte, in der sich seine unglückliche Urgroßmutter vor nahezu siebzig befand. Aber irgendeine Vorahnung, ein unfassbares Grauen ließen sie bis ins Mark erzittern, ohne dass sie die Kraft fand zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen.

Shabistari drückte auf einen verborgenen Knopf.

In dem weiten Saal flackerten bläuliche Lichtbogen auf, die eine unheimliche, ungewisse Helligkeit verbreiteten – aber völlig ausreichten, um jede Einzelheit wahrnehmen zu können.

Gleichzeitig sprang in der Mitte des Raumes ein entsetzlich schnurrender Mechanismus an – ein menschlicher Springbrunnen.

In einem spärlich behaarten Schädel, dessen Augen die Besucher traurig anglotzten, endete ein Kupferrohr und ließ aus dem weit aufgerissenen Mund Blut sprudeln. Es wurde von einem freigelegten Herz hochgepumpt und fiel in einem hohen Bogen in eine grüne Schale, von wo der ewige Kreislauf aufs Neue begann. Ein elektrischer Schrittmacher sorgte dafür, dass dem konservierten, lebenswichtigen Organ keine Panne unterlief. Die Plastikschale am Fuß des Brunnens barg in einer klaren Lösung die Lungenflügel des Homunkulus. Beide Teile pulsierten wie faserige Schwämme im Rhythmus der menschlichen Maschine.

»Kein Gefühl, nur Bewusstsein«, feixte Shabistari und deutete auf den Schädel. »Das Gehirn ist mit allen Funktionen erhalten geblieben«, versicherte er. »Der Mann begreift, was mit ihm geschieht. Sein Bewusstsein signalisiert ihm die hoffnungslose Lage, schlägt pausenlos Alarm und zwingt den Torso, ständig nach einem Ausweg aus der Verzweiflung zu suchen.«

Wie als Antwort füllten sich die Augen des Unglücklichen mit Tränen, die langsam über die rosigen Wangen liefen. Seine bläulich verfärbten Lippen zitterten in stummer Qual, bis der nächste Blutsturz erfolgte und die Kinnwinkel auseinanderriss, sodass seine Luftröhre und sein Rachenraum freigelegt wurden.

»Auf dieser Welt ist alles machbar«, dozierte Kayleen Colemans teuflischer Nachbar. »Im Guten wie im Bösen.«

Sie wollte antworten, war aber vor Entsetzen wie gelähmt. Ihr wurde schwindelig, und sie tastete hilfesuchend nach einem Halt.

Kianoush Shabistari fing ihren Sturz ab, hob ihre schlanke Gestalt wie eine Feder auf und trug sie in sein Schlafzimmer.

Der nahe Triumph sprengte ihm fast die Brust, denn ab heute würde der alte, greise Lord Coleman für alles zahlen, was er in der Vergangenheit angerichtet hatte. Seine Enkelin bedeutete für Shabistari nur die erste Rate.

Er warf die junge Frau auf das breite Bett unter dem seidenen Baldachin und fesselte sie mit dünnen Seilen an Händen und Füßen.

Als er sich über sie schob, bäumte sich Kayleen Coleman auf und schrie: »Aber sind wir nicht ...?«

»Da muss ich mich ungenau ausgedrückt haben«, korrigierte er zynisch. »Sicher blieb die Vergewaltigung meiner Urgroßmutter damals nicht ohne Folgen. Das ist richtig. Aber mein Urgroßvater hat das Problem beseitigt und den Bastard gar nicht auswachsen lassen. Er hat ihn ähnlich präpariert wie den Mann, der uns ermorden sollte. Vielleicht sehen wir uns den Abkömmling seiner tugendhaften Lordschaft gelegentlich einmal an. Ich kann mich gar nicht an ihm sattsehen. Es ist wirklich ein phänomenaler Erfolg meines Urgroßvaters, wie gut er den kleinen Burschen präpariert und für die staunende Nachwelt aufgehoben hat.«

»Sie sind ein Teufel«, schluchzte sie hilflos.

Kianoush Shabistari lachte leise. Er wusste, dass er sein Ziel fast ohne Gewalt erreichen und sich dazu sehr viel Zeit lassen würde. Es würde eine spielerische Foltermethode anwenden, bei der es nicht so sehr auf Kraft ankam, sondern mehr auf Nervenstärke und völlige Beherrschung. Und davon besaß er beides in außergewöhnlichem Maß.


Er bewies es innerhalb der nächsten zwölf Stunden und besiegte sie vollkommener als jemals ein Mann eine Frau zuvor besiegt hatte.

Obwohl er völlig passiv, bewegungslos dalag, verwandelte er das junge Mädchen in ein wimmerndes Nervenbündel – hysterisch, zerschlagen und aufgelöst. Nur ein grausames Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

Immer wieder lenkte er sich bewusst ab, dachte an etwas Anderes. Er malte sich bereits seinen nächsten Sieg über Lord Coleman aus, genoss im Voraus seine Rache, derweil er überlegte, wie er den alten Sir Winston in seine Gewalt bringen konnte.


Panoptikum des Grauens

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