Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 46
Nie wieder Tretbootfahren!
Оглавление„Schau mal, da hinten werden Boote vermietet.“ Paula zeigte auf den Bootsanleger. Ihre Schritte wurden immer schneller.
„Ich kann doch nicht schwimmen.“ Störrisch wie ein alter Esel blieb Malin stehen.
Als Paula ihre Schritte nicht mehr hörte, drehte sie sich zu ihrer Freundin um. „Blödsinn, ich war dabei, als du dein Seepferdchen gemacht hast.“ Sie grinste spitzbübisch.
„Ja, damals hattest du schon das Silberabzeichen und kurz darauf das in Gold. Ich habe einfach Angst vor Wasser.“
„Dann wird es Zeit, sie endlich zu überwinden. Komm, Malin, gibt deinem Herzen einen Stoß. Es ist doch nur ein Tretboot. Und die Alster ist so flach, da kannst du fast noch stehen.“ Paula war wieder herangekommen. Jetzt zeigte sie mit der Hand auf Brusthöhe.
„Wirklich?“
„Klar!“ Paula nickte lebhaft, dabei war sie sich gar nicht sicher, aber sie würden es schon nicht ausprobieren und notfalls musste sie halt hinterherspringen und Malin retten.
Zögernd folgte Malin ihrer Freundin. Die stürmte energisch auf den Bootssteg zu und sprach den jungen Mann an. „Ja, Boote haben wir genug. Eine Stunde kostet zehn Euro, der ganze Tag nur 40 Euro.“
Paula sah Malins angespanntes Gesicht. „Eine Stunde reicht erst einmal. Wenn es uns gefällt, kommen wir wieder.“ Sie zog einen Geldschein aus der Tasche und reichte ihn dem Mann. Dann sprang sie ins Boot. „Komm“, forderte sie Malin auf.
Malin stand skeptisch auf dem Steg. Zwischen Boot und Steg befand sich ein schmaler Spalt. Verängstigt wie ein Kaninchen starrte sie ihn an.
„Komm schon, das Boot liegt sicher im Wasser, das kippt nicht.“ Paula reichte Malin einen Arm.
Voller Angst schloss Malin die Augen und machte beherzt einen Schritt nach vorn. Aber sie spürte keinen Boden unter den Füßen, sondern sackte ins kalte Wasser ab. Verzweifelt griff sie nach etwas und erwischte ein Bein des jungen Mannes. Sie traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Panisch klammerte sie sich nur eisern fest, um nicht noch tiefer ins Wasser einzutauchen.
„Lass los, Malin, lass los. Wir ziehen dich raus, aber du musst loslassen.“ Warum brüllte Paula so? Sie war doch nicht taub. Jemand versuchte, ihre Finger zu öffnen, aber sie hielt sich weiter krampfhaft fest.
„Malin, hör sofort auf damit. Du kannst doch keinen Mann an den Schritt gehen!“ Paula klang richtig böse. Vorsichtig öffnete Malin die Lider. Von oben schauten sie die amüsierten Augen des jungen Mannes an.
„Solange Sie sich festklammern, können wir Sie nicht rausziehen“, meinte er ruhig.
Endlich gelang es Paula, Malins Hände zu lösen. Mit einem Ruck zog der Mann Malin aus der Alster und stellte sie neben sich.
„Das Wasser ist hier nur einen Meter tief, Sie wären schon nicht untergegangen“, meinte er nur trocken.
„Du musst dich umziehen!“, stellte Paula fest und zog sie mit. Am Ende des Stegs drehte sie sich um: „Wir kommen nachher wieder.“
Trotz des warmen Wetters fror Malin. „Ich muss mich duschen und die Klamotten wechseln, lass uns nach Hause fahren.“
„Ich lass mir den Tag nicht verderben. Wir besorgen dir im Kaufhaus trockene Sachen.“
„Nein, das ist zu peinlich.“ Malin klang weinerlich.
