Читать книгу Tardellis Fall in San Francisco: Ein Roberto Tardelli Thriller #76 - A. F. Morland - Страница 6
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ОглавлениеAbraham Ross quälte sich aus dem Taxi. Er war müde, und er war alkoholisiert. Aber letzteres merkte man ihm nicht an. Er stand kerzengerade und schwankte kein bisschen.
Richter Ross hatte zur Zeit schwerwiegende Probleme. Sie waren sowohl beruflicher als auch privater Natur, und wenn er zu sich selbst ehrlich war, dann musste er sich eingestehen, dass er mit beiden nicht fertig zu werden wusste.
Das Taxi fuhr weiter.
Ross sah die beiden Männer nicht, die sich in diesem Augenblick in die Dunkelheit einer Einfahrt zurückzogen.
„Das ist er“, raunte der eine dem anderen zu.
„Denkst du, ich kenne Richter Ross nicht?“, gab der andere zurück.
„Er war mal ein gefürchteter Mann.“
„Ja. War. Das gehört der Vergangenheit an. Heute braucht sich niemand mehr vor ihm zu fürchten, weil er nämlich in wenigen Minuten tot sein wird.“
Ross hatte es nicht eilig, das Apartmenthaus, in dem er wohnte, zu betreten. Gedankenverloren blickte er hinter dem Taxi her. Erst als es nach links abbog und nicht mehr zu sehen war, wandte der Richter sich um und ging auf die Haustür zu.
Er hasste diese einsamen Abende. In der Bar, in der er gewesen war, hätte er zwar Anschluss genug finden können, aber auf solche Art von Bekanntschaften legte er keinen Wert.
Verdammt noch mal, er war verheiratet. Immer noch.
Wenn seine Frau auch nicht mehr bei ihm wohnte. Er war immer noch ihr Mann. Er liebte sie noch. Auf seine Weise. Nicht so leidenschaftlich und glühend wie ein Primaner, aber doch aufrichtig
und zuverlässig. Er war es nicht gewesen, der die gemeinsame Wohnung verlassen hatte. Er nicht.
Ross kramte in seinen Taschen herum.
Er schloss die Haustür auf und fuhr mit dem Lift zu seinem Penthouse hoch. Er war ein gut aussehender rotblonder Mann. Seine Jugend hatte sich schon abgenützt, die Stirn war wesentlich höher als früher, und er brauchte zum Lesen eine Brille. Aber alles in allem machte der achtundvierzigjährige Richter immer noch den allerbesten Eindruck. Er wusste sich elegant zu kleiden und hielt sich mit einem von seinem Hausarzt zusammengestellten täglichen Sportprogramm fit.
Im Penthouse angekommen, schaltete er fast alle Lichter ein. Das vermittelte ihm das Gefühl, als wäre außer ihm noch jemand zu Hause. Die Bar zog ihn magnetisch an, und er sah keinen Grund, zu widerstehen.
Er brauchte den Alkohol, um wenigstens einigermaßen mit seinen Problemen fertig zu werden. Nachdenklich goss er sich einen Bourbon ein. Mechanisch schraubte er die Flasche zu. Mit dem Glas in der Hand durchwanderte er den großzügigen Livingroom. Der weiße Teppichboden bildete einen großartigen Kontrast zu den Ozelottapeten. Die hatten er und Susan gemeinsam ausgesucht. Gott, wie lange war das nun schon wieder her. Es war zwischen damals und heute sehr viel passiert.
Er war ein harter, aber auch gerechter Richter gewesen. Ein Mann mit unerschütterlichen Prinzipien. Geradlinig, zu keinen krummen Touren bereit. Er hatte die Verbrecher nach den Buchstaben des Gesetzes abgeurteilt. Bestechungsversuche hatten eine strafrechtliche Verfolgung der betreffenden Personen zur Folge gehabt.
Damals hatte sich Abraham Ross beim Rasieren am Morgen vor dem Spiegel noch in die Augen sehen können. Niemand hatte ihm eine unsaubere Gangart nachsagen können, und er hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich daran jemals etwas anderen würde.
Aber es hatte sich geändert.
