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Kapitel 5

Paris

Zur gleichen Zeit in Paris.

Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuhörer im Kongresszentrum und einige wandten ihren Blick angewidert von der Projektionsfläche ab. Der Referent, ein Mittfünfziger mit vollem, langem Haar und einer Bräune, die von der Tropensonne tief in die inneren Hautschichten gebrannt worden war, hatte über die Jahre ein perfektes Gespür dafür entwickelt, wie viel Grauen dem solventen bürgerlichen Publikum zuzumuten war. Seine Stimme klang freundlich, fast gütig, so als bemühe er sich um Verständnis oder habe einen Vermittlungsauftrag zu erfüllen. Die ungläubigen Blicke aus den ersten Sitzreihen galten der Tonalität seiner Stimme nicht weniger, als den Bildern, die er, ganz altmodisch mit einem Kodak Diaprojektor, an die Wand projizierte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Bild des afrikanischen Händlers, der auf einer provisorischen Theke deutlich erkennbar, abgetrennte Hände und Füße eines Gorillas zum Kauf anbot, seine volle Wirkung erzielt hatte, wechselte er zum nächsten Bild. Seine Stimme klang jetzt eine Spur trauriger als in der Einleitung.

„Die Provinzen Kivu und Katanga im Ostkongo sind reich an Rohstoffen. Seit der Kolonialzeit werden hier Kobalt, Erze und Kupfer abgebaut. In den vergangenen Jahren aber ist ein ganz anderer Rohstoff in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Coltan. Dieses Erz enthält die seltenen Metalle Tantal und Niob, die zur Herstellung von Elektrolyt Kondensatoren dienen. Die stark gestiegene Nachfrage nach diesen Metallen, die besonders für die Produktion von Handys benötigt werden, hat die Preise explodieren lassen. Zehntausende sind in die Hauptabbaugebiete gezogen, um dort unter zum Teil barbarischen Verhältnissen in provisorischen Minen zu arbeiten. Das Hauptabbaugebiet für Coltan befindet sich mitten im Kahuzi-Biéga Nationalpark, den wir hier auf der Karte blau eingezeichnet sehen.“

Der Referent markierte den Nationalpark mit einem Laserpointer und nutzte die Gelegenheit durch seine Lesebrille auf sein Script zu schauen.

„Die Lebensbedingungen der Minenarbeiter sind unvorstellbar. Sie hausen in provisorischen Bushcamps, ohne Versorgung, ohne die geringsten Sicherheitsvorkehrungen, teilweise unter freiem Himmel. Die katastrophale Versorgungslage zwingt die Menschen im Nationalpark dazu, sich von „Bush Food“ zu ernähren, was bereits zur völligen Ausrottung der Elefanten im Nationalpark geführt hat. Gab es vor dem Krieg noch schätzungsweise acht tausend Flachland Gorillas im Nationalpark, so ist ihr Bestand jetzt auf deutlich unter tausend gesunken.“

Der Referent nahm einen Schluck Wasser und ließ das Dia eines abgenagten Gorillaarmes neben einer provisorischen Feuerstelle etwas länger stehen, als es notwendig gewesen wäre. Er hatte schon vor Jahren gelernt, dass diese Bilder einen wesentlich größeren Eindruck auf sein Publikum machten, als Bilder von verletzten oder gar verhungerten Menschen.

Als er sich vergewissert hatte, dass die ersten im Publikum ihre Blick abwandten, fuhr er fort.

„Hauptabnehmer für das Coltan ist die Firma H.C. Zorck aus Essen, die sich bis heute weigert, auf die Lieferungen aus dem Bürgerkriegsgebiet im Kongo zu verzichten und das, obwohl sie von uns und von anderen NGOs auf die Zusammenhänge zwischen ihrem Handel mit dem Coltan und der wachsenden Gewalt gegen die Schöpfung hingewiesen wurde.“

Ruiz nutzte das Raunen im Plenarsaal, um sich zu erheben, den Ausgang fest im Blick. Er war in Eile und hastete die Treppen des Kongresszentrums herunter. Isabelle hasste es, wenn er zu spät kam. Er hatte die Eingangshalle bereits halb durchquert, als er die hochfrequente Stimme von Frau Brockstedt vernahm.

