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Es war ein nebelig grauer, unfreundlicher, kühler Tag, an dem Inspektor Südermann das Krankenhaus verließ. Er humpelte noch ein wenig und stützte sich deshalb auf einen braunen Holzstock mit schwarzem Gummipuffer, den er von Bernd Schuster bekommen hatte. Bernd hätte den Freund gern vom Krankenhaus abgeholt und in seinem Wagen nach Hause gefahren, aber er war verhindert. Das Institut für moderne Christenverfolgung, im Volksmund auch Finanzamt genannt, hatte dem Privatdetektiv eine Vorladung zugesandt, die Bernd liebend gern unbeachtet in den Papierkorb geworfen hätte. Dass er es nicht tat, war allein darauf zurückzuführen, weil Bernd die Gewohnheit hatte, auch das Kleingedruckte - das sogar zuallererst - zu lesen, wo ihm unmissverständlich mit polizei- und gerichtlichen Maßnahmen gedroht wurde, wenn er auch diesen Termin, wie all die anderen, versäumen sollte. Einem solchen Säbelgerassel musste Bernd Schuster schließlich wohl oder übel Beachtung beimessen. Deshalb war er nicht zugegen, als Horst Südermann mutterseelenallein durch das breite Glasportal aus dem Krankenhaus humpelte.

Doch sobald der Inspektor seine behäbige Figur auf die Straße befördert hatte, war vom Alleinsein keine Rede mehr. Ein Haufen neugieriger Reporter stürmte auf ihn los und schloss ihn in seiner Mitte ein. Wohin Horst schaute, da blendete ihn ein aufflammender Elektronenblitz. Er wurde gedrängelt, geschoben und gestoßen wie ein prominenter Filmstar.

Es war dem eitlen Inspektor nicht unangenehm. Er gefiel sich in dieser Rolle, und es tat ihm offensichtlich gut, mal wieder im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Horst grinste in die Fotolinsen.

„Wenn ich geahnt hätte, was für einen prächtigen Empfang ihr mir bereitet, Leute, hätte ich mich in meinen neuen Nadelstreifenanzug geworfen“, rief der Inspektor aufgekratzt in die Runde.

„Sie waren vier Tage im Krankenhaus, Inspektor Südermann. Wie fühlen Sie sich jetzt?“, fragte ein graues Mausgesicht.

„Oh, ich glaube, es würde mich nicht überfordern, jedem von euch das Genick zu brechen“, sagte Horst grinsend. „Natürlich nur, wenn ihr in euren Spalten Unsinn verzapfen solltet.“

„Was macht Ihr Bein, Inspektor?“, fragte eine Frau, deren brandrotes Haar aus der Menge herausstach.

„Es ist noch dran“, gab Horst schmunzelnd zurück. „Und - Ihnen gesagt, mein Kind - es ist auch sonst noch alles an mir dran!“

Die Umstehenden grinsten breit. Die junge Journalistin wurde rot und versteckte sich hinter ihrem Notizblock.

„Und der Stock?“, fragte ein bleichgesichtiger Jüngling, der den maßvollen rechten Flügel vertrat. „Was ist mit dem Stock?

Horst zog die Mundwinkel nach unten.

„Attrappe. Bloß eine Attrappe. Ich könnte auf ihn ebenso gut verzichten. Aber er ist erstens ein Geschenk von einem guten Freund, und zweitens habe ich mir sagen lassen, dass Spazierstöcke wieder in sind.“

„Wann werden Sie den Stock nicht mehr brauchen, Inspektor?“, fragte der angriffslustige Kerl vom linken Flügel.

„Sagte ich nicht gerade, dass dieser Stock bloß Attrappe ist?“, knurrte Südermann den Mann ärgerlich an. „Sie müssen besser aufpassen, was gesprochen wird, junger Mann.“

„Wann treten Sie Ihren Dienst wieder an, Inspektor Südermann?“, fragte jemand, den Horst nicht sehen konnte.