„Bis nach Hause dauert es eine Stunde, willst du so lange frieren? Dann bist du am Montag zur Mathearbeit krank und musst nachschreiben.“
Malins Lippen waren schon blau und sie fing an zu zittern. „Ich will nach Hause“, piepste sie.
„Das geht gar nicht, im Kaufhaus ist es dir peinlich, und in der Bahn nicht?“ Paula suchte eine Bank, die in der Sonne stand, drückte Malin drauf, dann nahm sie ihre Strickjacke, die sie über die Schultern gehängt hatte und reichte sie ihrer Freundin. „Komm, zieh dir das T-Shirt aus und die Jacke drüber, dann bist du wenigstens oben trocken.“
„Deine Jacke wird ganz nass“, wandte Malin bibbernd ein.
„Willst du krank werden?“ Paula stellte sich vor Malin, sodass sie verdeckt war. „Nun mach schon, dann kann ich dir trockene Sachen besorgen.“
Malin zögerte noch immer, inzwischen klapperten ihre Zähne laut.
„Soll ich dich jetzt umziehen?“, drohte Paula.
Malin gab auf. Sie schaute sich scheu um, doch in unmittelbarer Nähe stand niemand. Schnell schlüpfte sie aus dem T-Shirt und zog sich die Jacke über.
„Gut. Ich beeile mich“, versprach Paula und rannte los. Zwanzig Minuten später tauchte sie wieder auf.
„Ich dachte, ein Bikini aus dem Sonderangebot ist günstiger als Unterwäsche.“ Sie zog den Bikini aus der Plastiktüte und ein Sommerkleid. „Alles reduziert.“ Malin sah nicht so aus, als ob sie sich hier umziehen wollte. Also schleppte Paula sie zum WC des Bootsverleihs. „So, jetzt beeil dich.“
Ein paar Minuten später kam Malin wieder heraus. In der Einkaufstüte hatte sie ihre nassen Kleidungsstücke.
„Steht dir“, meinte Paula nur. „Wie wär es mit einem Kaffee im Schnellrestaurant?“ Und bevor Malin protestieren konnte, steuerte sie das Einkaufszentrum an.
„Ist dir wieder warm?“, fragte sie, als sie ihren Becher ausgetrunken hatten.
„Ja, danke, allerdings bin ich jetzt pleite.“
„Das Boot ist schon bezahlt.“
„Nein, da setze ich keinen Fuß mehr hinein.“ Entsetzt starrte Malin ihre Freundin an.
Paula lachte. „Hast du bisher auch noch nicht gemacht.“
Malin lief rot an.
„Komm, wenn wir jetzt nicht einsteigen, verlieren wir unser Geld. Außerdem wirst du deine Angst vor Booten nie los.“
Wie üblich konnte sich Malin gegen die resolute Paula nicht wehren, sondern trottete ängstlich hinter ihr her.
„So, wir sind nochmals da!“, verkündete Paula auf dem Bootssteg.
„Geht’s wieder?“, fragte der junge Mann teilnahmsvoll.
Malin nickte.
„Wir haben uns beim Kaffee aufgewärmt und jetzt wollen wir unser Boot haben“, erklärte Paula fröhlich.
Sie stieg ein und reichte Malin die Hand. Der junge Mann hielt sie auf der anderen Seite am Oberarm fest. „Einen großen Schritt, ja, so ist es gut.“
An seiner starken Hand fühlte Malin sich sicher. Aber sie war froh, als sie endlich saß.
„Beim Aussteigen helfe ich wieder. Ihr müsst nur warten, bis ich komme“, versprach der Mann.
Malin nickte brav. Nein, allein würde sie auf keinen Fall aussteigen.
Paula trat fröhlich vor sich hin, während Malin verkrampft dasaß und sich einen Haltegriff herbeisehnte.
