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2 Juni

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Va­le­rie hat es nicht ei­lig. Sie lebt al­lein mit ih­rer Kat­ze. Ab­ge­se­hen von ih­ren Be­su­chen im Ver­lag hat sie einen ein­sa­men Job.

Sie schreibt Lie­bes­ro­ma­ne, ob­wohl sie an die Lie­be nicht mehr glaubt, seit sie ein Tee­n­a­ger war, und die Ko­lum­nen, die sie in ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten un­ter­bringt, han­deln nicht von Lie­be, son­dern von de­ren Nicht­vor­han­den­sein. An Aben­den wie die­sem gönnt sie sich Aus­gang. Sie zieht um die Häu­ser, geht in ihre Stamm­knei­pe, ins The­a­ter und ge­le­gent­lich in die Oper oder be­sucht eine Le­sung. Al­lein oder in Ge­sell­schaft.

Wie hieß noch der klei­ne ver­schla­fe­ne Kerl? Ben? Auf die Idee, ein Klein­kind in die Nacht mit­zu­neh­men, konn­te nur ein Mann kom­men. Sein Sohn? Viel­leicht. Hat das Kind denn kei­ne Mut­ter? War­um geht mir die­ser Mann nicht aus dem Kopf?

Ihr Taxi hält vor ei­nem ho­hen Stadt­haus. Ein Alt­bau, vor Jah­ren re­no­viert, wie vie­le der Häu­ser hier. Oft mit Hinter­hö­fen, man­che be­pflanzt und zu idyl­li­schen Gär­ten oder Spiel­plät­zen um­funk­tio­niert.

Wo ist der ver­flix­te Haus­sch­lüs­sel? Sie wühlt blind in ih­rer Ta­sche, bis sie das küh­le Me­tall spürt. Hin­ter sich hört sie ge­dämpft den Ver­kehr. Ge­läch­ter aus of­fe­nen Fahr­zeu­gen, von den Bal­ko­nen der um­lie­gen­den Häu­ser. Die Nacht ist noch nicht zu Ende. Mu­sik und der süße Duft von Phlox er­fül­len die Luft.

Be­vor sie auf­schlie­ßen kann, öff­net sich die Haus­tür. Ein jun­ger Mann hält ihr die Tür auf und ver­schwin­det gruß­los in der Dun­kel­heit. Im ers­ten Stock kracht eine Tür mit lau­tem Knall zu. Sie fragt sich, war­um das Paar noch zu­sam­men­lebt. Kein Tag ver­geht ohne laut­star­ke Aus­ein­an­der­set­zun­gen.

Sie steigt in den zwei­ten Stock, öff­net ihre Tür und hängt den Schlüs­sel­bund an den da­für vor­ge­se­he­nen Ha­ken da­ne­ben. Ein lei­ser Plumps. Gleich dar­auf streicht die Kat­ze um ihre Bei­ne. Nach­dem sie die San­da­len von den Fü­ßen ge­schüt­telt hat, nimmt sie die Kat­ze auf den Arm und geht mit ihr in die Kü­che. Sie steckt die Nase in ihr Fell. Lie­ber die Kat­ze als Ma­gnus. Er hat das Tier bei ihr ge­las­sen, er selbst hat den Auf­wand nicht ge­lohnt. Sie drückt die Kat­ze an sich.

Va­le­rie liebt ihre Woh­nung, ihr Al­lein­sein. Sie ist nicht da­für ge­macht, mit je­man­dem zu­sam­men­zu­le­ben. Die Woh­nung ist groß­zü­gig ge­schnit­ten und mehr als spar­sam mö­bliert. Ein be­que­mer Ses­sel. Ein paar Sitz­mö­bel von an­ge­sag­ten De­si­g­nern. Kü­che und ein gro­ßes Wohn­zim­mer ge­hen in­ein­an­der über, ein se­pa­ra­tes Schlaf­zim­mer, ein klei­nes Gäs­te­zim­mer. In al­len Räu­men brennt Licht. Sie lässt es an, wenn sie die Woh­nung ver­lässt.

Jetzt öff­net sie eine Dose für die Kat­ze und sieht ihr, ge­gen den Kü­chen­tre­sen ge­lehnt, eine Wei­le beim Fres­sen zu.

