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Wiedersehen in Scrabster

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Die Lautsprecher dröhnten unter dem Bass der Musik und zogen somit das Interesse der Männer, die gerade ihren Campingbus entluden, auf sich. Oder waren es doch eher die beiden hübschen jungen Frauen, die soeben mit ihrem Cabriolet auf den Parkplatz vor dem kleinen Hotel fuhren?

Ein breites Grinsen des Wiedererkennens legte sich in die Gesichter aller Anwesenden, als die Insassen aus dem Bentley stiegen.

Na, wenn das mal nicht unsere Lichthupen von der A9 an der Ostküste sind.“ Ein dunkelhaariger Typ mit Augen so blau wie ein Gletscher kam grinsend auf Anna und Larissa zu. Durch sein enganliegendes Shirt zeichnete sich ein verboten geiler Body ab. Die Jeans saßen tief auf der Hüfte.

Larissa verdrehte die Augen. Solche Typen, die sich der Wirkung ihres Aussehens zu bewusst waren und dann den Macho heraushängen ließen, waren so gar nicht ihr Ding.

Anna stupste ihre Freundin lachend an. „Gott, was für eine Anmache. Mal schauen, was da noch so kommt. Wahrscheinlich nur heiße Luft“, flüsterte sie ihr zu, während sie das Gepäck vom Rücksitz nahm.

Darf ich euch behilflich sein?“ Dabei griff der Kerl nach zwei der Reisetaschen. „Der lauten Musik noch nicht müde, die Damen? Wie wäre es dann heute Abend mit einem geselligen Beisammensein? Meine Freunde …“ Er nickte in Richtung Bus. „… und ich, wir würden uns geehrt fühlen, zwei so gut aussehende Ladys ausführen zu dürfen.“

Noch bevor Anna etwas erwidern konnte, hatte sich einer der andern zu ihnen gestellt. „Rico! Lass den Quatsch! Du vergraulst sie doch nur. Musst du immer so auf die … na du weißt schon … hauen.“ Er schlug mit der flachen Hand auf Ricos Hinterkopf und wandte sich dann an die beiden Mädels. „Tut mir echt leid, aber manchmal gehen einfach die Pferde mit ihm durch. Dann fehlt ihm jegliches Gefühl für Etikette. … Hallo, die Damen. Dieser überdrehte Typ ist Enrico, der da hinten an unserem Bus ist Julius und ich bin schlicht und einfach … Paul.“

Einfach Paul. Mindestens eins neunzig, durchtrainiert, markantes Gesicht mit warmen braunen Augen und einem dunkelblonden Dreitagebart. Seine Locken fielen ihm wild verwuschelt ins Gesicht und luden ein, mit der Hand mal eben so hindurchzufahren. Anna musterte ihn von oben bis unten und ihr gefiel, was sie da sah.

Anna, bitte“, zischte Larissa, die genau wusste, was hinter dem anerkennenden Blick ihrer Freundin steckte. Nach zwei Tagen ohne ein Zeichen ihres Freundes erachtete sie anscheinend, es sei an der Zeit, dass das Leben weitergehen müsste. Warum nicht mit einem kleinen Flirt.

Anna zuckte beinahe entschuldigend mit den Schultern. Dann sah sie Paul verschmitzt an. „Also, einfach nur Paul. Wie kommt es, dass ihr uns sofort deutsch angesprochen habt? Haben wir ein Schild auf der Stirn?“

Paul und Rico brachen in Lachen aus.