„Da ist ganz ungefährlich. Die Dinger kentern nicht“, tröstete Paula, aber sie nahm auf Malin Rücksicht und hielt sich in Ufernähe auf.
„Wenn wir sinken sollten, klammerst du dich einfach an mich fest. Ich schleppe dich dann zurück.“ Paula unterdrückte ihr Grinsen mühsam, dann wies sie auf die Schwanenfamilie am Ufer, um Malin abzulenken. Sie stoppte, um die Tiere zu beobachten. Zwei große Schwäne schwammen an ihnen vorbei, zwischen sich die Küken, zwei saßen sogar bei Mama auf dem Rücken und ruhten sich aus.
„Niedlich“, entfuhr es Malin.
„Ist es nicht schön hier? So ruhig, der Großstadtlärm ist weit weg“, meinte Paula.
Malin nickte. Langsam entspannte sie sich. Kaum waren die Schwäne verschwunden, kam ihnen ein Tretboot mit zwei Jungen entgegen.
„Toller Tag heute“, meinte der eine und der andere sagte: „Boot fahren ist viel besser als baden.“
„Deswegen sind wir auch auf dem Wasser“, antwortete Paula. „Nur Eis essen ist genauso schön.“
„Genau, lasst uns doch gemeinsam im Café hinter dem Bootshaus ein Eis essen. Unsere Stunde ist gleich um.“
Ohne sich mit Malin abzusprechen, stimmte Paula zu, dabei wollte Malin lieber sofort nach Hause fahren. Ihr war es peinlich, dass die Jungen vielleicht ihr unfreiwilliges Bad beobachtet hatten. Außerdem hatte sie kein Geld mehr, da sie die Kleidung gekauft hatte.
Langsam steuerte Paula den Steg an. Der junge Mann stand schon da und zog sie mit einem Haken heran und band das Boot fest. Erst als es sicher vertäut war, traute Malin sich, unterstützt von Paula, aufzustehen. Der Mann reichte ihr die Hand und half ihr auf den festen Boden.
„Wenn man es öfter macht, wird man sicherer“, meinte er leise.
Malin nickte ihm dankbar zu.
Als Paula ausgestiegen war und die Jungen darauf warteten, dass ihr Boot ebenfalls festgemacht wurde, zog Malin ihre Freundin zur Seite. „Wie kommst du dazu, zuzustimmen? Ich will nach Hause.“
„Frierst du?“, fragte Paula.
Malin schüttelte den Kopf. „Nein, aber es ist so peinlich. Außerdem bin ich pleite.“
„Ich leihe dir Geld. Die Jungen sind doch viel später gekommen, die haben nichts mitbekommen. Komm, stell dich nicht so an. Lass uns den Tag genießen. Die beiden scheinen recht nett zu sein.“
Lachend hakte sich Paula bei den beiden unter und steuerte das kleine Café an. Malin blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.
„Fahrt ihr öfter Tretboot?“, fragte der kleinere Junge, der Florian hieß.
Malin wehrte ab. „Bloß nicht, ich mag Wasser nicht. Ich fahre lieber Fahrrad.“ Sie sah so entsetzt aus, dass die anderen lachten.
„Wir haben es auch zum ersten Mal gemacht, wir sind neu in Hamburg. Wir studieren im ersten Semester Jura und kennen nur ein paar Kommilitonen. Wo kann man abends etwas unternehmen?“
„In die Disko gehen oder ins Kino“, meinte Paula.
„Oder zu einem Konzert. Wir haben ganz viele Musikschuppen. Heute Abend spielt im Logo eine Rockgruppe. Dann gibt es die Fabrik und ...“ Malin kam nicht dazu, auszusprechen, weil Florian sie unterbrach.
„Wollen wir dahingehen? Das ist doch gleich gegenüber der Uni.“
Nachdem Paula Malin unauffällig zwanzig Euro in die Hand gedrückt hatte, waren die Mädchen damit einverstanden und machten erst einmal eine kleine Stadtführung.
