Читать книгу Westside Blvd. - Entführung in L.A. - Torsten Hoppe - Страница 26

Kapitel 19 (Heather Simms)

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Meine Augen fixierten schon seit endlosen Minuten einen imaginären Punkt an der Zimmerdecke. Die kalte Dunkelheit, die mich umgab, entsprach genau meiner Gemütsverfassung. Düstere Gedanken wechselten sich mit einer immer wiederkehrenden Leere ab. Hatte ich anfangs noch krampfhaft versucht, mir meiner Situation bewusst zu werden und eine Lösung für meine Probleme zu finden, so ergab ich mich nun der scheinbar ausweglosen Einsamkeit in diesem Gefängnis. Schnell hatte ich gemerkt, dass jeder einzelne, scheinbar noch so harmlose Gedanke eine wahre Kettenreaktion von abstrusen Phantasiegebäuden nach sich zog, die mich völlig verstörten. Ich hatte das Gefühl, dass mein eingesperrter Körper nur der erste Dominostein in einer langen Reihe war: wenn er fiel, brachte er eine unaufhaltbare Lawine ins Rollen, die jedes Mal mit meinem Tod endete. Ich wollte nicht sterben. Das ganze Leben lag doch schließlich noch vor mir.

Krampfhaft versuchte ich, alle Gedanken über meine derzeitige Situation schon vor ihrem Entstehen abzublocken, doch das war gar nicht so einfach. Ich wollte überhaupt nicht denken. Solange ich keine Möglichkeit hatte, mein Schicksal in irgendeiner Form selbst zu beeinflussen, machte es keinen Sinn diesen abartigen Pfaden meines völlig sadistischen Gehirns zu folgen. Ich hatte Angst. Angst vor dem, was meine Phantasie mir in bedrohlichen Bildern zeigte. Wozu war dieser Mann fähig? War er ein eiskalter Killer? Ein verbitterter Mann, der einfach nur in ein tiefes Loch gefallen war? Oder ein gefährlicher Psychopath? Ich wusste nicht, ob ich wirklich eine Antwort auf diese Frage haben wollte.

‘Psycho Gary’ hatte ohne Vorwarnung eine Bombe in das ansonsten so beschauliche Leben meiner Familie geschmissen. Das Mistteil war zwar noch nicht explodiert, lag aber bedrohlich vor unseren Füßen. Und der Fernzünder dieser tödlichen Waffe befand sich in den Händen eines kleinen fetten Mannes, dessen wahnsinnige Augen mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. Ich war ihm hilflos ausgeliefert. Es lag in seiner Macht, mein Leben und das meiner gesamten Familie von einer Sekunde zur anderen zu vernichten.

Angela und ich waren in einer gut behüteten Atmosphäre aufgewachsen. Auch wenn es manchmal zu den üblichen kleinen Differenzen gekommen war, so konnte man doch ohne Übertreibung von einem absolut harmonischen Familienleben sprechen. Unsere Mum war nicht einfach nur unsere Mutter; sie war auch unsere beste Freundin, mit der wir über alles sprechen konnten.

Dad war in jeder Situation der ruhende Pol, der es wie kein anderer verstand, Konflikte beizulegen oder gar im Keim zu ersticken. Und jetzt kam dieser kleine, pummelige Mann und versuchte mit seinen Unterstellungen alles zu zerstören, an das ich bisher geglaubt hatte. Mein Vater war ein guter Mensch, das stand für mich außer Frage. Doch wenn er nichts Unrechtes getan hatte, dann gab es auch nichts, was er gestehen konnte. Ich kannte ihn doch schließlich. Wenn es da eine andere – eine dunkle – Seite geben würde, dann wäre es mir garantiert aufgefallen.

