Читать книгу Die Füchsin - Ursula Tintelnot - Страница 6

4 Juni

Оглавление

Va­le­rie klopft, war­tet aber nicht auf ein Her­ein, be­vor sie die Tür öff­net. Vik­tor sitzt hin­ter sei­nem rie­si­gen, un­auf­ge­räum­ten Schreib­tisch. Das Büro ist an­ge­nehm kühl. Er er­hebt sich und schließt sein zwei­fel­los nicht von der Stan­ge ge­kauf­tes Ja­ckett, als sie ein­tritt.

Wie gut er aus­sieht, denkt sie.

Mit ei­nem kaum un­ter­drück­ten Ta­del in der Stim­me sagt er: »Du hast es mal wie­der ge­schafft, uns alle in Atem zu hal­ten.«

Va­le­rie ver­zieht die Lip­pen.

»Das hält dich so un­ver­schämt jung.«

Sie strahlt ihn an. Sie weiß, dass er sich är­gert, wenn sie Ter­mi­ne nicht ein­hält.

Er geht drei Schrit­te auf sie zu, küsst sie auf den Mund und legt eine Hand be­sitz­er­grei­fend auf ih­ren Rü­cken. »Wann se­hen wir uns mal wie­der au­ßer­halb die­ses Bü­ros? Ich könn­te heu­te in der Stadt blei­ben.«

Zu forsch für ih­ren Ge­schmack. Sie löst sich von ihm und nimmt Platz auf dem Stuhl vor sei­nem Schreib­tisch. Das gibt ihr die nö­ti­ge Di­stanz. Sie will sich nicht noch ein­mal mit ihm ein­las­sen. Er war nichts als eine Af­fä­re, re­det sie sich ein, und doch hat die Tren­nung von ihm Spu­ren hin­ter­las­sen. Sie will nicht an sei­ne Frau und sei­ne Kin­der den­ken. Ihr fällt den­noch die wei­ße Vil­la an der Elb­chaus­see ein, mit ei­nem traum­haft schö­nen Blick auf die Elbe. Va­le­rie hat kein schlech­tes Ge­wis­sen. Sie lä­chelt. Ihre mo­ra­li­schen Stan­dards sind nicht ge­ra­de an­ti­quiert. Wenn sie ehr­lich ist, zieht sie Af­fä­ren mit ver­hei­ra­te­ten Män­nern vor. Sie re­den nicht über ihre Er­obe­run­gen und ge­hen nach an­ge­mes­se­ner Zeit wie­der. Nichts von Dau­er.

»Wie geht es dei­ner Frau und den Kin­dern?«, fragt sie, statt sei­ne Fra­ge zu be­ant­wor­ten.

»Ich hab’s ver­stan­den«, sagt er lä­chelnd. »Wie geht es dei­nem Kat­zen­mann?«

Nur noch Kat­ze, kein Mann, denkt sie. Sie ant­wor­tet nicht.

Er nimmt das neue Ex­posé vom Tisch. »Du bist ja flei­ßig. Ich lese es durch. Hat Ruth es schon ge­se­hen?«

»Wir ha­ben kurz dar­über ge­spro­chen.« Va­le­rie weiß, wie viel Vik­tor von der Mei­nung sei­ner Chef­lek­to­rin hält. Ruth hat ein gu­tes Ge­spür für die The­men der Zeit und eine untrüg­li­che Nase, was bei Va­le­ries Le­se­r­in­nen an­kommt.

Er nimmt einen Bo­gen Pa­pier aus ei­ner Schub­la­de und legt einen Fül­ler dar­auf. Va­le­rie un­ter­schreibt einen wei­te­ren Ver­trag.

Vik­tor be­ob­ach­tet sie beim Schrei­ben. Sie sieht be­zau­bernd aus, denkt er, und sie ist ver­dammt an­zie­hend. Va­le­rie ist ei­nes der Zug­pfer­de sei­nes Ver­la­ges. Je­des ih­rer Bü­cher wird zum Best­sel­ler. Sie be­sitzt eine ge­schlif­fe­ne Spra­che, und ihre Tex­te sind vol­ler Hu­mor. In­ter­es­sant ist die Dis­kre­panz zwi­schen den Ro­ma­nen und den Ar­ti­keln, die sie in ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten ver­öf­fent­licht. Dort ver­wan­delt sie sich in eine Zy­ni­ke­rin, die zwei­felt, fragt und ver­blüf­fen­de Zu­sam­men­hän­ge auf­deckt. Er liest sie aus­nahms­los.

»Dan­ke«, sagt er, als sie das Pa­pier über die Tisch­plat­te reicht. »Sagst du mir et­was über den In­halt?«

»Nein.«

Va­le­rie er­hebt sich. Der schma­le Rock ih­res är­mel­lo­sen Lei­nen­klei­des lässt nur die Fes­seln se­hen. Beim Ge­hen öff­net er sich bis zu den Kni­en. Vik­tor er­hebt sich eben­falls. Sie ist be­reits an der Tür, als er sie er­reicht.

»Lies es durch«, sagt sie, »und sag mir, was du da­von hältst.«

Vik­tor nimmt ihre Hand und haucht einen Kuss dar­auf.

»Mach ich. War schön dich zu se­hen.«

Va­le­rie ver­lässt das Ver­lags­haus. Sie geht lang­sam den Ha­r­ve­ste­hu­der­weg ent­lang. Zu ih­rer Lin­ken glit­zert die Als­ter im Son­nen­licht. Se­gel­boo­te.