Nach dem Gig brachten die Jungen sie noch zur Bahn. „Sehen wir uns am nächsten Samstag wieder? Dann könnt ihr uns den Rest der Stadt zeigen“, schlug André vor.
„Das werden wir an einem Tag wohl kaum schaffen“, meinte Paula trocken.
„Wir können uns an den Landungsbrücken treffen und dann mit der Fähre nach Finkenwerder fahren“, schlug Malin vor. „Das ist billiger als eine Hafenrundfahrt.“
„Einverstanden.“ Sie vereinbarten einen Treffpunkt und eine Uhrzeit und dann mussten die Mädchen in die S-Bahn springen.
„Hoffentlich sind meine Eltern nicht sauer, dass ich so lange weg war“, sorgte sich Malin. Sie hatte sich nur mit einer Whatsapp-Nachricht abgemeldet.
„... und mit einem neuen Kleid nach Hause kommst“, grinste Paula.
„Ich bin pleite, nächsten Samstag dürfen wir nicht viel ausgeben.“
„Dann solltest du besser nicht wieder Baden gehen.“
Malin verzog ihr Gesicht. „Wäre mir auch lieber gewesen.“
Paula umarmte sie. „Nicht aufgeben. Mir passieren auch immer Pannen. Gestern bin ich in der Schule durch die Glastür vor dem Lehrerzimmer gefallen. Ich wollte es am Glasteil aufstoßen, nur war da kein Glas und ich hatte so viel Schwung, dass ich durch den Rahmen direkt vor die Füße von unserem Mathelehrer gestürzt bin.“
„Und? Hat er dir wenigstens geholfen aufzustehen?“
„Ja, dabei war er völlig sprachlos. Erst die Biolehrerin hat mich gefragt, ob ich mich verletzt hätte.“
Die beiden lachten. „Schade, dass ich das nicht gesehen habe.“ Malin stellte fest, dass der Tag doch nicht so schlimm gewesen war.
*
„Viel zu kalt für Juni“, schimpfte Paula, als sie eine Woche später vor dem Bahnhofskiosk warteten. Um sich zu wärmen, trat sie von einem Fuß auf den anderen.
„Diesmal habe ich mich dicker angezogen.“ Malin trug einen Anorak über der Jeans.
„Und nachher ist es dir zu warm und du musst alles schleppen.“
Ohne etwas zu sagen, wies Malin auf ihren Rucksack. „Das Kleid habe ich vorsichtshalber auch eingepackt, falls unser Dampfer untergeht.“
„Ich denke, du kannst nicht schwimmen?“
„Du hast doch versprochen, mich zu retten“, erinnerte Malin ihre Freundin.
Endlich kamen die Jungs. „Tut mir leid, aber ich habe den Wecker überhört“, entschuldigte sich Florian.
Sie umarmten die Mädchen, dann zogen sie über die Fußgängerbrücke zu den Fähranlegern.
Es gab noch andere Touristen, die die Fähre nutzten, um sich den Hafen anzusehen.
„Klar, bei einer Hafenrundfahrt, wird viel erklärt und ihr seht auch noch andere Sachen. Aber mir ist es zu teuer“, meinte Malin.
„Dann werde ich meine Eltern demnächst dazu überreden. Sie kommen mich besuchen und können die Fahrkosten übernehmen“, sagte André.
Auf der Rückfahrt stiegen sie beim Fischmarkt aus und liefen ein Stück. Malin bestand darauf, den Michel und die Krameramtsstuben vorzuführen.
„Das Rathaus und die Petri-Kirche habt ihr schon am letzten Samstag gesehen. Wollen wir in die Wallanlagen gehen?“, schlug Paula vor. Und von dort ging es weiter zur Alster.
„Wie wäre es mit einer Tretbootfahrt?“, schlug Florian vor.
