Читать книгу Panoptikum des Grauens - Thomas Riedel, Susann Smith - Страница 9

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Kapitel 5

S

ir Christopher Franklin, Chief Superintendent von Scotland Yard und Leiter des neugegründeten ›Bureau of Occultism Research‹, unterbrach seinen Rundgang durch den Salon in der Coleman-Villa und schaute seinen Chief Inspector durchdringend an.

»Es gibt also keinen Zweifel daran, dass Miss Coleman entführt wurde«, fasste Isaac Blake das Ergebnis seiner Ermittlungen zusammen. »Sie wird das Haus nicht aus freien Stücken verlassen haben. Nicht zu dieser nächtlichen Stunde und schon gar nicht in einem mehr als dürftigen Aufzug.«

Franklin behielt die Hände auf dem Rücken. Sein rundes Gesicht unter dem schütteren weißen Haar drückte Zustimmung aus. »Glauben Sie, dass es um Lösegeld geht?«

»Nicht bei diesem Aufwand«, schüttelte Blake entschieden den Kopf. »Ich vermute stark, dass uns allein seine Lordschaft, Sir Winston, das Motiv der Tat nennen kann.«

»Wenn ihn unser Doc doch nur schon in die Wirklichkeit zurückgeholt hätte«, seufzte Cyril McGinnis, Blakes Assistent und Freund, wobei er sich durch seine wenigen Haare auf seinem kugelförmigen Kopf fuhr. »Ich verstehe zwar nicht das Geringste von Hypnose, und um nichts Anderes kann es sich handeln, aber es muss doch eine Möglichkeit geben, sie aufzuheben.«

»Gordon tut, was er kann«, erwiderte Isaac. »Er weiß selbst, wie entscheidend die ersten achtundvierzig Stunden sind.«

»Du bist aber auch der Meinung, dass dieser Orientale seine Hand im Spiel hat?«, hakte McGinnis nach, genau wissend, woran sein Kollege gerade dachte.

Blake nickte. »Ja, … dafür hat sich der Kerl viel zu offensichtlich für seine Nachbarn interessiert.«

»Aber solange wir keine stichhaltigen Beweise oder zumindest glaubhafte Zeugenaussagen besitzen, können wir nicht gegen ihn vorgehen.« Ein bitteres Lächeln umspielte McGinnis‘ Mundwinkel. »Kein Richter würde uns auf reinen Verdacht hin einen Haussuchungsbefehl ausstellen.«

»Das musst du mir nicht sagen«, kam es brummend zurück.

»Wenn ich mir vorstelle, Kayleen könnte in der Gewalt dieses Burschen sein, werde ich verrückt«, stöhnte Roger Whitemoore. »Man weiß doch, was sich Orientalien ausdenken können. Die drehen durch, wenn sie blonde Haare sehen ... Aber man muss sich ja auch nicht mehr wundern, wenn wir jedes Dreckspack ins Land lassen …«

»Na, nun bleib mal auf dem Teppich, mein Junge«, mahnte der Chief Superintendent. »Wenn ich richtig informiert bin, lasst ihr jungen Leute heutzutage auch nichts mehr anbrennen. Ganz abgesehen davon bist du ungerecht. Du solltest nicht verallgemeinern und schon gar nicht all den Populisten nacheifern!«

»Nun, ich bin ein wenig durcheinander. Ich mach‘ mir halt Sorgen«, murmelte Whitemoore.

»Das tun wir wohl alle«, machte McGinnis deutlich. »Ausgenommen Sir Winston und seine Tochter. Das ist schon recht absurd, wie ich finde. Und …«

Er wurde unterbrochen, denn Dr. Gordon Lestrade stürzte in den Salon. »Schnell, die Droge wirkt!«, rief ihnen der spindeldürre Mittfünfziger im weißen Kittel zu, nur um gleich darauf wieder zu seinem Patienten zurückzukehren, gefolgt von Blake, McGinnis, Sir Franklin und Roger Whitemoore.


Seine Lordschaft wälzte sich unruhig auf seinem Lager, geschüttelt von der starken Amobarbital-Injektion, die ihm der Chef-Pathologe des Yards verabreicht hatte. Die schriftliche Einwilligung zur Behandlung mit dem Wahrheitsserum, ohne die Lestrade keinen Eingriff vorgenommen hätte, lag auf dem Tisch. Mehrfach hatte er Sir Winston auf das Risiko, insbesondere in Hinblick auf dessen hohen Alters, hingewiesen. Doch der hatte ihn nur kaltlächelnd angesehen, und auch den Hinweis darauf, dass die Substanz zu unerwünschten Nebenwirkungen bis hin zum Tod führen kann, mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch gewischt.