„Ruiz schön, dass ich Sie noch erwische. Haben Sie einen Moment Zeit für mich?”

Er hielt augenblicklich inne. Genau das hatte er vermeiden wollen, aber jetzt war es zu spät. Frau Brockstedt, Verlegerwitwe und großzügige Mäzenin der Organisation tippelte ihm entgegen. Er lächelte und breitete seine Arme aus, als wolle er sie umarmen.

„Schön Sie zu sehen, Frau Brockstedt, was kann ich für Sie tun?”

Die zierliche Mittsechzigerin war etwas außer Atem, als sie Ruiz erreichte und kramte in ihrer Handtasche.

„Kompliment, ganz ausgezeichnet. Der Vortrag von Greg Cummings, wirklich beeindruckend. Haben Sie das arrangiert?”

Ruiz gab sich bescheiden. „Der Diane Fossey Gorilla Fund und Global Witness pflegen seit langem enge Kontakte zu Mr. Cummings.“

Ruiz war als hauptamtlicher Mitarbeiter für das Marketing und die Pressearbeit von Global Witness verantwortlich und auf jede Unterstützung angewiesen, um sein großes Ziel, den Posten des Chief Executive Europe, zu erreichen.

„Also wirklich, dieser Mann hat uns mehr als überzeugt.”

Frau Brockstedt sprach immer dann von sich im Plural, wenn es um die Verteilung von Spendengeldern der Stiftung ging, die sie treuhänderisch verwaltete. Mit diesem Alimentationsplural war ihr augenblicklich die höchste Aufmerksamkeit sicher.

„Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, wenn es Ihnen nichts ausmacht.”

Ruiz Lächeln hielt sich wie eingraviert auf seinem Gesicht. „Natürlich nicht, schießen sie los.”

Frau Brockstedt hatte mittlerweile eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche gefischt und sie Ruiz in die Hand gedrückt.

„Es geht um das Interview in der kommenden Woche. Sie erinnern sich, mit der Rundschau. Sie waren so freundlich.”

„Ja, natürlich erinnere ich mich.”

„Ich würde gerne das Zahlenmaterial aus Mr. Cummings Vortrag für das Interview verwenden. Können Sie arrangieren, dass er mich anruft und mir eine Kopie seiner Rede zukommen lässt?”

„Gerne, aber das kann ich auch direkt für Sie erledigen ich habe -”

„Nein,“ unterbrach ihn Frau Brockstedt, wobei ihre Augen absolute Entschlossenheit ausdrückten. „Es ist wünschenswert, dass er sich persönlich mit mir in Verbindung setzt.”

„Wie Sie wünschen“, dienerte Ruiz. „Kann ich mich auf Sie verlassen?”

Ruiz simulierte den Gesichtsausdruck eines zutiefst gekränkten Sizilianers und sah Frau Brockstedt vorwurfsvoll an.

„Gut, ich sehe schon, wir verstehen uns. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre gelifteten Grübchen. „Und grüßen Sie ihre Lebensgefährtin von mir, eine ganz bezaubernde Person.”

Frau Brockstedt stöckelte davon.

Ruiz stieg in seinen Wagen und kämpfte sich durch die Brüsseler Rush Hour. Er hatte seine Verspätung telefonisch angekündigt und stolperte am Eingang des Apartments über den Boten, der gerade zwei Portionen Sushi anliefern wollte. Ruiz bezahlte den Mann und fuhr in den dritten Stock.

„Einmal Sushi füh Flau Schoenwatel” näselte er, ein billiges linguistisches Klischee bedienend, in die Sprechanlage. Isabelle drückte auf.

