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5 Juli

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Adam stu­diert alte Re­zep­te. In der Nacht, wenn Ben fest schläft, sitzt er über sei­nen Bü­chern. Sein kost­bars­ter Be­sitz ist ein ab­ge­grif­fe­nes schwa­r­zes Büch­lein mit der schlich­ten Auf­schrift Gift-Buch. Kein ge­druck­tes Buch, son­dern eine Klad­de, hand­ge­schrie­ben von 1534. Er liest: Step­pen­rau­te, Toll­kir­sche, Queck­sil­ber, Gift­pil­ze, Gei­fer und Gal­le von Gift­tie­ren. An Be­täu­bungs­mit­teln (me­di­ci­nae stu­pe­fac­to­riae) nennt der Ver­fas­ser: Bil­sen­kraut, Al­rau­ne, Opi­um, Gift­lat­tich und Mohn; die­se tö­ten nur bei Über­do­sie­rung. Sehr be­ru­hi­gend, denkt er.

Adam schaut auf, als Bel­la ein lei­ses Knur­ren von sich gibt. In den Ju­li­näch­ten wird es nicht wirk­lich dun­kel. Adam legt sein Heft zur Sei­te und tritt ans ge­öff­ne­te Fens­ter. Viel­leicht ein Fuchs oder ein an­de­res Tier, das sich an sei­nem Haus vor­bei­s­tiehlt. Bel­la sieht auf­merk­sam zu ihm auf.

Ist da ein Schat­ten, eine ver­stoh­le­ne Be­we­gung? Eine Wei­le bleibt er noch am Fens­ter ste­hen, aber nichts rührt sich.

»Da ist nichts, Bel­la«, sagt er.

Die Hün­din trot­tet zu­rück zum Tisch und lässt sich seuf­zend auf den küh­len Stein­bo­den fal­len. Adam nimmt eine an­ge­bro­che­ne Fla­sche Gavi aus dem Kühl­schrank, schenkt sich ein Glas ein und geht da­mit an den Kü­chen­tisch. Er setzt die Kopf­hö­rer auf und lauscht dem un­fass­bar sü­ßen So­pran der Sän­ge­rin: »Por­gi Amor … Hör mein Flehn, o Gott der Lie­be …«

Er denkt an die Frau ohne Na­men. Sie hat sich in sei­ne See­le ge­brannt. Im­mer wie­der hört er sie lei­se la­chen. Sieht ih­ren for­schen­den Blick.

Seit er Ben bei sich hat, ist Adam oft al­lein. Es über­rascht ihn, wie sehr ihm die­ses Le­ben ge­fällt. Sein Han­dy leuch­tet auf. Chris­ti­na! Auf dem Bild­schirm er­scheint ihr Ge­sicht. Das Foto hat er selbst ge­macht. Sie lacht ihn an, ihr lan­ges Haar flat­tert im Wind und ver­schwimmt im glei­ßen­den Gelb des Raps­fel­des im Hin­ter­grund. Er hat sie nicht ver­ges­sen, sie passt nur nicht mehr in sein Le­ben. Kei­ne Frau der Welt hält einen Mann aus, auf des­sen Hüf­te oder Schul­tern über Wo­chen ein klei­nes Kind hockt. Das hat sie ihm bei ih­rer letz­ten Be­geg­nung sehr deut­lich ge­macht. Er setzt die Kopf­hö­rer ab und nimmt den An­ruf an.

»Adam, bist du das?« Ihre Zun­ge stol­pert.

Sie ist be­trun­ken, denkt er. »Chris­ti­na.«

»Ich will dich wie­der­se­hen.«

Er denkt an die letz­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen. »Ich glau­be, das ist kei­ne gute Idee.«

»Aber ich ver­mis­se dich.«

Die­ses an­de­re Ge­sicht schiebt sich über das Chris­ti­nas, nicht so jung, aber fas­zi­nie­rend. Das Ge­sicht ei­ner Frau, die so prä­sent ist wie kei­ne, die er kennt. Er hört sie lei­se la­chen, die Na­men­lo­se. Ihr glän­zen­des Haar. Sein Puls be­schleu­nigt sich.

»Adam, bist du noch dran?«

»Was?«

»Ich könn­te mor­gen zu dir raus­fah­ren. Lass uns re­den.«

Er gibt nach. Dann legt er auf. Es ist fair, denkt er, mit ihr zu re­den.

Adam starrt auf das Han­dy. Ei­gent­lich weiß er, dass es nichts mehr zu sa­gen gibt. Als er auf­schaut, steht Ben in der ge­öff­ne­ten Kü­chen­tür.