Nee. Aber die Wirtin hier hat uns erzählt, dass noch zwei Ladys aus Deutschland für heute Nacht erwartet werden, die morgen die Mittagsfähre nach Stromness gebucht hätten“, meldetet sich der dritte im Bunde zu Wort. „Scrabster ist ein kleiner Ort. Wenn da die beiden Betreiberinnen einer angesagten Facebook-Fanpage für Individualreisen durchkommen und die dann auch noch solche Knallerfrauen sind, sorgt das natürlich schon für viel Gerede. … Hallo …“ Julius reichte den Knallerfrauen, wie er Anna und Larissa mit einem Augenzwinkern bezeichnete, die Hand. „Und? Wie schaut es aus? Hat unser Charmeur Glück gehabt? Kommt ihr dann mit ins Upper Deck einen drauf machen?“

Knallerfrauen … ja? Und wer bitte ist hier der Charmeur? Du meinst jetzt nicht diesen Aufreißer Rico? … Aber mal im Ernst. Ihr wisst ja nun schon eine ganze Menge über uns. Was gibt es denn über euch zu sagen? Ich meine, außer eure Namen?“ Anna wackelte mit den Augenbrauen, verdrehte die Augen in Richtung Paul. Eindeutig ein Zeichen für ihre Freundin. Dann hakte sie sich bei Julius und Rico ein und zog die beiden mit sich. Gemeinsam schlenderten sie, ausgelassen miteinander scherzend, in Richtung Hotel. Ihr Lachen war weit über den Parkplatz zu hören.

Larissa und Paul blickten ihnen nach.

Ich hätte nicht gedacht, dass deine Freundin so … na ja, eben so drauf ist. Sie macht eher einen so distinguierten ersten Eindruck. Ganz im Gegensatz zu dir. Da hat man das Gefühl, dich schon ewig zu kennen. Du strahlst eine ungezwungene Natürlichkeit aus …“

Genug! Genug!“, unterbrach ihn Larissa lachend. „Ihr habt es wirklich alle drei drauf, den Frauen Honig … ums Maul schmieren.“ Die letzten Worte flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. „Aber wer kann schon so viel Süßes vertragen.“ Den Kopf schüttelnd und noch immer vor sich hin grinsend machte sich Larissa daran, das Verdeck des Cabrios zu schließen. Dabei blitzte es in ihren Augen vor Schalk. Sie schnappte sich ihre Fotoausrüstung und die Laptoptasche und wandte sich dann wieder Paul zu. „So, so … angesagte Facebook-Fanpage für Individualreisen … Dabei liegen wir noch in den Windeln mit unserer Plattform. Reiserouten durch Frankreich und Italien machen uns noch nicht angesagt. Tja, und was Anna und mich betrifft … Manchmal trügt der Schein. … Und was ist mit euch? Freunde? Urlaub?“

Freunde. Eingeschworene Freunde seit dem ersten Schultag. Wir sind jetzt auf dem Weg in so ein abgelegenes Nest auf den Inseln. Mehr ein einsames Gehöft. Zu einer Hochzeit. Ein Freund von uns.“ Auf den fragenden Blick Larissas ergänzte Paul: „Sean war Austauschschüler. So haben wir uns kennengelernt. Die vier Musketiere. Einer für alle – alle für einen. Er fand seine Mylady bereits. Jetzt hat er den Familienbetrieb übernommen und ist sesshaft geworden. Die haben eine kleine Schaffarm oben in der Nähe von Birsay. Wolle, Käse und so. Ein kleines Gasthaus … Bed and Breakfast, Tagesausflüge … Halt von allem, womit sich was verdienen lässt.“

Na wie lustig. Dann können wir ja noch ein ganzes Stück zusammen weiterfahren. Wir wollen hinauf zum Earl's Palace und weiter zum Brough of Birsay.“

Gemeinsam überquerten beide den Parkplatz und die Straße.

Im Hotel angekommen, lehnte sich Paul lässig an den Tresen der Rezeption und beobachtete Larissa neugierig, wie sie sich anmeldete und den Schlüssel zu ihrem Zimmer entgegennahm. „Ihr wohnt nicht zusammen … du und Anna?“

Larissa drehte sich zu ihm um und schüttelte verneinend den Kopf. Wenn sie und Anna schon den ganzen Tag im Auto gemeinsam unterwegs waren, so brauchte doch jeder einige Stunden für sich und einen ganz privaten Rückzugsort. Deshalb hatten sie immer getrennte Zimmer gebucht. Außerdem konnte man ja nie wissen …

Lara? Sehen wir uns dann noch?“

Verwirrt schaute sie Paul an. Kann Paul Gedanken lesen? Oh Gott,flirtet der mit mir? … Nein. Nein, auf gar keinen Fall. Das bildest du dir nur ein.