„Noch heute. Ich hasse Leute, die länger krankfeiern, als es nötig wäre. Und da ich mich nicht selbst hassen möchte, stürze ich mich sofort wieder mitten in die Arbeit hinein.“

„Dieser Lars Brandt, Inspektor Südermann“, meinte ein baumlanger Typ, „dieser Brandt - hat Ihnen der arg zu schaffen gemacht?

Horst blies seinen Brustkorb auf, ließ die Brauen hochschnappen und sagte protzig: „Er war ein verdammt harter Brocken. Aber ich war härter.“

„Er war ein Alptraum für die Stadt.“

Horst nickte.

„O ja, das war er. Aber er gehört bereits der Vergangenheit an. Lars Brandt tut keiner Fliege mehr etwas zuleide.“

Frage um Frage prasselte auf Südermann herab. Er gab kluge Antworten, wich Fangfragen, die er nicht beantworten wollte, geschickt aus, brillierte mit Wortspielen und großartigen Versprechungen, dass die Verbrecher auch in Zukunft nichts zu lachen hätten, solange er der Leiter des Dezernats LKA 11, Tötungsdelikte, wäre.

„Wie kamen Sie Brandt auf die Schliche?“, wurde der Inspektor gefragt.

Horst hob die Schultern.

„Das war ganz simpel. Jeder gute Mann hat Neider. Brandt war auf seinem Gebiet zweifellos eine Kanone. Er verdiente mit seinen Morden einen Haufen Geld. Das gönnte ihm einer nicht. Er gab uns einen heißen Tipp. Na ja. Und wir brauchten dann nur noch zuzufassen.“

„Wie stehen Sie zum perfekten Verbrechen, Inspektor Südermann?“

Horst lächelte mitleidig.

„Junger Mann, ich tue diesen Job nun schon seit vielen Jahren. Zugegeben, mit wechselndem Erfolg. Trotzdem fühle ich mich ermächtigt, zu behaupten, dass es auf dieser unserer Welt nichts Perfektes gibt. Gar nichts. Deshalb gibt es auch kein perfektes Verbrechen. Und auch keine perfekten Verbrecher. Die schon gar nicht. Ich bitte Sie, das in Ihrem Bericht ganz groß herauszubringen, damit sich ein paar dämliche Jungs, die sich gerade anschicken, das große Los ziehen zu wollen, doch noch davon abbringen lassen.“ Südermann nickte in die Runde. „So, Herrschaften, ich denke, das sollte für heute reichen. Ich bin sicher, wir sprechen uns bald wieder.“

Er drängte die Reporter auseinander, bahnte sich einen Weg, den er humpelnd ging, erreichte den Straßenrand und winkte mit seinem Stock ein Taxi herbei, in das er sich erschöpft fallen ließ. Er quälte sich noch schnell ein Lächeln ab, als er sah, dass sie ihn schon wieder fotografierten. Er sagte, wohin er wollte. Dann zischte das Taxi davon, und Horst sank in sich zusammen wie eine aufblasbare Puppe, in die jemand eine Nadel gepickt hatte.

„Von wegen Genick umdrehen!“, murrte er vor sich hin. „Ich muss froh sein, wenn mir keiner was tut.“

„Na, Hinkebein, geht's schon wieder?“, fragte Bernd Schuster tags darauf, nachdem er die Tür zu Südermanns Büro gefühlvoll zugedrückt hatte.

„Willst du mit mir einen Hundertmeterlauf machen?“, fragte der Inspektor scharf geladen.

„Jederzeit“, erwiderte Bernd schmunzelnd.

„Wieviel soll ich dir vorgeben?“

„Nun mach aber ’nen Punkt, du alter Angeber. Du würdest die hundert Meter doch nicht mal schaffen, wenn ich dich achtundneunzig Meter weit tragen würde.“

Südermann hob warnend den Zeigefinger.

