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Erstes Kapitel
Vom Ursprung der Gebäude69

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1. In der Urzeit kamen üblicherweise die Menschen wie die wilden Tiere in Wäldern, Höhlen und Hainen zur Welt, und sie fristeten ihr Leben durch Verzehr roher, wildwachsender Feldfrüchte. Während dieser Zeit entfachten einmal Bäume, die infolge ihrer großen Anzahl dicht beieinander standen dadurch, daß sie, von Unwettern und Winden hin- und her gepeitscht, untereinander ihre Zweige rieben, Feuer, und durch dessen lodernde Flamme erschreckt liefen die, die sich in der Nähe dieses Ortes befanden, weg. Als sich später die Lage beruhigt hatte, gingen sie näher heran und, als sie bemerkt hatten, daß die Wärme des Feuers für ihre Körper sehr angenehm war, warfen sie Holzscheite hinzu und unterhielten es dadurch, holten andere Leute herbei und mit einer Gebärde wiesen sie darauf hin, welchen Nutzen sie davon hätten. Als bei diesem Zusammenlauf von Menschen bald so, bald so beim Atmen (unartikulierte) Laute hervorgestoßen wurden, setzten sie durch tägliche Gewohnheit Wörter zusammen, so wie sie sich gerade geboten hatten; dann begannen sie dadurch, daß sie öfter Dinge (mit diesen Worten) beim Gebrauch bezeichneten, schließlich durch Zufall zu sprechen70. Und so brachten sie es zu Gesprächen untereinander. 2. Als also infolge der Entdeckung des Feuers zunächst bei den Menschen ein Zusammenlauf, ein Zusammenschluß und ein Zusammenleben entstanden war und mehr Menschen an eine Stelle zusammenkamen, die von der Natur aus dies vor den anderen Lebewesen als Auszeichnung hatten, daß sie nicht vornübergeneigt, sondern aufrecht gingen und die Herrlichkeit des Weltalls und der Gestirne anblickten, ferner mit ihren Händen und Gliedmaßen alles, was sie wollten, leicht bearbeiteten, begannen in dieser Gemeinschaft die einen, aus Laub Hütten zu bauen, andere, am Fuß von Bergen Höhlen zu graben; einige ahmten auch die Nester der Schwalben nach und stellten aus Lehm und Reisig Behausungen her, um dort unterzuschlüpfen. Dann beobachteten sie die Behausungen der anderen, fügten durch eigenes Nachdenken Neuerungen hinzu und schufen so von Tag zu Tag bessere Arten von Hütten. 3. Da aber die Menschen von Natur zur Nachahmung geneigt und gelehrig waren, zeigten sie, stolz auf ihre Erfindungen, täglich der eine dem anderen, wie sie ihre Bauten durchführten. So übten sie im Wetteifer ihre Erfindungskraft und wurden von Tag zu Tag zu Menschen mit besserem Urteil. Und zuerst richteten sie Gabelhölzer auf, schoben Zweige dazwischen und bedeckten die Wände mit Lehm. Andere schichteten Mauern aus luftgetrockneten Lehmklumpen, verbanden sie miteinander durch Holz und bedeckten sie, um Regenstürme und Hitze abzuhalten, mit Schilf und Laub. Später machten sie, als diese Dächer während der Winterstürme den Regen nicht aushalten konnten, Giebel, bestrichen die schrägen Dächer mit Lehm und leiteten durch Traufen das Regenwasser ab. 4. Daß dies aus den oben beschriebenen Anfängen so zustande gekommen ist, können wir daraus erkennen, daß bis auf den heutigen Tag bei auswärtigen Völkerschaften aus diesen Baustoffen Häuser gebaut werden, z.B. in Gallien, Spanien, Lusitanien (Portugal) und Aquitanien mit eichenen Schindeln oder mit Strohdach. Bei dem Volk der Kolcher in Pontus werden, weil es dort Wald in Hülle und Fülle gibt, ganze Baumstämme flach rechts und links auf die Erde gelegt. Dabei wird zwischen ihnen so viel Zwischenraum gelassen, wie die Länge der Bäume es zuläßt. An den Enden werden darüber andere Baumstämme quer gelegt, die in der Mitte den Wohnraum umschließen. Sodann verbinden sie durch abwechselnd übereinander gelegte Balken auf allen vier Seiten die Ecken miteinander und, indem sie so lotrecht auf den untersten (Balken) Wände aus Baumstämmen errichten, führen sie Türme in die Höhe. Die Zwischenräume, die wegen der groben Dicke der Balken Zurückbleiben, verstopfen sie mit Holzscheiten und Lehm. In der gleichen Weise legen sie durch Verkürzung der Querbalken an ihren Enden die Dächer darüber und verjüngen sie stufenweise. Und so führen sie von den vier Seiten her bis zur Spitze in der Mitte pyramidenförmige Erhöhungen auf, die sie mit Laub und Lehm bedecken. So bringen sie auf rohe Art mit einem flach gewölbten Plafond versehene Turmdächer zustande.