Zum Abendessen im Upper Deck ?“

Stimmt. Die Jungs sagten ja so was. Auch wenn sich Larissa einredete, es sei doch alles ganz harmlos, konnte sie nicht verhindern, dass ihr unter Pauls erwartungsvollem Blick heiß wurde und alles Blut in die Wangen schoss. Dennoch sah sie, wie magisch angezogen, in seine verführerischen braunen Augen. „Wohl eher nicht. Ich bin total fertig. Es war ein langer Tag. Außerdem wollte ich eventuell noch zum Leuchtturm und vielleicht zum Holburn, den Sonnenuntergang aufnehmen. … Ich werde mir eine Kleinigkeit aufs Zimmer bringen lassen und dann den heutigen Tag aufarbeiten und online stellen. … Tut mir leid, Paul. Aber lass dir davon nicht den Abend verhageln. Anna wird auf jeden Fall da sein. … Wir sehen uns dann morgen auf der Fähre.“

Noch bevor Paul etwas erwidern konnte, eilte Larissa den Gang hinunter. Er schaute ihr noch nach, bis sie in ihrem Zimmer verschwand. Ein bedauerndes Lächeln umspielte seinen Mund. Dann zuckte er mit den Schultern und machte sich auf die Suche nach seinen Freunden.

Mit zitternden Knien lehnte sich Larissa an die geschlossene Tür. Paul hatte tatsächlich mit ihr geflirtet. Mit ihr. Für gewöhnlich hatten die Männer nur Augen für Anna. Anna war schlank, mit den richtigen Rundungen an den richtigen Stellen. Nicht zu viel. Nicht zu wenig. Gerade richtig. Das Türkis ihrer Augen war ein Hingucker. Ihr Haar in allen Schattierungen jeglicher Brauntöne war stets akkurat und topaktuell gestylt. Anna besaß all das, was Männer sexy fanden.

Nur mit Mühe hatte Larissa im Gespräch mit Paul ihre Fassung wahren können. Von dem verräterischen Rot ihrer Wangen abgesehen. Nun galt es, sich erst einmal zu beruhigen, die Sache von allen Seiten zu beleuchten und dann würde sich von allein herausstellen, dass Paul nur nett sein wollte und sie sich das Feuer in seinen Augen nur eingebildet hatte.

Mitten in ihren Überlegungen hinein klopfte es an die Tür. „Halloho! Lara? Bist du da? Mach auf! Hier ist deine allerbeste Freundin.“

Anna. Da werde ich wohl aufmachen müssen. „Momentchen! Sofort!“ Larissa sammelte sich, legte die Fotoausrüstung, die sie noch immer krampfhaft in den Händen hielt, beiseite. Schnell in den Spiegel neben der Tür geschaut, ihre kühlen Hände an die roten Wangen gedrückt … Als ob das was bringen würde. Hoffentlich bemerkt Anna davon nichts. Sonst zieht sie mich nur wieder mit meiner Verlegenheit auf. Sie öffnete die Tür, bevor Anna das gesamte Hotel zusammentrommeln konnte.

Die trat, mit einem Fuß Larissas Reisetasche vor sich herschiebend, ins Zimmer und nahm die Einrichtung in Augenschein. Sie kniff die Augen zusammen und schürzte die Lippen. „Schön. Warum bekommst du immer die schöneren Zimmer?“ Als sie Larissas entsetzten Blick sah, warf sie sich auf das Doppelbett und kicherte vor sich hin. „Ach komm schon. Das war nur ein Scherz. Mein Zimmer sieht genauso aus. … Hier … ich habe deine Tasche mitgebracht. Zieh dich um und komm. Die Jungs warten schon auf uns. Und ich glaube, dieser Paul hat ein Auge auf dich geworfen. Der ist aber auch eine Sahneschnitte. Also ich würde den bestimmt nicht von der Bettkante schubsen?“

