Читать книгу Geheimnis Schiva 2 - A. Kaiden - Страница 8
ОглавлениеKapitel 4: Mittwoch, 7:45 Uhr
Sie fühlte sich gerädert und dem Ende nahe. Am liebsten würde sie sich ein Loch graben und dort verbuddeln, für den Rest ihres Lebens dort verharren. Die Erinnerungen an Schiva verfolgten sie hartnäckig und hatten sie keinen Schlaf finden lassen. Sie war sich ganz sicher, Sydney gesehen zu haben. Hier, in ihrer Welt! Wie war das nur möglich? Natürlich hatte sie versucht, nach Schiva zu gelangen, doch ihre Bemühungen und Hoffnungen waren umsonst gewesen. Die Versiegelung schien noch immer intakt zu sein. Es war ihr nicht gelungen, so oft und so sehr sie es auch versucht hatte. Letztendlich hatte sie nach Stunden aufgegeben, allerdings konnte sie die Begegnung in der Stadt nicht vergessen.
Die Bahn hielt quietschend an und Lara stand kurzentschlossen auf und stieg aus. Sie war ein paar Haltestellen zu früh dran, aber sie hatte nicht vor, pünktlich zur Schule zu kommen. Sie hatte keine Lust und außerdem fühlte sie sich nicht in der Lage, die erste Stunde AWL zu überstehen. Es würde sicherlich nicht groß auffallen, wenn sie diese verpasste. Herr Raab kontrollierte abgesehen davon nie die Anwesenheit. Einen besseren Freifahrtschein gab es also nicht. Was sie jetzt brauchte war erst einmal eine schöne heiße Tasse Milchkaffee und einen warmen Schokomuffin. Bei dem bloßen Gedanken lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie hoffte nur, dass sie keiner ihrer Mitschüler sah und verpetzte. Schnell nahm sie die nächste Seitenstraße und flüchtete in das Café. Sie hatte es damals per Zufall mit Elena gefunden, als sie eine Abkürzung zum Bahnhof gesucht hatten. Es war nicht sehr groß, jedoch gemütlich und urig eingerichtet. Der Kaffee und die Kuchen schmeckten einfach traumhaft und trotz, dass es immer gut besucht war, konnte man ungestört reden und sich verständigen, ohne sich dabei anschreien zu müssen. Leider war das in den meisten Lokalen nicht der Fall. Das Café war eine wahre Goldgrube und genau das brauchte Lara jetzt.
Sie hatte Glück, denn es war nur noch ein Tisch frei, obwohl der Laden gerade erst geöffnet hatte. Erleichtert nahm sie Platz und gab ihre Bestellung auf, als die Kellnerin an ihrem Tisch erschien. Lara schloss für einige Sekunden die Augen und lauschte den Geräuschen um sie herum. Das Zischen und Blubbern der Kaffeemaschine. Das Klappern von Geschirr. Freudiges und erwartungsvolles Stimmengewirr. Sie atmete den Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee und heißer Backware tief ein. Ein Grummeln ihres Magens machte ihr bewusst, dass sie hungriger war, als sie gedacht hatte. Als ein Klirren direkt vor ihr erklang, öffnete sie träge die Augen und lächelte die Bedienung dankbar an. Genüsslich machte sie sich über ihr Frühstück her und betrachtete dabei die am Geschäft vorbeiziehenden Leute. Lange konnte sie sich auf sie allerdings nicht konzentrieren. Schon nach wenigen Minuten verselbstständigten sich ihre Gedanken wieder und trugen sie nach Schiva. Wie es Grandma wohl ging? Was war aus Mark und den anderen geworden? Hatte Sydney alles im Griff? Was hatte er hier zu suchen? Hatte sie sich womöglich geirrt und er war es nicht gewesen? Nein, unmöglich. Diese Augen waren einfach unverkennbar. Er musste es gewesen sein! Doch wie kam er hierher? Was war mit der Sperre?
„Sag mal, ist hier noch frei?“
Lara fuhr erschrocken zusammen und bevor sie antworten konnte, setzte sich der junge Mann ihr auch schon gegenüber. Er war einen halben Kopf größer als sie und trug ein Kopftuch, das seine schulterlangen, rotbraunen Haare nur zu einem Drittel verbarg. Er hatte einen leicht braunen Teint und seine moosgrünen Augen funkelten sie belustigt an. Irgendwie erinnerte er sie an jemanden, doch sie wusste nicht, an wen. Er bestellte einen Kaffee und ein Stück Käsekuchen. Danach lehnte er sich lässig in die Lehne zurück und bedachte sie mit einem breiten Grinsen. Sein Blick gefiel ihr nicht. Unsicher rückte sie auf ihrem Stuhl hin und her.
