Читать книгу Nachtschwester - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 15

Оглавление

Kathrine Bjerkes Stiefvater war Schlachter. Er leitete die Frischfleischabteilung im Supermarkt Meny im großen Einkaufszentrum City Drøbak. Das lag nur einige Kilometer von der Schnellstraße entfernt. Cato Isaksen fuhr am Zentrum vorbei und machte dann einen Abstecher in den Ort. Es war ein grauer Tag. Die Luft war feucht, und der Nebel kam vom Meer hereingetrieben. Cato Isaksen fuhr bis zu dem alten Fähranleger, dort wendete er und fuhr auf demselben Weg wieder zurück. Drøbak war eine anziehende und pittoreske kleine Stadt. Er fuhr durch eine schmale Straße mit vielen alten Holzhäusern. Dann erreichte er einen Verteilerkreis und bog von dort auf den Parkplatz des Einkaufszentrums ab.

Dann bahnte er sich einen Weg durch den Haupteingang. Überall wimmelte es von Menschen. Junge Mütter mit Kinderwagen, Männer, Frauen, ältere Ehepaare. Jugendliche und kleine Kinder. Eigentlich hasste er Einkaufszentren. Er ging an dem kleinen Café vorbei und suchte sich den Supermarkt.

Dort drehte er erst einmal eine Runde, um sich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen, und landete schließlich hinten vor dem Fleischtresen. Er beugte sich über die Theke und fragte eine üppige Frau von Mitte fünfzig, ob er mit Tage Wolter sprechen könne. Die Frau flüsterte ihm zu, Tage Wolter sei nicht im Hause.

«Er ist heute bei seiner Freundin zu Hause. Das ist alles so schrecklich. Ich weiß ja nicht, ob Sie wissen, was passiert ist?»

«Doch, sicher», sagte Cato Isaksen und bedankte sich für diese Auskunft.

«Sie sind von der Polizei, nicht wahr?», fragte die Frau neugierig. Er nickte kurz. Sicher waren auch schon Kollegen aus Follo und von der Kripo hier gewesen.

Er schaltete in den Rückwärtsgang und verließ den Parkplatz. Beim Golfplatz bog er nach rechts ab und fuhr ein Stück weiter, dann hielt er vor dem Haus, in dem er und Roger vor einigen Tagen mit Helena Bjerke gesprochen hatten.

Tage Wolter selbst öffnete die Tür. Er nickte kurz und teilte bedauernd mit, seine Freundin sei nicht zu Hause. «Sie ist spazieren», sagte er auf Schwedisch.

«Ich wollte auch eigentlich mit Ihnen reden», sagte Cato Isaksen freundlich und betrachtete den großen, gut aussehenden Mann.

Tage Wolter bat ihn herein und berichtete, seine Freundin sei wieder auf ihrer Suchrunde unterwegs.

«Sie verbringt jeden Tag Stunden damit», sagte er und schaute demonstrativ auf die Uhr. Kathrine Bjerkes Stiefvater hatte halblange graue Haare. Er trug einen eleganten schwarzen Rollkragenpullover und Jeans. Er sprach Schwedisch, durchsetzt mit norwegischen Wörtern und Ausdrücken.

«Sie helfen ihr also nicht beim Suchen?»

«Sie möchte lieber allein sein», sagte Tage Wolter, führte den Ermittler ins Wohnzimmer und bot ihm einen Sessel an.

Auf dem Couchtisch standen schmutzige Tassen und Teller. Zeitungen und Zeitschriften stapelten sich auf dem Boden. Es war ganz deutlich, dass diese Familie keine Zeit zum Aufräumen hatte.

Schwerer Rauchgeruch hing im Raum. Cato Isaksen setzte sich auf das abgenutzte Ledersofa und beschloss, gleich zur Sache zu kommen.

«Wie sieht Ihr Verhältnis zu Kathrine aus?», fragte er.

Der Stiefvater, der jetzt ihm gegenüber in einem braunen Ledersessel saß, schlug müde ein Bein über das andere. Er zuckte ganz leicht mit den Schultern und musterte den Ermittler mit einem bedrückten Blick.

«Schwer zu sagen», sagte er. «Ich hatte wohl kein besonderes Verhältnis zu ihr. Leider», fügte er hinzu. «Sie wissen doch, kichernde Mädels in dem Alter. Die sind nicht so leicht im Umgang.»

Cato Isaksen blickte ihn wortlos an. Sie schwiegen ziemlich lange.

Tage Wolter betrachtete seine großen Hände. Er schluckte zweimal, ehe er dem Ermittler wieder ins Gesicht schaute.

«Wenn Sie glauben, es sei so verdammt leicht, ein Stiefkind zu haben, dann irren Sie sich», sagte er ernst.

«Damit kenne ich mich aus», sagte Cato Isaksen beruhigend und lächelte.

Tage Wolter achtete nicht auf dieses Lächeln. «Ich wollte es ja versuchen. Sie sollte mich mögen. Das will man doch. Ich mag doch ihre Mutter. Sie war neun, als ich Helena kennengelernt habe. Die war damals frisch geschieden, mit mir hatte das nichts zu tun. Dass sie Kathrines Vater verlassen hat, meine ich.»