Eine Post­kar­te, denkt sie, biegt in die Als­ter­chaus­see ein, über­quert den Mit­tel­weg und läuft bis zur Hal­ler­stra­ße. Die Gär­ten und Häu­ser nimmt sie kaum wahr. Am U-Bahn­hof gibt sie auf. Die neu­en Riem­chen­san­da­len drü­cken und sind nicht halb so be­quem, wie sie aus­se­hen.

»Paul­sen­platz«, ächzt sie, wirft sich in die Pols­ter des Ta­xis und löst die Riem­chen an ih­ren Fü­ßen.

»Bleibt es da­bei?« Der Ta­xi­fah­rer grinst.

»Ver­spro­chen«, sagt sie.

Den Nach­mit­tag ver­bringt sie auf dem Bal­kon. Die Pflan­zen duf­ten und glän­zen vor Näs­se. Sie träumt von ei­nem küh­len Glas Wein, ei­nem Stück Käse am Abend nur mit ih­rer Kat­ze. Aber sie ist mit Ruth ver­ab­re­det.

Va­le­rie trifft ihre Freun­din in der wei­ten Hal­le, in der auch die Le­sung vor ei­ni­gen Ta­gen statt­ge­fun­den hat. Ruth hat Kar­ten für ein afri­ka­ni­sches Tanz­the­a­ter in der Fa­brik. Tanz in­ter­es­siert sie nicht, sie geht ih­rer Freun­din zu­lie­be mit. Ruths Arm­rei­fen klir­ren, wenn sie ihr Glas zum Mund führt. Sie ste­hen an der The­ke, wo man in der Pau­se oder nach der Vor­füh­rung ein Glas Wein oder Pro­sec­co trin­ken kann.

»Er­war­test du je­man­den?« Ruth sieht sich um.

»Nein. Wie kommst du dar­auf?«

»Weil du mich den gan­zen Abend über noch nicht an­ge­se­hen hast. Statt­des­sen hast du die­sen su­chen­den Blick.«

Va­le­rie hat tat­säch­lich an ihn ge­dacht. Viel­leicht kommt er ja öf­ter hier­her?

Sie spürt eine leich­te Wär­me auf den Wan­gen und be­schließt, die hal­be Wahr­heit zu er­zäh­len. Dann denkt sie, dass es über­haupt kei­ne Wahr­heit gibt, kei­ne hal­be und auch kei­ne gan­ze. Un­wil­lig über sich selbst schüt­telt sie den Kopf.

»Also was ist?« Ruth lässt nicht lo­cker.

»Gar nichts. Ich habe bei der Le­sung neu­lich hier einen Mann ge­se­hen.«

»Aha.« Ruths Brau­en fah­ren in­ter­es­siert in die Höhe. Arm­rei­fen und Ket­ten klin­geln bei je­der Be­we­gung.

Sie sieht aus, als habe sie sich für die­sen Abend mit bun­ten Per­len und Rei­fen folk­lo­ris­tisch auf­ge­peppt, aber es steht ihr gut. Ruth kann al­les tra­gen, und sie ist un­be­streit­bar sexy. Kein Mann, der nicht einen Blick ris­ki­ert, denkt Va­le­rie.

Sie sieht an ih­rem ei­ge­nen schlich­ten schwa­r­zen Kleid hin­ab. Dazu trägt sie eine lan­ge schma­le Sil­ber­ket­te und rote Pumps. An ihr klin­gelt nichts. Sie lä­chelt. Ruth sen­det Si­gna­le an ihre Um­ge­bung: Hey Leu­te, hier spielt die Mu­sik. Und das tut sie mit Er­folg.

»Er war etwa zwei Jah­re alt«, sagt Va­le­rie jetzt »und saß auf dem Schoß sei­nes Va­ters. Ich neh­me je­den­falls an, dass es sich um den Va­ter han­del­te. Kei­ne Ah­nung, wir ha­ben nicht mit­ein­an­der ge­spro­chen.«

Sie weiß nicht, war­um sie Ruth ver­schweigt, dass sie doch mit­ein­an­der ge­spro­chen ha­ben. Es ist nicht wich­tig, denkt sie. War­um kann sie sich dann an je­des Wort er­in­nern? Adam und Ben.

Ruth, denkt sie, hat nicht be­son­ders vie­le Freun­de, aber gan­ze Ru­del von Be­kann­ten. Sie weiß nicht mehr, wie oft ihre Freun­din heu­te schon ge­grüßt wor­den ist. Ruth kennt Gott und die Welt, weiß aber ihr Pri­vat­le­ben sehr sorg­fäl­tig zu schüt­zen. Al­ler­dings kann sie mit Ge­füh­len bes­ser um­ge­hen als sie selbst.

Va­le­rie fällt plötz­lich ein, dass sie ihre Ko­lum­ne für eine Zeit­schrift nicht län­ger auf­schie­ben kann. Die Re­dak­ti­on braucht ih­ren Text mor­gen, und sie hat noch nicht ein­mal da­mit an­ge­fan­gen. Aus­ge­rech­net über Ge­füh­le soll sie schrei­ben.

»Ich muss ge­hen.«

In Ge­dan­ken ist sie schon bei der Ar­beit, die vor ihr liegt. Va­le­rie lässt sich von Ruth in den Arm neh­men, eine Kör­per­lich­keit, die sie nur we­ni­gen er­laubt. Die­se künst­li­che Herz­lich­keit hat ihr nie ge­fal­len.

Die Füchsin

Подняться наверх