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Der erste Christbaum

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Ich war ungefähr vier Jahre alt, als ich das erste einer Reihe von Weihnachtsfesten erlebte, an das ich mich heute noch erinnern kann. Besser gesagt: es ist der Christbaum, der mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben ist – vom Heiligen Abend hab ich nur so ein undeutliches Singen im Ohr, das aber durchaus von einem späteren Weihnachten herübergerutscht sein kann. Aber der Baum, der steht noch genau wie damals vor mir in seiner ganzen geheimnisvollen Pracht.

Er leuchtet nicht im Schein von Kerzen, wie das gewöhnlich die erinnerten Christbäume tun, sondern er steht in der Morgendämmerung, vom Engelshaar eingehüllt, und das Lametta glänzt verhalten darunter hervor. Undeutlich sind – in verschiedenen Grautönen, wie schwebend – Kugeln zu erkennen die schon schwach die Farben mitklingen lassen, die im Tageslicht und noch mehr im Kerzenlicht am Abend ihr volles Spektrum zeigen würden.

Besonders intensiv ist sein Duft – und ich glaube, davon bin ich aufgewacht. Jedenfalls spüre ich noch deutlich in mir das Gefühl, daß nahe bei mir irgend etwas Geheimnisvolles sein muß, das diesen einzigartigen Duft verströmt. Was kann das sein? Vorsichtig mache ich die Augen auf, da steht der Christbaum dicht vor mir. Er schaut fremd aus und doch so, als wäre er schon immer dagewesen.

Eigentümlich fern stand er da, wie in eine Wolke gehüllt, und doch zum Greifen nah.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich nicht doch träumte – aber da fiel ein Kissen herunter. Ich hatte mich anscheinend bewegt, und jetzt merkte ich, daß ich auf zwei Stühlen lag, die zusammengerückt worden waren. Verwandte waren ja zu Besuch, und ich durfte im Wohnzimmer schlafen, beim Christbaum.

Mir fällt wieder ein, wie ich am Abend die Vorstellung hatte, es sei gar nicht möglich, einzuschlafen mit dem Christbaum im Zimmer, der unaufhörlich duftete und auch in der Dunkelheit umrißhaft zu erkennen war. Hier und da hatte ich sogar ein Glitzern gesehen, als ob der Baum lebendig wäre und sich bewegte.

Ich war dann doch eingeschlafen, und jetzt war es noch sehr früh.

Ich schaute die ganze Zeit zum Christbaum, so etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Meine Cousine, ein paar Jahre älter als ich, hatte gesagt, jedes Jahr zu Weihnachten werde so ein Baum geschmückt und später ‘abgeräumt’. ‘Abgeräumt'! Das klang so gräßlich! Ich konnte mich an keinen anderen geschmückten oder abgeräumten Baum erinnern. Das ärgerte mich.

Ich dachte an zurückliegende Ereignisse – vielleicht käme der Christbaum vom vorigen Jahr zum Vorschein, wenn ich nur lange genug in meinem Gedächtnis nachforschte? Aber ich kam nicht einmal ganz bis zum Sommer, und auch das nur lückenhaft.

Ab diesem gescheiterten Versuch, mich zu erinnern – unter dem Christbaum, der meine erste Weihnachtserinnerung ist, datiert meine manieristische Phase der Erinnerungen

Ich nenne so die Jahre, in denen ich bei Geschehnissen oder Eindrücken, die ich bemerkenswert fand, immer den Impuls in mir spürte: „Das will ich mir gut merken, daran will ich mich unbedingt erinnern!“ – und dazu den Zweifel, ob mir das auch gelingen würde.

Vieles behielt ich tatsächlich im Gedächtnis, wie ich es mir gewünscht und vorgenommen hatte.

Als ich zehn Jahre war, durfte ich mit meinen Eltern nach Italien fahren. In der Abenddämmerung kamen wir in C. an – gerade war ein Gewitter abgezogen.

Das Wetterleuchten, das wir – in der angenehm kühlen Abendluft vor dem Panorama des Gebirges stehend – bewundern konnten, fand ich einfach großartig. Immer wieder wurden durch die fernen Blitz-Lichter die Silhouetten der Berge hervorgehoben, um gleich darauf von dem immer dunkleren Abend wieder verschluckt zu werden.

Die Erinnerung ist tatsächlich immer noch da – zugleich aber auch etwas anderes. Ich fühle heute noch, wenn ich an diese Fahrt zurückdenke, wie mein Herz klopft, überwältigt von der Schönheit dieser fast traumartigen Szenerie, und wie ich mir dabei atemlos und unhörbar befehle: „Du mußt dir das alles ganz genau merken, hörst du?“- und dazu spüre ich noch immer meinen Zweifel, ob es mir auch gelingen würde.

Die Formen der Berge, die Farben des Himmels, das entfernte Leuchten der Blitze, auch das Rauschen der Bäume nahe an dem Vorsprung, auf dem ich mit meinen Eltern stand, und – nicht zu vergessen – die Sterne, die in den Wetterleuchtpausen oben am Himmel sich zeigten – in meiner Erinnerung ist beides gleich scharf erhalten, die Schönheit dieses Abends und mein Ehrgeiz, nichts davon zu vergessen.

Diese Erinnerungs-Sucht störte mich mit der Zeit immer mehr – und irgendwann hatte ich sie überwunden.

Mit der Zeit wurde mir auch klar, daß die Auswahlprinzipien des Gedächtnisses nicht so leicht erkennbar sind. Manches, an das ich mich erinnerte, fand ich kindisch, oder sogar peinlich. Ich hätte es nicht in meine ‘Sammlung’ aufgenommen, aber es hing eben nicht nur von mir ab. Entscheidend waren oft Kleinigkeiten, irgend etwas Verblüffendes, Lächerliches oder auch eine Boshaftigkeit.

Im Keller ist es dunkel

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