4. Haec autem ex îs, quae supra scriptae sunt, originibus instituta esse possumus sic animadvertere, quod ad hune diem nationibus exteris ex his rebus aedificia constituuntur, uti Gallia, Hispania, Lusitania, Aquitania scandulis robusteis aut |25| stramentis. Apud nationem Colchorum in Ponto propter silvarum abundantiam arboribus perpetuis planis dextra ac sinistra in terra positis, spatio inter eas relicto quanto arborum longitudines patiuntur, conlocantur in extremis partibus earum supra alterae transversae, quae circumcludunt I medium spatium habitationis. Tum insuper alternis trabibus ex quattuor partibus angulos iugumentantes et ita parietes |30| arboribus statuentes ad perpendiculum imarum educunt ad altitudinem turres, intervallaque, quae relinquuntur propter crassitudinem materiae, schidiis et luto obstruunt. Item tecta, recidentes ad extremos 〈angulos〉 transtra, traiciunt gradatim contra|5|hentes, et ita ex quattuor partibus ad altitudinem educunt medio metas, quas fronde et luto tegentes efficiunt barbarico more testudinata turrium tecta. 5. Phryges vero, qui campestribus locis sunt habitantes, propter inopiam silvarum egentes materiae eligunt tumulos naturales eosque medios fossura dis|10|tinentes71 et itinera perfodientes dilatant spatia, quantum natura loci patitur. Insuper autem stipites inter se religantes metas efficiunt, quas harundinibus et sarmends tegentes exaggerant supra habitationes e terra maximos grumos. Ita hiemes calidissimas, aestates frigidissimas efficiunt tectorum |15| rationes. Nonnulli ex ulva palustri componunt tuguria tecta. Apud ceteras quoque gentes ex cannula72 pari similique ratione casarum perficiuntur constitutiones. Non minus etiam Massiliae73 animadvertere possumus sine tegulis subacta cum paleis terra tecta. Athenis Areopagi antiquitatis exemplar |20| ad hoc tempus luto tectum. Item in Capitolio commonefacere potest et significare mores vetustatis Romuli casa et in arce sacrorum stramentis tecta. 6. Ita his signis de antiquis inventionibus aedificiorum, sic ea fuisse ratiocinantes, possumus iudicare.

Cum autem cotidie faciendo tritiores manus ad aedificandum perfecissent et sollertia ingenia exercendo per consuetudinem ad artes pervenissent, tum etiam industria in animis eorum adiecta perfecit, ut, qui fuerunt in his studiolsiores, fabros esse se profiterentur. Cum ergo haec ita fuerint primo constituta et natura non solum sensibus ornavisset gentes quemadmodum reliqua animalia, sed etiam cogitationibus et consiliis armavisset mentes et subiecisset cetera |5| animalia sub potestate, tunc vero ex fabricationibus aedificiorum gradatim progressi ad ceteras artes et disciplinas, e fera agrestique vita ad mansuetam perduxerunt humanitatem. 7. Tum autem instruentes animo se ac prospicientes maioribus cogitationibus ex varietate artium natis, non casas sed etiam |10| domos fundatas et latericiis parietibus aut e lapide structas materiaque et tegula tectas perficere coeperunt, deinde observationibus studiorum e vagantibus iudiciis et incertis ad certas symmetriarum perduxerunt rationes. Posteaquam animadverterunt profusos esse partus ab natura materiae et abun|15|dantem materiae copiam ad aedificationes ab ea comparatam, tractando nutrierunt et auctam per artes ornaverunt voluptatibus elegantiam vitae. Igitur de his rebus, quae sunt in aedificiis ad usum idoneae, quibusque sunt qualitatibus et quas habeant virtutes, ut potuero, dicam.

