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Tod am Holburn Head

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Ein gellender Schrei ging ihr durch Mark und Bein. Aufrecht im Bett sitzend rang Larissa nach Luft. Es fiel ihr schwer sich zu orientieren. Ein Schrei. Mein Schrei? Habe ich geträumt? Was … Gott, ich weiß es nicht mehr.

Sie hörte ihr Herz viel zu schnell schlagen und spürte das Adrenalin durch ihren Körper bis in die letzte Zelle jagen. Sie konnte das unkontrollierte Zittern nicht unterdrücken. Ihre Haut glühte und doch zitterte sie vor innerer Kälte. Panisch starrten ihre Augen auf einen imaginären Punkt. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Das von Schweiß getränkte Shirt klebte ihr am Körper. Wie in Trance strich sie sich die Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem Gesicht. Die Lungen bekamen noch immer nicht genügend Sauerstoff. Du musst dich beruhigen. Atme, Larissa. Alles ist gut. Du bist in deinem Hotelzimmer. In deinem Bett. Es war nur ein Traum. Ein Albtraum.

Sich bedächtig vor und zurück schaukelnd und damit zur Ruhe zwingend schaute sich Larissa argwöhnisch im Zimmer um. Die Morgendämmerung tauchte den Raum mitsamt seinem Mobiliar in ein mattes Zwielicht. Ansonsten war alles genau wie am Abend des Vortages. Nichts hatte sich verändert. Morgendämmerung. Wie spät mochte es wohl sein? Hatte Anna heute Nacht nochmals hereingeschaut?

Larissa stand auf und tapste auf wackligen Beinen zum Fenster. Draußen war noch alles ruhig. Weit hinten am Horizont schob sich langsam eine blutrote Sonne den Himmel empor. Ein Blick auf das Handy zeigte, dass es gerade einmal fünf war. Sich wieder hinlegen, lohnte nicht und so beschloss sie, eine ausgiebige heiße Dusche zu nehmen, ihre Sachen zu packen und im Anschluss einige Impressionen der Gegend im Licht des frühen Morgens einzufangen.

Als sie auf dem Weg ins Bad am Spiegel gegenüber dem Fenster vorbeikam, blitzte kurz die Erinnerung an den gestrigen Abend auf. An das Gesicht, welches sich an die Fensterscheibe drückte. An den alten Mann mit den weißen, schulterlangen Haaren, den schwarzen Augen und dem fiesen Grinsen. An die unheimliche Person, die anscheinend nur von ihr wahrgenommen wurde und die sie zu verfolgen schien. Entspringt er nur meiner Fantasie? Einbildung? Ein Hirngespinst? War er in meinem Traum? Von was auch immer ich geträumt habe …

Ein Schrei.

Wenn der Himmel blutrot - wartet der Tod.

Alles vorbei.

Was?!

Kaltes Grauen kroch über ihren Körper und hinterließ eine Gänsehaut. Mit aller Macht riss sie sich von ihrem Spiegelbild los, schüttelte dieses unangenehme Gefühl ab und schlüpfte schnell ins Badezimmer.

Larissa zog sich das feuchte Schlafshirt über den Kopf und befreite gleichzeitig ihr Haar aus dem wirren Zopf. Mit einem Seufzer stieg sie unter die Dusche. Das heiße Wasser lief über ihren Körper und ein wohliger Schauer vertrieb die Kälte aus ihrem Inneren. Mit geschlossenen Augen stand sie an die Fliesen gelehnt, nur dem Rauschen des Wasserstrahls lauschend.

Ganz konnte sie nicht abschalten. Immer wieder flogen Fetzen vor ihrem inneren Auge vorbei. Dunkle Schatten. Ein tobendes Meer. Hände, die durch Gitterstäbe nach ihr griffen. Ketten. Seile. Peitschen. Frauen. Männer. … Ein Thron.

Unvermittelt stellte Larissa das Wasser ab. Sie beugte sich nach vorn und stemmte sich mit den Händen auf ihren Knien ab. Sie keuchte. Was war das? Mein Traum?

Tief durchatmend richtete sie sich auf, griff entschlossen nach dem Shampoo und begann sich die Haare zu waschen. Ein zart blumiger, frischer, süßer und lieblicher Duft machte sich augenblicklich im Raum breit. Larissa liebte das Odeur der Neroliöle ihrer eigenen Kosmetikkreationen. Sie ließen sie sie selbst sein.