Paula ignorierte Malins ängstliches Gesicht. „Wie wäre es mit einem Kanadier? Diese großen Hamburger Kähne?“
„Dann könnten wir wirklich etwas von der Alster entdecken.“ André nickte begeistert.
Paula zog Malin zur Seite. „Du musst deine Angst überwinden, das schaffst du nur, indem du dich ihr stellst.“
Malin seufzte. „Okay. Aber du musst mir helfen.“
„Klar und notfalls rette ich dich, versprochen.“ Paula hielt ihre Hand wie zum Schwur hoch.
Am Anleger arbeitete wieder dieser nette Junge vom letzten Mal. Er kassierte die Miete für zwei Stunden, dann half er Malin ins Boot.
„Alles gut überstanden?“, flüsterte er.
Sie nickte. Verkrampft und steif stieg sie hinein und setzte sich. Die ersten zehn Minuten wagte sie kaum zu atmen. Doch schließlich ging es ihr wieder besser. Es war so schön ruhig, Enten und Schwäne schwammen vor ihnen und sie hatten einen ganz anderen Blick auf die Stadt als sonst.
„Lass uns in den Osterbekkanal fahren“, schlug Paula vor. Die beiden Jungen paddelten kräftig. Paula machte mit, nur Malin ließ sich befördern. Aber es gefiel ihr immer besser. Sie hätte gern in einer dieser Villen gewohnt. Auf dem Balkon sitzen, Kaffee trinken und aufs Wasser schauen ...
Auf der Rückfahrt mussten sie sich beeilen, um pünktlich zu sein. Mit Hilfe des jungen Mannes stieg Malin sicher aus.
„Hast du Lust, mit mir am nächsten Sonntag eine Fahrradtour zu machen? Es ist mein freier Tag, sonst arbeite ich bei gutem Wetter die Wochenenden hier“, fragte er Malin. Die anderen waren schon über den Steg zurück zum Alsterwanderweg gelaufen.
„Gern. Das mache ich lieber als Bootstouren.“
Er lachte und sie verabredeten sich mit Fahrrädern am Wedeler Bahnhof.
„Gehen wir ins Kino?“, fragte André, als Malin die Gruppe einholte.
Malin schüttelte den Kopf. Da es schon später Nachmittag war, bestand sie darauf, nach Hause zu fahren. „Übermorgen schreiben wir eine Chemiearbeit, dafür muss ich noch lernen.“
Paula nickte. „Ich muss auch noch dafür üben.“ Aber sie vereinbarten, über WhatsApp Kontakt zu halten.
*
Am Mittwoch sagte Paula in der großen Pause zu Malin: „André hat mir eine Nachricht geschickt. Sie wollen mit dem Zug nach Westerland fahren und fragen, ob wir mitkommen.“
„Nee, geht nicht, das ist mir zu teuer.“ Malin machte ein enttäuschtes Gesicht. „Dabei wäre ich so gern einmal nach Sylt gefahren.“
„Kannst du nicht deine Eltern um einen Vorschuss bitten?“, fragte Paula.
„Nein, ich kann mir nicht ständig solche Ausgaben leisten. Es ist schon das dritte teure Wochenende.“ Malin schüttelte bedauernd den Kopf. Sie war wirklich traurig und überlegte, ob sie ihre Eltern fragen sollte. Aber wenn sie häufig ausgingen, reichte ihr Taschengeld nicht und mit den Nachhilfestunden verdiente sie auch nicht so viel.
„Kannst du nicht noch mehr Schüler unterrichten?“, drängte Paula.
„Etwas Zeit brauche ich selbst zum Lernen.“
„Ich bin auch pleite, aber mein Vater steckt mir schon was zu, das ist kein Problem.“
Anscheinend hatte es manchmal Vorteile, wenn die Eltern geschieden waren. Paula wurde von ihrem Vater verwöhnt. Und ihre alleinerziehende Mutter hatte nicht so viel Zeit, um sie ständig zu kontrollieren.