Und nun saß ich allein in diesem düsteren Gefängnis; allein mit den zahlreichen kranken Gedanken, die mich schier in den Wahnsinn trieben. Diese verfluchte Einsamkeit kam mir mittlerweile wie ein riesiges Leichentuch vor, das jemand über mich gelegt hatte, um alles Schöne und Positive gnadenlos von mir fernzuhalten. Ich spürte, wie die depressiven Phasen in immer kürzeren Abständen kamen, für einige Zeit als scheinbar stumme Zeitzeugen bei mir verweilten und schließlich schweigend fortgingen, um Platz für neue traurige und finstere Gedanken zu machen.

Ein Geräusch an der Tür ließ mich zusammenfahren. Das Entriegeln des Schlosses verscheuchte sämtliche Hirngespinste in meinem Kopf innerhalb von einem Sekundenbruchteil. Die Klinke bewegte sich herunter und die Tür wurde langsam aufgedrückt. Das grelle Licht des Flures bahnte sich den Weg in das Zimmer, rannte unbarmherzig auf mich zu und legte sich schmerzvoll über meine vom Heulen geröteten Augen. Reflexartig kniff ich die Lider zusammen, um die Helligkeit und den damit verbundenen Schmerz auszusperren. Ich blinzelte mehrmals und gab meinen Augen Gelegenheit, sich halbwegs langsam an das so selten gewordene Licht zu gewöhnen. ‘Psycho Gary’ betrat den Raum und ging geradewegs auf den Tisch zu. Er stellte ein Tablett ab und sah mich durchdringend an.

»Was glaubst du, wie dein Vater sich entscheiden wird? Für dein Leben oder für sein eigenes? Ich glaube, wir kennen beide die richtige Antwort. Du interessierst ihn doch überhaupt nicht. Er war immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Aber ich muss zugeben, er versteht es hervorragend, den Schein zu wahren. Doch ich werde ihn zur Strecke bringen. Er wird bezahlen; für alles Leid, das er anderen angetan hat. Er wird die Rechnung mit einem sehr, sehr hohen Preis bezahlen müssen; ... vielleicht mit deinem Leben ...«

Seine kalten, dunklen Pupillen durchbohrten förmlich meinen Körper. Die panische Furcht überkam mich wie eine riesige Welle, der ich nicht entkommen konnte.

»Was hat mein Vater Ihnen getan?« Ich sah ihm für einen kurzen Moment in die stechenden Augen, um den Blick dann jedoch sofort wieder abzuwenden. »Er ist kein Mörder ...«

Das schallende Gelächter des Mannes ließ mich zusammenzucken.

»Deine Naivität ist wirklich einzigartig. ‘Mein Daddy ist kein Mörder.’« Er imitierte mich in extrem überzogener Form, sprach jedes Wort mit dem nervigen Tonfall eines zickigen Mädchens. »Du kennst deinen Vater doch überhaupt nicht. Du lebst in einer Traumwelt, fern von jeder Realität. Du hast doch keine Ahnung, was dein sauberer Daddy so alles auf dem Kerbholz hat. Aber ich werde dir die Augen öffnen. Ich werde dir zeigen, wie dein Vater wirklich ist und wenn ich damit fertig bin, wirst du sagen: ‘Ja, er hat es verdient, zur Rechenschaft gezogen zu werden.’« Er stieß erneut ein heiseres Lachen aus und drehte sich um. Mit ruhigen Schritten ging er auf die Tür zu.

»Warten Sie.« Ich hatte meinen ganzen Mut zusammengenommen, um ihn anzusprechen.

‘Psycho Gary’ blieb stehen und drehte sich mit einer langsamen, lethargisch wirkenden Bewegung zu mir um.

»Sie ... Sie haben gesagt, Sie würden mir erlauben, eine Toilette zu benutzen.« Meine Stimme klang leise und dünn.

Der Mann starrte mich für einige Sekunden schweigend an, dann nickte er langsam. »Komm mit mir! Aber verschwende erst gar keinen Gedanken daran, zu fliehen. Es gibt keinen Weg hinaus. Wenn du irgendetwas versuchst, wird dies dein erster und letzter Ausflug aus diesem Zimmer sein.«

Er zog die Tür auf und ging mit ruhigen Schritten hinaus. Ich beobachtete ihn unsicher.

