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Dr. Wilhelm Mannig seufzte, als Major a.D. Hans Düren seine Praxis betrat.

‚Schon wieder Düren‘, dachte der Augenarzt, während er sein freundlichstes Lächeln hervorkehrte. Dieser verzapfte, verkalkte, eingebildete Militarist.

Mannig war für die Augen der High Society zuständig, und dass auch Major Düren zu dieser Gesellschaftsschicht gehörte, fand Mannig äußerst betrüblich, und es war ihm ein Gräuel, wissen zu müssen, dass Düren ihm zugetan war wie ein Vater dem Sohn. Doch daran war nichts zu ändern. Düren war von dem jungen, gutaussehenden Augenarzt ungemein begeistert, und Mannig fragte sich zu solchen Gelegenheiten stets, womit er diese harte Strafe verdient hatte.

Der Arzt war dreißig. Er war schlank, hatte einen intelligenten Blick und in Damengesellschaft ein loses Mundwerk, ohne jedoch jemals die Grenze des guten Geschmacks zu verletzen. Die Leute mochten ihn. Sie mochten ihn gleichermaßen als Arzt wie als Privatperson. Vielleicht lag das vor allem daran, weil er sich ungemein gut verstellen konnte. In seinem Inneren konnte es die größten Unwetter geben, nach außen hin vermochte er jedermann mit einem strahlenden Lächeln zu täuschen.

Major a.D. Hans Düren stelzte in kerzengerader Haltung auf den Augenarzt zu.

Wilhelm Mannig straffte sein Rückgrat, ohne es zu wollen. Er reichte dem weißhaarigen Mann, dessen Wangen von einer zarten Pfirsichhaut überzogen waren, die Hand und drückte angemessen fest zu. Auch Mannig hatte vor Beginn seines Studiums in Hamburg seinen Wehrdienst geleistet, und er genoss es, in Berlin nur sehr selten einem ehemaligen Bundeswehroffizier zu begegnen.

„Stehen Sie bequem, mein Junge!“, sagte Düren mit einem wohlwollenden, freundschaftlichen Kopfnicken. „Stehen Sie bitte bequem.“

„Danke, Herr Major!“, sagte Mannig und entspannte sich.

Düren steuerte „seinen“ Stuhl an. Er setzte sich rasch und schlug ein Bein unmutsvoll über das andere.

„Was führt Sie zu mir, Major?“, fragte Mannig. Der Alte hatte Augen wie ein Falke. Er brauchte keine Brille. So mancher Zwanzigjährige hätte ihn um seine Sehschärfe beneidet. Trotzdem glaubte Major Düren, stets Grund zu neuen Klagen zu haben. Er ließ ein gequältes Seufzen hören.

„Grauer Star, mein Junge“, sagte er leidend. „Eine Eintrübung der Linse. Ihr Ärzte nennt das Katarakt.“

„Wann haben Sie diese Eintrübung zum ersten Mal bemerkt, Major?“, fragte Mannig. Er bemühte sich, ernst zu bleiben.

„Heute Morgen!“, sagte Düren sachlich. „Fasste sofort den Entschluss, Sie aufzusuchen. Je eher, desto besser. Scheußlicher Gedanke, blind zu werden, mein Junge. Solche Dinge darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

„Welches Auge ist es denn?“

„Das rechte. Sehen Sie es sich an, mein Junge! Und sagen Sie mir unverblümt die Wahrheit. Ein Major, selbst wenn er im Ruhestand ist, kann alles vertragen, nur keine Heuchelei. Habe mich über die Ursachen einer solchen Linsentrübung informiert, Dr. Mannig. Altersveränderungen, angeborene Entwicklungsstörung, örtliche oder allgemeine Stoffwechselstörung, Verletzung. Für mich trifft das Erste zu. Ich bin siebenundsechzig, wie Sie wissen. So viel mir bekannt ist, besteht die Behandlung des Grauen Stars in der operativen Entfernung der getrübten Linse. Was dem Auge an Brechkraft dann fehlt, wird durch Vorsetzen eines starken Sammelglases, einer sogenannten Starbrille, ersetzt. Wenn ich richtig informiert bin, dann gehört die Staroperation zu den dankbarsten Eingriffen am Auge überhaupt, weil nach der Operation wieder volle Sehschärfe erreicht werden kann. Deshalb sehe ich dieser Sache mit Gelassenheit entgegen, Dr. Mannig. Ich habe vollstes Vertrauen zu Ihnen. Sie werden das schon wieder hinkriegen.“