***

Wenig später trat die junge Frau bekleidet mit einem Rollkragenpullover, Jeans und bequemen, aber festen Wanderschuhen auf die Straße. Sie atmete die frische würzige Luft, die vom Meer herüberkam, tief ein.

Da die Morgenstunden hier an der schottischen Küste noch recht kühl waren, fuhr sie in einen flauschigen Long-Cardigan, den sie vorausschauend über dem Arm bei sich trug.

Mit ihrer Kamera machte sie sich in Richtung Leuchtturm auf. Gern wäre sie bis zum Holborn Head gewandert, um die Klippen und einmaligen Felsformationen aufzunehmen, doch reichte dafür die Zeit nicht. Bald würden die anderen, Anna und die Jungs, beim Frühstück auf sie warten. Also schritt sie weit aus, um in kürzester Zeit so viele Aufnahmen wie nur möglich zu machen. Vom Hafen. Vom Meer. Vom Leuchtturm.

Sich ausschließlich auf die Motive der Umgebung konzentrierend bemerkte Larissa erst als sie direkt davor stand, dass sie bereits am Leuchtturm angekommen war. Es war keiner der üblichen Leuchttürme. Wohl eher ein Türmchen aufgesetzt auf ein weiß getünchtes, zweistöckiges Haus mit ockerfarbenen Fensterrahmen. Larissa schmunzelte vor sich hin. Entzückend. Einfach entzückend. … Hm, wenn ich schon so weit gekommen bin … Ein flüchtiger Blick auf die Uhr . Vielleicht sollte ich mir Holborn Head doch nicht entgehen lassen. Dann gibt es halt nur ein kurzes Frühstück.

Ein sehr schöner Wanderweg führte sie über die Klippen. Außer Schafen auf ausgedehnten Weiden war noch kein anderes Lebewesen zu sehen. Oder doch, denn weiter landeinwärts war ein Reiter im gestreckten Galopp unterwegs.

Larissa hielt die Kamera drauf und automatisch wurden mehrere Schnappschüsse auf den Chip gebannt.

Mit großen Augen betrachtete sie die Aufnahmen.

Ein großes, kräftiges schwarzes Pferd mit Puscheln an den Füßen und einer langen Mähne. Sie kannte sich mit diesen Tieren nicht so genau aus. Wusste also nicht zu sagen, welche Rasse. Nur dass es einen sehr agilen und temperamentvollen Eindruck machte. Wie ein Schlachtross mit seinem Reiter.

Letzterer erweckte bei der jungen Frau allerdings mehr Aufmerksamkeit als der Rappe. In Stiefeln, Jeans und oben ohne. Sein langes, goldblondes Haar wehte wie eine Fahne im Wind. Was für eine Augenweite.

Nochmals schaute sie auf, um noch einen Blick auf den Reiter zu erhaschen. Leider verschwand der gerade hinter dem nächsten Hügel. Enttäuscht tief ausatmend widmete sie sich deshalb der Aussicht über Thurso und Orkney, die äußerst lohnenswert war und sie durchaus entschädigte.

Mit sich und ihrem Ausflug zufrieden machte sich Larissa auf den Rückweg. Und ein weiterer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie doch noch rechtzeitig zum Frühstück zurück sein würde. Zum Glück, denn langsam machte sich in der Tat ihr Magen bemerkbar. Seit dem Imbiss in John o' Groats am Vortag hatte sie nichts mehr gegessen.

Sofort drehten sich ihre Gedanken um ein echtes schottisches Frühstück, bestehend aus Rührei und knusprig gebratenem Schinken, Grilltomaten und Grillwürsten, Black Pudding und Haggis. Dazu gerösteter Toast und Butter.

Genüsslich leckte sie sich die Lippen. Wie peinlich. Jetzt reiß dich mal zusammen. Kein Wunder, dass du ausschaust, wie du ausschaust, wenn dir ständig der Zahn tropft. Keine Disziplin. Los, lenk' dich gefälligst ab.

Sich nach Motiven, die sie noch nicht eingefangen hatte, umschauend, sah sie die Fähre aus Stromness in den Hafen einlaufen. Schon in einer Dreiviertelstunde sollte das Schiff wieder ablegen und zurück auf die Orkneyinseln fahren. Auf der Mittagsfähre würden dann Rico, Julius und Paul mitfahren, und natürlich auch Anna und sie selbst.

