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Der geschlossene Kindergarten


„Oh, nein, das darf doch nicht wahr sein.“ Ich starrte die Erzieherin fassungslos an. Drei Hepatitisfälle, jetzt wurde die Kindertagesstätte vom Gesundheitsamt geschlossen. Maxi wurde nach der Schule im Kinderhort betreut, bis ich ihn nach der Arbeit abhole.

Und ausgerechnet jetzt machten die Großeltern in Kroatien Urlaub.

Auf dem Nachhauseweg plapperte Maxi ununterbrochen, ohne sich um mein Schweigen zu kümmern. Daheim rief ich gleich Frau Bunge an, seine ehemalige Tagesmutter. Aber die bedauerte, dass sie nicht helfen könnte. Sie war gerade mit einem gebrochenen Arm hilflos aus dem Verkehr gezogen.

„Und Lasse ist mit seinen Eltern weggezogen“, stöhnte ich. Lasse war Maxis bester Freund gewesen. Seine Mutter Karen hatte Maxi ab und zu betreut.

Wenn es dicke kommen muss, dann aber gleich gründlich.

„Ich bin doch schon groß, ich kann allein bleiben“, meinte Maxi und umarmte mich.

„Sicher?“ Maxis Angebot klang verlockend.

Ich war sowieso klamm, seit die kaputte Kupplungsscheibe ein Loch in die Finanzen gerissen hatte. „Natürlich, ich bin doch schon groß.“

Sicherheitshalber vereinbarte ich mit der Mutter seiner Klassenkameradin Sina, dass das Mädchen ihn morgens auf dem Weg zur Schule abholen würde. Notfalls sollte sie ihn wecken und im Schlafanzug mitnehmen.

Aber das war nicht nötig. Maxi frühstückte mit mir und durfte dann noch mit seinen Legosteinen spielen.

Als ich am Abend nach Hause kam, stand Maxi mit gesenktem Kopf vor dem neuen Nachbarn aus dem dritten Stock, der erregt auf ihn einsprach.

Mit einem mulmigen Gefühl trat ich hinzu.

„Ist das Ihr Kind? Dann sollten Sie besser darauf aufpassen.“

„Was ist denn passiert?“

Er zeigte auf das Fahrrad hinter ihm. Der Lenker und das Schutzblech waren verbogen, die Kette hing herunter. Das Tourenrad sah sehr exklusiv aus, das stammte garantiert nicht vom Discounter.

Ich schaute Maxi verzweifelt an.

„Ich habe doch nur Fußball gespielt“, verteidigte er sich lahm.

Ich stöhnte. „Natürlich komme ich für den Schaden auf.“ Im Kopf überschlug ich den Kontostand. Hoffentlich wurde die Reparatur nicht zu teuer. Wie anders hatte ich mir das Familienleben vorgestellt. Doch mein Mann Jochen war durch einen Autounfall ums Leben gekommen, als Maxi ein Jahr alt war. Seitdem schlug ich mich und Maxi als Buchhalterin durchs Leben und war froh, wenn ich mir ab und zu Extras leisten konnte.

Der Nachbar musterte mich. Das gab mir Gelegenheit, ihn ebenfalls genau anzusehen. Er hatte ein schmales Gesicht mit grauen Augen, war etwas größer als ich und sehr drahtig.

„Am besten macht der Bengel den Schaden selbst wieder gut, indem er mit mir das Rad repariert.“

Ich nickte. „Was brauchen Sie an Ersatzteilen?“

Aber er winkte ab, schulterte das Rad und verschwand Richtung Keller. Maxi blieb wie angewurzelt stehen.

„Los, geh schon und benimm dich“, zischte ich und schob ihn hinterher.

Oben in der Wohnung buk ich einen Blitzkuchen. Anschließend kramte ich die Klassenliste hervor und telefonierte sie herunter. Beim dritten Kind hatte ich Glück. Marcos Mutter war bereit, Maxi morgen Nachmittag aufzunehmen.

