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Theorie und Praxis - Die Wirklichkeit der Wirtschaftsordnungen

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In jüngerer Zeit gab es in der Wirtschaft einschneidende Krisen:

2008 erschütterte die erst Finanz– und später „Wirtschaftskrise“ genannte globale Erscheinung das derzeitige Weltwirtschaftsystem. Angefangen mit der Lehman-Brothers-Pleite, die dem globalen Bankensystem einen Schlag versetzte, folgte das Platzen der sog. „Immobilienblase“, die erneut den Bankensektor heftig zusetzte. Vorangegangen war das Platzen der sog. „New Economy Blase“, die jedoch relativ harmlos wirkte im Vergleich zu dem, was dann folgen sollte.

Wenig später stellte sich für den Euroraum heraus, dass Staaten aufgenommen worden waren, die nicht in dieses System passten und spätestens seit 2010 wird von der „Eurokrise“ gesprochen, die die Gemeinschaftswährung plötzlich schwächeln lies. Wieder einmal stand das gesamte Wirtschaftssystem der Erde auf dem Spiel, obwohl nur EU-Staaten betroffen waren. Insbesondere die USA waren es, die plötzlich den Europäern Vorgaben machen wollten, wie diese ihr Währungssystem wieder in Ordnung bringen sollten.

Gleichzeitig traten plötzlich Schwellenländer wie China und Indien auf den Weltmärkten insbesondere als Nachfrage auf und beeinflussten so nachhaltig die Energiepreise, während Russlands Wirtschaft früh nach dem Niedergang des Kommunismus kapitalistische Züge annahm.

Ungeachtet solcher globaler Vorgänge ist immer noch die Rede vom Gegensatz der Wirtschaftssysteme, „Kapitalismus“- „Kommunismus“.

Auch nach dem Ende der Sowjetunion und dem Niedergang des Kommunismus als dominierendem Wirtschaftssystem Osteuropas erscheint es dennoch wichtig, sich grundsätzlich mit den Erscheinungsformen dieses Wirtschaftssystems auseinanderzusetzen, weil nur auf diese Weise die Mechanismen der sich heute noch theoretisch-ideologisch diametral gegenüberstehenden Wirtschaftssysteme verständlich dargestellt werden können.

1. 1 Kommunismus: Planwirtschaft und Kollektiveigentum

Es genügt insoweit der Blick in ein Geschichtsbuch oder auch nur ein aufmerksames Lesen der Tageszeitung. Im Kommunismus gibt es kein Privateigentum an Produktionsmitteln. Das Gewinnstreben einzelner Wirtschaftssubjekte kann somit nicht als Steuerungsmechanismus der Wirtschaft überhaupt eine Rolle spielen. Aus diesem Grund bedarf es der Lenkung der Wirtschaft durch den Staat.

Der Zusammenbruch der „Deutschen Demokratischen Republik“ sowie der Sowjetunion war, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, schon einige Zeit vorher prognostiziert worden (2).

Insbesondere die staatliche Lenkung war nicht in der Lage, die Ressourcen in der Weise zur Verfügung zu stellen, dass eine sinnvolle Wirtschaft im Sinn einer Verwaltung der knappen Mittel darstellbar gewesen wäre. Am Ende war es vor allem die mangelnde Versorgung des Privatsektors, die zum Fall der Mauer und damit zum Zusammenbruch des Systems geführt hat(3). Ähnlich verhielt es sich beim Niedergang in der Sowjetunion bzw. nach deren Zerfall in den einzelnen noch kommunistisch dominierten Systemen.

Da jedoch grundsätzlich - von der Theorie ausgehend - eine sinnvolle Planung zumindest theoretisch durchaus akzeptable gesamtwirtschaftliche Ergebnisse liefern könnte, ist der Frage nachzugehen, warum dieses System in der Realität nicht funktionieren konnte.

1. 2 Kapitalismus: Marktwirtschaft und Privateigentum

Quasi als Antipode zum Kommunismus stellt sich der Kapitalismus bzw. die freie Marktwirtschaft(4) dar. Auch wenn heute - aus welchen Gründen auch immer - die freie Marktwirtschaft bzw. der Kapitalismus fast nirgends in Reinform praktiziert wird(5), ist zunächst die systemorientierte Betrachtungsweise angebracht, um das Funktionieren des Wirtschaftssystems auch hier begreifen zu können:

In der freien Marktwirtschaft bleiben dem Markt sämtliche regulativen Funktionen überlassen (6). Die Wirtschaftssubjekte halten in unterschiedlichem Umfang Eigentum an den Produktionsmitteln. Die anonymen Kräfte des Marktes steuern sämtliche Vorgänge, was sogar soweit gehen kann, dass gewisse Wirtschaftszweige verloren gehen, andere dagegen zu neuem Leben aufblühen. Es sind nicht die Schicksale der einzelnen Wirtschaftssubjekte, sondern der gesamtwirtschaftliche Erfolg schlechthin, der entscheidet und über den entschieden wird.

