Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 47

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Auch im August lässt sich Weihnachten feiern


„Ich will aus dieser Tretmühle heraus“, schimpfte ich erschöpft und sammelte Post und Bonbonpapier auf dem Tisch ein.

„Dann kündige doch“, knurrte Günter und las die Zeitung weiter.

„Wem, dir oder der Firma?“, fragte ich gereizt. Obwohl unsere Kinder inzwischen fast erwachsen waren, lastete der gesamte Haushalt noch immer auf meinen Schultern. Meine Versuche, eine Familienkonferenz einzuberufen und die Arbeiten auf alle zu verteilen, waren vergeblich. Ich konnte mich einfach nicht durchsetzen. Natürlich war es für Günter und die Kinder so bequemer. Und jedes Mal, wenn ich die Arbeit liegen ließ und mir sagte, jetzt warte ich, bis es irgendjemand macht, fiel ich wieder um. Spätestens, wenn wir kein sauberes Geschirr mehr hatten oder die Badewanne so dreckig war, dass ich sie nicht mehr benutzen mochte, putzte ich wieder.

Auch jetzt biss ich die Zähne zusammen, ging in die Küche und bereitete die Salate für die Feier vor. Gestern hatte ich nach der Arbeit natürlich allein den Großeinkauf gemacht und mich durch das Freitagsnachmittagsgewühl gequält. Erst zum Getränkemarkt, dann zum Supermarkt. Abends meckerte Günter, dass ich den Whiskey für seinen Bruder nicht besorgt hatte.

„Du hättest ja mitkommen und daran denken können“, gab ich zurück.

Zwei Stunden bevor die Gäste kamen, rief ich aus der Küche: „Kannst du bitte staubsaugen? Ich muss noch den Abwasch machen und das Gäste-WC putzen.“

„Mach ich gleich. Aber erst einmal besorge ich den Whiskey.“ Die Haustür klappte. Seufzend räumte ich die Küche auf und wusch noch schnell die restlichen Teile auf. Die Kinder ließen sich wohlweislich auch nicht blicken. Also putzte ich im Eiltempo das Gäste-WC. Günter hatte die Zeitung auf dem Couchtisch, dem Esstisch und dem Sofa verteilt. Ich räumte sie weg, wischte noch einmal Staub und saugte. Es wurde Zeit. Hoffentlich kam Günter vor den Gästen. Schließlich musste die Bierzeltgarnitur noch aus der Garage geholt werden. Aber notfalls konnte mein Schwager Günter dabei helfen. Ich musste erst einmal duschen.

Günter kam, kurz bevor die Gäste eintrafen, und warf den Grill an. Dann holte er das Bier aus dem Keller und kümmerte sich um das Fleisch.

Als die Ersten eintrafen, föhnte ich mich noch und zog mich an. Günter hatte schon die Gäste mit Getränken versorgt. Allerdings nur alkoholischen, den Saft und das Wasser überließ er mir. Später reichte er seinen Gästen Fleisch und stand stundenlang am Grill. Der perfekte Gastgeber.

Ich hingegen hockte erschöpft in der Ecke und konnte kaum noch den Gesprächen folgen. Mein Rücken schmerzte und die Füße brannten vom langen Stehen auf dem harten Küchenfußboden.

Natürlich stichelte mein Schwager, dass ich mit Günter einen Glücksgriff getan hätte. Er wäre doch ein toller Hausmann. Die Frauen nickten beifällig. Günter wurde gleich ein Stückchen größer und strahlte. Meine Arbeit sah natürlich keiner. Leider war ich nicht schlagfertig genug, um zu kontern.

Die nächsten Tage nagte die Unzufriedenheit weiter an mir. Irgendetwas musste geschehen. Kurz entschlossen mietete ich ein einsames Ferienhaus in Dänemark und nahm Urlaub. Ende August waren meine Kollegen alle schon durch, sodass ich ihn problemlos bekam.

Günter legte ich einen Zettel hin: „Nach dreißig Jahren als Haushälterin habe ich mir einen Urlaub von der Familie verdient.“ Dann fuhr ich los.

