Читать книгу Um Millionen - Mord inklusive! Berlin 1968 Kriminalroman Band 50 - A. F. Morland - Страница 8
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Inspektor Südermann und sein Vertreter, Wilhelm Krone, waren pünktlich wie die Uhr. Schlag acht klingelten sie an Bernds Haustür. Sebastian Tucher, Schusters vierter Mann, begrüßte die anderen mit ausgesuchter Höflichkeit und führte sie in das Wohnzimmer, als wäre er vor kurzer Zeit bei Schuster eingezogen. Vor dem breiten Panoramafenster lag das lichterglänzende, nächtliche Berlin. Aus dem 14. Stockwerk hatte Bernd einen phantastischen Ausblick.
Um den runden Spieltisch standen vier Stühle. Ein noch in Zellophan gehülltes, funkelnagelneues Kartenpaket lag in der Mitte. Die fahrbare Hausbar war dicht an den Tisch herangeschoben. In einem silbernen Thermosbehälter befand sich das Eis für die Getränke, und jeder bediente sich hier selbst nach seinem Geschmack.
Danach setzten sich die Männer um den Tisch. Bernd riss das Paket auf.
Um zwanzig Uhr fünfzehn lief die erste Runde. Noch ziemlich trocken, wie ein Versuchsspiel. Jeder schien erst mal sein Glück abtasten zu wollen. Südermann streifte einen kärglichen Gewinn ein, aber er warf mit Worten um sich, die von Optimismus nur so strotzten.
Um einundzwanzig Uhr fünfzehn sah sich Horst Südermann dann zu der Frage veranlasst, ob Sebastian Tucher auch einen Schuldschein nehme.
„Ich meine, ich bin in diesem Haus kein Unbekannter“, sagte Horst verlegen. „Und mein Blatt ist dermaßen gut, dass ich einfach nicht aussteigen kann.“
Sebastian war mit dem Schuldschein einverstanden, und er gewann auch diesen.
Horst wischte sich den Schweiß von der Stirn, warf die Karten weg und meinte schief grinsend: „Gegen ein Royal Flush zu verlieren, ist gewiss keine Schande, was?“ Dann pumpte er Bernd an, um weiterspielen zu können.
Sebastian Tucher war an diesem Abend der ganz große Absahner. Er gewann den anderen buchstäblich den letzten Pfennig aus der Hosentasche.
„Unfassbar!“, rief Südermann ein wenig angeschlagen. Er schüttelte benommen den Kopf. „Der Herr Kollege muss beim Dezernat für Falschspiel einen Kurs belegt haben.“
Tucher grinste und schwieg.
„Verlierst du denn niemals, Kollege?“, fragte Horst ungläubig.
„Natürlich verliere ich manchmal. Schließlich bin ich kein Profi. Heute beträgt mein Verlust zum Beispiel schon ganze fünf Mark!“
Sie lachten. Bei Horst war es so etwas wie Galgenhumor. Bei Wilhelm Krone war es Schadenfreude, denn er hatte weit weniger verloren als der Inspektor. Und bei Sebastian Tucher war es das Gelächter eines überragenden Triumphators.
Da schlug das Telefon an.
Bernd erhob sich. Er nahm das Gespräch mit der steifen Würde eines Weihbischofs entgegen. Dann nickte er Südermann zu und sagte sachlich: „Für dich, Horst.“
„Für mich?“, fragte der Inspektor ungläubig.
„Er sagte: ,Geben Sie mir den Alten! Der ist doch bei Ihnen!‘“
„Wer sagte das? Wer?“
„Polizeihauptmeister Bieber!“
Südermann raufte sich die Haare.
„Dieser Bursche schafft das, was bis jetzt noch kein Verbrecher fertiggebracht hat. Der bringt mich ins Grab!“
Polizeihauptmeister Karsten Bieber war, gelinde gesagt, eine Heimsuchung. Ein Schicksalsschlag, den Horst Südermann einfach nicht verkraften konnte. Das Rauschgiftdezernat hatte ihn an sein Dezernat weitergereicht, weil es ihm am nötigen Respekt seinen Vorgesetzten gegenüber mangelte. Er musste von seinen Eltern antiautoritär erzogen worden sein. Und die anderen hatten mit dem Ergebnis einer solchen Erziehung nun ihre Schwierigkeiten. Die Kollegen von der Drogenfahndung hatten sich außerstande gesehen, Polizeihauptmeister Karsten Bieber geradezubiegen. Nun sollte Inspektor Südermann sein Glück mit ihm versuchen. Bisher hatte er damit allerdings noch so gut wie keinen Erfolg gehabt. Und Horst fürchtete, dass sich daran auch in Zukunft nichts ändern würde. An Bieber biss er sich zum ersten Mal die Zähne aus.