5. Die Phryger aber, die in ebenen Gebieten wohnen, wählen, weil sie wegen des Mangels an Wäldern Mangel an Bauholz haben, natürliche Hügel. Diese trennen71 sie (oben) in der Mitte durch einen (senkrechten) Graben, graben (seitlich) Zugänge hinein und legen weite Räume an, soweit es die Art des Ortes gestattet. Darüber bilden sie, indem sie Pfosten miteinander verbinden, kegelförmige Erhöhungen. Diese bedecken sie mit Rohr und Reisig und häufen oberhalb der Wohnungen sehr große Erdmassen auf. So macht die Anlage der Dächer die Winter sehr warm, die Sommer sehr kühl. Einige bauen bedeckte Hütten aus Sumpfgras zusammen. Auch bei anderen Völkern wird der Bau der Hütten in gleicher und ähnlicher Weise aus niedrigem Schilf72 durchgeführt. Ferner können wir auch in Massilia73 Dächer sehen, die statt aus Ziegeln aus mit Spreu durchkneteter Erde hergestellt sind. In Athen ist als Beispiel altertümlicher Bauweise auf dem Areopag eine Hütte, die bis auf den heutigen Tag ein Lehmdach hat. Ebenso können die Casa Romuli auf dem Kapitol und auf der Burg die aus Stroh bestehenden Dächer von Heiligtümern die Gewohnheiten altertümlicher Bauweise vergegenwärtigen und anzeigen. 6. So können wir uns durch diese Spuren ein Urteil über die Urerfindung des Hausbaues bilden und den Schluß ziehen, daß dies so gewesen ist.

Als sie aber durch tägliche Betätigung ihre Hände zum Hausbau geübter gemacht hatten und durch ihre Geschicklichkeit und Übung ihres Geistes es über das herkömmliche Verfahren hinaus zu einer Kunstfertigkeit gebracht hatten, führte auch das Streben, das ihnen beigesellt war, dazu, daß sich diejenigen, die sich auf diesem Gebiet besonders eifrig betätigten, Handwerksmeister (fabri) nannten. Da dies also zunächst so eingerichtet war und die Natur die Menschen nicht nur wie die übrigen Lebewesen mit Sinnesorganen ausgestattet, sondern auch mit Gedanken und Überlegungen ausgerüstet und die übrigen Lebewesen ihrer Herrschaft unterstellt hatte, da wahrlich führten sie, nachdem sie Schritt für Schritt vom Häuserbau zu den übrigen Künsten und Wissenschaften fortgeschritten waren, die menschliche Gesellschaft von einem wilden und tierhaften zu einem friedfertigen, gesitteten Leben. 7. Dann aber begannen sie, geistig sich ausbildend und mit größeren Gedanken, die aus der Mannigfaltigkeit der Künste entsprangen, in die Zukunft schauend, statt Hütten Häuser mit Grundmauern zu bauen, die Wände aus Ziegeln hatten oder aus Stein und Holz errichtet und mit Ziegeln gedeckt waren. Dann brachten sie es durch Beobachtungen, die sie bei ihrer Berufsausübung machten, von vagen und unsicheren Urteilen zu den bestimmten Berechnungen symmetrischer Verhältnisse. Nachdem sie aber bemerkt hatten, daß von der Natur die Erzeugnisse an Bauholz in verschwenderischer Fülle hervorgebracht sind und von ihr eine Überfülle an Holz zum Bauen zur Verfügung gestellt ist, steigerten sie durch seine Bearbeitung die feinere Lebenshaltung und statteten sie, verfeinert durch die Künste, mit Genuß aus. Daher werde ich über die Baustoffe, die zur Verwendung beim Hausbau geeignet sind, von ihrer Beschaffenheit und ihren Vorzügen, so gut ich kann, sprechen.