Ruiz betrat das Apartment, das auf den ersten Blick an ein Völkerkundemuseum erinnerte. Mannshohe Holzstatuen richteten ihren Blick auf den Besucher und eine Sammlung afrikanischer Jagdgeräte hing an den Wänden. Dazu Trommeln, Körbe und Webwaren in allen Größen und Farben. Isabelles Faible für afrikanisches Kunsthandwerk war Gegenstand zahlreicher, teils heftiger Auseinandersetzungen. Ruiz kämpfte verzweifelt um die Einrichtung einer „maskenfreien Zone“ in ihrer gemeinsamen Wohnung, vergebens. Selbst bei der Verrichtung seiner Notdurft oder in der Badewanne wurde er von grimmig aussehenden markanten Artefakten mit ausladenden, breiten Nasenflügeln taxiert.

Häufigster Auslöser ihres Streites über den „Ethnokrimskrams“ war Isabelles Lieblingsmaske, ein Männerkopf mit einer Fes-ähnlichen Kopfbedeckung, die sie direkt über ihrem Bett angebracht hatte. Ruiz fühlte sich durch den Anblick des durchaus liebenswert dreinschauenden Mannes beim Liebesspiel nachhaltig gestört, hatte sich aber mit seinen Vorbehalten nicht durchsetzen können, da Isabelle geschickt mit dem Penisneid des weißen Mannes argumentiert hatte. Dabei befand sich in der Wohnung nur der kleinere Teil ihrer Devotionalien aus Afrika. Der Speicher war voll mit weiteren Stücken, die ihr Vater ihr als Entschädigung für seine permanente Abwesenheit immer wieder mitgebracht hatte.

Der Tisch war gedeckt und Isabelle hatte den Rotwein in eine Karaffe gefüllt. Das konnte zweierlei bedeuten. Entweder Ruiz hatte einen feierlichen Anlass vergessen oder Isabelle hatte einen besonderen Wein geöffnet und er würde den Herkunftsort raten müssen. Sie nahm ihm die Tüte ab und arrangierte die Fischstücke liebevoll auf die bereitstehenden Brettchen. Ruiz begab sich unter dem Vorwand mehr Ingwer zu benötigen in die Küche, durchstöberte den Altglaskorb und studierte das Etikett einer ihm unbekannten Weinflasche.

„Wie war der Kongress?” fragte Isabelle aus dem Esszimmer.

„Ich soll dich von Frau Brockstedt grüßen“, antwortete Ruiz, als er wieder am Tisch Platz nahm. „Sie war ganz verliebt in Cummings, der über die Ausrottung der Elefanten im Kahuzi Biega Nationalpark referiert hat. Das ist übrigens ein ganz heißes Thema. Da ist alles drin. Bedrohte Tiere, Völkermord, alte hässliche Kolonialgeschichten und die böse Industrie. Ich hatte selten so viele Presseanfragen.”

Zwischen Isabelle und Ruiz hatte sich ein festes Sushi- Tausch- Ritual eingespielt, er verschmähte den Tintenfisch und sie mochte den Rogen nicht. Dieser Tausch vollzog sich immer während des Essens, sodass sie sich abwechselnd vom eigenen und vom Brettchen des anderen bedienten. Auch bestellte Isabelle stets mehr California Rollen, als sie essen konnte.

„Dich interessieren die Elefanten doch gar nicht, Dich interessiert nur die Publicity.”

„So darfst du das nicht sehen“, rechtfertigte sich Ruiz, „ich versuche lediglich professionell zu sein. Mein Job ist es, Presseresonanz zu erzielen. Das mache ich, indem ich dafür sorge, dass meine Referenten Emotionen hervorrufen und nicht dadurch, dass ich Emotionen empfinde. So ist nun einmal das Geschäft.”

Isabelle wollte das Thema wechseln, nahm das Weinglas und prostete Ruiz zu. Er roch an dem Wein, setzte eine skeptische Miene auf und nahm einen Schluck.

