Читать книгу Der Gesundheitsminister - Ulrich Hildebrandt - Страница 6

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)

Оглавление

Toms „Vertrauter“ aus dem Ministerium, Bernd, hat wieder ein Papier mit ähnlichem Umfang gemailt.

Jakob liest.

Nach dem Bundesministerium für Gesundheit ist der G-BA die zweithöchste Instanz des deutschen Gesundheitswesens. Von Spöttern auch „Oberster Sowjet des Gesundheitswesens“ genannt. Den G-BA gibt es seit dem 1. Januar 2004. Das ist auch das Einführungsjahr der Fallpauschalen, der DRGs.

Im Sozialgesetzbuch V, § 92 heißt es: „Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten.“

Die Institution G-BA hat nicht nur eine irritierende Bezeichnung, gemeinsamer Bundesausschuss, wofür eigentlich, sondern auch eine bizarre Aufgabenstellung. Der G-BA soll grob formulierte Gesetze aus unserem Ministerium in die Praxis umsetzen. Diese Delegation der Ausführung von Gesetzen wird noch fragwürdiger, wenn man sich ansieht, wie der G-BA zusammengesetzt ist und vor allem, wie das Stimmrecht zugeteilt ist. Dem Ausschuss gehören an:

5 Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

2 Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG), 2 Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), 1 Vertreter der Zahnärzte.

3 unparteiische Vorsitzende

5 Patientenvertreter

Zwei Parteien stehen sich gegenüber:

Auf der einen Seite stehen die Vertreter aller gesetzlichen Krankenkassen. Sie werden als Kostenträger bezeichnet. Gemeinsam haben sie 5 Stimmen.

Auf der anderen Seite, ebenfalls mit 5 Stimmen, stehen die kaufmännischen Vertreter der Krankenhäuser und die Vertreter der niedergelassenen Ärzte und der Zahnärzte. Als Leistungserbringer bezeichnet.

Dazwischen, quasi als Vermittler oder Schiedsrichter, agieren die drei unparteiischen Vorsitzenden des G-BA mit zusammen 3 Stimmen.

72 Millionen gesetzlich Krankenversicherte werden durch die 5 Vertreter von Patientenorganisationen repräsentiert. Aber ohne Stimmrecht!

Vollkommen unberücksichtigt sind 195 000 Krankenhausärzte. Das haben die scheinbar noch gar nicht bemerkt. Protestiert hat noch keiner von denen.

Im Gegensatz dazu, haben 150 000 Kassenärzte, vertreten von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stimmrecht.

Ist das die gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen? Nein, es ist die Interessensvertretung der Krankenkassen, der Krankenhausträger und der niedergelassenen Kassenärzte. Sie entscheidet, wie die Gelder des Gesundheitsfonds, jährlich 215 Milliarden Euro, untereinander aufgeteilt werden.

Das ist so, als würde der Bundesjustizminister die Mafia und die Anwaltskammer gemeinsam beauftragen, die Ausführungsbestimmungen von Strafgesetzen praxistauglich auszugestalten.

Um die Arbeit des G-BA zu unterstützen, wurde 2004 eigens ein Institut gegründet. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Seinen Auftrag beschreibt das Institut auf der Internetseite wie folgt:

Das IQWiG hat unter anderem den gesetzlichen Auftrag, Vor- und Nachteile von medizinischen Verfahren zu bewerten, also zum Beispiel verschiedene Arzneimittel und Operationsverfahren untereinander zu vergleichen. Dafür suchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes in der internationalen Fachliteratur systematisch nach Studien, in denen die gefragten Beispiele beschrieben sind.“

Braucht man dafür ein eigenes Institut? Das Gleiche machen doch wissenschaftliche Assistenten und Doktoranden an den Universitätskliniken. Ohne dafür extra bezahlt zu werden.

Die Rolle des G-BA, in unserem Auftrag gesetzliche Vorgaben in Normen und Richtlinien umzusetzen, hat für alle Bundesländer Gültigkeit. Möchte man meinen. Die bayerische Gesundheitsministerin stellt klar, dass für Bayern alles nicht gilt, was der G-BA in Berlin entscheidet. Womit sie nichts Anderes sagt, als dass Bayern von dem Sonderrecht, das sich die Bundesländer ausbedungen haben, Gebrauch macht. Bundesrecht über Landesrecht, gilt auch hier wieder einmal nicht. Der hoch gepriesene Föderalismus, die Dominanz der Länder in Gesundheitsangelegenheiten, macht Alleingänge möglich.