Auf langen einsamen Spaziergängen am Strand überdachte ich mein Leben. Ich hatte nie so wie meine Eltern leben wollen. Und Günter hatte mir vor der ersten Schwangerschaft versprochen, mir bei den Kindern und im Haushalt zu helfen. Doch nach der Geburt unseres Ältesten waren wir in die traditionellen Rollen geschlüpft. Viel zu lange musste ich aussetzen, da ich keine Kinderbetreuung hatte. Unsere Eltern genossen ihre Unabhängigkeit und waren ständig verreist. Und Günter war ach so unabkömmlich in der Firma.

Daran, dass Günter sich noch einmal ändern würde, glaubte ich nicht mehr. Zu oft hatten wir uns deswegen schon gestritten. Aber genützt hatte es nichts. Dabei mochte ich ihn noch immer. Natürlich war die Verliebtheit verflogen, dafür war eine große Nähe entstanden.

Außer einer Trennung sah ich keinen Ausweg. Oder doch? Mussten die Kinder noch bei uns wohnen? Sie verdienten ihr eigenes Geld, nicht allzu viel, aber für einen kleinen Haushalt würde es reichen. Notfalls müssten sie halt auf ihre teuren Hobbys verzichten. Dann könnten wir aus dem großen Haus in eine pflegeleichte Wohnung ziehen. Ich hätte endlich wieder Zeit zum Reiten und Singen, und Günter würde nicht mehr über die lästige Gartenarbeit meckern. Wenn wir genug Geld einsparten, könnten wir uns sogar das lang ersehnte Wohnmobil leisten.

Beschwingt lief ich durch den Wald zurück. Die Bäume erinnerten mich an Weihnachten. Seit wir Kinder hatten, graute mir jedes Jahr vor den Feiertagen. Mit den Kindern hatte sich das Familienfest eingebürgert. Beide Großelternpaare, die unverheiratete Tante Erika, Günter, die Kinder, manchmal sogar meine Geschwister mit ihren Partnern trafen sich bei uns. Natürlich erwarteten sie das perfekte Fest, Heiligabend den Karpfen, an den beiden Festtagen den Gänsebraten und an den Nachmittagen die Weihnachtstorte. Und weil die Eltern so einsam waren und etwas entfernter wohnten, blieben sie bis Neujahr. Ich durfte für sämtliche Feiertage einkaufen, kochen, backen und putzen. Nicht einmal als die Kinder klein waren, hatten sie ihre Hilfe bei der Arbeit angeboten.

Während die anderen die Tage genossen, hetzte und tobte ich durch das Haus. Wenn meine Lieben im Januar wieder arbeiten gingen und die Eltern abreisten, lag ich meistens krank im Bett. In der Firma gab es deswegen immer wieder böses Blut. Aber ich konnte es nicht ändern.

Eine kleine Tanne vor dem Ferienhaus hatte es mir angetan. Es wäre ein hübsches Weihnachtsbäumchen. Mit diesen Gedanken ging ich schlafen. Mitten in der Nacht wachte ich mit einem Plan auf. Am nächsten Morgen rief ich Günter an und fragte, ob er am Donnerstag und Freitag frei nehmen könnte. Er sollte hierherkommen und die Lichterkette mitbringen.

Dann organisierte ich ein paar kleine Geschenke für Günter und Lebensmittel. Als Günter am Donnerstag eintraf, war alles fertig. Es gab viel weniger als daheim zu erledigen.

Günter staunte nicht schlecht über diese Weihnachtsfeier Ende August.

„Ist es nicht schön, nur zu zweit zu feiern?“, fragte ich.

„Auf jeden Fall bist du nicht so hysterisch wie im Dezember.“ Günter umarmte mich. „Dieses Jahr feiern wir allein!“

„Und die Eltern?“ In mir regte sich das schlechte Gewissen.

„Jetzt sind mein Bruder und deine Schwestern dran. Dafür laden wir alle am ersten Feiertag ins Restaurant ein. Wer Weihnachten im August feiern kann, kann auch die anderen Traditionen über Bord werfen. Es wird Zeit, einmal an uns zu denken.“

Ich seufzte tief und schmiegte mich an Günter. Meine anderen Vorstellungen würde ich ihm so nach und nach schmackhaft machen. Wenn ich geschickt vorging, musste ich bald nicht mehr die Haushälterin für alle sein.

ENDE

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