»Was ist los? Hast du es dir anders überlegt?« Seine Stimme klang barsch und ungeduldig.

Ich erhob mich ruckartig und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Als ich den Türrahmen erreicht hatte, spürte ich die Hand des Mannes auf meiner Schulter.

»Sämtliche Türen nach draußen sind verschlossen. Du kannst dir also etwaige Sprinteinlagen sparen. Der einzige Weg in die Freiheit führt über ein Geständnis deines Vaters.«

Ich nickte kurz, ohne dabei aufzusehen. Als er die Hand wieder von meiner Schulter wegnahm, schloss ich kurz die Augen und atmete tief durch. Er deutete den Flur entlang und ich setzte mich zögerlich in Bewegung.

Der Gang war knapp zwei Meter breit und zehn Meter lang. Auf beiden Seiten befanden sich drei Türen, die allesamt geschlossen waren. Alte Lampen mit schmutzigen Glaskuppen waren im Abstand von einigen Metern an den grob verputzten Wänden befestigt und tauchten das Kellergewölbe in ein unheimliches, schummeriges Licht. Es gab kein Fenster; der einzige Weg nach draußen führte über eine Steintreppe am Ende des Ganges. Zwischen Gang und Freiheit befand sich jedoch eine massive Eichentür, die dermaßen schwer erschien, dass ich befürchtete, sie selbst dann nicht öffnen zu können, wenn sie unverschlossen wäre. Unsere Schritte hallten durch den Gang und erweckten bei mir den Anschein, als wäre eine Horde Stepptänzer auf dem Weg zu ihrer allerersten Übungsstunde. Ich ging zwei Schritte hinter dem Mann her und beobachtete nervös die Umgebung. Direkt vor der Treppe blieb er stehen und zeigte auf die Tür zu seiner Rechten. Ich verharrte für einen Moment, dann ging ich langsam zur Seite.

Vorsichtig drückte ich auf die Klinke und schob die Tür auf. Vor mir lag ein kleiner, rechteckiger Raum von knapp sechs Quadratmetern Größe. Im Gegensatz zum Flur und zu dem Raum, in dem ich gefangen gehalten wurde, waren die Wände hier gefliest. Alte, schäbige Fliesen mit einem kitschigen Blumenmuster umrahmten eine noch älter erscheinende Toilette im hinteren Teil des Raumes. Zahlreiche Fliesen waren gesprungen und lagen zum Teil zersplittert auf dem kalten Steinboden. An der linken Wand hing ein graues Waschbecken, das bei mir den Anschein erweckte, bei der ersten Berührung das Zeitliche zu segnen und auf dem Boden in tausend Einzelteile zu zerspringen. Direkt dahinter befand sich eine alte Duschkabine, deren Seitenwände aus einer einzigen Dreckschicht zu bestehen schienen. Zu meiner Überraschung waren jedoch sowohl Toilette als auch Waschbecken gründlich gereinigt worden. An einem offensichtlich neu befestigten Aufhänger hing ein weißes Handtuch, daneben zwei Rollen Toilettenpapier. In der oberen hinteren Ecke des Raumes befand sich ein kleines Loch von ca. 10 Zentimetern Durchmesser, durch das jedoch kein Tageslicht hereinfiel.

Ich erschrak, als die lose herunterbaumelnde Glühbirne über meinem Kopf aufleuchtete. Das Quietschen der Scharniere ließ mich erneut zusammenzucken. ‘Psycho Gary’ zog von draußen die Tür zu. Meine Augen fielen auf das Schloss, doch es steckte kein Schlüssel darin. Aber selbst wenn er da gewesen wäre, was hätte das schon gebracht? Sich selbst auf der Toilette einzuschließen war sicherlich auch kein wirklich intelligenter Schritt in die Freiheit. Ich lauschte für einen kurzen Moment nach irgendwelchen Geräuschen, dann kletterte ich vorsichtig mit beiden Füßen auf die Klobrille und stützte mich an der Wand ab. Meine Augen versuchten, durch die Entlüftung einen Blick nach draußen zu werfen, doch enttäuscht musste ich feststellen, dass das Loch von außen verschlossen war. Vielleicht waren in unmittelbarer Nähe Menschen, die mich retten konnten, aber ich traute mich nicht, um Hilfe zu rufen. Niedergeschlagen stieg ich wieder herab und verrichtete mit leichtem Unwohlgefühl mein Geschäft. Ich wusch mir die Hände und öffnete vorsichtig die Tür. Leise trat ich auf den Flur hinaus, in der Hoffnung, unbemerkt die Treppe emporsteigen zu können.

