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Die Rettung der Schmerzen

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Nur was man gründlich gespürt hat, kann man auch gründlich vergessen. Körperliche Schmerzen vergißt man im allgemeinen schneller und gründlicher als seelische. Man vergißt etwa Zahnschmerzen relativ bald, aber es scheint eine Art Datenbank für solche speziellen Schmerzen zu geben, von der man die entsprechenden Empfindungen abrufen und sich vergegenwärtigen kann.

Anders verhält es sich mit den Wehen. Ich würde gar nicht sagen, daß sie sehr weh tun, wie ihr Name es nahelegt, aber sie haben etwas entschieden Gründliches, die Wehen.

Frauen, die ihre Kinder ohne Narkose geboren haben, werden bestätigen, daß man sich die Schmerzen, die durch die Wehen hervorgerufen werden, nach relativ kurzer Zeit einfach kaum mehr richtig vorstellen kann. Es ist eine spezielle Art von Erlebnis, an das man sich bald nicht mehr genau erinnert, danach bleibt nur das undeutliche Gefühl von großer Anstrengung.

Nur bei unserem ersten Kind kann ich mich tatsächlich noch ganz konkret an die Wehen erinnern, und das habe ich meiner damaligen Hebamme zu verdanken, und ihrer Vorliebe für eine populäre Sportart.

Ich hatte das Buch „Mutterwerden ohne Schmerz“ gelesen. Darin werden die Wehen als „Kontraktionen“ bezeichnet, um gleich einmal die Vorstellung, daß es wehtun muß, auszuräumen. Dann sind noch bestimmte Atemtechniken beschrieben, mit deren Hilfe die Geburt schmerzfrei würde.

Das macht allerdings die Unterstützung und Anwesenheit des Partners im Kreißsaal erforderlich. Mein Mann und ich, bestens durch dieses Buch vorbereitet, mußten die Hebamme um ihre Erlaubnis fragen – es war damals noch nicht üblich, daß Väter bei Geburten dabei waren.

Sie war zunächst sehr empört über die Vorstellung einer schmerzfreien Geburt, sie empfand das wohl als berufsschädigend. Dann zog sie das Durchhaltevermögen meines Mannes in Zweifel: er werde bestimmt umkippen. „Bestimmt nicht“ – mein Mann bot ihr eine Wette an, und das gab den Ausschlag. Wetten gefiel ihr. Und, wie ich die nächsten zwei bis drei Stunden mit wachsendem Ärger feststellen mußte: Fußball. Fußball war ihr Haupt-, Leib- und Magenthema. Mein Mann war praktisch zu ihrer Unterhaltung da, und mußte mitreden, ob er wollte oder nicht – sonst hätte sie ihn womöglich weggeschickt.

Und so kam es, daß der Gerd Müller ein Tor ums andere schoß, die meisten ziemlich unhaltbar, wie ich in allen Details erfuhr, während ich mit meinen „Kontraktionen“ kämpfte. Damals hätte ich die beiden Fußballfans am liebsten auf den Mond geschossen.

Aber diese von Lobeshymnen auf Müller und von ausufernden Interpretationen dramatischer Spielsituationen begleiteten Wehen sind tatsächlich die einzigen, die ich mir heute noch vergegenwärtigen kann. Bei der Geburt unserer beiden anderen Kinder gab es – leider – nichts, was mich derart auf die Palme und zur Erinnerung gebracht hätte.

Nicht gleich hab ich so über die sportliche Begleitung meiner Wehen gedacht. Ich hab es sogar eine Zeit lang richtig bedauert, daß die Fußballunterhaltung meine Erinnerung ‘stört’, fast als ob sie mir dadurch verdorben wäre.

Erst später, als ich merkte, daß die Wehen ohne sportliche oder andere Zwischenfälle unwiderruflich dem Vergessen anheimfallen, fing ich an, die Dinge in einem milderen Licht, und schließlich mit Dankbarkeit zu sehen.

Ich schau mir inzwischen sogar Bundesligaspiele an, manchmal.

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