Da fragt man sich schon, welchen Sinn es macht, dass der G-BA Qualitätsindikatoren für Krankenhäuser festlegt, die die Länder nicht annehmen müssen. Sollten doch die Qualitätsindikatoren mitentscheiden, ob Krankenhäuser im Krankenhausplan der Länder enthalten bleiben, oder aus ihm herausfallen.

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) von 2016 hat unser Ministerium dem G-BA ein weiteres vorgebrütetes Ei ins Nest gelegt. Die Qualität einer Krankenhausleistung, zum Beispiel einer Operation, hat etwas damit zu tun, wie oft sie in dem Krankenhaus durchgeführt wird. Was man oft macht, geht leichter von der Hand. Oder, etwas formeller, das Volumen bestimmt den Outcome. Das ist eine Lebensweisheit. Bei Operationen ist das nicht anders, schließlich stehen medizinische Handwerker am Operationstisch. Daher gilt schon seit langem, dass ein Krankenhaus komplexe Operationen an der Speiseröhre oder an der Bauchspeicheldrüse nur dann durchführen darf, wenn im Krankenhaus mindestens 10 solcher Operationen im Jahr anfallen. Zehn ist weniger als eine Operation pro Monat, wahrlich kein hoher Anspruch. Diese Mindestmengen gab es bisher für fünf weitere Organbereiche. Eingehalten wurden sie bei weitem nicht. Das haben wir erkannt und den G-BA beauftragt, im Zuge seiner Qualitätsoffensive, einen neuen Katalog zu erstellen. Darin soll festgelegt sein, welche Operationen in welcher Anzahl von einem Krankenhaus zu erbringen sind. Bleibt das Krankenhaus unter den Vorgaben des G-BA, dann erhält es kein Geld mehr für die benannten Operationen.

Die AOK hat 2017 aus ihren Versichertendaten herausgefiltert, was es bedeutet, ob die gleiche Operation selten oder oft durchgeführt wurde. Sie hat sich die Ergebnisse von Schilddrüsenoperationen näher betrachtet. Patienten, die in einem Krankenhaus operiert wurden, welches, verglichen mit allen anderen, die geringste Anzahl an Schilddrüsenoperationen hatte, mussten mit einem hohen Komplikationsrisiko rechnen. Das Risiko eine Stimmbandlähmung zu erleiden war 110 % höher als in einem Krankenhaus, das von allen anderen die meisten Schilddrüsenoperationen durchgeführt hat.

Unser Auftrag an den G-BA, Mindestmengen für bestimmte Operationen festzulegen, erscheint plausibel. Erscheint aber auch nur so. Durch die Einräumung von Ausnahmen, explizit aus unserem Ministerium, werden die Vorgaben aufgeweicht. Welche Lobbyisten oder welche Länderminister am Werk waren, sagt natürlich keiner aus unserem Haus. „Um unbillige Härten insbesondere bei nachgewiesener, hoher Qualität unterhalb der festgelegten Mindestmenge zu vermeiden“ soll der G-BA definieren, wann Ausnahmen erlaubt sind.

Also, es wird eine Regel entworfen, die aber nicht eingehalten werden muss. Über das Erreichen der Mindestmenge wird hinweggesehen, Hauptsache die Ergebnisse sind gut. Das ist also die neue Definition von Qualität im Krankenhaus.

Auf einem weiteren Gebiet kommt der G-BA mit seiner Arbeit nicht richtig voran. Im Juni 2015 verabschiedete der Bundestag das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG). In dem Gesetz wurde für Patienten der Rechtsanspruch auf eine Zweitmeinung bei planbaren Leistungen postuliert. Weil „die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist.“ Planbare Leistungen sind zum Beispiel Operationen. Ein gängiges Beispiel ist die Knieprothese bei Verschleiß des Gelenkes. Das Gesetz soll verhindern, dass der Patient eine Knieprothese bekommt, die er gar nicht braucht. Wie schon gesagt, der Gesetzgeber „macht“ grob formulierte Gesetze, die von Nachgeordneten feingetunt werden müssen. Auch in diesem Fall wurde der G-BA von uns beauftragt, zu bestimmen, bei welchen planbaren Eingriffen der Anspruch auf eine Zweitmeinung besteht. Immerhin wurde im Gesetz schon mal festgelegt, dass die Zweitmeinung nicht in dem Krankenhaus eingeholt werden darf, in dem die Operation vorgenommen werden soll.