Dr. Wilhelm Mannig tat dem alten Major den Gefallen und untersuchte dessen rechtes Auge. Es war genauso gesund wie das linke. Doch das wollte der Major nicht so recht glauben. Er bat den Arzt erneut, ihm schonungslos die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern.

Als aber Mannig bei seiner Behauptung blieb, es wäre alles in Ordnung, da meinte der Weißhaarige kopfschüttelnd: „Nun ja, mein Junge. Sie sind der Arzt. Wenn Sie sagen, dass alles okay ist, dann hat alles okay zu sein. Aber ich hätte schwören können ...“

Er sprach nicht weiter, sondern verlangte von Mannig, er möge die Sehschärfe seiner Augen noch an der Leuchttafel prüfen. Wilhelm Mannig begab sich zum Fenster. Er ließ die Jalousie herunterrasseln, schaltete die Leuchttafel mit den von Zeile zu Zeile kleiner werdenden Buchstaben ein und wies mit einem Glimmstab auf die betreffenden Buchstaben, die Hans Düren sogleich und absolut richtig nannte.

Daraufhin meinte Mannig: „Tja, Herr Major. Tut mir beinahe leid, Ihnen nichts anhängen zu können. Wenn alle meine Patienten solche Augen hätten, wäre ich arbeitslos.“

Düren ließ ein enttäuschtes Murren hören. Der Augenarzt zog die Lamellenjalousie wieder hoch.

In diesem Moment splitterte das Glas mit einem singenden Laut. Mannig riss reflexartig die Arme hoch und fasste sich mit beiden Händen ächzend an den Kopf. Wie in Zeitlupe wandte er sich vom Fenster ab. Zwischen seinen zuckenden Händen quoll dunkelrotes Blut hervor. Er machte drei unsichere Schritte, ehe seine Beine von einer unüberwindbaren Lähmung erfasst wurden. Sein Oberkörper neigte sich nach vorn. Er verlor das Gleichgewicht und fiel wie ein Holzklotz um.

Nun begann das Soldatenblut des alten Majors zu revoltieren. Er hatte in seinem noch keinen Menschen sterben gesehen. So etwas vermochte ihn aber jetzt nicht wirklich zu erschüttern. Hans Düren blieb erstaunlich kühl, beherrscht und überlegt. Er eilte sofort zum Fenster. Unter seinen Schuhen knirschten die Glassplitter. Sein Blick war auf das gegenüberliegende Flachdach gerichtet, denn von da musste der tödliche Schuss auf Dr. Mannig abgegeben worden sein.

Das Dach war leer. Der Schütze hatte sich bereits abgesetzt.

Nun beugte sich Düren über den Arzt. Er betrachtete die Verletzung und schüttelte hinterher den Kopf.

„Nichts mehr zu machen. Ein guter Schuss.“ Er sagte das jedoch nicht als Anerkennung für den Schützen. Es war eine nüchterne Feststellung.

Düren erhob sich wieder. Er eilte auf die mit weißem Leder- und Schaumgummiauflage gepolsterte Tür zu, durch die er Dr. Mannigs Praxis betreten hatte. Mit energischem Schwung riss er sie auf.

Die Frau, die im Vorzimmer an einem schweren Mahagonischreibtisch saß, hob erstaunt den Kopf. Ihre schlanke Gestalt war in einen blütenweißen Kittel gehüllt. Sie trug das tizianrote Haar sorgfältig hochgesteckt, war eine absolut saubere Erscheinung mit langen, knallrot lackierten Fingernägeln, mit falschen Wimpern und dezenter Rougeauflage an den Wangen, die mit hohen Backenknochen versehen waren, wodurch das Mädchen den Eindruck erweckte, als könne es auf eine slawische Ahnengalerie zurückschauen.