Mittags brachte Paula am Fahrradständer noch einmal das Gespräch auf den Ausflug: „Der Zug fährt Sonntagfrüh, es ist auch gar nicht so teuer. Knapp zehn Euro.“
„Und dann kommen noch ein Eis und ein Fischbrötchen, Pommes oder gar eine Pizza dazu.“ Malin schloss ihr Fahrrad auf.
„Wir können doch dort ein Picknick machen.“
„Und was ist mit Kurtaxe?“
„Ach bitte, Malin, frage doch deine Eltern, Sylt ist mal was anderes. Und Sonntag soll es gutes Wetter werden.“ Sie schoben die Fahrräder vom Schulgelände.
„Diesen Sonntag?“, fragte Malin.
„Ja.“
„Da habe ich sowieso schon etwas vor.“ Malin stieg auf und fuhr los.
„Dann sag es doch ab.“ Paula folgte ihr und schob sich neben sie. Die Anwohner kannten das, alle Schüler fuhren so. Vor ihnen waren sogar vier Kindern nebeneinander.
„Nein, das ist mir wichtig.“
„Verdirb mir nicht den Ausflug.“ Paula klang verärgert.
Sie fuhren schweigend weiter. Schließlich meinte Paula: „Wenn du meine Chancen bei André kaputt machst, spreche ich nie wieder ein Wort mit dir.“
„Du kannst doch fahren.“ Hinter ihnen hupte ein Auto, aber das irritierte die beiden nicht. Sollte der doch etwas Geduld haben.
„Doch nicht allein, dass erlaubt meine Mutter nicht.“
Malin schüttelte den Kopf. Seit wann kümmerte sich Paula um die Sorgen ihrer Mutter. „Dann frag Vero.“
„Und du bist nicht böse, wenn sie mitkommt und du nicht?“
„Nein.“ Malin lachte. „Dann würde ich es nicht vorschlagen.“
„Und wenn Florian sich in sie verliebt?“
Vero sah wirklich gut aus, sie war lebhafter als Malin und kam bei Jungen gut an.
„Auch nicht, Florian ist ganz nett, aber ich bin nicht verliebt.“
„Hoffentlich bereust du es nicht“, warnte Paula.
*
Am Samstagabend backte Malin einen Kuchen und machte einen Kartoffelsalat. Ihre Mutter spendierte ein paar tiefgefrorene Frikadellen dazu. Mit vollen Packtaschen machte Malin sich am Sonntagmorgen zum Bahnhof auf. Als sie in Wedel ankam, wartete der junge Mann vom Bootsverleih bereits.
„Ich hatte schon Sorgen, dass du mich versetzt. Wir haben nicht einmal die Telefonnummern ausgetauscht. Ich weiß auch nicht, wie du heißt.“ Er grinste sie an, dabei erschienen Grübchen auf seinen Wangen. „Ich bin Tobias.“
„Und ich Malin. Haben wir nicht Glück mit dem Wetter?“, sagte sie und suchte ihre Sonnenbrille aus der Fahrradtasche.
„Kein Glück. Ich habe es bestellt. Wenn ich schon einmal frei habe.“
„Fehlt dir das Geld nicht vom Bootsverleih?“
„Klar, dafür muss ich einen ganzen Monat Nudeln essen.“ Sein Grinsen wurde breiter und kleine Lachfältchen bildeten sich um seine blauen Augen.
„Oje.“
„So viele schöne Tage haben wir nicht. Und dann auch noch an einem Wochenende. Aber heute ist der Ausgleich für Pfingsten, da habe ich nämlich drei Tage gearbeitet.“ Er schob sein Fahrrad Richtung Wedeler Au.
„Und was machst du sonst?“, erkundigte sich Malin neugierig. Schließlich wollte sie Tobias besser kennenlernen.
