Читать книгу Mordachse Berlin - Rio: Berlin 1968 Kriminalroman Band 30 - A. F. Morland - Страница 7
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„Sachte!“, sagte Bernd Schuster heiser. Er war unbewaffnet. Seine Beretta lag im Büro. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sie brauchen würde, wenn er mit Franziska einen netten Abend verbrachte. „Ganz ruhig, Mann!“, sagte Bernd gespannt.
Wenn er Pech hatte, drückte der Mörder noch einmal ab. Bernd spürte ein unangenehmes Prickeln im Nacken. Würde es ihm gelingen, den Mann zu überreden, sich zu ergeben?
Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven näherte er sich dem Bewaffneten. Er streckte verlangend die Hand aus. „Eine Dummheit sollte reichen. Geben Sie mir den Revolver“, forderte er.
Der Mann – groß, drahtig, mit abstehenden Ohren – blickte Bernd verstört an. Es schien, als habe er die Tat in einer Anwandlung von geistiger Verwirrung begangen.
Schuster blickte ganz kurz auf das Opfer. Er sah ein bekanntes Gesicht. Der Mann, den die Kugel tödlich getroffen hatte, hieß Stephan Kranz. Eigentlich war es nicht überraschend, dass Kranz so ein Ende gefunden hatte. Er gehörte zu der Sorte von Menschen, die jedes Geschäft machen, ob es nun sauber ist oder nicht, und er verfügte über ein großes Talent, sich Feinde zu schaffen.
Aber er hatte auch Freunde. Den Gangsterboss Sven Habermann zum Beispiel, der diesen Mord unter Umständen als eine persönliche Beleidigung ansah, denn seine Freunde standen unter seinem Schutz. An denen durfte sich niemand vergreifen.
Ob der Mann mit dem Revolver das wusste?
Er regte sich nicht, stand nur da und stierte Schuster mit großen Augen an, als ob ihn dieser Mord selbst am meisten überrascht hätte.
„Den Revolver!“, wiederholte der Detektiv. „Her damit!“
Der Fremde reagierte nicht. Bernd blieb zwei Schritte vor ihm stehen.
„Wollen Sie mich auch erschießen?“, fragte der Privatdetektiv hart.
„Ich ... ich habe diesen Mord nicht begangen“, presste der andere endlich mühsam hervor. „Ich bin kein Mörder.“
„Die Situation spricht eindeutig gegen Sie.“
„Dessen bin ich mir bewusst, aber ich habe das nicht getan. Ich habe Kranz nicht erschossen. Ich könnte niemals einen Menschen umbringen.“
„Aber der Revolver ...“
„Als ich hier hereinkam, lag die Waffe neben dem Toten. Ich hob sie auf. Und dann erschienen Sie.“
So konnte es natürlich auch gewesen sein, und die Verstörtheit des Mannes unterstrich seine Worte. Aber der Fremde konnte auch ein hervorragender Schauspieler sein.
Wieder einmal verließ sich Bernd Schuster auf seine Menschenkenntnis – und glaubte dem Mann. Er ging die letzten beiden Schritte weiter und nahm dem anderen die Waffe aus der Hand. Widerstandslos ließ dieser es geschehen.
Bernd atmete erleichtert auf. Die Gefahr war gebannt. „Mein Name ist Schuster. Bernd Schuster“, sagte er. „Ich bin Privatdetektiv. Und wie heißen Sie?“
„Tobias Krahe.“
„Beruf?“
„Geschäftsmann.“
Bernd wies auf den Toten. „Was hatten Sie mit Kranz zu schaffen?“
„Ich wollte ihn hier wegen eines Geschäfts treffen.“
„Wussten Sie, mit wem Sie es zu tun hatten?“
„Ja, aber das störte mich nicht. Was ich mit Kranz abwickeln wollte, wäre eine einwandfreie Sache gewesen.“
Auch solche Geschäfte tätigte Stephan Kranz hin und wieder, das war Bernd bekannt. Aber sie kamen in der Regel eher selten zustande, weil naturgemäß jenseits der Gesetze mehr Profit zu erzielen war. Doch ganz ohne saubere Einkünfte kam Kranz nicht zurecht. Schließlich musste er den Behörden ab und zu einen lupenreinen Verdienst vorweisen können.
„Okay“, sagte Bernd. „Sie haben ihn also nicht erschossen. Wo aber ist derjenige, der es getan hat?“
Tobias Krahe hob überfragt die Schultern. „Das weiß ich nicht.“
„War niemand bei der Leiche, als Sie hier hereinkamen?“
„Ich habe keine Menschenseele gesehen.“
„Sie werden keinen leichten Stand haben, wenn die Polizei Sie verhört. Die Fakten sprechen gegen Sie.“
„Ich weiß, und ich kann nur immer wieder beteuern, dass ich unschuldig am Tod dieses Mannes bin.“
„Ich wünsche Ihnen, dass man Ihnen glaubt“, sagte Bernd. Er überlegte: Wenn Tobias Krahe die Wahrheit sagte, gab es für den Mörder nur eine Möglichkeit, den Bungalow zu verlassen – das Fenster.
Bernd eilte darauf zu. Es war verschlossen, aber nicht verriegelt. Bernd öffnete es und sprang über die Fensterbank. Krahe blieb allein im Bungalow zurück. Allein mit dem Toten.