Der Stiefvater rutschte unruhig hin und her. Er fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut.

«Wie lange dauert dieses Gespräch», fragte er dann. «Ich bin um zwei Uhr oben im Laden mit einem Lieferanten verabredet.»

«Sie arbeiten in der Frischfleischabteilung?»

«Ich bin ausgebildeter Schlachter», sagte Tage Wolter stolz.

Cato Isaksen musterte ihn ruhig. Der andere sah seine Hände an.

«Was glauben Sie, was Kathrine passiert ist», fragte er und betonte dabei das «Sie». «Glauben Sie, dass sie tot ist?»

Tage Wolters Hände bewegten sich unruhig. Er antwortete nicht sofort, er starrte nur etwas über der Schulter des Ermittlers an. Cato Isaksen drehte sich um. Dort war nichts zu sehen.

«Ich weiß nicht so recht, was ich glauben soll», sagte Tage Wolter endlich. Er breitete die Hände aus. «Irgendwas muss doch passiert sein. Sie kann ja nicht einfach so verschwinden.» Er schnippte demonstrativ mit den Fingern.

«Können Sie Kathrine ein wenig genauer beschreiben?»

«Kathrine ...», Tage Wolter zögerte kurz, «sie konnte durchaus schwierig sein», sagte er langsam. «Aber nein ... sie war ja auch vernünftig. Auf irgendeine Weise stark. Diese Spekulationen, dass sie vielleicht Selbstmord begangen haben könnte ...» Er schüttelte energisch den Kopf. «Das hat sie bestimmt nicht getan. Da bin ich mir ziemlich sicher. So war sie nicht.»

Cato Isaksen registrierte, dass er «war» sagte, nicht «ist». Tage Wolter hatte vielleicht selbst nichts mit dem Fall zu tun, aber auf jeden Fall hielt er Kathrine für tot.

Als habe Tage Wolter die Gedanken des Kommissars gelesen, sagte er plötzlich: «Sie haben sie doch überall gesucht, Polizei und Rotes Kreuz und die Freiwilligen. Sie haben sogar Taucher eingesetzt, am Hafen unten im Ort. Aber das wissen Sie natürlich alles.»

Cato Isaksen nickte. Für einen Moment glaubte er, der Stiefvater werde in Tränen ausbrechen.

«Nein», sagte der dann hart und riss sich zusammen. «Aber etwas muss ja passiert sein», sagte er dann noch einmal und stand auf.

«Was ist mit Kenneth Hansen?» Cato Isaksen ließ sich im Sessel zurücksinken. Vor dem Fenster war noch immer alles grau.

«Ein Trottel», sagte der Stiefvater hart. «Ein Nichtsnutz.» Er ließ sich wieder in den Sessel sinken. «Hat nicht mal die Grundschule beendet. Aus dem wird nie was.»

«Die Mutter sagt, er will Tischler werden.»

«Ach, das will er also. Ich weiß ja nicht, ob er etwas mit der Sache zu tun hat, aber wenn ich ehrlich sein soll, und das soll ich wohl, dann würde mich das eigentlich nicht wundern.»

«Darf ich fragen, wo Sie an dem Abend waren, an dem Kathrine verschwunden ist?»

«Aber sicher.» Tage Wolter sah plötzlich erschöpft aus. «Wir waren beide hier», sagte er dann rasch. «Helena war müde. Sie hatte einen harten Arbeitstag hinter sich. Und ich auch. Der Supermarkt hat ja bis neun Uhr offen, deshalb bin ich immer erst gegen halb zehn zu Hause. Ich war verärgert, weil Kathrine nicht nach Hause kam. Wir konnten ja nicht ins Bett gehen. Sie ist doch erst vierzehn. Helena war auch ziemlich ärgerlich», fügte er hinzu.

«Helena hat erzählt, dass Sie ein Boot haben?» Cato Isaksen wusste, dass Fragen nach Booten und Autos oft die Stimmung auflockerten.

Tage Wolters Gesicht hellte sich auf. «Ein Viknes 24», sagte er stolz. «So ein überdachtes Kunststoffboot. Es liegt hier unten im Hafen.»

«Es ist also den ganzen Winter im Wasser?»

«Ja, das ist kein Problem.»

«Wie heißt es?»

«Amora.»

Cato Isaksen nickte und sagte, das sei ein schöner Name. «In der Nacht, in der Kathrine verschwunden ist und Sie sie gesucht haben, haben Sie da auch im Boot nachgesehen?», fragte er.

«Ja. Helena wollte das unbedingt. Ich hatte zuerst den Ernst der Lage nicht begriffen. Ich war einfach nur wütend auf Kathrine. Dass sie sowas anstellte. Einfach nicht nach Hause kam. Ja, ich war außer mir.»

«Warum begleiten Sie Helena nicht auf diesen Suchgängen?»

Tage Wolter zuckte gleichgültig mit den Schultern. «Das will sie nicht.»

«Warum nicht?»

«Ja, warum nicht. Wie schon gesagt. Sie ist dabei wohl lieber allein», sagte er.

Nachtschwester - Ein Norwegen-Krimi

Подняться наверх