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Rösli und Ueli

Ueli Kurt kannte Rösli, solange er denken konnte, denn sie war die Tochter seines Onkels Karl und im selben Haus geboren. Im Parterre des zweigeschossigen Hauses der Kurts lebten die Grosseltern und Uelis Familie mit ihren sechs Kindern, im Obergeschoss die Familie von Onkel Karl mit acht Kindern. Ueli und Rösli waren wie Geschwister. Gemeinsam lauschten sie in den Wintermonaten stundenlang den Geschichten des Grossvaters, sie zogen sich an den Haaren und rauften sich, sie teilten in ihrem jungen Leben gute wie schlechte Zeiten.

Ueli hatte sein sechzehntes Lebensjahr noch nicht vollendet, da eröffnete ihm eines Tages der Vater: «Diesen Sommer wirst du Rösli heiraten. Ich habe das mit Karl so beschlossen. Rösli ist ein sehr fleissiges Mädchen, da wollen wir, dass sie in der Familie bleibt. Und ihr beide passt gut zusammen. Dass mein Bruder Karl und ich ein- und derselben Meinung sind, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass es mit Gottes Segen so sein soll. Das Haus am Geissenpfad wollen wir bis in einem Jahr fertig haben. Den Innenausbau machst du zusammen mit deinem Grossvater. Wir haben genug Holz dafür gelagert. Nimm die Masse für die Fensterrahmen und fang gleich mit den Vorbereitungen an. Wir gehen bald nach Herisau und besorgen Glasscheiben und Fensterkitt. Natürlich nur, wenn das Geld reicht – wenn wir dieses Jahr die Schafe und Geissen auf der Alp gut füttern, oder besser gesagt, wenn ihr sie gut füttert, denn diesmal gehst du mit Rösli auf die Alp. Deine Mutter kommt später nach und hilft euch, den Käse zu machen. Ich bringe euch dieses Jahr nur mit dem Vieh hinauf und muss gleich wieder hinunter, denn in Jakobsbad wird ein riesiges Kloster gebaut. Das ist für mich eine einmalige Gelegenheit. Der Polier Tobler hat gesagt, die Arbeiten dauern mindestens drei Monate, vielleicht sogar mehr. Im Moment hat ja keiner Geld, aber andernorts geht es den Menschen besser. Vielleicht findest du dort für dich eine Arbeit. Wenn ich dich benachrichtige, kommst du sofort herunter. Und dass du mir auf der Alp nur keine ruhige Kugel schiebst! Du erledigst dort alles, was an Holzarbeiten anfällt. Geh übers Dach und tausch die morschen Bretter aus. Es gibt dort viele Bauern, die einen Zimmermann brauchen können. Wenn du länger als einen halben Tag für sie arbeitest, lass dich dafür bezahlen! Sag, dass du frisch verheiratet bist und das Geld dringend brauchst. Sag ihnen, dass du nicht wie dein Grossvater für Gotteslohn oder auf Anschreiben arbeiten kannst. Wer kein Geld hat, von dem kannst du Käse, Wolle oder Holz verlangen. Aber lasst das Vieh nie aus den Augen! Da oben kann das Wetter von einem Moment zum anderen umschlagen. Wenn alles im Nebel liegt, kannst du nichts sehen und findest die Tiere nicht mehr. Das ist eine willkommene Gelegenheit für Diebe und Wölfe. Ihr müsst ständig Augen und Ohren aufsperren. Du kannst die Schafe nicht selbst scheren, du verdirbst die Wolle. Das soll Joseph Glockner machen. Grüss ihn von mir, dann macht er es. Er hat eine gute Schere und kennt sich damit aus. Die Schurwolle müsst ihr gut waschen und trocknen. Dann soll Rösli sie kämmen, bis Gras und Dreck draussen sind. Schafwolle ist jetzt sehr teuer. In St. Gallen haben sie anscheinend Werkstätten aufgemacht, sie weben Stoff aus der Wolle und nähen alle möglichen Kleider daraus. Der Polier Tobler hat berichtet, dass in den Werkstätten zwanzig, dreissig Leute arbeiten. Den fertigen Stoff verschicken sie bis nach England. Er hat sogar gesagt, dass sie bald noch mehr Weber brauchen werden. Wer weiss, vielleicht findest du mit deinen Geschwistern später dort Arbeit. Die Familie Kurt wird immer grösser, und das Land reicht nicht für alle. Wenn ihr später noch Kinder bekommt, könnt ihr sie nicht ernähren. Auch wenn man ein Handwerk beherrscht, hilft einem das nicht weiter. Ich bekomme oft keinen Lohn für meine Arbeit. Immer, wenn es ans Zahlen geht, sagen die Leute: Ich geb es dir später. Aber die Leute haben weder jetzt noch später Geld. Vielleicht ist es sogar besser, wenn du dich eine Zeitlang nur mit dem Vieh beschäftigst. Ihr wohnt jetzt erst noch einige Zeit bei uns, dann zieht ihr in das Haus am Geissenpfad.»

