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Prolog: Die Welt brennt

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Ich möchte dir von einem Traum erzählen, mit dem dieses Buch in mein Leben kam. Ich erinnere mich an viele meiner Träume und meist weiß ich, ob sie mich als Person auf einer psychologischen Ebene betreffen oder ob sie aus einem anderen, größeren, kollektiven Raum stammen. Als ich an einem Morgen schweißgebadet erwachte, wusste ich, dass ich einen Auftrag erhalten hatte. Eine Botschaft, die in die Welt muss.

In meinem Traum hatte die Erde gebrannt. Die Wälder standen in Flammen. Überall war Krieg. Familien waren zerstritten und es war klar, dass die Menschheit kurz davor war, sich selbst auszulöschen. Trotz der vielen traurigen Bilder war ich sehr ruhig. Wie ein Beobachter aus einer anderen Dimension. Eine Stimme sprach zu mir: »Die Erde brennt, weil der Thron der Königin leer ist.«

Es ist mir fast unmöglich, diesen Thron mit Worten zu beschreiben. Ich sah ihn überdeutlich. Doch es war kein Thron aus einem Märchenfilm. Es ging auch nicht um eine einzelne Königin. Es war ein wesentlich mächtigerer Thron auf einer energetischen, archetypischen Ebene. Mir wurde offenbart, dass wir Menschen in unseren physischen Körpern quasi nur eine, und zwar die gröbste Ebene eines kosmischen Schauspiels sind. Wir alle werden von wesentlich feineren, einflussreicheren geistigen Feldern benutzt. Je nachdem, wie wir unseren Geist ausrichten, docken wir an Feldern sehr unterschiedlicher Qualität an. Diese drücken sich dann durch unsere Worte, Gefühle und Taten auf der Erde aus.

In diesem Traum war es so kristallklar zu erkennen, dass die archetypische Macht der Königin seit Tausenden von Jahren nicht mehr auf der Erde willkommen war. Vielleicht war sie es auch noch nie. Ich sah im Traum, wie alte Priesterinnen, Sängerinnen, moderne Unternehmensführerinnen ihr Leben dafür gaben, den Kanal zu diesem Feld aufrechtzuerhalten. Doch sie waren einsam und zu wenige. Zum Beispiel sah ich Lisa Gerrard und ich verstand plötzlich, warum diese Frau für ihre Musik eine nichtmenschliche Sprache erfunden hatte. Wenn du sie nicht kennst, hör ihre Lieder und du wirst verstehen.

Die Stimme im Traum lehrte mich weiter: »Es ist dringend notwendig, dass jede Frau diese Königin in sich findet und ihr den Thron bereitet, den sie verdient hat. Frauen müssen mehr in Führung gehen. Nicht als Kopien von Männern, sondern als Königinnen.«

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Eindrücke mit dir teile, denn das Letzte, was ich in deinem Kopf erzeugen möchte, ist das Bild einer Frau mit einem Krönchen auf dem Kopf. Die Königin, die ich gern in dir ansprechen möchte, ist eine unsichtbare, unermesslich machtvolle Quelle von Liebe und Weisheit. Sie fehlt und deshalb brennt unsere Erde.

Als ich aus dem Traum erwachte, blieb ich gebannt von der so frischen Erinnerung liegen und fragte im Halbschlaf: »Was ist meine Aufgabe als Mann? Was kann und muss ich beitragen?«

Die Antwort kam prompt: »Deine Aufgabe als Mann ist es, dich und deine Brüder herauszufordern, den König auf dem Thron zu wecken. Denn er sitzt da seit Tausenden von Jahren allein, herrschend und doch blind. Der König hat seine Würde verloren. Es ist Zeit, dass er erwacht. Und dann geh hinaus und bitte alle Frauen, ihren Thron wieder oder zum ersten Mal einzunehmen!«

Ich fragte nach: »Frauen brauchen keinen Mann, der sie bittet. Sie haben die Macht, den Thron selbst einzunehmen.«

»Das stimmt. Doch es macht einen bedeutsamen Unterschied, ob die Königin kämpfen muss, um auf den Thron zurückzukehren oder ob sie respektvoll eingeladen wird. Sie kann kämpfen, o ja. Das hat sie in all der Zeit bewiesen. Doch ihre wahre Natur ist Hingabe. Frauen sind müde vom Sich-behaupten-Müssen. Ihre wahre Schönheit werdet ihr zu Gesicht bekommen, wenn ihr freiwillig den Raum bereitet, in den hinein sie sich entfalten kann.«

