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Als Dr. Katja Arndt am Abend dieses Tages müde und abgespannt nach Hause kam, erlebte sie eine höchst unerfreuliche Überraschung: Ihr Mann war sturzbetrunken. Er hockte im Wohnzimmer mit weit von sich gestreckten Beinen in einem der Sessel. Sein Blick war glasig, sein Kopf wackelte, seine Lippen glänzten feucht.

„Norbert!“, stieß sie erschrocken hervor.

Er sah sie mit rotgeweinten Augen an. „Ich mache dir nur Kummer, nur Kummer“, sagte er entsetzlich undeutlich. Er hatte den Krawattenknopf gelockert und den Kragen geöffnet.

„Was ist passiert? Was hast du getan?“

„Ich bringe dir kein Glück …“

„Würdest du mir endlich sagen …“

„Du hättest mich damals sterben lassen sollen.“

„Herrgott noch mal, hör auf, solchen Blödsinn zu reden!“, herrschte sie ihn an.

Er schluchzte hysterisch. Sie lief in die Küche, füllte einen Krug mit kaltem Wasser und schüttete es ihm mit Schwung ins Gesicht. Er japste nach Luft und prustete.

Ihre Kopfhaut zog sich plötzlich schmerzhaft zusammen. Sie sah ihren Mann entgeistert an. Ein schrecklicher Gedanke war ihr gekommen.

„O nein!“, krächzte sie. „Nein, bitte das nicht!“

Sie hetzte durch das Zimmer. Morgen war wieder eine Rate fällig. Diesmal hatten sie besonders viel zusammenbekommen: fünfundvierzigtausend Mark!

Das Geld lag in einer Holzschatulle, und diese stand im Wohnzimmerschrank. Der größere Betrag stammte von Katja, aber auch Norbert hatte jeden Geldschein, den er erübrigen konnte, dazugelegt.

Katja Arndt riss die Schranktüren auf. Ihre Hände stießen vor. Sie packte die Schatulle, stellte sie auf ein Blumentischchen (die Birkenfeige, die bis vor einem Monat darauf gestanden hatte, lebte nicht mehr), öffnete den Deckel und sah das, was sie befürchtet hatte.

„Leer!“ Sie erkannte ihre Stimme selbst nicht wieder. „Fünfundvierzigtausend … Norbert … Wo ist das Geld?“

Er ließ die Schultern hängen, sagte nichts.

„Du bist rückfällig geworden, hast wieder gespielt.“

Er nickte und weinte.

„Hast verloren.“

Er nickte.

„Die ganzen fünfundvierzigtausend Mark.“

Nicken.

„O Norbert, Norbert.“ Sie schloss unendlich traurig die Schatulle.

Er seufzte. „Ich hatte so ein gutes Blatt. Ich wollte Jan Achberger alles auf einmal zurückzahlen. Es hätte beinahe geklappt, aber leider nur beinahe.“

„Fünfundvierzigtausend Mark …“ Katja war es unbegreiflich, wie er schon wieder so viel Geld verspielen konnte.

„Die Therapie – sie hat nicht gegriffen“ , sagte er lallend. „Es tut mir leid. Das war rausgeschmissenes Geld. Ich geh’ da nie wieder hin. Dr. Weißmann konnte mir nicht helfen. Niemand kann das. Ich bin unheilbar krank. Ich werde immer wieder rückfällig werden. Ich bin wie ein willensschwacher Alkoholiker, dem es unmöglich ist, ein Leben lang trocken zu bleiben.“

Sie sah ihn wütend an. „Findest du nicht, dass du es dir ein bisschen zu einfach machst, Norbert? Dr. Weißmann ist eine Niete, du gehst da nicht wieder hin aus und basta. Und wie soll es weitergehen? Wir haben eine Abmachung …“

„Ich kann sie nicht erfüllen“, sagte er mit schwerer Zunge. „Ich hab’s versucht. Ich hab’s ehrlich versucht. Gott ist mein Zeuge.“

„Wenn Dr. Weißmann dir nicht helfen kann, kann es vielleicht ein anderer.“

Norbert Arndt schüttelte deprimiert den Kopf. „Begreif doch, Katja, es hat keinen Sinn. Wie oft muss ich dich noch enttäuschen, bis du das einsiehst?“ Sie schaute ihm fest in die Augen. „Unsere Ehe steht auf dem Spiel, Norbert.“

Er nickte verzweifelt.

„Ich habe weiß Gott alles getan, um sie zu retten“, sagte Katja.

Norbert hob die Hände und nuschelte: „Du bist frei von jeder Schuld. Es gibt nichts, was ich dir vorwerfen könnte.“ Er stand auf, schob seinen nassen Krawattenknopf hoch und schloss sein Jackett.

Als er die ersten unsicheren Schritte machte, fragte sie ihn finster: „Wohin gehst du?“

„Ich hab’ noch was zu erledigen“, antwortete er schleppend und kaum verständlich.

„Um diese Zeit? In diesem Zustand?“ Sie deutete auf das nasse Hemd, das nasse Jackett und seine schwankende Gestalt.

Er zuckte mit den Schultern. Es schien ihm egal zu sein, wie er aussah. „Warte nicht auf mich“, murmelte er. „Ich muss noch ein paar Dinge klären. Das kann dauern.“

„Wer will mit einem, der sich in einer so jämmerlichen Verfassung befindet, etwas zu tun haben?“, fragte Katja. Und mit eindringlicher Stimme fuhr sie fort: „Was immer du vorhast, verschiebe es auf morgen.“

Norbert schüttelte störrisch den Kopf. „Es muss heute sein.“

„Dann begleite ich dich.“

„Du lässt mich allein gehen“, lallte Norbert Arndt mürrisch. „Ich bestehe darauf.“

„Und wohin gehst du, wenn ich fragen darf?“

„Das geht dich nichts an“, sagte er harsch und verließ das Haus. Allein, wie er es wollte. Katja trat ans Fenster und sah, wie er sich entfernte. Er konnte nicht gerade gehen, sondern schwankte deutlich sichtbar.

Das letzte Wort ist in dieser Sache noch nicht gesprochen, mein Lieber, dachte Katja trotzig. So schnell gebe ich nicht auf, und ich habe all die Mühsal in jüngster Vergangenheit auch nicht umsonst auf mich genommen. Das muss irgendwann Früchte tragen. Eher gebe ich mich nicht zufrieden.

Arztroman Sammelband 8 Romane Februar 2020

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