Vor zwei Jahren, als Susan an der Galle operiert werden musste, war die Mafia an ihn herangetreten.
Der Mann, der ihn angerufen hatte, hatte gesagt: „Sie können eine Menge Geld verdienen, Richter Ross, wenn Sie uns hin und wieder einen kleinen Gefallen erweisen würden.“
Abraham Ross hatte wütend aufgelegt. Eine Stunde später hatte sich der Mann wieder gemeldet. „Haben Sie sich unser Angebot durch den Kopf gehen lassen?“
„Nichts zu machen!“, hatte Ross geschrien. „Was immer Sie von mir wollen, ich gebe mich nicht dafür her.“
„Sie sollten an Ihre Frau denken. Ein hübsches Ding. Im Krankenhaus ist sie ziemlich einsam. Stellen Sie sich vor, jemand besucht sie und spritzt ihr Säure ins schöne Gesicht.“
„Das würdet ihr nicht wagen.“
„Oh, wir sind noch zu ganz anderen Dingen fähig, wenn man uns abblitzen lässt, Richter Ross. Sie haben keine Ahnung, wie viel Einfluss wir haben. Ihre Frau könnte noch mal operiert werden und … sterben.“ Beim zweiten Mal hatte der Anrufer zuerst aufgelegt.
Ross hatte sich beunruhigt mit dem Krankenhaus in Verbindung gesetzt. Man hatte ihm mitgeteilt, dass es seiner Frau den Umständen entsprechend gutgehe. Er hatte verlangt, mit ihr sprechen zu dürfen. Man hatte ihn mit ihr verbunden. Er hatte ihr nichts von den Anrufen erzählt, um sie nicht zu beunruhigen. Ihm war ein Stein vom Herzen gefallen, als er ihre Stimme gehört hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebe, und dass er sich nach ihr sehne.
In den folgenden Stunden hatte der Mann von der Mafia immer wieder angerufen und immer stärkeren Druck auf Abraham Ross ausgeübt. Der Richter war dennoch bei seinem Nein geblieben.
Daraufhin hatten sie ihn zusammengeschlagen. Er hatte die Hiebe geschluckt, war aber hart geblieben.
Susan hatte von alldem keine Ahnung gehabt.
Nach ihrem Krankenhausaufenthalt hatte die Ehrenwerte Gesellschaft den Richter wissen lassen, dass man sich nun an seine Frau halten würde. Nach der Operation würde sie wohl kaum so widerstandsfähig sein, dass sie einen Besuch der Schläger aushalten konnte.
Daran zerbrach Abraham Ross‘ Widerstand.
Er erklärte sich bereit, der Mafia gefällig zu sein, und er bekam Geld dafür. Danach hing er an der Kette, konnte nicht mehr anders. Die Cosa Nostra hatte ihn und ließ ihn nicht mehr los.
Im Grunde genommen hatte er alles nur für Susan getan, und es war eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sie ihm das ankreidete. Es war zu Geheimniskrämereien gekommen. Ross hatte seiner Frau gegenüber nicht mehr so ehrlich wie früher sein können, schließlich sollte sie nicht erfahren, wozu man ihn zwang.
Jedes Mal wenn er aussteigen wollte, drohte man ihm mit der Ermordung seiner Frau. Also machte er weiter. Immer tiefer schlitterte er in den Morast hinein.
Susan kritisierte die Urteile, die er fällte. Er handhabte das Gesetz nicht mehr so wie früher.
Es kam immer häufiger zu Streitereien, weil er sie aus allem heraushalten wollte und nicht bereit war, mit ihr über seine Probleme zu sprechen.
Susan war eine intelligente Frau. Sie kam bald dahinter, dass etwas nicht stimmte, und sie fasste Abrahams Schweigen als einen Mangel an Vertrauen auf. Darunter litt sie. Sie sagte, sie könne mit einem Mann, der ihr kein Vertrauen entgegenbringe, nicht mehr zusammenleben.
Er schwieg trotzdem.
Und trank.
Es kam immer häufiger zu unschönen Szenen, bis Susan vor zwei Tagen ihre Siebensachen packte und fortging.