Ueli war die endlosen Ratschläge seines Vaters schon gewöhnt. Schweigend hörte er der Litanei zu, mit der der Vater der Reihe nach ein Thema nach dem anderen herunterbetete, und nickte leicht mit dem Kopf, so als wäre er mit allem einverstanden.

Dabei war ihm danach zumute, herauszuschreien: «Nein, ich will nicht heiraten, ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht! Rösli ist für mich wie eine Schwester. Wir haben das Bett geteilt, haben Milch aus derselben Schale getrunken, wurden in demselben Korb auf die Schwägalp getragen. Und ich will mich auch nicht mit Viehzucht beschäftigen! Ich liebe die Arbeit mit Holz! Das ist es, was ich machen will!» Doch er schwieg, wohl wissend, dass es ihm nicht zustand, sich gegen den Vater aufzulehnen. Den Vater brachte es schon aus dem Häuschen, wenn man nur eine kleine Anmerkung machte. In solchen Momenten scheute Ueli sich sogar, ihm nur ins Gesicht zu sehen.

Der Grossvater pflegte zu sagen: «Wenn du jemanden gegenüber hast, der dich nicht verstehen will, dann schweig und bleib ruhig. Das ist die beste Antwort. Manchmal kann man sich mit Schweigen besser ausdrücken als mit vielen Worten.»

Sepp Kurt, der Vater, war ein sehr harter Mensch. Von Kindesbeinen an hatte Ueli gelernt, dass man ihm ständig zustimmen musste: «Ja, das stimmt, genauso ist es.» Das Wort des Vaters war Gesetz. Was andere dachten, zählte nicht. Kinder wurden in die Welt gesetzt, um nach dem Willen des Vaters zu leben.

Nach diesem Gespräch mit dem Vater liess Ueli den Kopf hängen. Er wurde rot im Gesicht und wich den Blicken der anderen aus. Morgens stand er zeitig auf, um mit seinem kleinen Bruder den Viehbestand der gesamten Familie Kurt, zehn Ziegen und fünf Schafe, die Berghänge hinaufzutreiben. Rösli musste auch in die Heiratspläne eingeweiht worden sein, denn sie sah ihn nicht an. Manchmal dachte er darüber nach, ganz weit wegzulaufen. Doch er war noch nie weiter als bis nach Appenzell gekommen, und dort war es sehr schwer, Arbeit und Obdach zu finden. Von seinem Grossvater hatte Ueli viel über die Zimmerei und das Schreinerhandwerk gelernt, aber es gab noch viel mehr zu lernen. Der Grossvater beschäftigte sich tagelang mit den feinen Verzierungen an seinen Schränken. Seine Schnitzereien stellten die Viehzucht, den dörflichen Alltag und die Natur mit ihrer Vielfalt an Blumen, Kräutern und Bäumen dar. Jedermann betrachtete diese Bilder voller Bewunderung und Anerkennung, nur der Vater nörgelte: «In der Zeit, die du mit diesen komischen Verzierungen zubringst, hättest du noch einen Schrank machen können. Ein Schrank ist dazu da, um Kleider hineinzuhängen. Niemand kauft einen Kleiderschrank, um sich die Bilder anzuschauen. Was nützt dir ein Schrank, wenn du keine Kleider zum Reinhängen hast? Aber dafür musst du Geld verdienen. Und kannst du die Kuhfiguren etwa melken, die du da schnitzt? Du kannst sie zusammendrücken, so viel du willst, es kommt kein Tropfen Milch heraus. Sie taugen höchstens als Brennholz! Mein Gott! Wenn ich auf meine Mauern auch Bilder malen würde, würde mir niemand mehr Arbeit geben. Hör doch auf mit diesem verspielten Quatsch und arbeite schneller, mach mehr Schränke. Davon hättest du mehr!»

Der Grossvater aber pflegte daraufhin Ueli zärtlich bei der Schulter zu nehmen und zu sagen: «Achte nicht auf das, was er sagt. Er ist Maurermeister, und der Sinn für solche Feinheiten geht ihm ab. In seiner Welt ist kein Platz für Kreativität. Es ist Unsinn, wenn er sich in unsere Angelegenheiten mischt. Er ist nicht in der Lage zu erkennen, dass Arbeit auch etwas mit Gefühl zu tun hat. Wenn es keine Leute gegeben hätte, die in der Arbeit des Maurers mehr gesehen hätten, als Stein auf Stein zu schichten, gäbe es heute keine kunstvollen Bauten. Aber die armen Leute haben kein Geld für andere Maurer als deinen Vater, und sie haben weder ihre eigene Fantasie, die sie innerlich bereichert, noch haben sie das Geld, um jemanden für so etwas zu bezahlen. Dein Vater kann nichts anderes, als Stein auf Stein zu setzen. Man muss allerdings dazu sagen, dass er ein wirklich guter Maurer ist, denn sein Ruf ist bis nach Appenzell gedrungen.»

