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HYPNOSE UND TRANCE

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Im Grunde genommen sind wir alle hypnotisiert. Bei dem Wort denkst du vielleicht an einen Menschen, der in der Lage ist, durch bestimmte Worte oder Pendelbewegungen jemand anderen in Trance zu versetzen. Zu Recht würdest du einwenden, dass es ja wohl kaum sein kann, dass wir alle auf diese Weise hypnotisiert worden sind. Doch das meine ich hier nicht.

Die Hypnose, von der ich spreche, hat zwei Aspekte. Zum einen betrifft sie unser Verhältnis zur Welt insgesamt. Solange du eine duale Welt siehst, solange du dein Leben an Polaritäten wie rechts und links, Mann und Frau, oben und unten, richtig und falsch, Licht und Dunkel und so weiter ausrichtest, bist du nicht vollkommen wach, sondern du bist in einer Form von Hypnose. Du verkennst die große Verbundenheit, die wir alle miteinander teilen, und träumst den Traum der Begrenzung. Dein Verstand muss sich, um nicht durchzudrehen, auf einen klitzekleinen Ausschnitt der Wirklichkeit konzentrieren und den Rest ausblenden. Das ist dann deine persönliche Trance.

Zum anderen läuft die Hypnose, die ich hier meine, anders ab als beim Starren auf ein Pendel. Denn in diesem besonderen Fall sind Hypnotiseur und Hypnotisant ein und dieselbe Person – du selbst. Deshalb funktioniert diese Hypnose so einfach.

Jeder von uns hat eine solche innere Stimme, die den ganzen Tag auf uns einplappert. Sie verwendet tagtäglich circa 50 000 bis 60 000 Gedanken, um uns in unsere persönliche, maßgeschneiderte Trance zu versetzen. Wenn du morgens aufstehst und deine innere Stimme aus irgendeinem Grund beschließt, sich an diesem Tag darauf zu konzentrieren, was in deinem Leben alles schiefläuft, prägt das deine Wirklichkeit. Du stehst auf, guckst deine Pantoffeln an und findest sie auf einmal ziemlich schäbig. Du gehst Zähneputzen und siehst, wie oll deine Zahnbürste ist. Genervt verlässt du das Haus und prompt verpasst du den Bus. »Typisch«, kommentiert deine innere Stimme, »du bekommst eben nichts auf die Reihe.« Du fängst an, nur noch deine Mängel zu sehen, und die ganze Wirklichkeit erscheint dir in grauen Tönen. Du bist in Trance. Eine Trance ist ein kleiner verzerrter Ausschnitt von Bewusstheit. In diesem Zustand entwickelst du einen Tunnelblick, bei dem du alle Dinge nur noch auf sehr eingeschränkte Weise wahrnimmst und sie auch noch stark verzerrst.

Du bist in deinem Leben der oder die absolute Meisterhypnotiseur*in. Respekt!

Doch warum bist du so empfänglich für diese Form von Selbsthypnose? Ganz einfach: weil es niemanden gibt, dem du mehr vertraust als dir selbst. Es gibt niemanden, dessen Stimme dir näher ist als deine eigene. Sie begleitet dich immer und überall. Warum solltest du ihr nicht glauben? Das bist ja du selbst, der da spricht. Die Stimme in deinem Kopf beeinflusst deine Wahrnehmung der Wirklichkeit massiv. Sie blendet bestimmte Tatsachen aus, indem sie sich auf andere verstärkt konzentriert. Sie wiederholt alles, was ihr wichtig ist – meist untermauert mit sehr viel Gefühl –, so lange, bis du ihr glaubst. Woran erkennst du, dass du in einer Hypnose bist? Ganz einfach. Daran, dass du an bestimmte Dinge fest glaubst und bereit bist, diesen Glauben vehement zu verteidigen. »Ich bin mein Körper.«; »Ich habe recht.«; »Ich weiß, wo rechts und links ist.« Tja, ich weiß, das klingt verrückt bis sehr beunruhigend: Immer dann, wenn du etwas verkrampft verteidigst, bist du in Hypnose.

Es fühlt sich gar nicht so an, meinst du? Willkommen im Club. Genau das macht eine erfolgreiche Hypnose ja aus. Du hast nicht einmal mitbekommen, dass es dir passiert ist. Vielleicht verstehst du jetzt, warum ich dich schon mehrere Male gefragt habe, ob du für das Erschaffen von Wundern bereit bist, dein Rechthaben loszulassen. Rechthaben ist nichts anderes als das Verteidigen deiner Trance.

