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Das Bundesministerium für Gesundheit

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Zwei Tage später hatte Jakob ein Schriftstück in den Händen. Überschrift: „Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)“ Verfasst von Toms „Vertrautem“.

Neben dem Gesundheitswesen ist unser Ministerium, das BMG, auch für die gesetzliche Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zuständig. Unsere Arbeit verlief in der schwarz-roten Legislaturperiode von 2013 - 2017 relativ geräuschlos. Zumindest in der Öffentlichkeit. Dank der hohen Beschäftigung und dank der steigenden Beiträge zur Sozialversicherung wehte ein milder Wind um unser Ministerium. Der warme Wind umschmeichelte auch den gut gefüllten Geldtopf der gesetzlichen Krankenkassen und stimmte diese ausgeglichen und ungewöhnlich zurückhaltend.

Das Aufbegehren von Seiten der Krankenhäuser haben wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) von 2016 pariert. Anstatt die problematischen Strukturen anzugehen, haben wir einfach den Geldhahn aufgedreht. Die Zahlen dafür sehen so aus: 2017 haben wir den Krankenhäusern, auf ihre Grundfinanzierung, zusätzlich 1,8 Milliarden Euro draufgepackt, 2018 waren es 1,9 Milliarden. 2020 werden es schon über 2 Milliarden Euro extra Geld sein. Unser Gesetz soll den Anschein erwecken, dass wir überfällige Korrekturen in Gang setzen. Dazu einige Beispiele.

Strukturfonds: 500 Millionen Euro spendieren wir jährlich für die Absicht, die stationären Kapazitäten der Akutkrankenhäuser zu reduzieren. Der Strukturfonds soll dazu beitragen, die Krankenhausbetten entweder abzubauen oder in eine andere Nutzung zu übertragen. Spötter aus der Presse bezeichnen den Fonds als Abwrackfonds. Der Fonds greift aber nur dann, wenn sich die Bundesländer mit der gleichen Summe hälftig beteiligen. Das werden sie kaum tun. Auf die Bettenreduzierung werden alle getrost warten können. Wenn trotzdem erste Ergebnisse positiv bewertet wurden, dann wegen der Umwidmung in gewinnbringende Abteilungen.

Hygieneförderprogramm: 280 Millionen Euro gibt unser Ministerium für Hygienemaßnahmen. Verlängert auf drei weitere Jahre. Zusätzliches Geld für die Krankenhäuser, damit die Hygiene stimmt? Die Öffentlichkeit hat Recht, wenn sie erstaunt fragt, ob man ein Krankenhaus betreiben darf, ohne den Nachweis zu erbringen, dass die Hygiene einwandfrei ist?

Pflegestellenförderprogramm: Zu wenig Pflegestellen, der Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte. Dem galt es zu entgegnen. Gleich drei Pflegestärkungsgesetze haben wir in nur einer Legislaturperiode verabschiedet. Für die Einstellung zusätzlicher Pflegekräfte haben wir beim Bund Geld locker gemacht. Der Bund stellte 2017 bis zu 220 Millionen Euro zur Verfügung. Ab 2018 jährlich bis zu 330 Millionen. Auf welcher Basis wir den Bedarf errechnet haben? Das wissen wir selbst nicht. In den deutschen Krankenhäusern gibt es keinen Schlüssel für das Pflegepersonal.

Pflegezuschlag: Bevor wir das Gesetz geändert haben, gab es einen finanziellen Zuschlag auf die Fallpauschalen. Mit den Fallpauschalen wird bekanntlich die Krankenhausleistung von den Krankenkassen vergütet. Die Fallpauschalen sollen eigentlich die Personalkosten beinhalten. Offensichtlich sind die Fallpauschalen doch zu knapp bemessen. Ansonsten hätte es keinen Zuschlag geben müssen. Diesen, sogenannten Versorgungszuschlag, so hieß der bisher, haben wir einfach nur umbenannt. Wir nennen ihn jetzt Pflegezuschlag. Das klingt besser und besänftigt die Öffentlichkeit. Ist doch clever von uns, oder? Und schon haben wir Zusatzgeld für die Pflege ausgegeben. Zusätzlich zu den Entgelten für ihre Behandlungsfälle, erhalten die Krankenhäuser noch einmal bis zu 500 Millionen Euro jährlich. Dafür, dass sie ihr Pflegepersonal bezahlen können. Ich denke, dass die uns ganz schön gelinkt haben. Ihre Lobbyisten haben gute Arbeit geleistet und uns über den Tisch gezogen. Nur dafür, dass Ruhe im Krankenhaussektor besteht.

Unser Ministerium für Gesundheit war in der letzten Legislaturperiode nicht untätig. 25 Gesetzesvorhaben haben wir auf den Weg gebracht. Die wurden dann im Bundestag verabschiedet. Nicht immer so, wie wir es wollten. Nichtstun sieht sicher anders aus.