Paul. Ob er ihr böse war, dass sie gestern seine Einladung einfach so abgelehnt hatte? Ach was. Nicht schon wieder. Paul war nur nett und Anna wird die Wogen schon geglättet haben. Immerhin war es ja höhere Gewalt. Sich selbst innerlich beruhigend wäre Larissa um ein Haar in ihn hineingelaufen.

Sachte, junge Dame.“ Paul konnte ihr gerade noch ausweichen. „Guten Morgen. … Und, geht’s dir besser? Wie ich sehe, warst du schon draußen arbeiten?“ Dabei zeigte er auf ihre Kamera. Paul betrachtete Larissa mit leicht zur Seite geneigten Kopf. Ihm gefielen ihre von der frischen Luft geröteten Wangen und ihre vor Zufriedenheit leuchtenden Augen. „Kommst du mit frühstücken?“

Rico und Julius marschierten mit einem Morgengruß auf den Lippen und vielsagend feixend an ihnen vorbei ins benachbarte Restaurant.

Und schon bin ich wieder mit Paul allein. Wenn er jetzt noch wüsste, dass meine Wangen nicht unbedingt nur von der Seeluft diese verräterische Farbe angenommen haben … Weiter mochte sie gar nicht denken. „Dir auch einen guten Morgen. Und ja, ich war schon draußen. Am Holborn Head. Es ist unglaublich schön da. Eine Aussicht … klasse. Ähm … Ich will nur schnell noch Anna abholen. … Aber ihr könnt uns gern zwei Plätze reservieren. Es wird bestimmt nicht lange dauern.“ Und bevor Paul etwas erwidern konnte, war sie ihm ein weiteres Mal entwischt.

Larissa brachte ihre Fotoausrüstung und ihre Strickjacke in ihr Zimmer, um gleich darauf an Annas Tür zu klopfen. „Anna! Kommst du früh…“ Die Worte blieben Larissa im Hals stecken.

Das Schloss der Tür war nicht richtig eingerastet, denn bei der Berührung öffnete sie sich einen Spalt.

Es war viel zu ruhig. Kein Laut.

Anna war nicht da.

Auch im angrenzenden Bad nicht. Das Bett war unberührt. Ihre persönlichen Sachen, wie Latschen, Bademantel, Kosmetikartikel … nichts davon war ausgepackt. Lediglich die Kleidung vom Vortag lag neben der Reisetasche. Sonst sah das Zimmer aus, als ob eben erst eingecheckt wurde.

Außer Anna fehlte auch jede Spur ihrer Handtasche inklusive Handy. Das konnte nur bedeuten, sie hatte nicht in ihrem Zimmer geschlafen.

Wo steckst du? Ob die Jungs etwas wissen? Immerhin haben sie gemeinsam mit dir den Abend verbracht. Einer vielleicht sogar die Nacht? Aber warum bist du dann noch nicht zurück? Rico, Julius und Paul sind mir doch schon vor dem Hotel über den Weg gelaufen. Also musst du doch Zeit gehabt haben, unbemerkt dein Zimmer aufzusuchen. Eine Nachricht hast du auch nicht hinterlassen. Also irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Vorerst wollte Larissa die Pferde nicht scheu machen. Sie musste mit den Jungs sprechen. Deshalb machte sie auf dem Absatz kehrt. Unterwegs in Richtung Ausgang fragte sie auch gleich an der Rezeption, ob von den Angestellten eventuell jemand ihre Freundin gesehen hatte. Doch ohne Erfolg. Als sie das Restaurant betrat, sah sie Paul schon von Weitem winken. Er hatte einen Tisch am Fenster besetzt, mit Blick auf den Hafen.

Rico und Julius waren in ein Gespräch vertieft und schauten erstaunt zu Larissa auf. „Wo hast du denn Anna gelassen? Schläft wohl noch? Hat sich bestimmt die ganze Nacht um die Ohren gehauen“, fragte Rico mit einem süffisanten Grinsen und wackelte geheimnisvoll mit den Augenbrauen.

Ähm ... Was? Wie … Nacht um die Ohren gehauen? Sie war doch mit euch zusammen? … Versteh ich jetzt nicht.“ Larissa meinte im falschen Film zu sein. Was sollte denn diese Bemerkung schon wieder? Seit Annas geplatzter Verlobung nahm die Schottlandreise eine sehr sonderbare Entwicklung. Ständig das Gefühl verfolgt zu werden, Annas wechselnde Launen und nun sollte sie ein ausschweifendes Nachtleben geführt haben. Das passte alles nicht.