Auf der Ar­beits­plat­te liegt das fer­ti­ge Ma­nu­skript ne­ben dem Dru­cker. Mor­gen wird sie es in den Ver­lag brin­gen. Ge­ra­de noch ge­schafft. Die Ab­ga­be­ter­mi­ne sind streng ge­tak­tet. Das neue Buch soll zur Buch­mes­se im Ok­to­ber her­aus­kom­men. Sie streicht über den Ti­tel und sieht, dass der An­ruf­be­ant­wor­ter blinkt. Sie lässt ihn blin­ken, dann drückt sie ent­schlos­sen auf eine Tas­te. Lö­schen. Ihr Ver­lag, ihre Mut­ter oder Ma­gnus. Auf kei­nen von ih­nen ist sie scha­rf.

Sie holt den Weiß­wein aus dem Kühl­schrank, schenkt sich ein Glas ein und ver­lässt die Kü­che. Die Fla­sche nimmt sie mit. Va­le­rie öff­net die Bal­kon­tür. Sie ist kei­ne Blu­men­lieb­ha­be­rin, aber sie liebt den Duft von Kräu­tern. Wei­ßer Thy­mi­an, Ma­jo­ran, Zi­tro­nen­me­lis­se, Ba­si­li­kum und Ros­ma­rin wach­sen üp­pig in gro­ßen grau­en Kü­beln. Be­que­me Stüh­le, ein Tisch und eine brei­te Lie­ge. Sie lehnt am Ge­län­der und trinkt einen Schluck. Im Glas er­kennt sie ihr Spie­gel­bild. Sie weiß nicht, wie lan­ge sie hier steht. Um sie her­um ist es still.

»Wir ge­hen schla­fen«, ver­kün­det sie der Kat­ze.

Die Kat­ze sitzt be­we­gungs­los auf dem Tisch und fi­xiert sie. Nur die Schwanz­spit­ze zuckt. Als Va­le­rie im Bett liegt, starrt sie die De­cke an und denkt an Ma­gnus. Sie war­tet auf den Schmerz, aber da ist nichts, sie ver­misst ihn nicht, kei­ne Trau­er, kein Ge­fühl. In ihr bleibt es still.

Über das Bild von Ma­gnus schiebt sich ein an­de­res. Adam. Ver­flucht, war­um ist sie nicht ein­fach weg­ge­lau­fen, als sie ihn im Foy­er der Fa­brik­hal­le ent­deckt hat?

Du weißt, war­um.

Die Ähn­lich­keit die­ses Man­nes mit Sa­mu­el, ih­rer ers­ten und ein­zi­gen Lie­be, war frap­pie­rend, hat­te ihre Knie weich wer­den las­sen. Auch wenn sich beim Nä­her­kom­men die Ähn­lich­keit ver­lo­ren hat­te. Die An­zie­hungs­kraft war ge­blie­ben. Das Ge­fühl, die­sen Mann zu ken­nen. An die Stuhl­leh­ne ge­klam­mert, hat­te sie sich set­zen müs­sen. Nie mehr hat­te sie ge­fühlt wie da­mals, bis heu­te.

Du bist ge­flo­hen, wie du im­mer fliehst, wenn es um Ge­füh­le geht, denkt sie.

Va­le­rie wird vom Te­le­fon ge­weckt. Stöh­nend zieht sie sich ihr Kis­sen über den Kopf. Um die­se Uhr­zeit kann nur es eine sein. Ihre Mut­ter.

»Va­le­rie, ich weiß, dass du da bist.«

War­um ruft die­se Frau im­mer so früh an? Für sie be­steht doch kei­ne Ver­an­las­sung, zu nacht­schla­fen­der Zeit aus dem Bett zu sprin­gen. Ihre Mut­ter hat kei­nen Be­ruf, sie muss das Haus nicht ver­las­sen wie die Mehr­zahl ih­rer Ge­schlechts­ge­nos­sin­nen. Sie be­rich­tigt sich, war­um rufst du über­haupt an, Mut­ter?

Sie selbst hat einen An­lass auf­zu­ste­hen, jetzt. Ein Ter­min mit ih­rer Lek­to­rin im Ver­lag. Auf ih­rem Weg ins Bad füllt sie Was­ser und Fut­ter für die Kat­ze in zwei Näp­fe und setzt Kaf­fee auf. Nach dem zwei­ten An­ruf ih­rer Mut­ter an die­sem Mor­gen nimmt sie nun doch ab.

»Grace hier. End­lich«, hört sie ihre Mut­ter, als ob sie es nicht wüss­te. Für Va­le­rie ist sie im­mer nur Grace, Mut­ter ma­che sie alt.

»Ich bin in Eile.« Sie mus­tert sich im Spie­gel.

»Das bist du im­mer.«

»Ich habe einen Be­ruf.«

»Du schreibst, das ist et­was an­de­res. Ich möch­te euch zum Abend­es­sen se­hen.«

»Wen meinst du mit euch. Soll ich die Kat­ze mit­brin­gen?«

Va­le­rie hört ihre Mut­ter ein­at­men.