Die drängenden Themen haben wir jedoch nicht mit Biss angegangen. Drei „Pflegestärkungsgesetzte“, sind ein wortstarker Anspruch, aber kein mutiger Schritt. Ein bisschen Unterstützung für Pflegebedürftige und deren Familien, eine neue Definition des Pflegebegriffes und ein Versuch, die Pflegedienste besser zu kontrollieren. Ein paar Spritzer aus der Gießkanne, ein bisschen mehr Geld. Aber immer noch kein Personalschlüssel für die Pflege im Krankenhaus.

Neben den Gesetzen haben wir auch noch Verordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen. Bekanntlich ist unser Gesundheitswesen durch die Selbstverwaltung geprägt. Selbstverwaltung heißt, die anderen mitmachen lassen. Schließlich bestimmen wir die Gangart. So wollen wir das jedenfalls nach außen vermitteln. Also delegieren wir die Aufgaben an die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung. Sollen die sich doch rumschlagen!

Die Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft wurden von uns beauftragt, eine Untergrenze für Pflegestellen zu vereinbaren. Wie viele Patienten darf eine Schwester im Nachtdienst betreuen? Wie soll der Pflegeschlüssel auf der Intensivstation lauten? Erste Ergebnisse wollten wir schon 2018 sehen. Wir warten immer noch. Die Antwort dürfte klar sein: dafür ist kein Geld im System.

Auch in der Krankenhausplanung haben wir uns etwas Schlaues ausgedacht. Für die Überzahl der Krankenhäuser und Betten sind die Bundesländer verantwortlich. Die tun aber nichts, reduzieren nicht. Denen kommen wir mit Qualität bei, so unser Plan. Qualität zieht immer und kommt bei den Patienten gut an. Wir beauftragen die Selbstverwaltung, sogenannte Qualitätsindikatoren zu bestimmen. Also Merkmale zu definieren, mit denen man messen kann, ob beispielsweise eine Kniegelenkoperation einwandfrei gelungen ist. Oder so ähnlich. Wenn die Qualität schlecht ist, wird die Klinik, zumindest die operierende Abteilung, geschlossen. Basta! Und schon haben wir weniger Krankenhausbetten.

Noch so ein brennendes Thema, welches unser Ministerium berührt. Es wird zu viel operiert. Zu viel an den Hüften, den Knien, den Schilddrüsen, den Rachenmandeln, im Becken der Frauen, an den Herzkranzgefäßen, usw. Dem muss Einhalt geboten werden. Nicht mit Verboten, mit Meinung, mit Zweitmeinung. Zwei Ärzte haben nie die gleiche Meinung zu ein und derselben Erkrankung. Das wussten schon unsere Großeltern. Der Auftrag geht an unsere Selbstverwaltung.

Und wenn sie es nicht tun, die Akteure der Selbstverwaltung? Von wegen, nicht tun. Erst einmal steht es im Gesetz, zweitens gibt es Fristen. Und drittens gibt es die Ersatzverordnung. Dann bestimmen eben wir, was Sache ist. Erst dann? Ich frage mich, warum wir es nicht gleich selbst auf den Weg bringen?

Mein persönliches Fazit: Unser Ministerium bastelt und repariert im Kleinen. Weil im Augenblick Steuergeld da ist, versuchen wir mit Geld die Gemüter zu beruhigen. Ein Gesundheitssystem, das Jahrzehnte überdauern kann, ist das nicht.“

Stimmt, denkt Jakob. Dem kann er nicht widersprechen. Mit Gesundheit hat er sich bisher zwar nur am Rande beschäftigt. Doch dem Text des „Vertrauten“ von Tom pflichtet er spontan zu. Mit Geldgeschenken hier und dort lässt sich das Gesundheitswesen nicht wetterfest zurren. Und mit Delegieren auch nicht. Erste Gedanken fallen ihm spontan ein. Dem Gespräch mit Tom und seinem Vertrauten sieht er mit Spannung entgegen.

Wie zu erwarten fragt Tom sehr bald nach. „Jakob, hast du den Text gelesen? Konntest du damit etwas anfangen?“

„Ganz bestimmt. Meines Erachtens haben die Einiges auf den Weg gebracht.“

„Sie haben das Geld der Steuerzahler ausgegeben, nichts anderes“, sagt Tom.

„Das tun wir auch. Die Frage ist doch nur, ob wir das Geld richtig ausgeben.“

„Das ist die ewige Frage. Ich mache einen Vorschlag. Wir treffen uns bei mir. Ich koche eine Pasta und wir reden. Der Typ, der dir den Text geschickt hat, möchte anonym bleiben. Kein Name, kein Treffen in der Öffentlichkeit.“

„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht auf Verschwörungen stehe“, erwidert Jakob.