Echt jetzt? Die letzten zwei Tage zu Tode betrübt und heute so vollkommen ausgeflippt? Man könnte meinen, Anna hätte was eingeworfen. Larissa atmete tief durch. „Mann, Anna!“ Sie nahm ihre Reisetasche und begann ihre Kosmetikartikel, Schlappen und ein Longshirt für die Nacht bereit zu legen. „Ich werde nicht mitkommen. Du kannst Paul haben, wenn du möchtest. Der war nur nett zu mir, weil du mit Rico und Julius losgezogen bist.“

Vom Bett her kam ein undamenhaftes Schnauben.

Larissa wusste, Anna wollte so etwas nicht hören. Und dennoch. „Du denkst doch nicht, dass Paul mehr in mir sehen könnte als die nette Freundin der Frau, nach der sich alle Kerle umschauen. An mir ist nun wirklich nichts sexy. Hier … zu viel … und dort … zu viel … und von meinen Titten will ich gar nicht erst reden.“ Dabei zeigte Larissa missgestimmt auf all ihre weiblichen Rundungen, von denen sie annahm, sie wären zu üppig.

Plötzlich stand Anna hinter ihr und bugsierte sie vor den Spiegel. „Und nun sag mir, was du siehst. … Augen von einem fantastischen Blau durchzogen von einem helleren Strahlenkranz. Wo findet man solche Augen? … Dein ebenmäßiges Gesicht … zart, wie gemeißelt. Weißt du, wie viele dich darum beneiden würden? … Diese klassisch geschwungenen Augenbrauen und deine unverschämt langen schwarzen Wimpern. … Und dann …“ Anna zog an Larissas dickem, langem Zopf. „… Wer hätte nicht gern solches Haar? … Also, jetzt sag mir nochmal, dass du nicht schön bist. Übrigens soll es Männer geben, die gern was in den Händen haben.“ Sie klopfte ihrer Freundin auf den Hintern, wühlte dann in Larissas Reisetasche und zog neben einer Jeans ein gewagtes Top heraus. „Damit werden Paul die Augen aus dem Kopf fallen.“

So sieht mich Anna? Nun ja, sie ist meine Freundin. Und Freundinnen tun sich nicht weh. Aber andererseits sind sie auch immer ehrlich zueinander. Sollte ich wirklich …

Abrupt schnellte Larissa herum und starrte auf das Fenster. Im Spiegelbild hatte sie ihn gesehen, wie er ihr Zimmer durch die Scheiben betrachtete. Ihn … schulterlanges, graues Haar, das Glühen der Hölle in den Augen und das ganze Gesicht zu einer bösartigen Fratze verzerrt. Ihn, den Alten, der sie schon den ganzen Tag zu verfolgen schien.

Alle Farbe war aus ihren Wangen gewichen, alle Härchen hatten sich aufgestellt und ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper.

Anna folgte dem Blick ihrer Freundin zum Fenster. Hä? Was starrt sie denn so? Da ist doch aber gar nichts. Gott, was ist denn los mit ihr? „Lara?“

Diese nahm anscheinend gar nichts von ihrer Umgebung wahr. Ihre Augen schauten nur starr geradeaus.

Und Anna wiederum konnte sich Larissas plötzliches Benehmen in keiner Weise erklären. Liegt es an den Klamotten, die ich für sie herausgesucht habe? … So schlimm sind die doch gar nicht. Oder ist es die Bemerkung über Paul? „Lara!“

Larissa zuckte zusammen, schien aber noch nicht im Jetzt und Hier angekommen zu sein. Geistesabwesend murmelte sie vor sich hin. Ihr Worte waren kaum zu verstehen. „Tut mir leid. Was hast du gesagt?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach sie einfach weiter. „Hm … Ähm … Geh allein ins Upper Deck . Ich … Hm … Ich werde wohl gleich ins Bett gehen. Irgendwie ist mir … Ich glaube, ich fange an zu halluzinieren. Das ist alles so … Wahrscheinlich brauche ich nur etwas Ruhe.“