»Sei nicht al­bern.«

Wenn ich in dei­ner Ge­gen­wart et­was nicht füh­le, Mut­ter, ist es der Wunsch, al­bern zu sein.

Dann Grace Stim­me: »Was ist denn mit Ma­gnus? Er ist rei­zend und so gut er­zo­gen.«

»Das ist die Kat­ze auch. Wir ha­ben uns ge­trennt. Die Kat­ze hat er da­ge­las­sen.«

»Kannst du nicht ein­mal einen Mann hal­ten?« Grace dehnt das ein­mal the­a­tra­lisch. »Ich neh­me an, dass du nicht mehr lan­ge frucht­bar bist?«

Va­le­rie holt tief Luft. »Ich bin zwei­und­drei­ßig, nicht hun­dert. Im Ver­lag er­war­tet man mich.«

»Eine Frau muss einen Mann fin­den, be­vor sie völ­lig ab­sto­ße…«

Va­le­rie knallt den Hö­rer auf die Sta­ti­on und fragt sich, war­um die Ge­sprä­che mit ih­rer Mut­ter im­mer zu ei­nem Schlag­ab­tausch ge­lin­gen. Die Kat­ze ver­schwin­det mit ein­ge­klemm­tem Schwanz un­ter ei­nem Ses­sel. War­um är­gert sie sich im­mer wie­der über ihre Mut­ter? Aber na­tür­lich weiß sie es. Sie ist über­grif­fig und so takt­los, dass sie je­des Mal zu­sam­men­zuckt.

Va­le­rie läuft die Stu­fen hin­ab, zieht die Haus­tür hin­ter sich zu und steigt in das war­ten­de Taxi. Ihr Ma­nu­skript hat sie un­ter den Arm ge­klemmt, eine Um­hän­ge­ta­sche über der Schul­ter. Da die Da­tei längst bei Ruth liegt, ist es nicht nö­tig, es mit­zu­neh­men, aber sie will noch ein paar Stel­len, die sie mar­kiert hat, mit der Lek­to­rin be­spre­chen. Sie starrt blick­los aus dem Fens­ter. Erst als das Taxi den Mit­tel­weg über­quert, um über die Als­ter­chaus­see den Ha­r­ve­ste­hu­der Weg an­zu­steu­ern, wird sie wach. Sie muss sich auf die kom­men­den Ge­sprä­che kon­zen­trie­ren.

Das recht­e­cki­ge Ge­bäu­de des Ver­la­ges Neu­mey­er & Roth liegt in ei­nem schö­nen par­k­ähn­li­chen Ge­län­de an der Au­ßen­als­ter. Ruth er­war­tet sie. Die Chef­lek­to­rin ist längst zu ei­ner Freun­din ge­wor­den. Sie hat von An­fang an ihre Ro­ma­ne be­treut.

»Wie im­mer ein paar Mi­nu­ten zu spät.« Ruth um­armt sie. »Macht nichts, der Kaf­fee kommt gleich. Der Chef will dich nach­her auch noch se­hen, aber erst­mal ma­chen wir uns an die Ar­beit.« Sie lacht und zieht sie in ihr Büro.

Va­le­rie legt ihr Ma­nu­skript auf den aus­la­den­den Schreib­tisch und lässt sich stöh­nend in einen Ses­sel fal­len. »Mei­ne Mut­ter«, klagt sie.

»Was hat sie wie­der an­ge­stellt?«

Statt ei­ner Ant­wort fragt sie: »Bin ich ei­gent­lich schon völ­lig ab­sto­ßend?«

Ruth lacht ihr Laus­bu­ben­la­chen und nickt. »Du siehst gräss­lich aus.«

Was sie sieht, ist al­les an­de­re als reiz­los. Eine at­trak­ti­ve, er­folg­rei­che Frau, die nicht ahnt, wie ver­füh­re­risch sie ist. War­um weiß Va­le­rie das nicht?

»Wie kommst du jetzt da drauf?«

Va­le­rie schil­dert den mor­gend­li­chen An­ruf.

»War­um te­le­fo­nierst du über­haupt noch mit ihr?«

Va­le­rie steht auf und tritt ans Fens­ter. Sie blickt auf die glit­zern­de Als­ter und auf die im Son­nen­licht kreu­zen­den wei­ßen Se­gel. Auf die­se Fra­ge weiß sie kei­ne Ant­wort. Sie hat sie sich selbst schon tau­send­mal ge­stellt.

Die Füchsin

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