„Major Düren ...“, sagte Stella Härtel ein wenig verwirrt. Sie hatte diesen seltsamen Gesichtsausdruck bei Düren noch nie gesehen. Die Pfirsichhaut des Alten war straff und fahl geworden. Seine scharfen Augen hatten sich verengt und ruhten stechend auf dem hübschen Gesicht der Sprechstundenhilfe, die gleichzeitig Dr. Wilhelm Mannigs Stiefschwester war.

„Major Düren ...“ setzte das Mädchen erneut an. Sie erhob sich. „Was ist mit Ihnen? Was ist passiert?“

„Sie haben nichts gehört?“, fragte Düren heiser.

„Nein, Major. Was hätte ich hören sollen?“

„Den Schuss!“

„Welchen Schuss?“

„Schalldämpfer!“, knurrte Hans Düren. „Natürlich. Der Schuss war nicht zu hören, weil er einen Schalldämpfer verwendete.“

„Wer, Major? Wer hat einen Schalldämpfer verwendet?“, fragte Stella Härtel verwirrt. „Wer hat geschossen? Wer hat auf wen geschossen?“

Der Weißhaarige trat auf das unruhig gewordene Mädchen zu. Stella schaute ihm besorgt in die Augen. Dann wanderte ihr Blick zur offenstehenden Tür, die in die Praxis ihres Stiefbruders führte.

‚Wilhelm!‘, dachte sie erschrocken. ‚Was ist mit Wilhelm? Wieso kommt er nicht heraus?‘

Stella starrte den alten Mann furchtvoll an.

„Major Düren - ist etwas mit Wilhelm ...“

Düren senkte den Blick.

„Ja, Fräulein Härtel. Ihr Bruder - er ist ...“

„Tot?“, fragte Stella mit schockgeweiteten Augen. „Wilhelm ist tot?!“, schrie sie entsetzt, während sich ihr Antlitz zu einer weinerlichen Grimasse verzerrte. „Wilhelm lebt nicht mehr? Aber - aber wieso denn? Wieso wurde auf ihn geschossen, Major Düren? Was ist passiert?“

„Dr. Wilhelm Mannig wurde das Opfer eines Mordanschlages, Fräulein Härtel“, sagte Hans Düren mit einer Stimme, die dem Tod eines Menschen Respekt zollte.

Das Mädchen fuhr sich mit einem heiseren Aufschrei an die bebenden Lippen.

„Nein!“, kreischte sie. „Nein! Das ist nicht wahr! Das darf nicht wahr sein!“

Sie stieß den alten Mann aufgewühlt zur Seite. Düren wollte sie am Arm fassen und zurückhalten.

„Bleiben Sie hier, Fräulein Härtel!“, sagte er hastig. „Das da drinnen ist kein schöner Anblick. Sie können nichts mehr für ihn tun.“

Doch Stella entriss ihm ihren Arm blitzschnell und rannte auf die offenstehende Praxistür zu.

„Wilhelm!“, schrie sie grell. „Wilhelm!“

An der Tür blieb sie für den Bruchteil einer Sekunde wie angewurzelt stehen. Ein nervöses Zittern durchlief ihren schlanken Körper. Dann befiel sie der Weinkrampf. Kreischend warf sie sich nach vorn und auf den toten Bruder, als sie dessen Leichnam erreicht hatte. Sie deckte ihn mit ihrem Körper zu. Ihre Tränen tropften auf sein Gesicht. Sie fasste unter seinen zerschossenen Kopf, hob ihn hoch und küsste die schlaffen Wangen des Toten, immer und immer wieder. Der Schmerz schien ihr den Verstand geraubt zu haben.

Major a.D. Düren stand kopfschüttelnd in der Tür. Stella beweinte den Tod ihres Bruders, als wäre sie ihm Frau und Schwester zugleich gewesen.

Seufzend wandte er sich um. Es war gut, dass er trotz allem einen relativ kühlen Kopf bewahrt hatte, denn einer musste diesen gemeinen Meuchelmord schließlich der Polizei melden.

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