Adam nimmt den Jun­gen auf den Arm und geht mit ihm zum Fens­ter. Sie se­hen bei­de hin­aus auf die Ap­fel­wie­sen. Ein durch­sich­ti­ger Schlei­er aus Dunst liegt über al­lem. Die frü­hen Äp­fel sind reif.

»Mor­gen pflü­cken wir Äp­fel, Ben.«

Der Jun­ge nickt ver­stän­dig.

»Und jetzt ge­hen wir bei­de schla­fen.«

Adam legt Ben in das alt­mo­di­sche Dop­pel­bett, in dem sei­ne El­tern schon ge­schla­fen ha­ben. Als er ins Bett kriecht, spürt er Bens tas­ten­de Hand auf sei­nem Ge­sicht. »Ich bin da, mein Klei­ner.«

Gleich dar­auf hört er Bens ru­hi­ge Atem­zü­ge.

Auf dem Die­len­bo­den lei­ses Kla­cken von Bel­las Kral­len. Ein Mann, ein Jun­ge und ein klei­ner Hund. Mit den Ge­dan­ken an die Ar­beit mor­gen schläft er ein.

Das Rat­tern des Trak­tors weckt Adam in der Frü­he. Er hält di­rekt vor der Haus­tür.

Das muss Han­nah sein. Han­nah ist Hin­nerks Toch­ter. Sie ist neun­zehn. Ein hüb­sches, kräf­ti­ges Mäd­chen, das nie weit über die Marsch hin­aus­ge­kom­men ist. Sie ist ei­gen­wil­lig und wiss­be­gie­rig. Ihr Va­ter hält sie für schwer er­zieh­bar. Seit dem Tod der Mut­ter ver­sorgt sie ih­ren Va­ter und hilft Adam bei der Ern­te. Hin­nerk ist ihm dank­bar, dass er sei­ne Toch­ter be­schäf­tigt. Han­nah kennt sich aus mit Pflan­zen und weiß, wie man Äp­fel pflückt, ohne den Baum zu be­schä­di­gen. Al­ler­dings ist ihm ihre An­häng­lich­keit manch­mal zu viel.

Lei­se steht er auf. Ben schläft zu­sam­men­ge­rollt wie ein Wel­pe. Adam steigt in sei­ne Ho­sen und läuft ba­r­fuß zur Tür.

Han­nah schenkt ihm ein strah­len­des Lä­cheln. Der Wind zerrt an ih­rem wei­ten Blau­mann und reißt ihr fast das Tuch vom Kopf. »Moin, Adam.«

»Moin, Han­nah.«

Er hebt den Kopf. Wei­ße Som­mer­wol­ken zie­hen schnell über den Him­mel. »Wenn wir Glück ha­ben, hält das Wet­ter.« Adam be­grüßt auch die bei­den Män­ner, die vom Trak­tor sprin­gen.

»Piet, Jan.«

»Moin.«

»Fangt auf der hin­te­ren Wie­se an und nehmt den Hän­ger aus der Scheu­ne. Ich bin in ei­ner hal­b­en Stun­de bei euch.«

Ben wird gleich auf­wa­chen. Adam geht in die Kü­che, setzt Kaf­fee­was­ser auf und nimmt Jo­ghurt und Milch aus dem Kühl­schrank. Da­nach schält er einen Ap­fel und schnei­det ihn in klei­ne Stü­cke. Die Milch füllt er in einen Be­cher. Jo­ghurt und Ap­fel­stü­cke mischt er in ei­ner Schüs­sel und gibt eine Hand­voll Ro­si­nen dar­über.

»Dada!« Ben nennt ihn sel­ten beim Na­men.

Adam lä­chelt. Dada klingt wie eine Mi­schung aus Papa und Adam.

»Moin, Klei­ner. Aus­ge­schla­fen?« Er nimmt Ben auf den Arm und geht mit ihm ins Ba­de­zim­mer. Die Win­del ist seit ein paar Ta­gen tro­cken. Er wagt nicht, es an­zu­spre­chen, des­halb fragt er ihn: »Möch­test du eine neue Win­del ha­ben?«

»Ne!« Ben schüt­telt ener­gisch den Kopf.

»Gut.« Adam nimmt Bens win­zi­ge Latz­ho­sen und hilft ihm beim An­zie­hen.

»Ap­fel flü­cken?« Ben schaut ihn fra­gend an. Er hat es nicht ver­ges­sen, und er hat ge­spro­chen.

Das wird ein gu­ter Tag, denkt Adam.

»Erst früh­stü­cken, dann ar­bei­ten«, sagt er.

Die Füchsin

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