Nach zweijähriger Beratung kommt der G-BA im Herbst 2017 tatsächlich zu einem Ergebnis. Die Zweitmeinung soll möglich sein, wenn die Operation erstens an Gaumen- oder Rachenmandeln und zweitens an der Gebärmutter ansteht.

Das soll es gewesen sein? Was ist mit Operationen am Herz, an der Lunge, den Blutgefäßen, dem Magen, dem Darm, den Gelenken, etc. Alles so eindeutig, so klar, dass kein Patient eine zweite Meinung einholen darf?

Spätestens jetzt müsste der Gesetzgeber auf den Plan kommen und widersprechen. Was unsere Aufgabe ist. Das kann es doch unmöglich gewesen sein. Ein Auftrag von uns an die Selbstverwaltung, ein lächerliches Ergebnis als Antwort. Wer nimmt hier wen nicht ernst? Der G-BA den Gesetzgeber nicht? Oder beide, G-BA und Gesetzgeber, die Patienten nicht.

Während der G-BA noch beriet waren andere schon weiter. Der private Asklepios-Konzern bietet Patienten die Zweitmeinung eines Arztes an, der in einem anderen Krankenhaus des Konzerns arbeitet. Des Konzerns, wohl gemerkt. Wenn die Zweitmeinung aus dem Konzern kommt, dann kann ja auch nichts schiefgehen. Zumindest für den Konzern nicht. Funktioniert doch, bei den Privaten, die Zweitmeinung aus dem Konzern.

Stolz verkündete der G-BA, dass er eine weitere Aufgabe des Gesetzgebers erfüllt habe. Abgabedatum war zwar der 31.12.2016. Es hat eben gedauert, bis zum 19.4.2018. Dann war es raus. Das gestufte System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern. Drei Stufen, jede macht ein bisschen mehr und jede verdient ein bisschen mehr. Das Dauern soll sich für die Versicherten gelohnt haben. Suggeriert jedenfalls das Ergebnis in Schlagworten: sichere Erreichbarkeit, verbesserte Qualität und zielgenaue Finanzierung. Wie die zielgenaue Finanzierung aussieht, ist allerdings noch offen. Weil das der G-BA nicht festlegt. Weil es die Vertragspartner, die Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. erst noch aushandeln müssen. Das kann dauern. Von den 1 748 allgemeinen Krankenhäusern, also Krankenhäusern ohne spezielle Ausrichtung, sollen etwa 1. 200 finanzielle Zuschläge erhalten. Zuschläge für ihre qualifizierte Notfallversorgung. 36 Prozent der Krankenhäuser erhalten nichts, sind raus. Eigentlich nicht schlimm, sagt der G-BA. Die haben doch nur 5 Prozent der Notfälle behandelt. Soll das bedeuten, dass die Patienten in Zukunft mit 5 % weniger Behandlungsfehlern rechnen können? Das wäre doch etwas.“

Was für ein Paket, denkt sich Jakob. Komprimiert und voller Fakten, die ihm so nicht bekannt sind. Kompetenzgerangel zwischen dem Bundesgesundheitsministerium, den Ländern und dem G-BA. Und am Ende noch eine zynische Abschlussbemerkung. Weil 5 Prozent der Notfälle nicht mehr in abgehängten Krankenhäusern behandelt werden dürfen, könnten die Patienten mit 5 Prozent weniger Komplikationen rechnen.

Jakob ruft umgehend Tom an. „Bernd, dein Vertrauter, ist mit der Arbeit seines eigenen Ministeriums unzufrieden. Ich höre aus seinem Papier heraus, dass ihm die Ergebnisse des G-BA hochgradig missfallen.“

„Es freut mich, dass du das auch so siehst. Es ist nicht nur die Trägheit des G-BA, es ist auch das Mitbestimmungsrecht der Bundesländer, das ihm aufstößt. Die Länder machen uns jede Gesetzesinitiative stumpf, sagt Bernd.“

„Dafür haben wir den Föderalismus. Vergiss das nicht. Um den werden wir beneidet.“

