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Kapitel 5: Freitag, 7:30 Uhr


Gähnend starrte Lara aus dem verschmierten Fenster der ratternden Straßenbahn. Zum Glück war heute Freitag. Sie freute sich auf das Wochenende, obwohl sie nichts vorhatte und sich wahrscheinlich wieder über ihre Familie ärgern würde. Aber schon allein der Gedanke, auszuschlafen, erfüllte sie mit Freude. Vielleicht hatte sie Glück und ihr Bruder würde das Wochenende zu Freunden gehen. Dann hätte sie wenigstens vor ihm Ruhe. Sie verdrehte genervt die Augen als die Geräuschkulisse um sie herum anschwoll. Jeder versuchte, den anderen zu übertönen. Laute Bässe und Beats von aufgedrehter Musik, gemischt mit dem Geschrei der anderen Reisenden, rauschen durch die Bahn und verursachten bei ihr Kopfschmerzen. Lara hörte, so gut es ging, darüber hinweg und stierte durch die dreckige Scheibe. Auf der Hauptstraße wimmelte es von Schülern, Studenten und dem arbeitenden Volk. Sie betrachtete sich die einzelnen Leute und suchte bei ihnen nach Ablenkung von der nervigen Fahrt.

Sie hatte gestern fast den gesamten Tag über das Zusammentreffen mit Hieronymus nachgedacht. Es schien eindeutig, dass er von Schiva war oder mit jemand aus Schiva Kontakt hatte. Er hatte Ruben gekannt, allerdings konnte sie sich nicht an ihn erinnern. So sehr sie auch darüber sinniert hatte, sie war ihm zuvor noch nie begegnet. Zumindest nicht bewusst. Es war zwecklos. Weiteres Grübeln brachte sie nicht voran.

Lara seufzte und wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als ihr jemand draußen ins Auge stach. War das etwa …? Sie presste ihr Gesicht gegen das Glas. Da war er wieder! Sydney hetzte durch die Straße und schlängelte sich durch die Menschenmassen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber die Zeit schien in diesem Moment stillzustehen. Fast erwartete sie, dass er sich ihr zuwenden würde, als die Straßenbahn mit ihm auf gleicher Höhe war, doch nichts dergleichen passierte. Erst als sie ihn nicht mehr sehen konnte, bemerkte sie, wie angespannt sie dasaß und ließ sich wieder in das unbequeme Polster zurücksinken. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Ihren rasenden Herzschlag konnte sie allerdings nicht beruhigen.

*

Wie sollte sie sich auf den Unterricht konzentrieren, wenn ihr Kopf vor lauter Fragen und Unwissenheit fast zerplatzte? Nervös spielte sie mit dem Kugelschreiber in ihren Händen und schaute sich um, während ihre Mitschüler eine angeregte Diskussion mit dem Sozialkundelehrer über die Politik führten. Politik … das hatte sie noch nie interessiert. War es im Endeffekt nicht so, dass vor allen Dingen vor den Wahlen viel versprochen wurde, nur um dann nicht gehalten zu werden? Nichts als Lügen. Warum sollte sie sich mit den einstürzenden Traumschlössern beschäftigen? Es gab Wichtigeres. Sydney, Hieronymus – Schiva.

Sie schielte zu Steffi und Elena. Beide waren Feuer und Flamme für die Gesprächsrunde. Anscheinend schien die Stunde wirklich interessant zu sein. Zumindest für die anderen. Für einen kurzen Moment versuchte sie, sich auf die Debatte zu konzentrieren, gab es jedoch nach weniger als einer Minute wieder auf. Leicht gähnend stützte sie ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab und ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen. Ihr Klassenzimmer befand sich im Erdgeschoss und lag auf der Pausenhofseite. Es waren nur wenige Schüler draußen. Die meisten hatten jetzt Unterricht. Die Fenster waren geöffnet und ließen melodisches Vogelgezwitscher herein. Sie lauschte dem lieblichen Gesang und schweifte mit ihren Gedanken abermals ab. Wie mochte es momentan in Schiva sein? Waren viele Veränderungen passiert, seitdem sie weg war? Wäre sie jetzt dort, dann würde sie Grandma besuchen. Sie würden gemeinsam Kuchen essen und Tee trinken. Vielleicht würde Mark vorbeikommen und nerven. Das Wetter wäre bestimmt so angenehm wie in ihrer Welt und Sydney …