Zuerst wusste Ross nicht, wohin sie gegangen war, aber dann erfuhr er von Freunden, dass sie eine Wohnung gemietet hatte.
Der Richter blickte auf das Telefon. Er hatte den Wunsch, mit Susan zu sprechen. Er kannte die Nummer, unter der sie zu erreichen war. Er setzte das Glas an die Lippen und trank erst einmal, damit es ihm nicht so schwer fiel, mit seiner Frau zu reden.
Nachdem er das leere Glas weggestellt hatte, griff er sich den Hörer.
Heute morgen erst hatte er dem Syndikat mitgeteilt, dass es mit ihm nicht mehr rechnen dürfe. Seit Susan ihn verlassen hatte, war ihm alles egal geworden. Sollten diese Verbrecher doch tun, was sie wollten.
Vielleicht würden sie kommen und ihn töten. Egal. Dann würde er wenigstens sein Gesicht, das er verloren hatte, als er sich mit diesen Gangstern einließ, zurück kriegen.
Er wählte die sechsstellige Nummer und setzte sich auf die Lehne der Sitzbank. Susan meldete sich am anderen Ende. Ein Schauer durchlief ihn.
„Hallo, Susan“, sagte er mit belegter Stimme. Sie kam ihm so fremd vor, dass er befürchtete. Susan würde sie nicht erkennen.
„Abraham.“
Er lächelte verlegen, obwohl sie ihn nicht sehen konnte. „Ja, ich bin es. Wie geht es dir?“
„Warum fragst du?“
„Darf ich nicht? Wir sind miteinander verheiratet.“
Sie seufzte. „Es geht mir gut. Zum ersten Mal seit Langem wieder.“
„Sagst du das, um mir weh zu tun?“
„Nein. Weil es die Wahrheit ist. Abraham, ich hatte Zeit, gründlich über uns nachzudenken. Vielleicht war es ein Fehler, dass wir geheiratet haben.“
„Das finde ich nicht. Wir passen wunderbar zusammen. Wir hatten schon sehr viel Spaß miteinander. Erinnerst du dich nicht mehr daran?“
„Das ist lange her.“
„Glaubst du nicht, dass es wieder so wie früher werden könnte?“, fragte er.
„Nein, Abraham, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir haben uns auseinandergelebt. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“
„Oh, ich hätte dir noch sehr viel zu …“
„Das stimmt nicht, Abraham“, fiel sie ihm ins Wort. „Du hattest Gelegenheit, mit mir über alles zu reden, aber du hast es nicht getan.“
„Ich wollte dich nicht belasten.“
„Es hätte mir nichts ausgemacht. Schließlich war ich deine Frau.“
„Das bist du immer noch.“
„Ich hätte das Leid mit dir geteilt. Aber du hast geschwiegen, als wäre ich eine Fremde, der du nicht trauen kannst.“
Er wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Augen. „Susan, bitte komm zurück. Es wird alles anders werden, das verspreche ich.“
„Es ist zu spät, Abraham. Unsere Ehe ist brüchig geworden wie alter Sandstein. Man kann sie nicht mehr kitten.“
„Mit ein bisschen gutem Willen schon.“
„Oh, komm, Abraham. Lass uns als Freunde auseinandergehen, okay?“
Er schüttelte heftig den Kopf. „Das ist mir unmöglich, Susan. Ich hänge an dir. Ich brauche dich. Du bist der Inhalt meines Lebens.“
„Davon habe ich in den letzten beiden Jahren nichts gemerkt.“
„Wir wollen diese Zeit vergessen. Bitte, Susan.“
Wieder seufzte sie. Er merkte, dass ihr die Antwort nicht leichtfiel, aber sie sagte es trotzdem: „Für uns kommt nur noch die Scheidung in Frage, Abraham. Das weißt du. Du bist ein intelligenter Mann. Du machst dir etwas vor. wenn du denkst, mit uns könnte es noch einmal so werden, wie es früher war. In manchen Ehen kommt eines Tages der Punkt, wo es einfach nicht mehr weitergeht. Ein glatter, schneller, schmerzloser Schnitt ist dann das Beste, was man tun kann. Sonst gehen beide Teile seelisch zugrunde. Willst du das?“
„Ich habe dir noch nie etwas Schlechtes gewünscht“, sagte er.