„Was … was ist?“
„Nichts. Wieso?“, gab er frech zurück und fixierte sie weiterhin mit seinen Augen, sodass sie schwer schlucken musste. Wer war der Typ und was wollte er von ihr?
„Wieso starrst du mich so an?“
In gespieltem Erstaunen hob er eine Braue und beugte sich vor, um seine Unterarme auf dem Tisch abzustützen.
„Ach, stimmt ja. Das ist der Teil, wo wir uns gegenseitig vorstellen, nicht? Dann mach ich mal den Anfang. Ich heiße Hieronymus.“
„Ähm …“, begann Lara zögernd. Der Typ war ihr irgendwie unheimlich. Sie konnte sich nicht helfen. „Ich bin …“
„Ah, verrate es mir nicht, Süße. Ich hab einen guten Sinn für Namenserkennung.“
Lara zuckte zusammen. Mit einem Mal wusste sie, an wen sie Hieronymus erinnerte. Niemand hatte sie mehr Süße genannt, seit Ruben tot war.
„Mmh … ist es zufällig Lucie?“
Ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an und sie nahm hastig einen Schluck von ihrem Milchkaffee und schüttelte den Kopf.
„Oh, okay. Dann ist es bestimmt Tanja.“
Abermals zuckte sie zusammen. Der Namen ihrer toten Freundin jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Die Kellnerin kam und brachte seine Bestellung, die er mit einem flüchtigen Flirt entgegennahm. Er probierte seinen Käsekuchen und schloss genussvoll die Lider.
„Mmh … einfach köstlich. Ach ja, wo war ich?“, er schlug die Augen auf und nagelte sie wieder mit seinem Blick fest. „Stimmt, deinen Namen! Okay, wenn es nicht Lucie und auch nicht Tanja ist, dann bleibt eigentlich nur noch einer übrig.“
Er musterte sie von oben bis unten und griente über das ganze Gesicht. Ein mulmiges Gefühl beschlich Lara. Sie hatte nur die Hälfte ihres Muffins gegessen, doch ihr war der Hunger gänzlich vergangen.
„Tja Süße, ich schätze, du heißt Lara. Hab ich Recht?“
„Woher … woher weißt du das? Kennen wir uns?“
Sie sank unbehaglich auf dem Stuhl zusammen.
„Mmh? Wissen? Kennen? Ne, ich hab geraten. Du siehst einfach aus wie eine Lara.“
Er nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Sie war sich sicher: Hieronymus spielte ein Spiel mit ihr und es gefiel ihr nicht.
„Bist du ein Stalker?“, flüsterte sie ängstlich und konnte seinem Blick kaum standhalten.
Er begann zu lachen. Ein hinterhältiges, falsches Lachen.
„Ein Stalker? Süße, für so was hältst du mich? Ne, ne. Also das trifft mich jetzt schon. Da ist ʼne Entschuldigung fällig. Meinste nicht?“
„Ich … aber …“
„Ha ha, ich mach doch nur Spaß. Lass uns noch ein bisschen quatschen, Püppi. Namen verraten nämlich sehr viel über die Persönlichkeit eines Menschen, musste wissen. Was denkste über den Namen Hieronymus, wenn du ihn hörst?“
Langsam entspannte sie sich wieder. Allerdings nicht vollständig. Das Misstrauen und Unbehagen blieb.
„Ich weiß nicht genau. Eigentlich … passt der Name nicht … ich meine, ich finde ihn nicht zeitgemäß und etwas seltsam.“
„He he, ja den trägt nicht jeder. Sprich, er ist einzigartig und selten – so wie ich.“
Er grinste breit und seine Augen funkelten vor Selbstgefälligkeit. Fast hätte sie es für einen Scherz gehalten, aber seine Miene verriet, dass er tatsächlich vollkommen überzeugt von seiner Aussage war.
„Aber was ist mit dir? Lass mich mal nachdenken. Lara … klingt nach einem Namen für sehr sensible Mädchen. Vielleicht etwas zu schüchtern und introvertiert. Du liest bestimmt gerne, nicht wahr?“
Sie blinzelte unsicher. Da stimmte doch etwas nicht, oder konnte er tatsächlich aus ihr lesen wie aus einem offenen Buch? Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie nickte stumm und starrte verdrossen auf ihren inzwischen fast erkalteten Milchkaffee.