»Ihr könnt ihm jetzt eure Fragen stellen«, flüsterte Lestrade. »Ihr dürft aber nicht vergessen, dass die Wirkungsweise eher darin besteht, das Urteilsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit einer Person zu beeinträchtigen, beziehungsweise kommunikativer zu machen.«

»Er kann also auch lügen«, knurrte McGinnis.

»Das stimmt«, nickte Lestrade. »Daher solltet ihr eure Fragen sehr genau bedenken, denn die Droge hat ihn auch anfällig für Suggestion gemacht. Außerdem kann es zu einer Vermischung von Realität und Fiktion kommen.«

»Da wir keinen Verhörspezialisten haben … Nun, dann wollen wir mal unser Bestes geben«, meinte Blake, der sich einen Stuhl heranzog, und das Verhör eröffnete, während McGinnis mit gezücktem Notizblock darauf wartete, das Wesentliche mitzustenographieren.

»Sie haben eine Urenkelin, Sir Winston?«, forschte Blake, direkt auf das Ziel zumarschierend.

Seine Lordschaft antwortete nicht. Er wandte den Kopf und blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an und sein Gesicht zuckte in namenloser Qual. Seine Lippen bebten und Schweiß brach ihm aus allen Poren.

»Ihre Urenkelin heißt Kayleen?«, änderte Blake geschickt seine Fragestellung, um den alten Mann nicht mehr als unbedingt erforderlich zu belasten.

»Ja.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Haben Sie irgendwelche Feinde, die mit dem Verschwinden Ihrer Urenkelin zu tun haben könnten?«

»Ich habe einen Todfeind«, bestätigte seine Lordschaft zähneknirschend. »Die Sache schleppe ich schon seit meiner Dienstzeit in Indien mit mir herum.« Schonungslos bekannte er sich zu seiner Verfehlung, gestand unter dem Einfluss der starken Droge alles und ließ nichts aus.

Betroffen lauschten alle den Worten des alten Mannes.

Unbewegt hörte auch Dr. Lestrade zu. Er wusste nur zu gut, was Menschen unter dem Einfluss von Narkosemitteln von sich zu geben pflegten. Dennoch war er ein wenig überrascht, denn dieses Medikament, dass die US-Amerikaner während des Kalten Krieges zur Bewusstseinskontrolle entwickelt hatten, übertraf all seine Erwartungen.

»Aber dieser Mann, dieser Guru, ist aber längst tot, wie Sie selber sagen«, schaltete sich Blake mit seiner kräftigen, kultivierten Stimme in die Lebensbeichte seiner Lordschaft ein. »Hatte er vielleicht einen Sohn?«

»Ja, das weiß ich genau. Er muss inzwischen auch einen Urenkel haben. Ich habe ein paarmal diesen Orientalen gesehen. Ich glaubte, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Anführer der indischen Aufständischen festzustellen, die mir seinerzeit solche Schwierigkeiten bereiteten, aber ich bin mir natürlich nicht sicher. Es sind so viele Jahre vergangen. Ganz sicher habe ich mich darin getäuscht.« Der alte Mann atmete schwer durch. »Sie dürfen nicht vergessen, dass ich seit dem Fluch und der Drohung des Gurus, sich fürchterlich an mir zu rächen, in einer ewigen Spannung lebe, die sich zwar mit der Zeit scheinbar gemildert hat, aber doch unterschwellig weiter vorhanden ist. Ich konnte mich auch niemandem anvertrauen. Meine verstorbene Frau hätte wenig Verständnis für mich gehabt, und mit meiner Tochter konnte ich wohl kaum über diese Dinge sprechen. Gleichzeitig aber wusste ich, wozu diese Orientalen imstande sind. Ich habe schließlich lange genug in Indien gelebt.

Ich habe Fakire gesehen, die sich drei Tage begraben ließen. Und glauben Sie mir, es war kein Trick dabei. Sie reduzierten einfach ihr Sauerstoffbedürfnis. Jeder von uns Europäern wäre bei einem solchen Versuch elend erstickt. Diese Burschen aber erhoben sich nach der selbst gewählten Frist, als sei nichts geschehen. Sie glaubten einfach an die Herrschaft des Geistes über den Körper und vollbrachten so Wunderdinge. Ich selbst habe einen berühmten Guru erlebt, der sich mit scharfen Schwertern lebenswichtige innere Organe durchbohrte. Das ist kein Hirngespinst. Es existierten Röntgenaufnahmen. Er zog die Waffen aus seinem Leib, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde. Sie erinnern sich vielleicht auch an den Mann. Mirin Dajo hieß er. Er trat später in der Schweiz auf und ließ sich mit einer großkalibrigen Pistole in den Bauch schießen. Aber das hat selbst er dann nicht überlebt.«

»Ich glaube, wir können Schluss machen«, meinte Blake an Lestrade gewandt. »Zur Sache kann er nichts mehr aussagen.«

»Gut … Dann werde ich ihm jetzt ein Beruhigungsmittel spritzen«, nickte der Pathologe ihm zu und griff nach einer Ampulle in seinem Arztkoffer. »Er hat genug gelitten.«

»Gibt es denn gar keine Möglichkeit, die Hypnose, unter der er immer noch steht, und die wir nur kurzfristig überlistet haben, zu beseitigen?«, forschte der Chief Superintendent nach.