Ein*e fähige*r Hypnotiseur*in arbeitet mit sogenannten Tranceinduktionen. Dies sind fast beiläufig geäußerte Sätze, die uns in die Trance führen, ohne dass wir es bemerken. Je mehr du dem oder der Hypnotiseur*in glaubst, desto tiefer wirken solche Sätze.

Wer waren die ersten Menschen, denen du blind vertraut hast? Deine Eltern! Alles, was sie dir über dich und die Welt erzählten, traf auf ein ungeschütztes, vollkommen offenes Bewusstsein. Sie haben dich angeguckt, deinen Namen ausgesprochen und gesagt: »Die Anna ist aber wieder böse!« Zack, Tranceinduktion! »Das Leben ist kein Ponyhof!«; »Das schaffst du nie!«; »Geld verdirbt den Charakter.« Alles Tranceinduktionen. Frei Haus. Wenn eine Trance erst einmal richtig tief in dir verankert ist und du sie nicht irgendwann auflöst, baust du alles auf diesem Glaubenssatz auf. Dein Leben wird – ohne dass du es bemerkst – zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Später übernehmen wir selbst den Job, uns zu hypnotisieren. Wir setzen täglich Tranceinduktionen bei uns ein, ohne das mitzubekommen. Zum Beispiel willst du ein Business aufbauen. Du startest, du bist mutig, du riskierst wahnsinnig viel. Eigentlich hättest du jeden Grund, dich abends zu feiern und zu sagen: »Ich bin rausgegangen, ich bin ein Held.« Aber dann läuft es nicht so, wie du es dir vorgestellt hattest. Du folgst ein paar Leuten auf Instagram, die über 100 000 Likes haben, während du dich abstrampelst und nach Wochen immer noch bei hundert Leuten bist. Das ist der Moment, in dem dir die kleine, gemeine, zweifelnde Stimme zuflüstert: »Die mickrigen hundert Leute! Du schaffst das nie. Die anderen sind immer besser als du.« Tranceinduktion.

Das Ding ist: Um in dieser multidimensionalen, hochkomplexen Welt nicht verloren zu gehen, müssen wir etwas glauben. Das gibt uns Orientierung. Doch kein Glaube ist absolut wahr. Wenn du das bewusst verstehst, kannst du an Überzeugungen festhalten, die dich ausbremsen und dich immer wieder gegen den einzigen Pfosten weit und breit rennen lassen, oder du kannst neue Überzeugungen kultivieren, die dein Potenzial entfachen und dir mehr Möglichkeiten erschließen.

Bitte erstarre jetzt nicht vor Schreck, weil du denkst, du müsstest ab nun alle deine Gedanken kontrollieren. Keine Sorge, ich habe dir ja weniger Anstrengung versprochen, nicht mehr. Viele deiner Gedanken plätschern einfach so vor sich hin. Es geht darum, die Tranceinduktionen herauszufinden, die einen massiven und negativen Einfluss auf dein Leben haben. Zum Beispiel haben sich viele Menschen in der Kindheit den Glaubenssatz eingefangen: »So, wie ich bin, bin ich nicht gut genug.« Das ist ein Problem! Ein Garant für ständigen Kampf und wenig Freude. Doch auch bestimmte Glaubenssätze über deine Mitmenschen, über deine Beziehungen oder die Welt im Allgemeinen können für großes Leid sorgen.

CHALLENGE:

Wo bist du in Trance?

Lausche einmal einen ganzen Tag lang deinem inneren Monolog.

 Welchen Geschmack hat er meistens? Freundlich, misstrauisch, meckernd, an dir oder anderen zweifelnd …?

 Welche Tranceinduktionen ploppen spontan in dir hoch?

 Was erzählst du dir über dich selbst und über die anderen?

 Was denkst du über die Welt?

 Welche dieser Gedanken kommen dir sehr vertraut vor, weil du sie häufig denkst?

 Welche dieser Gedanken erlebst du als eher hinderlich für ein gutes Leben und welche als förderlich?

 Welche werten dich oder andere ab?

 Welche Gedanken sehen eher das Schöne, Gute und Wahre?

 Bei welchen kannst du mittlerweile selbst ahnen, dass sie nicht wahr sind, und welche würdest du immer noch voller Überzeugung verteidigen?

 Und bist du dir bewusst, dass sie alle nicht die Wahrheit wiedergeben, sondern nur deine Version der Wahrheit?

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