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Sie fühlten sich wie zwei Tiger, die man zu füttern vergessen hatte. Nervös liefen sie im Warteraum des Krankenhauses hin und her. Ein Wunder, dass sie niemals zusammenstießen. Jan Bruhns war einen halben Kopf kleiner als Bernd. Der Assistent des Inspektors hatte ein hohlwangiges Gesicht und stets schläfrige Augen, obwohl er immer hellwach war. Bruhns war 28 Jahre alt, ledig, wohnte noch bei seiner Mutter und war im Umgang mit schönen Frauen äußerst schüchtern.

Sie hatten Schusters Roth Händle aufgeraucht. Die zusammengeknüllte Packung lag im Papierkorb. Bernd wischte sich die feuchten Handflächen an der Hose trocken und warf einen ungeduldigen Blick auf seine Rolex.

„Zwei Stunden lassen die uns nun schon warten“, presste er grimmig hervor. „Zwei Stunden schneiden die nun schon im Operationssaal an Zimmermann herum. So groß ist sein Bauch doch gar nicht.“

Bruhns zog die Brauen zusammen.

„Es wird doch hoffentlich keine Komplikationen gegeben haben.“

„Der Bauchschuss allein ist schon Komplikation genug“, brummte Bernd. „Manfred hat viel Blut verloren, das wissen Sie ...“

„Er tut mir leid.“

„Sie mögen ihn sehr, nicht wahr?“

Bruhns nickte ernst.

„Es ist zwar nicht immer leicht, mit ihm auszukommen, aber er ist ein Vorgesetzter, der objektiv ist. Und er ist gerecht ...“

Bernd winkte ab.

„Na, na, halten Sie jetzt keinen Nachruf! Soweit sind wir noch lange nicht. Zimmermann ist ein verdammt zäher Bursche. Der kehrt an seinen Schreibtisch zurück. Mein Wort darauf. Waren Sie schon mal bei ihm zu Hause?“

„Nein.“

„Ich schon. Seither weiß ich erst, was für ein komischer Kauz Ihr Chef ist. Er liebt lautlose Hobbies. Züchtet Kakteen ...“

„Das weiß jeder auf dem Revier.“

„Und er sammelt Briefmarken“, sagte Bernd. Er lächelte kurz. „Hat er Ihnen mal erzählt, wieso er Junggeselle geblieben ist?“

„Nein“, antwortete Bruhns. Sein Blick hing neugierig an Schusters Lippen.

„Da war mal ein Supermädchen, als er 23 war. Er war verrückt nach ihr, hätte sich für sie in Stücke reißen lassen. Alles hätte er für sie getan, aber sie wusste das nicht zu schätzen und gab einem Zuhälter den Vorzug, der sie bald danach auf den Strich schickte. Darüber ist Manfred niemals hinweggekommen. Bis zum heutigen Tag nicht. Er hatte Angst, noch mal so schlimm enttäuscht zu werden, deshalb ist er Junggeselle geblieben und ein ruppiger, aber hervorragender Polizist geworden. Sagen Sie, Jan, können Sie mal versuchen, Zigaretten für uns zu organisieren? Ich halte inzwischen hier die Stellung, okay?“

Bruhns nickte und verließ den Warteraum. Zehn Minuten später kam er zurück. Mit den Zigaretten und mit einer Neuigkeit.

„Ich habe mit meinem Revier telefoniert“, sagte der Junge.

„Und?“

„Die Bankräuber wurden gefasst. Das Geld ist bereits wieder da, wo es hingehört.“

Bernd knirschte laut mit den Zähnen. Er ballte die Fäuste.

„Jetzt sollten die Kerle für Manfred beten, denn wenn er nicht durchkommt, kriegen sie eine Mordanklage auf den Hals.“

Sie rauchten von den neuen Zigaretten. Und dann klappte die weiße Tür des Warteraums auf. Ein rosiges Schweinchengesicht erschien: Dr. Dräger. Der schwabbelige Kleine im blütenweißen Ärztekittel war einer der besten Chirurgen Berlins. Man sah es ihm nicht an.

Bernd drückte die Roth Händle in den übervollen Wandaschenbecher. Mit angespannter Miene trat er dem Arzt einen Schritt entgegen.

„Nun, Doc? Er weilt doch noch unter uns, oder?“

Dräger nickte. Sein Doppelkinn zitterte wie frischer Pudding.

„Er hat sehr viel Blut verloren.“

„Ist mir als Laie sogar aufgefallen“, gab Bernd zurück.

„Aber ich denke, mit ein bisschen Glück werden wir ihn durchbringen.“

„Er ist mit Leib und Seele Polizist, Doc“, sagte Bernd ernst. „Er liebt seinen Beruf wie ein anderer seine Ehefrau. Er ist mit seinem Job verheiratet. Wird er seinen Dienst wieder versehen können?“

Dr. Drägers Blick tauchte in Schusters geweitete Augen.

„Diese Frage ist leider noch reichlich verfrüht ...“

Bernd zuckte unwillkürlich zusammen. Wenn Dräger so ausweichend antwortete, war Zimmermann noch lange nicht über dem Berg.

