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DEM LEBEN ANTWORTEN

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VERANTWORTUNG HAT ETWAS DAMIT ZU TUN, welche Entscheidungen wir treffen. Eine Entscheidung ist wie ein Spielzug im Spiel des Lebens. Dieser Spielzug bestimmt zwar nicht allein über den Ausgang des gesamten Spiels, aber er trägt erheblich dazu bei, welchen weiteren Verlauf das Spiel nimmt. Deswegen ist es auch ein Wagnis, unsere Entscheidungen dem Rat anderer zu überlassen. Damit geben wir ihnen eine Macht über unser Leben, die nicht für sie vorgesehen ist und die sie auch überfordert.

Es ist nicht vorgesehen, dass einer für den anderen spielt. Es ist vorgesehen, dass jeder seine eigenen Spielzüge macht. Dazu gehört auch, die Auswirkungen dieser Spielzüge anzunehmen und zwar unabhängig davon, ob sie wünschenswert ausfallen oder nicht.

Für beide Seiten hat es deshalb auch etwas Unheilsames, wenn wir andere für uns entscheiden lassen. Wir können einander beistehen und uns gegenseitig bereichern. Sobald wir anderen aber unsere Selbstverantwortung zu übertragen versuchen, bahnen wir einen Weg der Lieblosigkeit. Wie leicht geschieht es dann später, mit dem Finger auf sie zu zeigen und ihrem Rat die Konsequenzen zuzuschreiben, die wir selbst nicht tragen wollen.

Anderen mehr Verantwortung aufzuladen, als sie natürlicherweise haben, ist aber nicht nur ihnen gegenüber lieblos, sondern auch uns selbst gegenüber. Wir vermitteln uns dadurch den Eindruck, dass wir nicht in der Lage wären, unser eigenes Leben klar, selbstbestimmt und kraftvoll zu führen. Dieses Selbstbild der Hilflosigkeit entmutigt und schwächt uns. Es entstehen Ängste, weil wir zwar andere für uns entscheiden lassen können, die Konsequenzen daraus für unser Leben allerdings allein zu tragen haben.

Damit kommen wir zu einer elementar wichtigen Grundentscheidung in unserem Leben, auf der alle weiteren Entscheidungen gründen:

BIN ICH BEREIT, MEINEN ANTEIL DER VERANTWORTUNG FÜR MEIN LEBEN ZU ÜBERNEHMEN?

Das ist eine große Frage, die sehr schwerwiegend sein kann, weil jeder Einzelne von uns ganz allein vor ihr steht und sie auf seine Weise beantwortet. Dementsprechend ist es ein Wagnis, sich mit ihr zu konfrontieren. Wir gehen aber ein noch viel größeres Wagnis ein, wenn wir versuchen, unseren Anteil der Verantwortung für unser Leben an andere abzugeben. Dann machen wir uns davon abhängig, wie gut es andere mit uns meinen und wie sehr ihre Entscheidungen unsere Individualität berücksichtigen.

Wenn wir unsere Selbstverantwortung nicht in diese Roulettemaschine werfen möchten, sehen wir uns erst einmal mit Einsamkeit und Unsicherheit konfrontiert. Wir bekommen zu spüren, dass wir allein mit unserer Verantwortung dastehen. Kein anderer Mensch trägt sie mit uns gemeinsam. Ja, keiner kann sie mit uns tragen. Deswegen wird uns auch niemand zusichern können, dass wir auf dem »richtigen« Weg sind. Wir kommen nicht umhin: Wenn wir unsere Selbstverantwortung übernehmen, gehen wir scheinbar einen Weg mit mehr Einsamkeit und Unsicherheit. Aber eben nur scheinbar!

Jemand, der seine Selbstverantwortung übernimmt, ist nicht einsamer als andere. Er unterscheidet sich von ihnen lediglich durch seinen Mut, sich einer Tatsache zu stellen, statt die Augen vor ihr zu verschließen. Tatsache ist, dass es gar nicht möglich ist, seine Selbstverantwortung abzugeben. Jeder Versuch in diese Richtung bleibt letztlich erfolglos. Spätestens im Moment unseres physischen Todes erkennen wir, dass es keinen Weg aus der eigenen Selbstverantwortung gibt. Wenn andere nicht für uns sterben können, dann können sie auch nicht für uns leben.

Jemand, der seine Selbstverantwortung übernimmt, lebt auch nicht unsicherer als andere. Er bringt lediglich die Entschlossenheit auf, Unsicherheit als das zu erkennen, was sie ist: ein unvermeidbarer Bestandteil des Lebens, mit dem es umzugehen gilt. Unsicherheit ist nichts weiter, als sich darüber bewusst zu sein, nicht alles zu wissen. Das bezieht sich auch darauf, nicht alle Konsequenzen absehen zu können, die die eigenen Handlungen nach sich ziehen. Wer deswegen versucht, Entscheidungen zu vermeiden, weigert sich, dem Leben Antwort zu geben.

ES IST DAS WESEN VON ENTSCHEIDUNGEN, SIE AUF DER BASIS VON UNSICHERHEIT ZU TREFFEN.