»Was soll ich den Frauen und den Männern sagen?«

»Begegne jeder Frau als Stellvertreter des gesamten männlichen Feldes. Sag ihr aufrichtig, was euch leidtut. Bitte sie um Frieden. Bitte sie, endlich auf ihre Weise in allen Bereichen in Führung zu gehen. Finde die Worte, die sie aus dem Mund eines Mannes hören muss, damit ihre Wunde heilen kann. Begegne deinen Brüdern als Bruder. Als ein Mann, der neben ihnen steht. Der von denselben Fragen bewegt ist. Erinnere sie an den König in ihnen. Appelliere an ihre Größe. Bitte sie, mit dir zusammen der Welt zu zeigen, wie schön Männer sind.«

Das war der Traum. Vor mittlerweile zwei Jahren. Ich begann, Vorträge dazu zu halten, und ich sah es in den Augen der Frauen und Männer, dass sie wussten, was ich meine. Und nun schreibe ich dir und hoffe, dass ich die Worte finde, die du lesen musst, um dich zu erinnern.

Denn unsere Welt brennt wirklich. Vielleicht hast du auf diese ernste Perspektive gerade keine Lust, weil es dir gut geht. Doch wir müssen darüber sprechen. Denn du bist in dem, was für unsere Menschheit kommt, wichtig. Ob du willst oder nicht, du wirst eine bedeutsame Rolle spielen. Die Menschheit steht an einer Weggabelung und wir alle entscheiden mit, wohin es von hier aus geht. Unsere Welt ist so offensichtlich aus dem Gleichgewicht. Sie brennt an so vielen Stellen, auf so vielen Ebenen, es bräuchte das gesamte Buch, um alle Feuer aufzulisten. Wir verbrennen unseren Heimatplaneten. Wir wissen es und wir machen einfach weiter. Wir verbrennen die kreative Lust am Schaffen und das einfache Glück der Gegenwart in einer zwanghaft von Wachstum und Leistung angetriebenen Gesellschaft. Wir verbrennen unsere Freude am Arbeiten im Burn-out. Wir verbrennen das geniale, kreative Potenzial unserer Kinder in völlig veralteten Bildungssystemen. Wir verbrennen die Hoffnung von Abermillionen Menschen auf ein gutes Leben durch brutale soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten. Wir verbrennen die atemberaubenden Möglichkeiten so vieler Liebesbeziehungen in der starren Struktur einer Kleinfamilie. Wir verbrennen Nahrung, während Kinder an Hunger sterben.

Unsere Welt brennt. In gewisser Weise hat sie das schon immer. In Teilen konnten wir das Feuer bändigen. Doch jetzt hat der Zauberlehrling zerstörerische Geister entfesselt. Die Dinge entwickeln sich nicht mehr überschaubar, sondern disruptiv und exponentiell. Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass es nur eines kleinen unsichtbaren Virus bedarf, um die Illusion unserer Kontrolle zutiefst zu erschüttern und viele Teile unserer Gesellschaft in Brand zu setzen.

Unsere Welt brennt nicht nur außen, sondern auch in uns. So viele Menschen, vielleicht auch du, schmoren in der Hitze ungelöster existenzieller Fragen. In so vielen von uns entflammt – nicht mehr löschbar – die unbequeme Sehnsucht nach mehr Sinn. Wir haben so viel. Wir wissen so viel. Doch wissen wir auch, wofür wir all das haben und wissen? Wenn Bewusstsein erwacht – und ich wette, das passiert in dir, sonst würdest du nicht so ein Buch lesen –, ist dies nicht nur nett. Neue Konflikte erzeugen eine starke geistige Reibungshitze. Es entsteht ein Wunsch nach einem guten weltlichen Leben und seelischer Integrität. Es erwacht das Bedürfnis, alles rational zu verstehen und zu staunen. Innerlich Stille zu finden und da draußen auf dem Marktplatz mitmischen zu wollen. Das Mitgefühl mit all den Menschen, die in unser Land strömen und die vielen neuen Fragen, die unser multikulturelles Miteinander aufwirft.

Bist du erschöpft, ausgebrannt? Viele Menschen sind dies heutzutage. Warum ist das so? Ist das Normale auch natürlich? Wir reißen uns den Arsch auf. Wir lernen dazu. Wir versuchen in diesem fast aus dem Gleis springenden Schnellzug mitzuhalten. Doch wofür? Geht es hier noch um uns? Ging es das überhaupt jemals? Oder bedienen wir ein Monstrum der Umsatzzahlen? Ich will dich nicht deprimieren. Ich muss aber einmal den Finger tief in die Wunde legen, damit klar wird, dass es in diesem Buch nicht um eine interessante Überlegung geht, sondern um unser Überleben und dann – hoffentlich – unser Erblühen.

