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Er träumte, seine Frau würde ihn streicheln.

Ein schöner Traum. Paul Glendale staunte, während er ihn träumte. Es kam in letzter Zeit höchst selten vor, dass sie sich von ihm streicheln ließ. Und dass sie ihn zum letzten Mal gestreichelt hatte ... Gott, wie lange war das eigentlich her!?

Während Paul Esthers Hand über seine Brust und seinen Bauch gleiten fühlte – er träumte, ihre Hand würde tiefer und tiefer gleiten – während er das also fühlte, oder träumte, oder wie auch immer, hörte er, wie sie seinen Namen rief. „Paul! Paul!‟

Sie rief ihn laut, und ihre Stimme klang erregt, während sie ihn rief. „Paul! Paul!‟ So erregt klang sie, dass er sich an die Frühzeit ihrer dreiundzwanzigjährigen Ehe erinnert fühlte. Und das erregte ihn selbst. Es war ein schöner Traum, wirklich wahr – ein Traum voll süßer Verheißung.

„Paul! Wach endlich auf!‟ Paul Glendale riss die Augen auf. Und der Traum zerstob wie ein Schaumberg in der Badewanne unter einem kalten Wasserstrahl.

Die Leselampe auf Esthers Nachttisch brannte. „Nun wach schon auf, bitte!‟ Ihre Stimme klang jetzt eher besorgt als erregt, fast weinerlich. Und in ihrem Gesicht spiegelte sich nicht die Spur sexuellen Verlangens. Ängstlich wirkte sie. Und vorwurfsvoll. Den Zug in ihrer Miene kannte Paul gut.

„Was denn los?‟ Er wandte den Kopf nach rechts. 3.27 Uhr zeigte der Wecker auf seinem Nachttisch. „Noch nicht mal halb vier – hat die Schule angerufen?‟

Tatsächlich – das kam ihm als erstes in den Sinn. Paul Glendale war Direktor einer Highschool in Benson Hurst, einem südlichen Stadtteil Brooklyns. So eine Schule konnte auch mal brennen, oder von Einbrechern heimgesucht werden. In so einem Fall ...

„Blödsinn‟, sagte Esther. „Ich glaub, da war jemand an der Haustür.‟ Paul machte ein ungläubiges Gesicht. „Ehrlich ... das Außenlicht ist angegangen.‟

Esther war eine ängstliche Natur, ganz sicher war sie das. Ging nicht schlafen, bevor die beiden siebzehn- und achtzehnjährigen Söhne aus der Discothek oder von der Party zurück waren. Und wenn die Jungens einmal mit der Schulklasse oder der Jugendgruppe für ein paar Tage unterwegs waren – zum Zelten, zum Segeln, zum Skifahren, egal zu was – dann betete Esther doppelt soviel wie sonst und rief ihre Söhne zweimal am Tag an.

Paul hatte es aufgegeben, darüber die Stirn zu runzeln oder Esther gar erziehen zu wollen. Kein Mann, der die Frauen wirklich kennengelernt hatte, versuchte noch, auch nur eine einzige von ihnen verändern zu wollen.

„Ich schau mal nach.‟ Paul schob sich aus dem Bett.

Wozu hat eine ängstliche Frau einen Mann, wenn nicht, um ihn wecken zu können, wenn sie Angst hat?, sagte er sich. Und konnte sich eine ebenfalls möglich Antwort nicht verkneifen: Um Sex zu haben. Auch das dachte er selbstverständlich nur.

Er schlüpfte in seinen Morgenmantel, schlurfte in die Küche, holte die Taschenlampe aus dem Regal über der Spüle, schlurfte zurück ins Schlafzimmer, zog die Vorhänge zurück und öffnete eines der hohen Fenster.

Es war das Erkerfenster über der Vortreppe. Paul und Esthers Schlafzimmer lag im Obergeschoss. Der Lichtkegel der Stablampe fiel auf den Kiesweg, der vom Bürgersteig zur Vortreppe führte. Nichts zu sehen, auch keine auffälligen Fußspuren.

Paul beleuchtete die Vortreppe, das Geländer, die Weinranken zu beiden Seiten des Eingangsportals und den Teil des Zeitungsrohrs, der von hier oben aus zu erkennen war. Nichts.

Der Blick auf den Briefkasten wurde durch das kleine Vordach verdeckt. Aber wer sollte mitten in der Nacht schon etwas in den Briefkasten werfen?

Er lauschte in die Dunkelheit hinaus. Von fern das Rauschen des Verkehrs auf dem Kings Highway. In einem der Nachbargärten zwitscherte ein Nachtfink. Auch Katzen hörte Paul schreien. Klar – Anfang Oktober: Paarungszeit.

Paarungszeit, dachte er wehmütig. Die prickelnde Erregung aus seinem Traum perlte wieder durch seine Glieder.