Lara schrak alarmiert auf, als sie Sydney erspähte. Er war auf dem Pausenhof und schien etwas zu suchen. Ihr Puls begann zu rauschen und ihr Herzschlag beschleunigte sich blitzartig. Er war tatsächlich direkt vor ihr! Was suchte er hier? Sie musste es auf jeden Fall herausfinden. Das war ihre Chance. Wer wusste, wann sie das nächste Mal die Gelegenheit dazu bekommen würde. Entschlossen richtete sie sich auf und entschuldigte sich, um auf die Toilette zu dürfen. Mit großen Schritten eilte sie durch die Korridore des Gebäudes nach draußen. Suchend wirbelte sie herum, aber er war wie vom Erdboden verschluckt.

„Das gibt’s doch nicht!“, fluchte Lara leise vor sich hin und scannte mit ihren Augen noch immer die Umgebung. Von Sydney fehlte jegliche Spur. Sie konnte ihn sich nicht eingebildet haben. Unmöglich. Hektisch drehte sie sich um die eigene Achse und hatte Glück. Sie sah gerade noch, wie er hinter der gegenüberliegenden Häuserwand verschwand und den Pausenhof verließ. Ohne darüber nachzudenken, jagte sie hinter ihm her. Sie wollte ihn auf keinen Fall wieder verlieren. Dieses Mal würde sie ihn erwischen!

Lara bremste leicht vor der Kurve ab und traf im nächsten Moment auf harten Widerstand. Sie knallte gegen den anderen Körper und verlor den Halt. Bevor sie allerdings vollends das Gleichgewicht einbüßte, wurde sie festgehalten. Für einige Sekunden wurde ihr schwarz vor Augen und sie japste nach Luft. Das war schon das zweite Mal, dass sie in jemand rannte, während sie Sydney verfolgte. Warum konnte sie nicht einmal Glück haben?

„Hast du dir wehgetan?“

„Geht schon. Ich … ʼtschuldigung“, murmelte Lara und schaute langsam nach oben. Die Verfolgung konnte sie vergessen. Er war bestimmt schon hinter alle Berge. Die Situation war ihr mehr als unangenehm. Immerhin schien der Typ nicht so verärgert wie die olle Schrulle in der Stadt. Ein leichter Geruch von Moschus ging von ihm aus und kribbelte angenehm in ihrer Nase.

„Sorry, ich war gerade auf der Suche …“

Sie stockte sofort, als sie in die tiefschwarzen Augen blickte und ihr stockte der Atem. Ein leichtes Schmunzeln zeigte sich um seine Mundwinkel. Er hielt sie noch immer fest und machte keine Anstalten, sie loszulassen.

„Hi, suchst du zufällig mich?“

Sie öffnete ihren Mund, brachte jedoch keinen Ton über ihre Lippen. Stattdessen nickte sie nur. Irgendetwas stimmte nicht – etwas war anders. Er sah aus wie Sydney mit schwarzen Haaren und anderer Frisur, aber seine Mimik war nicht halb so furchteinflößend. Im Gegenteil: er wirkte freundlich.

„Du hast mich vor ein paar Tagen schon verfolgt, oder? In der Stadt, auf der Kaiserstraße.“

Sie nickte und verzog im gleichen Moment das Gesicht.

„Du hast mich bemerkt? Wie? Du hast dich kein einziges Mal umgedreht!“, flüsterte sie aufgeregt und hatte Mühe damit, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.

„Nimm’s mir nicht übel, aber auffälliger hättest du’s gar nicht machen können“, antwortete er und begann, leise zu lachen. Sie konnte sich nicht erinnern, Sydney jemals Lachen gesehen oder gehört zu haben. Und der nette Tonfall … Ihr kamen ernste Zweifel.

„Sydney? Du bist doch Sydney?“

Sein Lächeln gefror und er erstarrte.