Larissa musste die drei Freunde offenbar entsetzt angestarrt haben, denn diese änderten sofort ihre Mimik von ausgelassen zu ernst. „Wie jetzt? Lara? Was ist mit Anna? Hat sie dir das nicht erzählt? … Sie bekam gegen elf eine SMS, hat gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, auf den Tisch geklopft und gemeint, wir müssten jetzt auf sie verzichten und wir täten ihr deshalb auch schrecklich leid, aber sie hätte etwas Besseres vor. … Na ja, und weg war sie.“

Da sie uns kurz vorher von ihrem Verlobten erzählt hat, dachten wir uns nichts dabei. Haben einfach nur angenommen, er sei der Absender gewesen“, ergänzte Julius Ricos Bericht.

Paul nahm Larissa an den Schultern und drückte sie auf einen Stuhl. „Hey, Lara, setz dich. Nicht dass du hier noch umkippst. Du bist ja weiß wie die Wand. Was ist denn los mit dir?“

Sie ist nicht da!“, platzte es aus ihr heraus.

Was?“ Wie aus einem Mund kam die Frage der drei Freunde. „Wer ist nicht da? Anna? Aber …“

Ich war in ihrem Zimmer. Das Bett, das Bad … Alles unbenutzt. Aus der Reisetasche fehlt lediglich das Outfit von gestern Abend. Ansonsten ist nichts ausgepackt. … An der Rezeption hat sie keiner gesehen. … Ich dachte, vielleicht dass einer von euch …“, unterbrach Larissa Paul hastig. Sie knetete ihre Hände im Schoß und fixierte einen Punkt draußen auf dem Meer.

Dachte sie, einer von ihnen …? Okay, hätte ja möglich sein können, aber dass sie nicht da war … Die Männer mussten diese Nachricht erst einmal verdauen. Und so entstand eine Pause. Schweigen machte sich breit. Wo konnte Anna nur sein? Wer hat sie angesimst?

SMS. Handy. Julius stupste Larissa vorsichtig an. „Hast du schon versucht sie anzurufen?“

Für einen Moment sah sie ihn verdutzt an.

Darauf hätte ich auch allein kommen können. Wie blöd von mir, hier so eine Panik zu verbreiten. Mann, Larissa. Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Sie schüttelt den Kopf, holte aber sofort ihr Handy aus der Tasche und tippte die Kurzwahltaste. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bevor die Mailbox ansprang. Das war nicht gut. Obwohl Larissa wusste, dass Anna nicht immer gleich an ihr Handy ging, aber das war definitiv nicht gut. Anna war eigentlich immer verantwortungsbewusst und ließ sie nie im Dunkeln über ihre Vorhaben.

Nach mehrmaligen Wiederholungen gab sie schließlich auf, Anna übers Handy erreichen zu wollen.

Vielleicht sollten wir uns auf die Suche nach ihr machen. Am besten wir schauen, ob euer Auto noch da ist. Und dann kannst du es nochmals telefonisch versuchen.“ Paul zog seine Jacke an und nickte Larissa und den beiden anderen auffordernd zu.

Gemeinsam befragten sie jeden, der ihnen über den Weg lief. Dabei spielte es für sie keine Rolle, ob Angestellte des Restaurants und des Hotels oder gar Gäste und Passanten.

Ruf noch mal an“, forderte Rico. „Ich meine, schaden kann es nicht.“

Larissa griff erneut ihr Handy und tippte frustriert auf Wiederwahl. Nichts. Wieder nur die Mailbox.

Julius, der schon weiter hinunter zum Parkplatz unterwegs war, wirbelte ruckartig herum. „Noch mal, Lara!“ Er blieb stehen und lauschte. Dann sprintete er auf eines der geparkten Autos zu. „Leute! Hier! … Hä? … Sirtaki?“

Die Jungs schauten ihn verdattert an, während Larissa aufgeregt zu ihm rannte.

Ja. Ihr Klingelton für mich. Griechenland und so. … Wo? Julius! Wo?“ Dann sah sie in einem schwarzen Mercedes das auffällige Handy ihrer Freundin. Es war unverwechselbar. Metallic blau mit einem Drachenmotiv. „Das ist es. Anna hatte es sich speziell nach ihren Wünschen anfertigen lassen und eine Stange Geld dafür berappt. Besondere Menschen brauchen besondere Dinge, hat sie gesagt. … Oh mein Gott. Wem gehört denn nur dieses Auto? Wo ist Anna?“ Fast wahnsinnig vor Sorge drehte sich Larissa im Kreis. Doch Antworten bekam sie keine.