„Reicht es nicht, dass uns die kalifornischen und südafrikanischen Winzer das Leben schwer machen? Warum kaufst du italienischen Wein und keinen französischen?“

„Sehr gut erkannt, der war im Angebot. Aber um zum Thema zurück zu kommen. Unsere Arbeit ist ein ethischer Auftrag. Geschäft, wenn ich das schon höre,“ bemerkte sie abschätzig und bediente sich von seinem Brettchen.

„Ich weiß, das hört die Basis nicht gerne. Aber auch eine NGO ist ein Geschäft. Vielleicht nicht in dem Sinne, dass sie Gewinne für ihre Eigentümer erzielt, sondern in dem Sinne, dass -”

„Ich weiß“, unterbrach sie. „Sei mir nicht böse, ich bin nur etwas ungehalten, wegen Großvater.”

„Solange du dich nicht traust, mich deiner Familie vorzustellen, kannst du von mir auch keine Ratschläge in dieser Sache erwarten.”

„Bitte nicht das schon wieder. Was soll das? Du hast Großvater doch schon kennen gelernt.”

Ruiz schüttelte den Kopf. „Das ich nicht lache. Wir haben ihn einmal zufällig bei den Weihnachtseinkäufen auf der Straße getroffen und er hat mich für den Boy gehalten, der dir die Pakete ins Auto trägt.”

„Das redest du dir nur ein. Er ist ein bisschen eigen, schließlich bin ich seine einzige Enkelin.”

„Eigen, dass ich nicht lache. Einen Standesdünkel hat er. Das ist alles. Einen ganz ordinären klassischen Patrizier Standesdünkel.” Ruiz war verärgert.

Er brachte das Geschirr in die Küche, murmelte etwas davon, dass er noch ins Netz müsse und verschwand in seinem Arbeitszimmer.

Ruiz hatte Recht und Isabelle wusste das auch. Großvater hatte bereits eine ganze Reihe von Versuchen gestartet, sie mit Vertretern des alten belgischen Geldadels zu verkuppeln. Er nannte Ruiz einen Habenichts und aus seiner Sicht war er das auch.

Etwas anderes beunruhigte sie. Sie überlegte fieberhaft, wie sie dem alten Herrn weitere Details über die Verstrickung seiner Geschäftspartner in den afrikanischen Bürgerkrieg entlocken konnte. Das letzte Mal war sie etwas zu weit gegangen und er hatte sehr ungehalten reagiert, als er bemerkte, dass es ihr nicht um irgendwelche Geschichten über den schwarzen Kontinent ging, die sie als kleines Kind so gerne gehört hatte, sondern dass ihre Fragen zunehmend denen ähnelten, die ein Untersuchungsausschuss zu stellen pflegt. Er war damals ausgewichen, hatte aber angedeutet, das Thema ein anderes Mal vertiefen zu wollen. Der alte Herr war ein Fuchs. Vierzig Jahre politische Arbeit hatten ihn zu einem Routinier im Umgang mit brisanten Informationen werden lassen. Wusste er, dass seine Enkelin sich für eine Menschenrechtsgruppe engagierte? Sie hatte es ihm nie erzählt und doch hatte sie manchmal den Eindruck, dass er sein Gewissen entlasten wolle. Oder stellte er sie nur auf die Probe? Sie hatte zum ersten Mal seit sie für Global Witness tätig war, den Eindruck, tatsächlich etwas bewegen und verändern zu können. Ihre Familie war eng mit der Kolonialgeschichte Belgiens verwoben - bis zum heutigen Tag. Ihr Großvater kannte jeden belgischen Kommandanten, der in Afrika Dienst tat. Oder um das Kind beim Namen zu nennen, kein belgischer Kommandant tat ohne das Zutun ihres Großvaters in Afrika Dienst. Sollte sie weiter die Naive spielen oder ihre Karten auf den Tisch legen? Denn, daran bestand kein Zweifel, wenn jemand die wahren Hintermänner der Vorgänge im Kahuzi-Biéga Nationalpark kannte, dann war es ihr Großvater.

Paranoid

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