„Ich glaube, wir müssen uns dringend unterhalten.“

Lara nickte und sah sich um.

„Aber lieber nicht hier. Wir könnten in ein Café gehen …“

„Klingt verlockend, aber hast du nicht Unterricht? Die anderen werden sich ohnehin fragen, wo du bleibst. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.“

Das hatte sie ganz vergessen. Ein schiefes Lächeln glitt über ihr Gesicht.

„Hör zu, am Besten du gibst mir deine Handynummer und ich melde mich später bei dir. Ich muss heute noch einiges erledigen. Ist das okay für dich?“

„Klar … warte kurz.“

Sie kramte nach ihrem Handy und gab ihm ihre Nummer. Ein mulmiges Gefühl hatte sie dabei schon, doch anders würde sie wohl nie herausfinden, was hier vor sich ging.

„Danke und unter welchen Namen darf ich dich einspeichern?“

Ihre Augen wurden groß und sie blickte ihn fragend an.

„Das weißt du nicht?“

„Würde ich sonst fragen?“

„Ähm, nein, klar. Lara. Speichere mich unter Lara ab.“

„Okay, Lara. Dann bis später. Du solltest jetzt wirklich los.“

Er zwinkerte ihr zu und nickte in Richtung Schulgebäude. Sie seufzte geschlagen und lief zurück. War das wirklich Sydney? Hatte er einen Doppelgänger oder vielleicht gar sein Gedächtnis verloren? Aber er schien irgendwas zu wissen …

Fragen über Fragen und sie brannte darauf, endlich die Antworten zu erhalten.

*

„Nicht schon wieder!“, fluchte Lara und ballte verzweifelt die Hände zu Fäusten. Das war nun schon das achte Mal, dass das Telefon klingelte. Ihr Exfreund schien heute Abend wieder besonders viel Langeweile zu haben. Ihr graute. Sie wollte nicht rangehen. Doch ihre Eltern waren bei Freunden und Stan dachte nicht im Entferntesten daran, den Anruf entgegenzunehmen und sich aus seinem Zimmer zu bewegen, aus dem der Lärm von derben Hip Hop Versen drang.

Mit zittrigen Fingern nahm sie ab und hörte, wie erwartet, das anzügliche Schnaufen und Stöhnen.

„Lass mich endlich in Ruhe!“, schrie sie in den Hörer, bevor sie wieder auflegte. Was war mit diesem Kerl nur verkehrt? Sie wischte ihre Tränen weg und kramte nach ihrem Handy. Enttäuscht seufzte sie auf. Noch immer hatte sich Sydney – falls er es denn tatsächlich war – nicht bei ihr gemeldet. Ob etwas passiert war? Oder hatte er sie reingelegt? Aber zu was für einem Zweck? Nein, das ergab keinen Sinn. Hoffentlich hatte er ihre Nummer richtig eingespeichert. Vielleicht hatte er sie vergessen? Sie biss sich auf die Unterlippe. Das wäre nicht das erste Mal, dass man sie vergaß …

Ein helles Tuten riss sie jäh aus ihren erdrückenden Gedankengängen. Erschrocken starrte sie zum Telefon, das sie hämisch zu rufen schien. Genervt verdrehte sie die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein! Hatte er denn nie genug? Sie jedenfalls schon. Warum sollte sie sich den Mist noch weiter antun? Ihre Eltern waren schließlich nicht da und ihr Bruder bekam es genauso wenig mit. Ihr ging es schlecht genug. Sie hatte keine Nerven für die Psychospielchen ihres Exfreundes. Entschlossen ging sie zum Telefon und zog den Stecker. Sofort war es still. Nur die laut aufgedrehte Musik ihres Bruders hallte von oben zu ihr hinunter. Lara atmete tief durch. Ein Problem weniger. Zumindest für den Rest des Tages. Abermals glitt ihr Blick auf ihr Handy, leider blieb es stumm. Frustriert ging sie nach oben in ihr Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Nach Schiva. Sie wollte einfach nur noch weg und nach Schiva.

Geheimnis Schiva 2

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