„Sieh dich vor, Freund! Gleich kommt der Moment, wo ich mit Telefonen um mich schmeiße. Was willst du?“

„Dir guten Tag sagen.“

„Sonst nichts?“, fragte der Inspektor misstrauisch.

„Ich wollte mal sehen, wie’s deinem Bein geht.“

„Es geht ihm ausgezeichnet. Es bedankt sich für die rege Anteilnahme. Sonst noch was?“

„Du willst mich schon wieder draußen haben, eh?“

„Ich habe verdammt viel um die Ohren“, knurrte Südermann.

„Wer hat das nicht. Wie macht sich der Stock, den ich dir geschenkt habe?“

„Ich werde ihn als Angelrute verwenden.“

„Du benutzt ihn doch noch, oder?“

„Aber ja. Bei mir zu Hause - vielmehr über mir wohnt ein ziemlich lautes Ehepaar. Wenn es die beiden besonders bunt treiben, klopfe ich mit deinem Stock an die Decke - und Ruhe ist.“

Bernd schwang sich auf die Schreibtischecke, obwohl der Besuchersessel einladend leer war.

„Du brauchst dich hier gar nicht häuslich niederzulassen“, meinte Südermann grimmig. „Ich sagte doch deutlich genug, dass ...“

Bernd grub grinsend seine Packung Roth Händle aus der Tasche.

„Wir rauchen eine Friedenszigarette zusammen, und dann verdufte ich wieder, okay?“

„Ich nehm dich beim Wort.“

„Kannst du.“

Horst bediente sich. Bernd gab ihm Feuer. Sie rauchten eine Weile schweigend. Dann klingelte das Telefon. Südermann gab sich ziemlich unnahbar, beinahe feindselig. Er kanzelte den Anrufer mit scharfen Worten ab und knallte den Hörer hinterher mürrisch in die Gabel.

„Wie wär's mit einer kleinen Pokerrunde?“, erkundigte sich Bernd.

Horst horchte interessiert auf. Er spielte für sein Leben gern.

„Wann?“

„Heute Abend.“

„Wo?“, fragte Horst.

„Bei mir zu Hause.“

„Um welche Zeit?“

„Sagen wir um acht.“

„Okay, ich werde da sein. Wer sind die anderen Spieler? Kenne ich sie?“

„Ich dachte, du könntest Wilhelm mitbringen.“

„Wenn's unbedingt sein muss“, erwiderte Horst seufzend.

„Der vierte Mann wäre Sebastian.“

„Sebastian Tucher?“

Südermann tat oft gern so, als könne er den Leiter des Erkennungsdienstes nicht ausstehen.

„Ist doch der ideale Partner, oder nicht? Du hast doch behauptet, dass Sebastian noch nie in seinem Leben etwas von einem Pokergesicht gehört hätte. Und bist du es nicht auch gewesen, der deshalb meinte, jedes Spiel zu gewinnen?“

Südermann nickte lächelnd.

„Geritzt. Wir spielen doch hoffentlich nicht um Hosenknöpfe!“

„Natürlich nicht. Wir pokern um harte Scheine, einverstanden?“

Horst sagte mit gewichtiger Miene: „Ich hoffe, du weißt, worauf du dich da einlässt, Bernd. Beim Pokern kenne ich nämlich weder Freund noch Feind. Da gibt's für mich nur den Pott! Und der muss mir gehören!“

Bernd lachte.

„Keine Sorge, Horst. Ich komme eben von meiner Bank. Der Direktor hat mir einen Kredit in jeder Höhe eingeräumt.“

„Ich fürchte, den wirst du in Anspruch nehmen müssen“, meinte Südermann, dann stieß er seine Zigarette in den Ascher und wies Bernd Schuster darauf hin, dass er nun nichts mehr in seinem Büro zu suchen hätte, worauf Bernd sich mit einem prächtigen Lächeln von seinem Freund verabschiedete.

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