Manchmal kann er die Hartnäckigkeit von Tom nicht gut haben. Seine forsche Vorgehensweise, das Drängen auf schnelle Entscheidungen, überhaupt das Ansinnen, ihn auf einen Ministerposten zu hieven, hat nach wie vor einen Beigeschmack. So sei das eben in der Politik, lautete Isabells Statement. Ohne Seilschaften kein Fortkommen. Dem kann Jakob zwar beipflichten, doch seine Rolle als gezogener gefällt ihm überhaupt nicht.

Es ist einer der nicht so häufigen Abende, die sie gemeinsam verbringen. Isabell holt Jakob mit ihrem Porsche im Ministerium ab. Porschefahren ist ihre Leidenschaft. Zum bestandenen Abitur hat Isabell ihren ersten Porsche geschenkt bekommen. Den gebrauchten Porsche ihres Vaters. Ihre Eltern waren zu dieser Zeit in einer Krise und hatten sich ziemlich entfremdet. Ihr Vater war mehr im Ausland als zuhause. Von Familienharmonie konnte keine Rede sein. Und ihren Vater sah Isabell nur gelegentlich. Vielleicht war der geschenkte Porsche ein Ersatz für entgangene Nähe.

Am Kauf des zweiten Porsche beteiligte sich Isabell mit selbst verdientem Geld. Damals war sie noch nicht eng mit Jakob liiert. Ihre freie Zeit verbringt Isabell oft mit einer Freundin, Lara. Sie hatten sich beim Kauf des zweiten Porsche kennengelernt. Sportliches Fahren gehört in Laras Familie zum Alltag, zum Beruf. Laras Vater ist Inhaber einer Autowerkstadt. Einer Werkstadt für Sportwagen. Zu seinem Geschäft gehört der Handel mit jungen Gebrauchten und auch mit Neuwagen. Sein Kundenkreis ist ziemlich ambitioniert. Frauen und Männer, die schnelle Autos lieben. Neben ihrem Alltag und ihrem Beruf. Wegen der Schönheit der Sportwagen, der Eleganz, der Schnelligkeit oder einer Kombination von allem. Von Anfang an begleitet Isabell ihre Freundin Lara zu kleinen Autorennen, Bergfahrten oder Zeitfahrten. Nichts für Profis, sondern für Liebhaber und Enthusiasten. Manchmal fährt Isabell selbst und Lara sitzt auf dem Beifahrersitz. Dass die beiden auch mal die Plätze tauschen, ist ihrer Sympathie und ihrer Vertrautheit geschuldet. Die hält an, als Jakob wieder in das Leben von Isabell eintritt.

Jakob und Isabell waren sich anlässlich eines Interviews sehr nahegekommen. Isabell arbeitete als Redakteurin bei dem Sender, für den sie heute als Moderatorin eine Leuchtturmfunktion einnimmt. Das Interview mit Jakob hatte Isabell beachtliche Aufmerksamkeit im Sender beschert. Ihr Fragestil hatte dazu geführt, dass Jakob einen politisch brisanten Vorgang bestätigte, der damals nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Zumindest aus der Sicht seiner Partei. Das brachte ihm Beachtung in den Medien ein, aber auch massive Kritik aus seiner Partei. Für Jakob war es eine schwere Zeit. Er stand für seine Aussage gerade, aus Überzeugung. Seine Partei warf ihm Verrat und Illoyalität vor. Hardliner in der Partei wollten ihn abschießen. Jakob widerstand den Anfechtungen aus den eigenen Reihen. Vielleicht auch mit Unterstützung von Isabell. Die Welle war hochgeschlagen und wurde aus den verschiedensten Richtungen in Bewegung gehalten. Isabell trat gezielten Falschmeldungen vehement entgegen. Die Offenheit von Jakob hatte ihr einen Punkt im Sender gebracht. Sie schätzte seine Geradlinigkeit und erkannte die niedrigen Beweggründe seiner Widersacher. In mehreren Telefonaten entwickelte sie mit Jakob eine Gegenstrategie, die sie zusammen erfolgreich einsetzten. Die Wogen glätteten sich.

Heute verbringen sie den gemeinsamen Abend in Isabells Wohnung. Auf der Hinfahrt haben sie Sushi to go bei Isabells bevorzugtem japanischem Restaurant abgeholt. Sushi ist ein Zugeständnis an den Geschmack von Isabell, nicht an den von Jakob.

„Ich habe heute das Papier von Toms Mann aus dem Gesundheitsministerium gelesen.“

„Was steht drin?“, fragt Isabell und macht gleichzeitig mit den Stäbchen ein Fragezeichen in der Luft.

„Es ist der Tätigkeitsnachweis aus einer Legislaturperiode. Mit einer gehörigen Portion Selbstkritik und Skepsis aus der Sicht des Verfassers. Willst du mehr wissen?“

„Nein. Ihr habt doch das Treffen mit Tom. Heute ist unser Tag, ich meine unsere Nacht. Vergiss deine Politik. Morgen darfst du wieder.“

Sie stand auf und ging ins Bad.

Der Gesundheitsminister

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