»Das bedarf unter Umständen einer langen, schwierigen Behandlung«, entgegnete Gordon Lestrade. Erschöpft nahm er die Brille ab und erklärte: »Sie müssen wissen, dass hypnotische oder posthypnotische Suggestionen keine eigenständigen Entitäten oder Dinge sind, die im Unterbewusstsein wie Computerviren herumspuken und ein Eigenleben führen. Sie mögen es anders gelesen haben, weil es in der Regel falsch dargestellt wird ... Es handelt sich bei den Suggestionen prinzipiell um normale Ideen im Geiste des Hypnotisierten, deren Umsetzung genauso ein Denken und Wollen voraussetzt, wie die Realisierung anderer Ideen auch. Die Tatsache, dass die Verwirklichung hypnotischer Suggestion oft als mühelos, unwillkürlich oder gar zwanghaft erlebt wird, oder dass sie sogar völlig unterbewusst ablaufen kann, steht zum Gesagten nur scheinbar im Gegensatz.« Er sah Sir Christopher ernst an. »Hier muss man die Prozesse unterscheiden, die tatsächlich ablaufen, und das subjektive Erleben derselben …«

»Auch, wenn es anders zu sein scheint«, unterbrach ihn McGinnis, »ist bekannt, dass der Hypnotisierte aber nur solange auf die hypnotische Suggestion reagiert, wie das für ihn Sinn macht oder er sich aufgrund expliziter oder implizierter Anforderungen der Situation zum Kooperieren verpflichtet fühlt.«

Lestrade warf ihm einen müden Blick zu und wischte sich über die Augen. »Stimmt schon, Cyril. Dir ist aber auch bewusst, dass wir darauf werden warten müssen, solange wir den Schalter nicht finden … Für diese Aufgabe bin ich jedenfalls nicht der richtige Mann. Ich bin mir sicher, dass derjenige, der hierfür verantwortlich zeichnet, ein hypnotisches Siegel gesetzt hat.«

»Wenn mir vor ein paar Tagen ein Mensch gesagt hätte, dass es solche Dinge zwischen Himmel und Erde gibt«, stöhnte der Chief Superintendent und schüttelte seinen massigen Kopf, »hätte ich ihn für verrückt erklärt .... Ich muss schon sagen, Blake, Sie haben sich ein merkwürdiges Arbeitsfeld ausgesucht.« Er seufzte. »Und ausgerechnet ich musste diese Abteilung übernehmen.«

Blake ersparte sich eine Antwort. Er grübelte bereits über den nächsten Schritt nach.

»Werden Sie jetzt diesen mysteriösen Orientalen unter die Lupe nehmen?«, erkundigte sich Whitemoore.

»Wie stellen Sie sich das vor?«, entgegnete Blake, »Ich brauche erst einen Haussuchungsbefehl. Ansonsten richte ich überhaupt nichts aus.«

»Und vorausgesetzt, wir würden ihn bekommen, … vor morgen früh bekommen wir ihn auf keinen Fall«, fügte McGinnis hinzu. »Sie können sich jetzt also ebenso gut schlafen legen, Mr. Whitemoore.«

»Ein sehr intelligenter Ratschlag«, höhnte Whitemoore erbittert. »Ja, glauben Sie denn allen Ernstes, ich könnte ein Auge schließen? Ich habe Angst um Kayleen und fühle, dass sie meine Hilfe braucht!«

»Wir alle sind darauf aus, Miss Coleman so schnell wie möglich zu befreien, aber wir dürfen nichts überstürzen«, suchte Blake den Architekten zu beruhigen. »Sonst stehen wir plötzlich vor der Leiche ihrer Freundin, und das nur, weil der Täter die Nerven verloren hat. Es wäre nicht das erste Mal in der Kriminalgeschichte, Mr. Whitemoore, … und genau das, gilt es doch zu vermeiden, oder?«

»In Ordnung, Sie sind der leitende Beamte«, gab Whitemoore nach, wenngleich man ihm anmerkte, dass er es nicht ernst meinte. Er hatte längst beschlossen, auf eigene Faust zu handeln. Für ihn arbeiteten diese schlafmützigen Beamten ohnehin zu langsam, und ein Fall wie dieser brauchte seiner Meinung nach Maßnahmen, die außerhalb aller erstickender Routinearbeit lagen. Er entschied sich, auf sein Glück zu vertrauen und sich in die Höhle des Löwen zu begeben …


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