„Ich studiere Maschinenbau und will später Autos bauen und als ich vor zwei Jahren einen Studentenjob suchte, hat ein Nachbar das mitbekommen und mir die Arbeit bei seinem Bootsverleih angeboten. Im Winter gehört die Aufarbeitung der Boote dazu, und das Auf- und Abbauen des Bootsstegs. Im Sommer die Vermietung, das Saubermachen, Hilfe beim Einsteigen.“
„So blöd wie ich stellen sich sicher nur wenige an.“ Schon bei der Erinnerung rötete sich Malins Gesicht.
„Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich hatte gedacht, ich muss gleich hinterherspringen. Aber du bist ja brav am Steg geblieben“, gestand Tobias.
Sie lachten.
„War es sehr kalt?“
„Ziemlich. Paula ist gleich losgerannt und hat mir neue Klamotten gekauft. Und dann sind wir Kaffee trinken gegangen. Aber hinterher war alles in Ordnung. Und am letzten Samstag war das Bootfahren nicht mehr ganz so schlimm.“ Sie stieg auf das Rad und folgte Tobias Richtung Hafen. „Paddelst du?“
„Nein, ich rudere. Aber seitdem ich beim Bootsverleih arbeite, habe ich nur wenig Zeit dafür. In den Semesterferien bin ich täglich beim Verleih. Aber ich leihe mir nach Feierabend ab und zu ein Boot aus und fahre dann selbst über die Alster, um wenigstens ein bisschen zu trainieren.“
Mittlerweile hatten sie die Elbe erreicht. „Lass uns Richtung Hetlingen fahren. An der Binnenelbe ist es sehr schön“, schlug Tobi vor.
Später fuhren sie durch die Holmer Sandberge und machte an einem Teich Rast.
„Genau richtig zum Picknicken“, meinte Malin und packte die Decke und die Lebensmittel aus.
„Du hast ja viel vorbereitet.“ Tobi staunte nicht schlecht.
„Das ist doch das Beste an einer Fahrradtour.“ Malin grinste ihn an und goss aus der Thermoskanne Kaffee in zwei Becher.
„Ich habe nur ein paar Würstchen und Brötchen mit.“ Tobi legte seine Habseligkeiten dazu.
Sie blieben längere Zeit auf der Decke sitzen. Als andere Ausflügler ins Wasser sprangen, zog Tobi auch seine Badehose an. „Komm doch!“, forderte er Malin auf, doch die schüttelte nur den Kopf.
„Hast du keine Badesachen mit?“
„Nein, ich wusste nicht, dass wir an einem See vorbeikommen.“
Tobi schwamm eine Weile, bevor er wieder herauskam.
„Du musst dich eincremen, du bekommst einen Sonnenbrand“, meinte er, während er sich abtrocknete.
Malin wühlte in ihren Sachen nach der Sonnencreme, dabei riss sie ihren Bikini heraus.
Tobi entdeckte ihn und sah Malin fragend an.
„Ich kann nicht schwimmen“, gestand sie und blickte zu Boden.
„In dem Teich kannst du hindurchgehen, der ist nicht tief“, meinte er, doch Malin zuckte die Schultern und verteilte die Creme.
„Du solltest Schwimmunterricht nehmen. Einige Vereine bieten Kurse für Erwachsene an.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nee, das hilft nichts. Ich hatte in der Schule Schwimmunterricht. Ich kann es einfach nicht, dabei bin ich sonst in Sport ganz gut.“
„Hast du Angst?“
„Ja, ich bin als Kleinkind in einem Graben fast ertrunken. Meine Schwester hat mich im letzten Augenblick rausgezogen. Der Schwimmunterricht in der Schule war nur Krampf. Unsere Lehrerin verstand nicht, dass ich wie gelähmt war, und schrie herum.“ Sie reichte die Sonnencreme an ihn weiter.