„Wenn Föderalismus bedeutet, dass sich die Länder Sonderrechte um jeden Preis erkämpfen, dann ist das nichts anderes als Missbrauch. Ein Stück Verhandlungsbeute zurück ins eigene Bundesland bringen, das kann doch nicht das Ansinnen der Gründungsväter gewesen sein. Ein kleiner Sieg zum Schaden des großen Ganzen. So nicht.“

„Da gebe ich dir Recht“, antwortet Jakob. „Wenn wir das Gesundheitswesen auf die Zukunftsspur bringen wollen, dann müssen wir Länder übergreifende Strukturen schaffen.“

„Dafür haben wir dich bestimmt.“

„Einfach so gesagt. Übrigens, ich finde, dass die Verantwortungslinie zwischen dem Gesundheitsministerium und dem G-BA nicht klar definiert ist. Die Aufträge aus dem Ministerium sind vage. Und der G-BA hat viel zu viel Zeit für die Ausführung seiner lauen Ergebnisse. Was willst du da schon bewegen können?“

„Nichts. Die sogenannten Kostenträger, nämlich die Krankenkassen und die sogenannten Leistungserbringer, die Krankenhäuser und die Praxisärzte, verteidigen ihre Pfründe. Das nennt sich dann Selbstverwaltung. Und darauf sollen wir stolz sein.“

„Sind wir nicht. Merkwürdig ist auch das Verhalten der Krankenhausärzte. Eine sehr träge Masse. 195 000 Krankenhausärzte tolerieren, dass sie kein Stimmrecht im G-BA haben. Die geringere Anzahl, nämlich die 150 000 Kassenärzte, bestimmen das Geschehen im Gesundheitswesen mit. Verstehst du das?“

„Ich verstehe vieles nicht. Übrigens behaupten die Krankenhäuser, dass sie die Interessen ihrer angestellten Ärzte mitvertreten würden“, antwortet Tom.

„Mitvertreten? Das lassen wir uns noch erklären. Sagtest du nicht, dass du leitende Krankenhausärzte kennst?“

„Stimmt, wir lassen uns aufklären. Ich kenne einen kritischen Chefarzt. Ein Typ, der sich nicht in medizinische Belange reinreden lässt. Ein Charaktertyp. Der hat so einige Kontroversen mit seinem Träger ausgefochten. Den laden wir ein.“

„Noch so ein Mysterium in der Struktur des G-BA ist das fehlende Mitbestimmungsrecht der gesetzlich versicherten Patienten. 72 Millionen Krankenversicherte haben kein Stimmrecht, wohl aber um die einhundert Krankenkassen. Was ist das? Demokratie, gemeinsame Selbstverwaltung oder nichts von beiden?“

„Die Antwort erübrigt sich“, antwortet Tom. „Der G-BA ist ein lobbyistischer Haufen in Reinkultur, gezogen an einer langen Leine des Bundesgesundheitsministeriums. Dieser Haufen hat den Istzustand im deutschen Gesundheitswesen zu verantworten. So langsam wird dir der Sinn unseres Anliegens bewusst. Ich zähle auf dich.“

Isabell ist an diesem Wochenende mit Lara auf Tour. Ein Bergrennen im Schwarzwald steht an. Zur eigenen Überraschung hat Jakob keine Termine. Keine Veranstaltung seiner Partei, keine Einladung, kein Medientermin, einfach nichts. Mit nichts kann Jakob am wenigsten anfangen. Eigentlich könnte er Isabell und Lara in den Schwarzwald begleiten. Isabell muntert ihn jedes Mal auf mitzukommen. Einmal war Jakob tatsächlich dabei. Ihn fasziniert, mit welcher Intensität Isabell vom Redaktionsstress auf die Konzentration im Sportwagen umschalten kann. Teils amüsiert, teils mit Bewunderung verfolgte er die Begeisterung der beiden Freundinnen. Jetzt fährt Isabell öfter selbst die Rennen, Lara kümmert sich um das Drumherum, vor allem um den Porsche. Um Siege geht es bei diesen Rennen nie. Es ist das Glück, eine Aufgabe bewältigt zu haben, sagt Isabell. Und in Lara habe sie eine äußerst versierte Partnerin. Die Zeit mit Lara, die Beherrschung des Porsche am selbst gewählten Limit, das alles sei für sie Loslösung vom Alltag und die Bewältigung spannender neuer Herausforderungen.

Der Gesundheitsminister

Подняться наверх