So richtig schlau wurde Anna aus dem gestotterten Gefasel ihrer Freundin nicht. Aber da sie wirklich aussah, als hätte sie Gespenster gesehen, befand sie auch, es wäre besser, sie ruhe sich aus. „Soll ich hier bei dir bleiben? Es macht mir nichts aus. Und die Jungs sehen wir ja morgen sowieso.“

Nein. Nein, geh du nur.“ Langsam begann sich Larissa auszuziehen und ohne die Freundin weiter zu beachten, kletterte sie ins Bett. Sie lag auf dem Rücken und blickte unverwandt an die Decke.

Anna stand unentschlossen da und betrachtete sorgenvoll die blasse Erscheinung, die sich kaum vom Bettzeug abhob. Vielleicht hat sie ja recht und braucht einfach nur Ruhe. Ich habe ihr wohl in den letzten beiden Tagen, als ich mich in Selbstmitleid gesuhlt habe, zu viel zugemutet. „Okay Schatz, du hast sicherlich recht. Du solltest dich wirklich etwas ausruhen. Wenn was sein sollte, ich habe mein Handy dabei. Und sobald ich zurück bin, schaue ich nochmal bei dir rein.“ Damit schloss sie leise die Tür.

***

Im Lichtschein, der durch den Spalt der geöffneten Tür fiel, sah Larissa zwei dunkle Gestalten, die sich lautlos auf ihr Bett zubewegten. Wie spät mochte es sein? Anna? Wer war da bei ihr? Hm … Aber sie hat doch gar nicht geklopft? Was …?

Larissa blinzelte, um mehr zu sehen. Es war komisch. Sie konnte sich nicht rühren. Kein Laut kam über ihre Lippen. Dann war da ein beißender Geruch und alles wurde finster um sie herum.

Sie fröstelte. Ein schneidender Wind zerrte an ihrem dünnen Shirt, welches sie nachts trug. Larissa schnappte nach Luft und riss entsetzt die Augen auf.

Sie flog.

Über ihr war nur der schwarze Himmel mit Tausenden von Sternen zu sehen. Unter ihr toste der Nord-Atlantik.

Links und rechts wurde sie von zwei Schatten, mehr konnte sie nicht erkennen, derb an den Oberarmen gehalten. Selbst wenn sie sich hätte befreien können, wäre sie einfach nur ins Meer gefallen und in den kalten Fluten ertrunken.

Plötzlich tauchte vor ihnen aus der Finsternis eine Insel auf. Nur blankes Felsgestein mitten im Ozean in dem ein Höhleneingang sichtbar war.

Unerwartet ging ein Ruck durch Larissas Körper, dann landete sie unsanft auf dem harten Boden. Gischt brandete an den Felsen und überschwemmte Teile der Höhle.

Durchnässt, frierend und desorientiert schaute sich Larissa um. Die Schatten waren verschwunden. Sie war allein. Verzweifelt versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Körper reagierte, ihr Geist blieb verschlossen. Um dem kalten Salzwasser zu entfliehen, trat sie weiter in die Höhle hinein, die sich nach einigen Metern zu einem Tunnel verjüngte. Wohin dieser auch führen mochte, es war der einzige Weg, den sie einschlagen konnte, wollte sie nicht hier draußen Wind und Wetter ausgesetzt sein. Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, betrat sie den Gang und stockte.

Es war seltsam. Sofort erhellte ein gedämmtes Licht den Raum vor ihr, dessen Ende man nur erahnen konnte. Der Boden war warm, glatt und auf Hochglanz poliert. Ein sanfter Luftzug wehte ihr entgegen. Larissa empfand diesen als sehr angenehm. Er wärmte und trocknete sie. Nach weiteren Schritten verschob sich hinter ihr, Kiesel zermalmend, der Fels und versperrte den Rückweg. Wenn Larissa nicht schon Gänsehaut und ein mulmiges Gefühl im Magen gehabt hätte, dies wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.