„Schrecklich, dabei ist Schwimmen so schön.“
„Mit Paulas Hilfe habe ich damals wenigstens das Seepferdchen geschafft. Trotzdem war es oberpeinlich. Sie hat ihr Goldabzeichen gemacht und ich gerade einmal das Seepferdchen. Und als der Schwimmunterricht endlich vorbei war, bin ich nie wieder ins Wasser gegangen.“ Sie stoppte, dann ergänzte sie: „Bis vorletzte Woche.“
Tobi grinste. „Wenn du willst, versuche ich, es dir beizubringen. Ich bin Rettungsschwimmer.“
„Was machst du denn alles?“, staunte sie.
„Och, ich bin beim DLRG und trainiere dort regelmäßig. In letzter Zeit allerdings nicht mehr so häufig und im Ruderclub bin ich, mehr nicht.“
„Das reicht wahrscheinlich auch.“
„Und was machst du so?“
„Ich gehe zur Schule und ziehe ab und zu mit Paula los.“ Sie kam sich richtig langweilig vor.
„Und sonst hast du keine Hobbys?“, bohrte er nach.
„Ich koche und backe gern und ich nähe. Ich will auch Schneiderin werden. Und später vielleicht Design studieren. Einen Ausbildungsplatz habe ich schon.“ Ihre Augen strahlten vor Begeisterung.
„Du musst mir mal deine Sachen zeigen.“ Tobi wirkte wirklich interessiert.
„Die Jacke und die Tunika, die ich gerade anhabe. Und das Shirt, das ich anhatte, als ich ins Wasser fiel.“ Sie zeigte auf ihre Kleidung.
„Alles selbst gemacht?“, staunte er.
Malin nickte. „Ja, nähen und auch Sachen entwerfen macht mir Spaß, da kann ich stundenlang sitzen und arbeiten.“
„Toll.“
„Und Paula schleppt mich zum Badminton. Sie meint, ich darf nicht immer nur daheim herumhocken. Manchmal spielen wir auch Volleyball auf dem Schulhof. Da trifft sich unsere Clique.“
Sie räumten die Sachen zusammen und machten sich auf den Rückweg. Beim Bahnhof holten sie sich eine Eistüte aus der Eisdiele und setzten sich damit auf eine Bank.
„Du bist so schön unkompliziert“, meinte Malin.
„Was?“
„Ja, einfach ein Eis aus der Hand, keinen teuren Eisbecher ...“ Sie dachte an die beiden vorangegangenen Wochenenden, an denen sie André und Florian hatte bremsen, damit es nicht zu teuer wurde.
„Den kann ich mir gar nicht leisten. So viel verdiene ich als Aushilfe nicht. Und im nächsten Jahr muss ich mein Praktikum machen, dann habe ich auch dafür keine Zeit mehr. Meine Eltern sind nicht so reich, dass sie mich groß unterstützen könnten.“
Etwas später meinte Malin verträumt: „So ein schöner Tag.“
Erst als sie auf dem Bahnsteig standen, fragte Tobi: „Wenn du am Dienstagabend Zeit hast, würde ich gern mit dir ins Schwimmbad gehen.“ Er hob sein Fahrrad auf den Ständer.
„Du meinst, du kannst das besser als meine Schwimmlehrerin?“ Sie sah ihn misstrauisch an.
„So wie du es geschildert hast, ist das wohl nicht sehr schwierig. Ich schreie selten und habe auch schon Schwimmkurse gegeben.“ Er wirkte selbstbewusst.
Malin nickte. Sie glaubte zwar nicht an einen Erfolg, aber ihr gefiel Tobi und sie wollte ihn unbedingt wiedersehen. „Gut versuchen wir es.“
„Tapferes Mädel!“ Er grinste, fasste an Malins Schultern und zog sie zu sich heran.
Malins Herz trommelte wild, als er sich über sie beugte und sie küsste. Sie schloss die Augen und die Welt versank um sie herum. Als sie sie wieder öffnete, sah sie den Zug in der Ferne verschwinden.
„Dann haben wir Zeit, weiterzumachen“, meinte Tobi und küsste sie erneut.