8. Sed si qui de ordine huius libri disputare voluerit, quod putaverit eum primum institui oportuisse, ne putet me erravisse, sic reddam rationem. Cum corpus architecturae scriberem, primo volumine putavi, quibus eruditionibus et disciplinis esset ornata, exponere finireque terminationibus eius |25| species et, e quibus rebus esset nata, dicere. Itaque quid oporteat esse in architecto, ibi pronuntiavi. Ergo in primo de artis officio. In hoc de naturalibus materiae rebus, quem habeant usum, disputabo. Namque hic liber non profitetur, unde architectura nascatur, sed unde origines aedifi|37|ciorum sunt institutae et quibus rationibus enutritae et progressae sint gradatim ad hanc finitionem. 9. Ergo ita suo ordine et loco huius erit voluminis constitutio.

Nunc revertar ad propositum et de copiis, quae aptae |5| sunt aedificiorum perfectionibus, quemadmodum videantur esse ab natura rerum procreatae quibusque mixtionibus principiorum congressus temperentur, ne obscura sed perspicua legentibus sint, ratiocinabor. Namque nulla materiarum genera neque corpora neque res sine principiorum coetu na|10|sci neque subici intellectui possunt, neque aliter natura rerum praeceptis physicorum veras patitur habere explicationes, nisi causae, quae insunt in his rebus, quemadmodum et quid ita sint, subtilibus rationibus habeant demonstrationes.

8. Wenn aber jemand über die Stellung dieses Buches wird streiten wollen, weil er glauben möchte, es hätte an den Anfang (des Werkes) gestellt werden müssen, will ich, damit er nicht glaubt, ich hätte geirrt, folgendermaßen Aufschluß geben. Da ich ein allumfassendes Werk über Architektur schrieb, glaubte ich, es sei in der Ordnung, in einem ersten Buch auseinanderzusetzen, mit welchen elementaren und wissenschaftlichen Kenntnissen die Baukunst ausgestattet ist, ihre Erscheinungsformen begrifflich abzugrenzen und zu sagen, woraus sie hervorgegangen ist. Daher habe ich dort darüber gesprochen, was (an Wissen und Fähigkeiten) ein Architekt besitzen muß. Folglich im ersten Buch über die Aufgabe der Baukunst! In diesem vorliegenden Buch werde ich über die natürlichen Eigenschaften der Baustoffe sprechen und darüber, welche Verwendung sie haben sollen. Denn das vorliegende Buch handelt nicht davon, woraus die Baukunst hervorgeht, sondern davon, wie es ursprünglich zur Herstellung von Behausungen gekommen ist, auf welche Weise sie weitergebildet und allmählich bis zur jetzigen Vollendung fortgeschritten ist. 9. Also wird das vorliegende Buch in der ihm zukommenden Reihenfolge und an der Stelle stehen, an die es gehört.

Jetzt will ich zu meinem Thema zurückkehren und über die zum Bauen von Häusern geeigneten Baustoffe sprechen, wie sie von der Schöpferkraft der Natur hervorgebracht zu sein scheinen und mit welchen Mischungsverhältnissen der Grundstoffe die Verbindungen (der Grundstoffe zu Dingen) im richtigen Mischungsverhältnis hergestellt werden, damit das den Lesern nicht dunkel, sondern ganz klar ist. Denn keine Arten von Stofflichem, weder belebte Körper noch (unbelebte) Dinge, können ohne Verbindung der Grundstoffe entstehen noch gedacht werden, noch kann die Natur der Dinge auf andere Weise durch die Lehren der Physiker wahrheitsgemäß erklärt werden, wenn nicht die in diesen Dingen selbst enthaltenen Ursachen dafür, daß sie so sind und warum sie so sind, durch scharfsinnige Überlegungen nachgewiesen werden.

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