Horst erhob sich und griff nach dem Hörer.
„Südermann!“, brüllte er feindselig in die Membrane, um den Polizeihauptmeister einzuschüchtern, aber das wirkte bei Bieber nicht.
„Hallo, Chef!“, kam es leutselig durch den Draht. „Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Doch, Bieber! Doch, das tun Sie.“
„Sorry, tut mir aufrichtig leid.“
„Geschenkt. Was gibt's? Ich sagte, Sie kriegen die Nummer nur für den Notfall. Wenn Ihnen der Nachtdienst zu langweilig ist, rufen Sie doch die Telefonseelsorge an. Die haben Zeit für Sie, Bieber. Jede Menge. Vielleicht können die auch gleich Ihr Problem beheben.“
Bieber lachte sorglos.
„Ich habe doch gar kein Problem, Chef!“
„Was für eine Katastrophe ist über Berlin hereingebrochen, Bieber? Kommt der Schah von Persien schon wieder?“
„Ich glaube, Sie kriegen Schwierigkeiten, Chef.“
„Haben Sie’s nicht ein bisschen deutlicher?“
„Da kam soeben ein Anruf herein. Die Telefonistin stellte zu mir durch, weil Sie nicht da waren ...“
„Und?“, fragte der Inspektor ungeduldig.
„Das gibt 'ne verflixte Scheiße, wenn Sie mich fragen, Chef.“
„Bieber!“, schrie Horst zornig. „Merken Sie sich ein für alle Mal, dass ein Polizeihauptmeister meiner Abteilung nicht Scheiße zu sagen hat! Und zum zweiten gestatten Sie mir eine ganz kurze Zwischenfrage: Möchten Sie ab morgen Parksünder aufschreiben?“
„Nein, Chef.“
„Dann lassen Sie Ihren Hund endlich von der Leine, zum Henker!“, brüllte der Inspektor mit hochrotem Gesicht. Es war ja auch ein bisschen viel für einen einzigen Abend. Zuerst die Pechsträhne beim Pokern und jetzt dieses Telefonat mit Bieber, dem ausgeprägtesten Flegel, der jemals auf der Gehaltsliste der Mordkommission gestanden hatte.
„Der Kerl, Chef - dieser Anrufer, der hatte einen in der Krone, verstehen Sie? Er wollte unbedingt mit Ihnen sprechen. Nur mit Ihnen. Ich sagte ihm, dass ich ihm mit dem Chef nicht dienen könne, weil der Chef nicht da wäre. Aber er dachte, er hätte Sie bereits an der Strippe und plapperte munter darauf los.“
„Wird wohl kaum interessant gewesen sein, was der Betrunkene geplappert hat“, brummte Südermann.
„Irrtum, Chef! Es war verdammt interessant.“
„Was hat er gesagt, Bieber? Mann, spannen Sie mich nicht länger auf die Folter, sonst geraten Sie morgen früh mitten in einen Vulkanausbruch!“
„Ich hab’ das Gespräch aufgezeichnet, Chef. Soll ich es Ihnen vorspielen?“
„Natürlich! Worauf warten Sie denn noch, Bieber?“
„Der Stress, was? Der haut Sie noch mal um, Chef“, sagte Bieber, als mache er sich ernsthaft Sorgen um Südermanns Wohlbefinden.
„Bieber!“, schrie der Inspektor wütend.