Bernd hörte Martinshörner. Für Krahe war es das Beste, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Wenn er jetzt die Flucht ergriff, wäre das einem Schuldgeständnis gleichgekommen, und kein Mensch hätte ihm seine Unschuldsbeteuerungen mehr abgenommen.
Krahe schien das zu begreifen. Er rührte sich nicht von der Stelle und wartete mit bleichem Gesicht auf das Eintreffen der Polizei. Nur so blieb er glaubhaft.
Bernd entfernte sich vom Bungalow. Er versuchte sich vorzustellen, welchen Weg der Mörder eingeschlagen hatte. Wie meistens in solchen Fällen, bemühte er sich, sich in die Lage des Täters zu versetzen, und er fragte sich, wohin er gelaufen wäre, wenn er Stephan Kranz erschossen hätte.
Zum nahen Hauptsee, beantwortete er seine Frage. Ein verstecktes Ruderboot, mit dem man unbemerkt das andere Ufer erreichen kann. Von hier aus rasch zum Buckower Damm, und hier in einen bereitstehenden Wagen.
Wenn der Mörder Grips hatte, musste er so vorgegangen sein.
Bernd eilte zum See hinunter. Das Gras unter seinen Schuhen war weich wie ein Teppich. Die Seeoberfläche sah aus wie poliertes schwarzes Glas. Ein paar Büsche standen am Ufer.
Bernd Schuster erreichte das Wasser. Er suchte nach Spuren im Uferschlamm, und plötzlich hatte er das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Befand sich der Mörder noch hier? Versteckte der Kerl sich in einem der Büsche? Bernd vernahm das leise Rascheln von Blättern.
Er zog die Waffe, die er Tobias Krahe abgenommen hatte, aus dem Gürtel und näherte sich vorsichtig einem wild wuchernden Busch, der seine biegsamen Zweige weit über das Wasser streckte.
Hinter dieser dunklen Blätterwand befand sich jemand. Kein Zweifel. Erneut strafften sich Bernd Schusters Nervenstränge. War er dem Täter in diesem Augenblick ganz nahe? Besaß der Mann noch eine zweite Waffe?
Bernd flitzte um das Gebüsch herum und federte in Combat-Stellung. „Hände hoch!“, bellte er, die Waffe im Anschlag.
Ein spitzer Aufschrei – ein Mädchen. Und ein junger Mann, der seinen Arm um ihre Schultern gelegt hatte und Bernd Schuster bestürzt anstarrte.
„Um Himmels willen – nicht schießen!“, stieß er heiser hervor.
Bernd richtete sich auf und schob den Revolver wieder in den Gürtel. Diese beiden jungen Leute hatten nun garantiert nichts mit dem Mord an Stephan Kranz zu tun.
„Haben Sie den Schuss gehört?“, fragte Bernd Schuster.
„Ja“, sagte der junge Mann.
„Und haben Sie jemanden gesehen? Vielleicht einen Mann, der es ziemlich eilig hatte und von den Bungalows kam?“
Der junge Mann warf seiner Freundin einen unsicheren, ratlosen Blick zu. „Wir ... wir wollen keine Unannehmlichkeiten haben“, sagte er stockend.
„Das verstehe ich“, erwiderte Bernd Schuster. „Aber in einem der Bungalows wurde ein Mann erschossen. Sollten Sie den Mörder gesehen haben, dürfen Sie das nicht für sich behalten, denn sonst kriegen Sie genau die Schwierigkeiten, auf die Sie nicht scharf sind.“
Der Junge und das Mädchen traten zwei Schritte vor. Ihr Aufenthalt am See hätte bestimmt ganz anders verlaufen sollen.
„Ja, da war ein Mann“, sagte der Junge.
„Sind Sie Polizist?“, fragte das Mädchen.
Bernd schüttelte den Kopf. „Privatdetektiv. Eigentlich geht mich der Fall nichts an. Ich bin da mehr oder weniger hineingestolpert. Da ich aber nun mal drin bin, kann ich die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen.“
„Das ist klar“, sagte der Junge verständnisvoll.
„Erzählen Sie mir von diesem Mann“, verlangte Bernd Schuster.
„Er kam von den Bungalows, gleich nachdem der Schuss gefallen war. Hinter dem Gebüsch dort hatte er ein Ruderboot versteckt ...“
‚Genau, wie ich‘s mir gedacht habe‘, sagte sich Bernd.
„Er sprang hinein und verschwand in der Dunkelheit“, beendete der Junge seinen kurzen Bericht.
„Haben Sie den Mann genau gesehen? Können Sie ihn beschreiben?“, fragte Bernd Schuster.
„Ich kann mir keine Gesichter merken“, antwortete der Junge bedauernd.
„Und Sie?“, fragte Bernd das Mädchen. Sie war nicht älter als siebzehn, war klein, hatte einen winzigen Busen und trug fliederfarbene Fischerhosen.
„Der Mann war groß und kräftig. Er hatte breite Schultern“, sagte sie.
„Wie war er gekleidet?“
„Sportlich“, antwortete der Junge.
„Er hatte dunkles Haar“, berichtete das Mädchen weiter, „eine große, stark gebogene Hakennase – und sein linker Augenzahn war aus Gold. Man konnte ihn sehen, weil der Mann beim Laufen mit offenem Mund atmete.“
Die Beschreibung war nicht schlecht. Bernd war damit zufrieden, obwohl er im Moment noch nichts damit anfangen konnte.