Besonders dann, wenn wir darum bemüht sind, alles »richtig« zu machen, kann uns diese Erkenntnis immens herausfordern. Wie stellen wir sicher, dass wir zu guten Entscheidungen gelangen? Die Antwort lautet: gar nicht. Wir können es nicht sicherstellen, weil Entscheidungen nun einmal nicht auf Sicherheit gründen, sondern auf Unsicherheit. Wer entscheidet, trifft eine Wahl zwischen echten Alternativen. Wenn sich etwas zwangsläufig anfühlt oder sich einfach ergibt, dann ist keine Entscheidung mehr nötig.

Vieles in unserem Leben ergibt sich tatsächlich von allein aus dem Lauf der Dinge. Hier sind wir gefragt, anzunehmen, was das Leben uns gibt, und das Beste für uns und andere daraus zu machen. Demgegenüber gibt es auch Situationen, in denen wir vor einer echten Wahl stehen. Diese Wahl kann sich unbedeutend oder schwerwiegend anfühlen. Hier kommt es uns so vor, als hätten wir, wir ganz allein (!), auf eine Frage des Lebens Antwort zu geben. »Wähle«, scheint uns das Leben dann herauszufordern, »möchtest du dieses oder jenes?«

Wenn wir der Unsicherheit, die mit den Fragen des Lebens einhergeht, ohnehin nicht entfliehen können, dann können wir sie auch für uns nutzen. Wir können uns nach innen wenden und unseren inneren Ratgeber um Weisung bitten. Anschließend dürfen wir uns darin erproben, unsere Entscheidungen selbst zu treffen und die Konsequenzen freudig zu erwarten. Wir werden feststellen, dass die Resultate unseres Handelns umso wünschenswerter sind, je mehr wir aus einem starken inneren Selbstkontakt heraus entscheiden. Selbst dann, wenn wir in der Rückschau meinen, »falsch« entschieden zu haben, werden sich uns immer Wege zeigen, um weiterzugehen.

Wie einen Muskel trainieren wir dadurch unsere Verantwortungsfähigkeit. Wir wachsen zunehmend in die eigene Entscheidungskraft hinein. Damit erhöhen wir unsere Lebensqualität, weil wir das Leben aktiv mitgestalten. Wir werden zu Persönlichkeiten mit Profil, die ihr Leben nach ihren Möglichkeiten selbst in die Hand nehmen.

Wenn wir also die eine Seite der Medaille annehmen und Empfindungen von Einsamkeit und Unsicherheit als notwendige Bestandteile von Verantwortung akzeptieren, dann kommen wir auch in den Genuss der anderen Seite dieser Medaille:

IN DEM MASSE, IN DEM WIR SELBSTVERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN, ERLEBEN WIR UNSERE EIGENE LEBENDIGKEIT.

Wenn wir einmal den Entschluss gefasst haben, unsere Selbstverantwortung konsequent zu übernehmen, geben wir den Startschuss für ein Leben, dessen Schönheit und Intensität wir uns im Vorhinein nicht vorstellen können. Schritt für Schritt werden wir klarer darin, was wir wirklich wollen und was nicht. Weil wir über unsere eigenen Angelegenheiten selbst entscheiden, erhöht sich unsere Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Wir vertiefen unser Vertrauen, dass wir unserer Selbstverantwortung gerecht werden. Dadurch wird sie weniger schwer auf unseren Schultern lasten, sondern uns immer wieder dazu einladen, etwas leichter in den rhythmischen Tanz des Lebens einzustimmen.

Auf diesem Weg erstrahlen wir mehr und mehr zu der aufregendsten, freiesten, schönsten, gelassensten und zufriedensten Version unserer selbst. Immer tiefer werden wir gewahr, dass uns das Leben stets mit allem ausstattet, was wir brauchen, um unsere Individualität ausleben zu können. Erst jetzt erleben wir wirklich die Tiefe dessen, was es bedeutet, mit dem Leben zu tanzen. Zwar wissen wir, dass zu diesem Tanz immer auch unsere Antwort auf das gehört, was uns das Leben gibt, aber wir erleben, wie sich diese Antworten immer natürlicher aus unserem Inneren den Weg in unsere Bewusstheit bahnen. Wir werden uns nicht mehr wegducken, sondern klar antworten, indem wir unsere Ver-Antwortung selbst übernehmen.5

Hierin liegt unsere Chance, am Ende unseres irdischen Lebens zurückzublicken und zu sagen: »Ich habe voll gelebt! Ich habe mich nicht durch Angst von meinem persönlichen Lebensweg abbringen lassen. Ich habe mich dazu entschieden, sichtbar zu werden. Ja, ich musste auch Gegenwind standhalten, aber ich habe ihn für mich genutzt, um … zu fliegen!«

Vielleicht fragen Sie sich nun, ob Sie überhaupt »fliegen« möchten. Wenn Sie die Wahl treffen, sich nach innen zu wenden, um zu ergründen, wer Sie wirklich sind und worin Ihre Selbstverantwortung besteht, verlieren Sie dann vielleicht den festen Boden unter Ihren Füßen?

SELBSTERINNERUNG

Indem ich meine Selbstverantwortung übernehme, ergreife ich die Chance, das Leben auf meine Weise mitzugestalten.

Wege zum Ich

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