„Schon gut, Chef. Ist ja schon gut. Hier ist das Gespräch ...“
Polizeihauptmeister Bieber hatte es nicht vom Anfang an mitgeschnitten. Es begann mitten im Wort. Eine kräftige, lallende Stimme sagte: ,...abe gelesen, was Sie den Reportern beim Verlassen des Krankenhauses sagten, Inspektor Südermann. Es gibt kein perfektes Verbrechen, sagten Sie. Aber das stimmt nicht. Sie wissen, dass diese Behauptung verdammt kühn ist, Inspektor. Sie als alter Jäger wissen, dass solche Worte nur bedingt gültig sein können. Die meisten Verbrecher sind primitive Menschen. Kreaturen, die stehlen, wenn sie kein Geld haben, die morden, wenn sie hassen, die vergewaltigen, wenn sie der Trieb übermannt. Es sind Idioten, die nicht planen können, Inspektor Südermann. Menschen sind es, die zuerst handeln und dann denken. Auf diese Sorte von Verbrechern mag Ihr schöner Spruch zutreffen, für diese Leute kann es das perfekte Verbrechen nicht geben. Einfach deshalb nicht, weil sie sich bei allem, was sie anstellen, zu dämlich anstellen. Aber Sie begehen einen großen Fehler, wenn Sie alle Menschen in einen Topf werfen, Inspektor. Es gibt auch andere Verbrecher. Leute, die intelligenter sind als Sie. Ich, Südermann, ich werde Ihnen beweisen, dass es das perfekte Verbrechen doch gibt!‘
Ende.
Es knackte.
Dann hörte Horst Polizeihauptmeister Biebers Stimme: „Hallo! Hallo! He! Sie! Nun hat der verdammte Trottel doch tatsächlich aufgelegt!“ Das war noch auf dem Band. Nun meldete sich Bieber wieder live: „Na, Chef! Wichtig?“
„Hat lang gequasselt, der Bursche, was?“, knurrte Südermann.
„Ziemlich lang. Der wollte sich was von der Seele plaudern.“
„Haben Sie versucht, herauszubekommen, woher der Anruf kam?“ Betretenes Schweigen.
„Nun, Bieber?“
„Ich dachte nicht sofort daran, Chef.“
„Das sieht Ihnen ähnlich“, schrie Südermann.
„Lassen Sie mich meinen] ob erst mal so lange machen wie Sie, dann gibt es keine Pannen mehr, Inspektor Südermann“, gab Bieber beleidigt zurück.
„Ich glaube kaum, dass jemand mit Ihnen so lange Geduld haben wird“, erwiderte Horst und knallte den Hörer mit elegantem Schwung auf den Apparat.
Die gute Stimmung war dahin. Horst Südermann hatte zwar - nachdem er den anderen erzählt hatte, was soeben auf ihn zugekommen war - die Karten wieder zur Hand genommen, aber der Misston, den Biebers Anruf hervorgerufen hatte, blieb im Raum hängen und wollte nicht mehr verstummen. Der Inspektor war nicht mehr bei der Sache, deshalb schlug Bernd Schuster vor, das Spiel nicht fortzusetzen. Das bedauerte nur Sebastian Tucher. Den anderen gefiel dieser Vorschlag, und sie stimmten ihm mit einem entschlossenen Kopfnicken zu.
Sie hielten sich an den Whisky.
„Es kann natürlich sein“, sagte der Inspektor sinnierend, „dass sich da jemand bloß einen dummen Scherz erlaubt hat.“
„Er war betrunken, nicht wahr?“, meinte Wilhelm Krone.
„Ja. Aber nicht volltrunken. Und er redete nicht wie ein Idiot. Deshalb fällt es mir schwer, die Sache einfach als Scherz abzutun.“
Wilhelm nippte an seinem Drink.
„Wenn du mich fragst, Horst“, sagte er, nachdem er das Glas wieder abgesetzt halte, „übergehen dürfen wir diesen Anruf nicht.“
Südermann nickte ernst.
„Die nächsten Verbrechen, die auf uns zukommen, werden wir besonders genau unter die Lupe nehmen müssen.“
Bernd wies zum Telefon.
„Wenn der Bursche nüchtern gewesen wäre, hätte er vermutlich niemals angerufen. Aber der Alkohol hat seine Geltungssucht mobilisiert. Die Versuchung war für ihn einfach zu groß. Er musste dir um die Nase schmieren, was er vorhat, um dich zu verhöhnen, um sich selbst zu beweisen, was er sich alles getraut und wie clever er doch ist. Ich bin der Auffassung, dass dieser Mann - wer immer er sein mag - mit diesem Anruf schon vor dem Verbrechen, das er geplant hat, einen entscheidenden Fehler machte.“