Ratlos standen die Freunde neben dem Auto.

Das ist ein Mietauto. … Vielleicht ja doch dieser Michael, der Verlobte von Anna. Aber wo sollten sie sein? Hast du seine Nummer auch?“ Julius nahm ihr das Handy aus den zitternden Händen und scrollte nach der Nummer von Michael. Wählte. Kein Tuten. Nichts. Tot. „Lasst uns die Polizei informieren. Die nächste Police Station ist in Thurso. Ich würde nicht gern von diesem Wagen hier weggehen. Am besten Rico und ich bleiben hier und ihr beiden fahrt los. … Können nur hoffen, die kommen gleich in die Spur. Nicht dass wir erst noch tagelang warten müssen, bevor die was unternehmen.“

Larissa blickte von einem zum anderen. Julius hatte schon recht. Sie mussten etwas unternehmen. Aber wenn sie jetzt mit Paul nach Thurso fuhr, dann konnte es sein, dass sie ihre Fähre nicht mehr bekamen. Und das wollte sie den Jungs wirklich nicht antun. Andererseits, welche Wahl hatte sie denn? Vielleicht ging doch alles schneller, als sie dachte, oder es könnte sich einfach aufklären.

Schweren Herzen bestieg sie mit Paul den kleinen Bus und keine Viertelstunde später standen beide vor einem Beamten in der Police Station und schilderten ihr Problem. Der Diensthabende nahm zwar alles zu Protokoll, doch Hoffnung machte er den beiden keine. Anna und ihr Begleiter konnten überall sein.

Bitte! Es ist wirklich wichtig. Es ist nicht Annas Art einfach so zu verschwinden. Da muss etwas passiert sein. Bitte! Können Sie nicht wenigstens prüfen, wer diesen Wagen, in welchem das Handy meiner Freundin liegt, gemietet hat … und in den Unterkünften nachfragen, ob er oder beide dort abgestiegen sind?“

Ob es nun dem verzweifelten Ton in Larissas Stimme oder aber nur der Tatsache, dass ein Polizeischüler in der Dienststelle sein Praktikum machte, geschuldet war, der Beamte schaute erst zu ihr, dann zum Praktikanten und gab Letzterem die Order, die Fakten zu überprüfen.

Es zerrte an Larissas Nerven, nichts tun zu können.

Sie und Paul sollten in ihrem Hotel warten. Man werde sie informieren, sobald die Resultate vorlägen, meinte der Officer.

Larissa konnte nichts mehr sagen, sonst wäre sie noch in Tränen ausgebrochen. Also erklärte sie sich nur mit Kopfnicken bereit, zurückzufahren.

Den Kopf an die Scheibe ihrer Wagentür gelehnt, blickte sie starr aus dem Fenster. Sie war Paul dankbar, dass er sie nicht in ein Gespräch verwickelte, dass er ihr einige Momente der Ruhe gönnte.

Kurz bevor sie auf den Parkplatz am Hafen in Screbster fuhren, wurden sie von zwei Polizeiautos mit Blaulicht und Martinshorn überholt.

Die fahren zum Leuchtturm rauf. Da ist etwas passiert. Augenblicklich überkam Larissa eine gewisse Unruhe und kaum dass sie standen, überhäuften Rico und Julius die beiden mit den Neuigkeiten.

Der ganze Ort war in Aufregung. Es hieß, oben am Holborn Head sei einer abgestürzt. Hobbykletterer hätten unten auf einem Felsen im Meer eine Leiche entdeckt. Ein Wunder, dass die Brandung ihn nicht weggespült hatte. Eile war geboten, ihn zu bergen, um noch Spuren des Absturzes zu sichern.

Larissa musste sich an den Bus lehnen. Ihre Beine wurden plötzlich weich und eine eisige Kälte kroch ihr in die Knochen. Michael. Anna. Der Schrei in den Morgenstunden.

Ein Schrei.

Wenn der Himmel blutrot – wartet der Tod.

Alles vorbei.

Alles wuselte in ihrem Kopf durcheinander, bis es schwarz um sie wurde.

Gaben des Schicksals

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