Sobald ich den Kuchen aus dem Herd gezogen hatte, schaute ich nach Maxi. Im Fahrradkeller fand ich die beiden. Das Rad stand ausgebessert an der Wand. Jetzt reparierten sie Maxis Licht. Seit Tagen hatte ich schon Maxi versprochen, mich darum zu kümmern, es dann aber doch nicht geschafft.

„Mama, das Licht brennt wieder“, verkündete Maxi stolz. Seine Hände waren schwarz, genauso wie sein Gesicht und das T-Shirt. „Das nächste Mal kann ich es allein. Erik hat mir gezeigt, wie es geht.“

„Prima“, ich sah den Nachbarn lächelnd an. „Vielen Dank! Kann ich Sie zu einem Kaffee einladen?“

Beim Kuchen erzählte Erik, dass er erst neu in der Stadt sei. Seine Firma hatte ihn versetzt. Außer seinen Kollegen und ein paar Leuten aus der Radsparte des Sportvereins kannte er noch niemanden.

Am nächsten Abend hielt mich ein Kunde länger in der Firma fest. Ich versuchte Marcos Mutter zu erreichen, aber es war vergeblich. Auch daheim nahm Maxi nicht ab. Beunruhigt fuhr ich nach Hause. Die Wohnung war leer, auf dem Spielplatz war Maxi nicht und Marcos Mutter erreichte ich immer noch nicht. In meiner Verzweiflung klingelte ich bei Erik. Aber der war ebenfalls nicht da. Ich wollte schon zurückgehen, da hörte ich Stimmen unten im Treppenhaus. Rasch eilte ich hinunter.

„Maxi, wo warst du? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“ Ich drückte Maxi an mich, erleichtert, ihn wiederzuhaben.

„Tut mir leid. Aber Maxi langweilte sich und da habe ich ihm angeboten mit auf meine Tour zu kommen.“

Er zwinkerte Maxi zu, deshalb zog ich die Augenbrauen hoch.

„Im Stadtpark den Berg hoch und runter und dann zum See, da gibt es Entenküken.“ Ich grinste. So hatte sich unser Nachbar seine Radtour bestimmt nicht vorgestellt. „Mögen Sie Spaghetti?“, bot ich ihm an.

Er schüttelte den Kopf. „Ein anderes Mal. Ich fahre noch ein Stückchen.“

Ich musste Maxi fast gewaltsam zurückhalten, denn er wollte unbedingt mitfahren. Aber die Spaghetti lockten ihn dann doch. Außerdem hatte er bei Marco noch nicht die gesamten Hausaufgaben erledigt. Beim Essen erzählte er, dass Erik im letzten Sommer in Schweden um einen riesigen See gefahren war.

„Mama, ich will im Sommer mit Erik eine Radreise machen.“

„Oh, Erik hat bestimmt schon andere Pläne.“ Mein armer Nachbar, er tat mir leid. Maxi würde ihn in nächster Zeit ständig danach fragen. Er konnte sehr hartnäckig sein und nervte alle damit.

Maxi packte seinen Teller weg und holte die Fibel heraus. Ich konnte erkennen, dass er mir böse war. Wie gern hätte ich ihm einen Vater organisiert, aber bisher hatte ich nur Männer kennengelernt, auf die Maxi eifersüchtig reagiert hatten.

Als Maxi schlief, schlich ich mit einer Flasche Wein zu Erik hoch und bedankte mich. „Vielen Dank, dass Sie Maxi vor Dummheiten bewahrt haben.“

Er zog die Augenbrauen hoch.

Ich grinste. „Ich habe Ihr Zwinkern zu Maxi gesehen.“

„Trinken wir den zusammen.“ Er zeigte auf die Flasche.

„Nein, ich kann Maxi nicht allein lassen“, bedauerte ich.

Er schaute mich an und ich spürte, wie mir warm wurde. „Vielleicht können wir am Sonntag gemeinsam zum Baggersee radeln und dort picknicken“, schlug er vor.

Ich zögerte nur kurz, dann nickte ich. Maxi wäre bestimmt begeistert. Und den Wein tranken wir gemeinsam bei uns in der Wohnung.

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