„Da ist nichts, Darling.‟ Paul ließ den Lampenstrahl noch über die schulterhohe Hecke wandern und hinüber in die Nachbargrundstücke. Dort standen ähnlich wuchtige Jugendstilvillen, wie Paul und Esther und ihre beiden halbwüchsigen Söhne eine bewohnten. „Wirklich, Darling – da ist nichts.‟

„Ganz sicher?‟ Die Decke bis an den Hals gezogen lehnte Esther gegen die Kopfleiste des Bettes.

„Ganz sicher, Darling.‟

„Ich hab’s doch rascheln gehört, ich hab doch sogar Schritte gehört. Und später fuhr ein Auto weg.‟

„Vor unserem Haus?‟ Er betrachtete sie und fand sie begehrenswert. Merkwürdig eigentlich, dass man sogar seine eigene Frau schöner findet, wenn man Hunger nach ihr hat.

„Nein‟, gab Esther zu. „In einer Nachbarstraße.‟

Paul zuckte mit den Schultern. „Na siehst du.‟ Er stellte die Lampe vor Esthers Schminkspiegel. „In den letzten drei Jahren ist in unserer Straße kein einziges Mal eingebrochen worden. Unter den Ganoven hat es sich längst ’rumgesprochen, dass hier jedes Haus über eine gute Alarmanlage verfügt.‟ Er zog sich den Morgenmantel aus.

„Aber das Außenlicht ging an.‟ Die Hartnäckigkeit – das war auch so ein Zug an Esther.

„Der Bewegungsmelder reagiert auch auf Katzen und Eichkater. Sogar auf Vögel. Wahrscheinlich waren es Katzen.‟ Während er Anstalten machte, seine Decke zurückzuschlagen, grinste er seine Frau an. „Es ist Paarungszeit, Darling.‟

„Bitte, Paul. Schau auch im Garten nach. Und an der Kellertreppe. Und an der Garage.‟

„Also gut‟, seufzte Paul, „weil du es bist, Darling.‟ Und weil Paarungszeit ist, fügte er in Gedanken hinzu.

Er streifte sich den Morgenmantel also wieder über, bewaffnete sich erneut mit der Stablampe, und machte sich auf zu den anderen drei Seiten seines großen Hauses.

Er öffnete die Fenster zum Grundstück der McMillans, leuchtete die Umgebung der Garage aus, öffnete ein Fenster zum Grundstück der Hastings und leuchtete die Steinplatten vor der Garage ab.

Hinter einem Fenster im Erdgeschoss der Hastings brannte Licht. Paul sah das bläuliche Geflimmer des TV-Gerätes. Er fragte sich, welche Sendung sein Nachbar um die Zeit noch anschaute.

Zum Schluss ging er auf den Balkon an der Rückfront des Hauses und leuchtete in den Garten hinein. Die Schatten dreier Katzen huschten durch die Blumenbeete. Ansonsten nichts.

Paul schlurfte zurück ins Schlafzimmer. Unterwegs mutmaßte er, dass der alte Hastings mal wieder vor der Mattscheibe eingeschlafen war. Oder gab es da nicht einen Boxkampf in Europa? Richtig, in den Niederlanden, in Köln. Oder liegt Köln in Österreich? Keine Ahnung – jedenfalls sieht der alte Hastings sich einen Boxkampf an.

„Nichts Darling, wirklich. Alles in Ordnung.‟ Die Taschenlampe auf den Schminktisch, herunter mit dem Morgenmantel, ab ins Bett. Bevor Esther noch auf die Idee kam, ihn in den Keller, oder gar auf die Straße zu schicken.

„Hast du auch die Fenster wieder zugemacht?‟

„Hab ich, Darling, hab ich ...‟ Er streckte beide Arme nach ihr aus. „Komm her, Angsthäschen, ich beschütze dich.‟

Er sagte das einfach so – vielleicht hatte sein Traum ihn in Stimmung gebracht, vielleicht die balzenden Katzen. Und die Verwunderung aus seinem Traum setzte sich unverhofft fort – ohne Wenn und Aber kuschelte Esther sich an ihn.

Die Wärme ihres Körpers, die Wölbungen ihrer Brüste an seinen Rippen, ihr Duft – sein Blut geriet in Wallung. Er streichelte ihr Haar, er küsste ihre Stirn, er küsste ihr den Träger des Nachthemdes von der Schulter, und dann küsste er ihre Brüste. Und zwar, ohne sie um Erlaubnis zu fragen

Esther reagierte, als wartete sie seit Wochen auf so eine Gelegenheit: Sie räkelte sich in seinen Armen und begann nun wirklich ihn zu streicheln. Brust und Bauch und tiefer. „Mehr, mehr‟, hauchte sie.

Paul nahm sich vor, den Katzen, die durch den Bereich des Bewegungsmelders gelaufen waren und Esther geweckt hatten, eine Schale Milch auf die Treppe zu stellen. Vielleicht kamen sie dann öfter.

Sammelband 3 Thriller: Neue Morde und alte Leichen

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