Warum müssen Krankenschwestern, die Leben retten, Pädagoginnen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, oder Künstler, die diese Welt schön für uns alle machen, so oft um Anerkennung und eine faire Bezahlung betteln, anstatt täglich als Held*innen gefeiert zu werden?

Buckminster Fuller sagte einst, wir wären die Kapitäne eines Raumschiffes namens Erde.1 Doch wer von uns sitzt denn wirklich am Steuer und warum rasen wir feiernd auf eine Wand zu? Die Wissenschaft ist den Menschen enteilt. Wir wissen intellektuell so viel und setzen erbärmlich wenig davon um. Die alten Institutionen und Unternehmen versuchen wie riesige Tanker, ihren Kurs anzupassen und den Eisbergen auszuweichen – viel zu langsam und fantasielos. Währenddessen haben neue, elitäre, digitale Netzwerke längst das Ruder an sich gerissen. Ich behaupte, auch sie wissen nicht, was sie tun. Sie manipulieren Verstand und Gefühl von Milliarden Menschen, ohne sich ihrer ethischen und karmischen Verantwortung bewusst zu sein. Sie fesseln Geister noch mehr an die Matrix, anstatt ihnen beim Erwachen zu helfen. Und während wir noch nicht mal ansatzweise begriffen haben, was es bedeutet, Mensch zu sein, erschaffen sie die nächste Generation Leben. Künstliche Intelligenzen sind jetzt bereits schlauer als wir und manipulieren uns mehr, als sie uns wirklich nutzen. Sie diktieren uns ein Tempo auf, das uns ausbrennt.

Diese Welt brennt an so vielen Ecken und Kanten. Ich könnte ewig so fortfahren. Doch dies ist kein Buch der Verzweiflung. Es ist ein Weckruf für den Gestalter, die Schöpferin in dir. Denn du, und ich meine wirklich dich, wirst eine wichtige Rolle in dem spielen, was kommt. Vielleicht denkst du: »Ich bin doch nur ein einzelner Mensch. Ich bin doch so klein.« Ich muss dich nicht persönlich kennen, um eines ganz sicher zu wissen: Du bist viel größer und mächtiger, als du denkst. Nicht in irgendwelchen Büchern oder Vorstandsetagen, sondern dort, wo du atmest und Fragen stellst, entscheidet sich unsere Zukunft. Ich bin kein verklärter Optimist. Ich sehe Nachrichten. Ich sehe das Böse in unseren Taten. Ich sehe die bedrohlichen Zahlen. Ich schaue hin, denn nur so kann ich meiner Verantwortung für die Zukunft gerecht werden. Doch ich sehe auch das Licht. Vielleicht liegt es an den glücklichen Umständen meiner Arbeit. Ich komme tagtäglich mit Menschen zusammen, die das Gute wollen und die wirklich Lust haben, etwas Neues zu erschaffen. Ich glaube auch an Tipping Points. Ich glaube an die Zahl 3. Laut Zukunftsforscher Tristan Horx braucht es etwa 3 bis 6 Prozent der Bevölkerung, um einen neuen Trend zu setzen.2 Vielleicht sind wir sogar schon viel mehr. Doch wir müssen uns stärker vernetzen und definitiv müssen sich viele Menschen in dem, was kommt, noch viel wichtiger nehmen. Unser Bewusstsein hat eine erstaunliche Eigenschaft. Wir verfügen über die Fähigkeit, in jedem Augenblick neu zu wählen. Wir können wiederholen, was wir gestern dachten und taten, und erschaffen so eine Kopie. Oder wir gestatten uns heute und hier einen neuen Gedanken, eine neue Tat und betreten damit ein neues Universum. Die Menschheit steht an einer Weggabelung. Dystopien aus düsteren Filmen könnten real werden. Vielleicht setzen wir das gesamte Experiment in den Sand. Für den Kosmos wird es nur wie ein winziger Lichtfunke gewesen sein, der kurz aufleuchtete und wieder erlosch. Doch was wird es für uns bedeuten, wenn wir scheitern? Für den Geist in uns, der hierherkam, um frei zu wählen und bewusst zu erschaffen?

Genesis ist wahrscheinlich ein im konservativ-religiösen Sinne ketzerisches Buch. Das Wort »Genesis« kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Schöpfung, Entstehung, Geburt. Die wahrscheinlich früheste und bekannteste Erwähnung finden wir im ersten Buch Mose und im christlichen Alten Testament. Genesis beschreibt dort die Erschaffung der Welt.