‚Der arme Teufel!‘, dachte Bernd.

„Kann man zu ihm?“, fragte Jan Bruhns mit zitternder Stimme.

Dr. Dräger wandte sich ihm zu.

„Was wollen Sie bei ihm?“

„Ihn ansehen.“

„Er ist noch in der Narkose.“

„Ich möchte ihn nur sehen“, bettelte Bruhns. „Er tut mir so schrecklich leid.“

Dräger gab seine Einwilligung. Er führte Bernd und den Assistenten des Inspektors in das Zimmer, in dem Zimmermann untergebracht worden war.

Der Inspektor sah wie eine Leiche aus. Er war an mehrere Apparate angeschlossen, bekam eine Tropfinfusion. Sein Atem war so flach, dass man das Heben und Senken des Brustkorbes nicht merkte. Weiß wie das Laken, auf dem er lag, war sein Gesicht. Die Wangen eingefallen. Und unter den Augen lagen die Schatten einer deprimierenden Todesahnung.

Der Arzt nickte Bernd und Bruhns kurz zu. Dann verließ er das Zimmer. Schuster blieb fünfzehn Minuten. In dieser Zeit passierte überhaupt nichts. Sie starrten beide den Inspektor nur stumm an und bangten um dessen Leben.

„Gehen wir?“, fragte Bernd, als die fünfzehnte Minute um war.

Bruhns schüttelte den Kopf.

„Ich will noch bleiben. Vielleicht kommt er zu sich. Es wird ihm guttun, ein vertrautes Gesicht zu sehen, wenn er aufwacht.“

Bernd legte dem jungen Polizeibeamten die Hand kurz auf die Schulter.

„Ich möchte hören, was er gesagt hat, nachdem er die Augen aufschlug“, sagte Bernd Schuster.

Bruhns nickte. „Ich werde Sie anrufen.“

Bernd ging.

Am Abend desselben Tages war Schuster mutterseelenallein in seiner Wohnung.

Tochter Lucy hatte ihr Pflichtwochenende bei der Mutter gleich nach Schulschluss angetreten, und Franziska war in ihre Wohnung gefahren, weil nicht abzusehen war, wann Bernd zurückkehrte. Außerdem hatte sie seit langer Zeit einen Frauenabend mit ihrer Freundin Gitta verabredet, die von einem Auslandsaufenthalt zurückkehrte.

So einsam wie diesmal hatte Bernd sich schon lange nicht mehr gefühlt. Er trank Whisky, lag auf der Couch, hatte die Beine hochgelagert, versuchte an gar nichts zu denken und dachte doch immer wieder an die eine Szene: als Inspektor Manfred Zimmermann die Kugel in den Bauch bekam.

Schließlich griff er zum Telefonhörer, rief Franziska an und erzählte ihr das Vorgefallene.

„Du Armer, Bernd, das tut mir leid. Ich habe gerade meine Freundin Gitta bei mir. Ich schicke sie nach Hause und komm zu dir rüber!“

„Das ist lieb von dir, Franzi, aber ihr hattet doch diesen Frauenabend lange geplant. Ich komme schon zurecht.“

Nach ein paar weiteren, tröstenden Worten von Franziska legte Bernd nachdenklich den Hörer auf die Gabel zurück und zuckte zusammen, als es gleich darauf wieder klingelte.

Das Telefon meldete sich schnarrend.

Bernd nahm ab und meldete sich. „Ja?“

„Ich bin es“, sagte jemand am anderen Ende des Drahtes, und obwohl er seinen Namen nicht nannte, wusste Bernd, dass es Jan Bruhns war.

„Nun, Jan? Ist er aufgewacht?“, erkundigte sich Bernd gespannt.

„Ja, das ist er.“

„Konnten Sie mit ihm reden?“

„Er hat mich sofort erkannt. Ich will damit sagen, er war sofort geistig voll da.“

„Hat er Schmerzen?“

„Dagegen hat er was bekommen.“

„Wie geht es ihm?“, wollte Schuster wissen.

„Er ... er hat geweint wie ein kleines Kind“, stammelte Bruhns. „Er spürt instinktiv, dass es nicht besonders gut um ihn steht, und er befürchtet, dass er nicht mehr ganz hochkommen kann. Wenn man ihn aus gesundheitlichen Gründen aus dem Polizeibetrieb ausbooten würde, wäre das das Schlimmste, was ihm passieren könnte. Es wäre ein Schock für ihn, der ihn halb wahnsinnig machen würde.“

„Ich weiß, wie sehr er an seinem Beruf hängt“, sagte Bernd. Seine Stimme war in die Heiserkeit des Mitleids eingebettet. „Ich würde ihm gern irgendwie helfen ...“

„Ich auch“, sagte Bruhns. „Aber können wir ihm helfen, wieder ganz der Alte zu werden? Wir sind machtlos. Wir sind nicht sein Körper. Sein Bauch muss von selbst gesundwerden. Dazu können wir nicht das Geringste beitragen.“

Bernd seufzte schwer.

„Er hat mein tiefstes Mitgefühl.“

Tödlicher Anschlag in Tegel: Berlin 1968 Kriminalroman Band 57

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