1. 3 Mischformen

Wie bereits dargelegt, kann es in der Realität weder Kommunismus noch Kapitalismus in der theoretischen Reinform geben(7). Dies zu erklären stellt sich als schwieriges Unterfangen dar. Der Kommunismus als Marxismus-Leninismus hat dies schon sehr früh erkannt und versucht, argumentativ auf das Vollendungsstadium des Kommunismus abzustellen: Die Diktatur des Proletariats sei solange nicht beendet, bis sie weltweit durchgesetzt sei(8). Aus diesem Grund könne auch das Wirtschaftssystem bis dahin nicht einwandfrei funktionieren. Eingriffe von erheblicher Tragweite werden zugestanden und man fand sich auch mit vielen divergierenden Entwicklungen ab. In diesem Zusammenhang tauchte im übrigen erstmals der Begriff des “neuen (sozialistischen) Menschen”(9) auf. (Was das im einzelnen bedeutet, soll später erörtert werden.)

Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, dass im Kommunismus klar erkannt wurde, dass das System zumindest vorläufig nicht in der reinen Form funktionieren konnte.

Etwas schwieriger war eine solche Erkenntnis im Kapitalismus. Noch in den Gründerjahren nahm man weltweit an, dass Wachstum unbegrenzt vorausgesetzt werden könne(10) und im übrigen alles dem Spiel der Marktkräfte überlassen werden dürfe, ja müsste.

An dieser Überzeugung änderte schließlich auch nichts die als Jahrhundertwerk (des neunzehnten Jahrhunderts) gefeierte Sozialgesetzgebung Bismarcks. Systemtheoretisch betrachtet, wurden solche Entwicklungen als “Daten” bzw. “Rahmendaten” begriffen, innerhalb derer sich ein marktwirtschaftliches System frei entfalten konnte (11).

Während für Deutschland der verlorene erste Weltkrieg, zumindest im Hinblick auf die akute Not, der freien Entwicklung der Marktkräfte ein vorläufiges Ende setzte(12), konnten die Siegermächte seinerzeit weiterhin in derartigen systemtheoretischen Überlegungen schwelgen. Schließlich kam es dazu, dass die Stafette dieser “Marktführerschaft” vom englischen Nationalökonom John Maynard Keynes(13) an den Amerikaner Milton Friedman(14) abgegeben wurde. Beide haben in ihren Theorien der Art und der Kraft des Marktes breiten Raum eingeräumt. Während Keynes insbesondere dabei den Interdependenzen der Marktkräfte im Inland Beachtung schenkte, interessierte sich Friedman mehr für das Instrumentarium dieser Kräfte, nämlich das Geld. Beide Theorien sahen es als ungemein störend an, wenn der Staat in irgend einer Form in das freie Spiel der Marktkräfte einzugreifen drohte. Dementsprechend versuchte man, die Rolle des Staates darauf zu reduzieren, das freie Spiel der Marktkräfte zu gewährleisten.

Schließlich kam mit dem Ende der Wachstumsepoche auch für Amerika der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, inwiefern eine Beendigung oder Einschränkung der übermächtigen Marktkräfte geboten erscheinen möge(15).

Die immer restriktivere Gesetzgebung konnte von Anfang an nicht mehr nur als Rahmenbedingung für die Marktkräfte definiert werden und so kam es insbesondere im Zuge der Entwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg im besiegten Deutschland zu einer Ausprägungsvariante, die die Marktkräfte ergänzte durch eine auf die schwächeren Wirtschaftssubjekte rücksichtnehmenden Sozialgesetzgebung:

Die “soziale Marktwirtschaft” wurde verstanden als ein vom “Wildwuchs” entarteter Marktkräfte befreiter Kapitalismus, bei dem zwar das Grundmodell der Marktwirtschaft im Vordergrund stand, jedoch immer dort Eingriffe des Staates zu tolerieren waren, wo die Menschlichkeit als Modell bedroht war(16). Wieder einmal spielte das Menschenbild eine Rolle für die Entwicklung des Wirtschaftssystems. Anders als jedoch bereits oben erwähnt, musste der “neue Mensch” nicht erst geschaffen werden, sondern man orientierte sich am augenblicklichen Wirtschaftssubjekt “Mensch”!(17)