»Du kennst den Weg zurück, oder?« Die Stimme des Mannes ließ mich zusammenzucken. Er lehnte neben der Tür an der Wand und starrte abwesend vor sich hin.

Stumm nickte ich ihm zu und ging mit langsamen Schritten den Flur entlang. Ich betrat mein Zimmer und blieb gedankenverloren stehen. Das Zuschlagen der Tür erschreckte mich diesmal nicht. Die beklemmende Dunkelheit hatte wieder Besitz von mir ergriffen.

Ich tastete mich zu meinem Bett durch und setzte mich. Ich wollte mich gerade hinlegen, als ich das Knarren von Türscharnieren hörte. Das Geräusch kam nicht von meiner Tür, schien aber doch sehr nah zu sein und ich lauschte angespannt. Ich stand auf und ging zu der Wand zu meiner Linken. Unsicher legte ich das Ohr gegen die kühlen Steine. Das Geräusch von Schritten drang zu mir durch, gefolgt von leisen, unverständlichen Worten. War dort noch jemand? Jemand, der mir helfen konnte? Oder hatte dieses Schwein noch einen Komplizen?

Ich blickte an der Wand entlang und erkannte einen feinen, kaum sichtbaren Lichtstrahl, der in der hinteren Ecke vom Nebenzimmer aus in meinen Raum fiel. Mit schnellen Schritten eilte ich dorthin und ließ mich auf die Knie fallen. Der Verputz war an mehreren Stellen abgebröckelt und legte an dieser Stelle eine löchrige Fuge zwischen zwei Mauersteinen frei. Ich duckte mich tiefer und spähte mit dem rechten Auge durch die kleine Ritze. Enttäuscht stellte ich fest, dass der Riss viel zu klein war, um irgendetwas zu erkennen. Ich hörte wieder die Schritte im Nebenzimmer, dann wurde das Licht gelöscht und die Tür zugeschlagen.

Ich hielt für einen Moment den Atem an, doch die Schritte auf dem Flur entfernten sich wieder von mir. Ruckartig sprang ich auf und lief so schnell, wie es die Dämmerung zuließ, zu dem kleinen Tisch mit dem Tablett. Ich griff nach dem Löffel, betrachtete ihn und kehrte zurück in die hintere Ecke des Raumes. Dort hockte ich mich nieder und begann mit dem Stiel des Löffels in der Fuge herumzukratzen. Der Riss war jedoch so klein, dass ich es kaum schaffte, irgendwo richtig anzusetzen.

Ich wollte gerade aufgeben, als mir mehrere kleine Klumpen entgegenkamen. Hektisch stach ich mit dem Löffel in die Fuge hinein, um das Loch zu vergrößern. Doch nach wenigen Minuten musste ich einsehen, dass die Wand abgesehen von der einen, porös gewordenen Stelle äußerst massiv und stabil war. Ich hatte einen Riss freigelegt, der ca. einen Zentimeter hoch und drei Zentimeter lang war. Doch ohne Licht im Nebenzimmer war durch diesen Spalt nichts zu erkennen. Genau genommen wusste ich auch überhaupt nicht, was ich mir von dieser Aktion versprochen hatte. Wollte ich mal eben ein paar Mauersteine freilegen, um durch das Nebenzimmer in die Freiheit zu gelangen? Eine selten dämliche Idee. Ich säuberte den Löffel an meiner Bluse und legte ihn wieder neben den Teller.

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