Wer oder was würde sie hier erwarten? Einfach stehen bleiben war keine Option und so setzte sie, sich immer wieder ängstlich umschauend, ihren Weg fort. Wo würde der Tunnel enden? War es gar ein Labyrinth? Aber wie groß konnte dieses sein, wenn es sich im Inneren einer von oben überschaubar großen Insel befand?

Hatten sich in der Tat erste Fragen in ihren Geist geschlichen? Und doch … Sie horchte in sich hinein. Ihr Kopf war wie leer. Oder war da etwas? Nein. Die Geräusche kamen aus einer weiteren Höhle, die sich zu ihrer Rechten auftat.

Argwöhnisch spähte Larissa durch die offene Tür. Vor Entsetzen blieb sie wie erstarrt stehen. Was?!

In unzählige runde Käfige, die von der Höhlendecke herabhingen, waren Gestalten eingepfercht, die kaum noch Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen hatten. Abgemagert, verwahrlost, schmutzig, blutverkrustet. Mehr tot als lebendig. Viele lagen apathisch auf den Gittern. Andere stöhnten und hielten ihr flehend ihre dünnen Arme entgegen.

Das Wehklagen in den Ohren brachte Leben in Larissa. Panikartig wich sie zurück. Nach Halt suchend lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand, schloss die Augen und atmete tief durch. Fragen wirbelten wild durch ihren Kopf. Menschen. Wie konnte das sein? Wer …? Warum …? Oh Gott. Wo bin ich hier nur?

Weiter! Ein leises Flüstern. Ein Zwang.

Sie musste weiter. Und so lief sie den Gang entlang, der mittlerweile abschüssig in den Fels hineinführte. Eine Kammer reihte sich nunmehr an die andere, die sie flüchtig aus den Augenwinkeln wahrnahm. Doch sie wollte nicht stehen bleiben und weitere Blicke riskieren, denn schon konnte sie am Ende des Ganges ein großes, mit Edelsteinen besetztes Tor sehen. Was würde sie dahinter erwarten? Larissa verlangsamte ihre Schritte. Hier war kein Geräusch mehr zu vernehmen. Zögernd schob sie einen Flügel auf. Nur einen Spalt, um hindurchzuschauen. Ihr blieb fast das Herz stehen.

Eine riesige Halle, von der sie nur einen Bruchteil einsehen konnte, lag vor ihr. Vorsichtig schob sie ihren Körper hinein. Nun blieb nicht nur ihr Herz stehen, sondern der Anblick und die Geräuschkulisse verschlugen ihr regelrecht den Atem.

Die Luft war geschwängert von Schmerz, Schweiß und Sex. Bisher hatte Larissa nur von BDSM und einschlägigen Clubs gelesen. Aber was sie hier vorfand, war … eine Sexorgie ohnegleichen. Frauen gefesselt an Andreaskreuzen oder von der Decke hängend, die den Lustschmerz durch die Peitsche hinausschrien. Andere wiederum geschnürt bis zur Bewegungslosigkeit, mit weit geöffneten Beinen und für jedermann verfügbar.

Larissa wurde von der Vielfalt der Spielmöglichkeiten erschlagen. Egal wohin sie blickte, selten waren weniger als zwei oder drei Personen zugange. Während die einen ihre Lust befriedigten, labten sich andere am Blut der Gespielinnen. Die, die nicht zum Zug kamen, feuerten die Akteure lautstark an. Sie soffen und fraßen und johlten ohne Unterlass.

Noch hatte keiner Larissa gesehen. Oder sie nahmen schlicht keine Notiz von ihr. Sie legte auch keinen Wert darauf, dass sich das änderte. Eilig schritt sie auf dem roten Teppich vom Tor in den hinteren Bereich der Halle … bis hin zu einem Thron aus weiß polierten Knochen.

Von Panik ergriffen, begann sie am ganzen Körper zu zittern.

Gaben des Schicksals

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