„Dann lass mich in Ruhe.“
Abraham Ross schloss die Augen. Seine Kehle war ihm wie zugeschnürt. War das wirklich das Ende dieser Verbindung, die ihm so viel bedeutet hatte? Er hatte alles für Susan aufs Spiel gesetzt. Sogar seine Karriere. Um ihr Unannehmlichkeiten vom Leibe zu halten, hatte er sich den Anweisungen der Mafia gefügt. Alles, was er getan hatte, hatte er nur für Susan getan. Er hatte sich immer gefragt, ob dies oder jenes Susan schaden könnte, ehe er sich entschieden hatte.
Und nun sollte alles aus sein?
Obwohl er sich nichts hatte zuschulden kommen lassen?
Unten lösten sich in diesem Augenblick die beiden Männer aus dem Schatten der Einfahrt. Ihr Blick war zum Penthouse gerichtet.
„Dann wollen wir mal“, sagte der eine. Sein Name war Ringo Polonski. Schmal in den Hüften, breit in den Schultern. Mit dem verschlagenen Gesicht eines Wolfs.
Sein Begleiter hieß Mario Mali. Bei ihm fiel vor allem die ausgeprägte Unterkinnpartie auf. Da die Nase klein und flach war, hatte er Ähnlichkeit mit einem Schimpansen.
Sie begaben sich zum gegenüberliegenden Haustor.
Ringo Polonski zog einen kleinen Metallstift aus der Jacketttasche, stocherte damit kurz im Schloss herum, dann ließ sich das Tor öffnen.
Grinsend hielt er es für seinen Komplizen auf und sagte: „Nach Ihnen, Sir.“
„Danke“, gab Mario Mali näselnd zurück. „Lassen Sie sich von meinem Butler ein anständiges Trinkgeld geben.“
„Oh, das ist sehr großzügig von Ihnen, Sir.“
Das Gebäude hatte zwanzig Etagen. Die Killer nahmen nicht den Penthouselift, sondern den anderen Fahrstuhl. Damit fuhren sie bis zum neunzehnten Stock hoch. Danach stiegen sie die Stufen zur zwanzigsten Etage hinauf.
Richter Ross hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam. Er telefonierte noch mit seiner Frau, die die Scheidung wollte.
„Susan“, sagte er leise. „Was würdest du tun, wenn ich mich jetzt in ein Taxi setzte und zu dir käme?“
„Ich würde dich nicht reinlassen.“
„Du würdest mich vor der Tür stehenlassen wie einen Fremden? Das glaube ich nicht.“
„Du bist ein Fremder, Abraham. Würdest du die Güte haben und nun endlich auflegen?“
Er lächelte. „Warum legst du nicht auf?“
„Meinetwegen. Dann tu ich es eben“, erwiderte sie. Dann klickte es in der Leitung, und sie war weg.
Es waren die letzten Worte, die er von Susan hörte.
Das abrupte Ende des Telefonats schockte ihn. „Susan!“, rief er, denn er wollte nicht wahrhaben, dass sie wirklich aufgelegt hatte. „Susan!“ Langsam ließ er den Hörer sinken. „Susan, warum …“, flüsterte er. Sie hatte ihn verletzt. Seine Seele war verwundet. Susan hatte sein Herz mit einem vergifteten Pfeil getroffen!
Er legte den Hörer in die Gabel.
Plötzlich vernahm er ein Geräusch hinter sich. Er sprang auf und wirbelte erschrocken herum, und da standen zwei Männer.
Mit Waffen in der Hand.
Er wusste sofort, dass sie vom Syndikat geschickt worden waren. Langsam kamen sie näher. Er schloss mit seinem Leben ab. Sie würden ihn umbringen, das stand für ihn fest. Er konnte nur noch hoffen, dass es schnell gehen würde.
Sie erreichten ihn.
Keiner sprach ein Wort.
Sie blickten ihm kalt in die Augen, und dann schlug ihn der wolfsgesichtige Mafioso nieder.