Als grundsätzlich anderer Qualität in diese Reihe passen scheinbar die Auswirkungen der Krisen zu Anfang des 3. Jahrtausends: Sowohl in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, als auch in der Eurokrise wurde nach einer Einschränkung der Marktkräfte gerufen und die Staaten beeilten sich, derartigen Rufen nachzukommen. Die selbst schon hoch verschuldeten Staaten retteten hoch verschuldete Banken, vorgeblich um eine für das System wichtigen Wirtschaftsfaktor zu erhalten. Unter Hinweis auf mögliche Folgen von Bankenpleiten wurden de facto Geldhäuser verstaatlicht. Allein die Rettung von Lehman und Konsorten führte nicht dauerhaft zu dem angestrebten Ergebnis. Schon drei Jahre nach Lehman kehrte die Panik zurück(18). Unter dem Stichwort ( „Unwort“) „Rettungsschirm“ sollen überschuldete EU-Länder, die sich den Euro erschlichen hatten, in der Weise gerettet werden, dass die Schulden unionsweit vergesellschaftet werden, was nicht nur dem EU Vertrag widerspricht; denn dieser hatte bewusst das Einstehen müssen für andere Staaten vermieden; sondern auch die Maastricht Kriterien zur Defizit- und Schuldenstanzquote wurden außer Kraft gesetzt. Das Ganze wurde sogar vom Bundesverfassungsgericht wiederholt bestätigt(19) Dabei hat das höchste deutsche Gericht wieder einmal seine Unschuld verloren, denn es hat einer offensichtlich gegen das (eigene) Recht gerichteten Politik den Weg geebnet, indem der schon aus anderen Entscheidungen bekannte Hinweis auf den politischen „Einschätzungsspielraum“ zur Begründung herangezogen wurde. Knopp (a.a.O.) stellt dazu die Frage: „Wer „rettet“ denn den ursprünglichen Helfer?“ Gerettet werden nämlich hier wieder einmal nur die Banken, die ansonsten gigantische Ausfälle hätten verkraften müssen. Claus Hulverscheidt stellt schon 2011 in der Süddeutschen Zeitung(20) unverblümt in Aussicht, dass diese Rettung für die Steuerzahler teurer werden könnte.

Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass letztlich hier marktwirtschaftliche Mechanismen staatlicherseits außer Kraft gesetzt wurden, nicht um wirtschaftlich schwache Privatpersonen im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft (vgl. unten) in Schutz zu nehmen, sondern um angeblich das System der Marktwirtschaft tragende Geldinstitute vor dem eigentlich nach diesen Regeln notwendigen Insolvenz dennoch am Leben zu erhalten. Christian Seidenbiedel(21) hat hierzu eindrucksvoll die systematisch fremde Rolle der Banken unter der Überschrift „Wie die Banken sich um die Griechenrettung drücken“ eindrucksvoll beschrieben.

Als es um die Jahresmitte 2012 auch für andere Eurostaaten eng wurde, (Spanien, Italien, Zypern) taucht zum ersten Mal das Wort „Fiskalunion“ auf und die Bundesregierung verwahrte sich zunächst dagegen, überhaupt über eine solche „Vergemeinschaftung der Schulden“ zu verhandeln, um kurze Zeit später einzuknicken und das Paket des ESF (Eurorettungsschirm) im Gesetzgebungsverfahren durchzudrücken. Die hiergegen eingereichten Verfassungsbeschwerden gaben immerhin dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit, deutlich zu machen, dass es sich um eine höchst wichtige – schicksalhafte – und schwierige wie komplexe Frage handele, sodass nicht -wie sonst üblich- eine Entscheidung im Eilverfahren innerhalb von 3 Wochen, sondern erst im September folgte. Der Bundespräsident wurde gebeten, das Gesetz nicht vor Erlass der Entscheidung auszufertigen und so muss Europa in Sachen Fiskalunion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten.

Dass es sich letztlich nicht um die Rettung schwächelnder „Eurostaaten“, sondern vielmehr um die Erhaltung maroder Geldinstitute geht, wird immer wieder verschleiert, wobei hier die Art und Weise der Täuschung variiert. Festzustellen in diesem Zusammenhang ist, dass inzwischen ein „neues Bankinstitut“ als echtes „Völkerrechtssubjekt“ etabliert wurde: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) hat nicht nur einen völkerrechtlichen Status über den „ESM-Vertrag“ erhalten, sondern ist darüber ein in gewissen Sinn der europäischen Zentralbank ähnliches Bankinstitut, das über eine Kreditvergabe zu Lasten u.a. auch der deutschen Steuerzahler verfügt, um die Banken schwächelnder Eurostaaten in der Weise zu retten, dass es deren wertlose Staatsanleihen aufkauft.

Der ESM wurde durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.09.2012 im Wesentlichen bestätigt(22). (vgl. hierzu unten) In gewissem Sinn tritt dieser ESM neben die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Anfang September 2012 ebenfalls in Not geratenen Banken zur Seite springt, um eigentlich wertlose Staatsanleihen südeuropäischer Schuldnerstaaten aufkauft, was den Bürgern als „Staatenrettung“ deklariert wird. Auch hier haften u.a. die deutschen Steuerzahler über die Einlage der BRD bei der EZB.

Verspielte Erbschaften

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