„Ich bin gut, oder? Soll ich weitermachen?“
„Nein, das …“
Er hörte ihr nicht zu und ließ sie nicht aussprechen. Seine Augen schienen sie zu durchbohren. Hieronymus beugte sich leicht über den Tisch nach vorne.
„Ich schätze, du bist eines der Mädchen, die sehr neugierig sind und ihre Nase überall reinstecken, wo sie nicht hingehört. Ein törichtes, dummes Ding.“
Lara erstarrte und stierte ihn fassungslos an. Die Zeit schien gefroren und sie fröstelte. Das konnte er unmöglich gesagt haben, doch sein bösartiges Grinsen bezeugte das Gegenteil.
„Was … was zum …?“, stotterte sie leise und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Durch dein Verhalten … nein, durch deine bloße Anwesenheit reißt du andere ins Verderben, Süße. Ist dir das bewusst?“
Sein Grinsen wich gänzlich aus seinem Gesicht und zurück blieb ein ernster und bedrohlicher Ausdruck. Ein warnendes Funkeln blitzte in seinen Augen auf.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie bekam keinen Ton mehr heraus.
„Seit ich von dir gehört habe, wollte ich dich treffen. Ich habe ewig darauf gewartet. Na ja, und ich muss sagen, jetzt wo es soweit ist, bin ich … ich bin enttäuscht. Du bist nichts weiter als ein gewöhnliches, junges Gör.“
Hieronymus leerte mit einem Zug seine Tasse und schlang den Rest seines Kuchens herunter. Genüsslich schloss er die Lider und rollte mit den Augen.
„Eins muss man euch Erdenbewohnern lassen: Kaffee und Kuchen könnt ihr.“
„Woher … wer bist du?“
„Diese Frage war sowas von klar. An dir ist wirklich nichts Besonderes. Keine Ahnung, was er an dir gefunden hat. Doch egal was es war: es hat ihn getötet.“
Eiseskälte umhüllte sie. Er sah sie todernst an und seine Stimme klang kühl. In ihr und in seiner Mimik schwang etwas mit, das sie durch den Boden zu rammen drohte: der blanke Hass. Lara sank zusammen und fühlte sich furchtbar klein. Sie zitterte am gesamten Körper. Um sie herum ging das Leben normal weiter, aber sie fühlte sich wie in einer Zeitschleife.
„Wer?“, hauchte sie und traute sich nicht, ihn direkt anzusehen.
Er schnalzte mit der Zunge und stand schwungvoll auf.
„Na Ruben. Wer denn sonst? Der Weihnachtsmann?“
Er schüttelte abwertend den Kopf und schloss kurz die Augen. Als er seine Lider wieder öffnete, hatte er sein gehässiges Grinsen wiedergefunden.
„Auf der anderen Seite ist er selbst Schuld, wenn er auf ein Mauerblümchen wie dich reinfällt. Nicht wahr? Also, Süße, ich denke, die Rechnung geht auf dich. Danke für die Einladung.“
Er zwinkerte ihr zu und drehte sich um. Allerdings blieb er nach zwei Schritten stehen und wandte sich nochmals ihr zu. Ein bedrohliches Grienen kreuzte sein Gesicht und seine Augen formten sich zu zwei schmalen Schlitzen.
„Übrigens, Püppi, bevor ich’s vergesse. Du hast so ʼnen Drang, dich in alles einzumischen. Das solltest du dieses Mal besser sein lassen. Denn es gibt keinen Ruben mehr, bei dem du ʼnen Stein im Brett hast. Keiner wird dich beschützen, also denk besser nach, bevor du etwas tust, das du bereuen wirst. Dieses Mal wird’s nicht so zimperlich ablaufen. Halt dich einfach raus. Ne zweite Warnung kriegst du nicht!“
Mit diesen Worten und einem bitterbösen Grinsen drehte er sich schließlich um und verließ das Café. Lara sah ihm erstarrt nach. War das gerade wirklich passiert? Wer war Hieronymus? Auf jeden Fall wusste er von Schiva, von Ruben und von ihr. Wahrscheinlich von allem, denn sonst wären auch nicht Lucies und Tanjas Namen gefallen. Sie schluckte schwer. Das alles musste ein Albtraum sein. Vielleicht hatte sie ihn sich eingebildet. Als sie allerdings auf den Tisch blickte und das dreckige Geschirr gegenüber sah, durchlief es sie heiß und kalt. Es war alles real – sie war nicht verrückt.