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Frank Köhler warf die halb gerauchte Zigarette zum Wagenfenster hinaus. Seine Wange brannte zwar immer noch, aber seine Wut hatte bereits stark nachgelassen.

Es war Sylvias gutes Recht gewesen, sich zu wehren. Vielleicht hätte er die Sache mit mehr Feingefühl anpacken sollen.

Aber wenn er etwas getrunken hatte, konnte er seine Leidenschaft kaum bezähmen. Manche Frauen begrüßten das, ja, sie warteten sogar darauf.

Manche wiederum - wie Sylvia Wertheimer - nicht. Es sind eben nicht alle Menschen gleich. Die Backpfeife hatte einen guten Nebeneffekt.

Frank Köhler wurde im Kopf ein bisschen klarer. Er konnte über die ganze Geschichte gründlich nachdenken, und er kam zu der Erkenntnis, dass es nicht gut war, wenn er Sylvia allein durch die Nacht laufen ließ.

Sylvias Vater, Karsten Wertheimer, hatte ihm seine Tochter in dem guten Glauben anvertraut, dass sie bei ihm in besten Händen wäre.

Wenn er nun allein heimgefahren wäre und keine Ahnung gehabt hätte, wie Sylvia nach Hause käme, konnte Karsten Wertheimer mit Recht wütend auf ihn sein.

Frank fand, dass es angebracht war, Sylvia zurückzuholen und sich bei ihr zu entschuldigen. Sie würde ihm verzeihen, da war er sich sicher.

Schließlich war ja nichts Großartiges vorgefallen. Der kleine Ausrutscher war leicht zu entschuldigen. Er würde mit einem großen Blumenstrauß alles wiedergutmachen.

Frank Köhler öffnete das Handschuhfach.

Er holte eine Stablampe heraus. Frank stieß den Wagenschlag auf und verließ das Fahrzeug. Er vermutete richtig, dass das Mädchen die Abkürzung zur Küstenstraße gewählt hatte.

Es dauerte nicht lange, da entdeckte Frank Köhler die erste Spur: ein Stück Stoff hing an einem von Dornen übersäten Zweig.

Frank nahm den Fetzen an sich und eilte weiter. Der Lichtstrahl der Stablampe durchbohrte die intensive Dunkelheit.

„Sylvia!“, rief Frank. „Sylvia, so warte doch! Es tut mir leid, was ich getan habe! Es wird nicht wieder vorkommen! Ich möchte mich entschuldigen!“

Ob sie gehört hatte, was er gerufen hatte?

„Sylvia!“, schrie er aus vollem Hals. „Renn doch nicht weiter! Bleib stehen! Lass uns vernünftig miteinander reden!“

Plötzlich ein Geräusch, das einen kalten Schauer über Frank Köhlers Rücken jagte. Ein Gurgeln vielleicht. Oder ein Röcheln? Ja, das Röcheln eines Menschen, mit dem es zu Ende geht!

Frank schüttelte unwillig den Kopf. ‚Unsinn!‘, sagte er sich. ‚Das bildest du dir bloß ein!‘

Dennoch schlug sein Herz plötzlich wesentlich schneller.

„Sylvia!“, rief er wieder. „Sylvia!“

Und er machte sich große Sorgen um das Mädchen. Wenn ihr etwas zugestoßen war... Er konnte sich zwar nicht vorstellen, was ihr in dieser friedlichen Einsamkeit passiert sein konnte, aber wenn etwas geschehen war, dann trug er dafür die Verantwortung.

Wenn er sich nicht wie ein Tölpel benommen hätte, hätte Sylvia nicht wegzurennen brauchen.

„Sylvia!“, Doch niemand antwortete.

Der Schein der Stablampe durchdrang die Finsternis. Frank Köhler glaubte, eine Bewegung wahrgenommen zu haben.

„Sylvia?“

Er machte drei, vier schnelle Schritte. Plötzlich stieß der Lichtstrahl auf ein maskiertes Gesicht.

Frank Köhler hatte das Gefühl, ein Eissplitter würde ihm ins Herz fahren. Er sah einen schwarzen Kopf und eiskalte Augen.

Ehe er die Schrecksekunde überwinden konnte, sprang der Unheimliche ihn an. Ein harter Gegenstand traf Frank Köhlers Kopf.

Wie vom Blitz getroffen, brach er zusammen.

Er wusste nicht, wie lange er ohnmächtig gewesen war. Als sein Bewusstsein langsam zurückkehrte, fühlte er sich hundeelend.

Ihm war speiübel. Er hatte ein furchtbares Würgen im Hals. Und da, wo sein Kopf mit jenem harten Gegenstand Bekanntschaft gemacht hatte, saß ein pochender Schmerz, der nicht aufhören wollte.

Ächzend richtete sich Frank Köhler auf. „Liebe Güte, der Kerl hat mich beinahe zum Krüppel geschlagen.“

Frank bemühte sich, einen klaren, analytischen Gedanken zu fassen.

Er fragte sich vor allem, warum das geschehen war, was geschehen war. Nichts passiert im Allgemeinen ohne Grund.

Warum war der Kerl maskiert gewesen? Warum hatte er ihn, Frank, niedergeschlagen?

Frank Köhlers Kopfhaut zog sich mit einem Mal zusammen. Sylvia! Was war aus Sylvia geworden? War auch sie dem Maskierten begegnet?

Frank sah etwas in der Dunkelheit metallisch schimmern. Das musste seine Stablampe sein. Auf allen vieren kroch er darauf zu.

Er knipste sie an. Sie funktionierte noch. Zunächst pendelte der Lichtschein über Palmenstämme und saftiges Blattwerk.

Und dann ...

„Neiiin!“, schrie Frank Köhler in namenlosem Entsetzen auf. Das Grauen packte ihn. Es schnürte ihm fast das Herz zu.

Was er sah, überstieg sein geistiges Fassungsvermögen. Verstört schüttelte er immer wieder den Kopf.

Er schloss die Augen und riss sie gleich wieder auf, doch das Schreckensbild blieb: vor ihm lag mit gebrochenem Blick und noch im Tod angstverzerrtem Gesicht Sylvia Wertheimer.

Tränen quollen aus Frank Köhlers Augen. Zitternd und schluchzend kroch er zu Sylvia. Er konnte nicht begreifen, dass das Mädchen tot sein sollte. Ganz einfach tot. Eben hatte er doch noch mit ihr gesprochen.

„Warum?“, brüllte Frank Köhler in die Stille hinein. „Warum musste so etwas Schreckliches passieren?“

Dann begann der junge Mann hemmungslos zu schluchzen.

Bestie ohne Gewissen Berlin 1968 Kriminalroman Band 22

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