»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.« (Gen 1,1–3)

Ich glaube, dass es Zeit ist, dass wir diesen alten Gott in Frieden ziehen lassen. In einer Zeit, als wir sehr wenig über uns wussten, hat ER uns als Polarstern gedient. Dafür haben wir Ihn gefürchtet und verehrt. Haben wir den Mut, uns selbst als lebendige Genesis zu begreifen? Schöpfung fand nicht irgendwann im Himmel statt und ist nun erledigt. Was wäre das auch für ein unvollständiges Bauwerk?! Genesis entwickelt sich weiter, und zwar genau da, wo du heute atmest, liebst, leidest und erwachst. Gott ist noch lange nicht fertig. Gott spielt weiter. In deiner Küche, umgeben von schreienden Kindern. Im ekstatischen Sex, dem Aufstellen deiner Steuererklärung und im nächsten Vorstandsmeeting. In der dunklen Verzweiflung einsamer Nächte, auf dem Klo und während du diese Zeilen liest. Der alte Gott, auf den wir warteten, den wir anbeteten und fürchteten, hat den Staffelstab an uns übergeben. Da, wo du lebst, wird die Welt erschaffen. Durch dich! Durch deine Gedanken und Taten. Wir sind die Schöpfer*innen und wir sind das Resultat. Ist das anmaßend? Nein. Es ist viel dreister, wenn du deine schöpferische Verantwortung verleugnest. Es ist geradezu überheblich, wenn du Gott von dir trennst. Das, was die Mystiker*innen und Weisen aller Zeiten staunend und still, hilflos stammelnd versucht haben, mit dem Begriff Gott zu beschreiben, ist nicht da draußen. Es ist in dir. In jeder Zelle deines Körpers. In jedem deiner Atemzüge. In jeder Frage, die du dir heute stellst. Gott schreibt diese Zeilen. Gott liest diese Zeilen. Gott erwacht in dir und mir. Das kann diese schöpferische Urgewalt nur, wenn wir sie von jenem externen Thron herunterholen in unser eigenes Herz. Aus dem fernen Himmel auf die verdreckte Straße. Unsere Genesis ist noch nicht vollendet. Sie fängt heute erst richtig an. Wenn wir aufhören, zu warten und zu hoffen. Wenn wir das Leben in uns ernst nehmen und die Auswirkung, die jede unserer Handlungen auf alles hat. Und wenn wir anerkennen, wie sehr wir uns brauchen. Denn wir erschaffen einander. Starkes Ich und starkes Wir.

Die Welt brennt auch, weil viel zu viele Menschen warten, dass die Lösung irgendwo da draußen passiert. Jemand wird kommen und es richten. Irgendeine Regierung wird schlau genug sein. Ich wähle eine Partei und die macht es dann. Nein. Wir sind dran – du und ich. Ich glaube, dass es sehr viele gute und begabte Menschen auf der Welt gibt. Doch es fehlt derzeit auffällig ein gemeinsamer, für alle attraktiv leuchtender Mythos, um die Kräfte zu vereinen. Die alten Menschheitsgeschichten sind hoffnungslos veraltet. Die Versprechen der Aufklärung und der liberalen Leistungsgesellschaft sind massiv entzaubert worden. Unsere aktuellen Regierungen vereinen nicht mit starken Visionen, sondern verunsichern durch hektische Kurswendungen, um die Wahlberechtigten nicht zu verschrecken. Kein Wunder, dass derzeit Autokraten und rechtsgerichtete Parteien an Macht gewinnen. Denn in angsterfüllten Zeiten sehnen sich die Menschen nach einfachen Lösungen und der guten, alten Vergangenheit.

Die Welt brennt, weil der Thron der Königin verwaist und der König auf seinem Thron eingepennt ist. Jetzt ist die Zeit, da sie zurückkehrt und er erwacht. Die Welt braucht eine neue Sprache. Radikal neue Visionen. Neue, ungewöhnliche Stimmen. Neue Räume für Intuition. Eine neue Form der Führung und der Co-Creation. Eine neue Art, Computer zu programmieren. Neue Prinzipien der Verteilung. Neue Prioritäten und Werte in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und im Bett. Diese Welt braucht Menschen, die begreifen, dass die Ehrung des Weiblichen nicht die Bedrohung, sondern die Rettung des Männlichen ist. Befreie dein Geschlecht von allen begrenzenden Ideen und antrainierten Rollen. Du bist viel mehr als ein Mann oder eine Frau. Du bist ein lebendiger Prozess, ein unfassbar schöner, einzigartiger Tanz zweier kosmischer Urkräfte – Eros und Logos3. Gott und Genesis sind in dir. Entfessle und ehre alle Kräfte in dir, die dunklen und die hellen, und dann staune, was das Leben in dir gebären will.

Du bist kein Irrtum. Du bist Genesis im Prozess.

Genesis

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