Ueli konnte sich noch gut erinnern, dass der Vater früher oft in Appenzell gearbeitet hatte und von dort immer Süssigkeiten mitbrachte; beim Gedanken daran lief ihm jetzt noch das Wasser im Mund zusammen. Er und seine vier Geschwister warteten ungeduldig und voller Vorfreude auf seine Rückkehr. Wenn sie ihn aus der Ferne kommen sahen, rannten sie ihm entgegen und warfen sich ihm in die Arme. Der Vater gab jedem von ihnen ein, zwei Bonbons, und die Kinder setzten sich auf einen Stein, um sie glücklich zu lutschen. Diese Momente gehörten zu Uelis glücklichsten Kindheitserinnerungen.

Nun war gar nicht mehr an solche Freuden zu denken. Er war sechzehn Jahre alt und würde bald heiraten. Wer weiss, vielleicht bekomme ich bald selbst Kinder und bringe ihnen Süssigkeiten, dachte er. Zu heiraten hätte er sich schon vorstellen können, nur dass es Rösli sein sollte, machte ihn wütend. Der einzige Mensch, mit dem er über das Thema sprechen konnte, war seine Mutter, doch als er ihr eröffnete, dass er Rösli nicht zur Frau haben wolle, bekam er zur Antwort: «Das eigene Kupfer ist besser als fremdes Gold.»

Uelis Mutter Anna Maria hatte eine Sprachbehinderung, deshalb ging sie Gesprächen mit Fremden aus dem Weg. Die Worte stolperten und holperten ihr in Bruchstücken über die Lippen. Die Familie verstand zwar auch nicht immer, was sie meinte, konnte es aber meist erraten. Manchmal, wenn sie sich gar nicht auszudrücken vermochte, verkroch sie sich in einen Winkel und hing düsteren Gedanken nach. Märchen konnte sie ihren Kindern nie erzählen. Aber sie machte Faxen, um die Kinder aufzuheitern, bemalte sich das Gesicht mit Kohle, verkleidete sich und imitierte die Tiere. Immer morgens, wenn sie zum Melken in den Stall ging, sprach sie lang mit den Tieren. Es war, als erzählte sie den Kühen, Schafen, Ziegen und Hühnern im Stall all das, was sie ihrer Familie nicht sagen konnte.

Der Vater spottete darüber: «Dieses Weib versteht sich am besten mit dem Vieh, soll sie doch gleich im Stall schlafen!» Die Mutter hörte stumm zu, wenn er solche gefühllosen, überheblichen Angriffe machte.

Wenn man dem Vater widersprach oder ungehorsam war, setzte es eine gehörige Tracht Prügel. Den grössten Teil davon bekam die Mutter ab. In den Augen des Vaters war sie ein wertloses, nichtsnutziges Geschöpf, das nichts anderes als Schläge und Verachtung verdiente. Der Anlass für Hiebe und Ohrfeigen konnte sein, dass zu wenig Salz in der Suppe war, die Kinder beim Spiel lärmten oder er einen seiner Socken nicht fand. War die Mutter schwer geschlagen worden, ging sie zum Kleinberg, um dort im Wald zu verschwinden, damit die Kinder ihr Schluchzen nicht hören sollten. An solchen Tagen sassen Ueli und seine Geschwister stundenlang am Fenster und warteten auf sie.

Oft betete Ueli dann: «Lieber Gott, bitte mach, dass die Mutter nicht mehr wiederkommt. Rette sie vor diesem Grobian. Versteck sie im Wald. Mach, dass nur wir sie sehen können, wenn wir sie brauchen. Nur so ist sie vor der Grausamkeit des Vaters geschützt.»

Eine Weile glaubte er dann, Gott hätte die Gebete erhört, die Mutter würde nicht wiederkommen und wäre erlöst. Unvergleichliche Seligkeit erfüllte ihn, wenn er sich vorstellte, wie er die Mutter im Wald besuchte, wo sie den ganzen Tag mit den Vögeln und wilden Tieren sprach und sich nicht mehr grämen musste.

Wenn die Mutter viel später mit einem Bündel Holz auf dem Rücken heimkehrte, liefen die Geschwister freudig zur Tür und fielen ihr um den Hals. In solchen Momenten bemerkte Ueli erst richtig, wie sehr er die Mutter liebte. Es war ihm doch lieber, wenn sie nicht im Wald, sondern zu Hause lebte.

Dann betete er noch einmal: «Lieber Gott, ich habe etwas Falsches gebetet, aber du hast mich verstanden. Eigentlich wollte ich, dass der Vater nicht mehr heimkommt. Bitte lieber Gott, mach, dass er nicht mehr heimkommt!»

Als er der Mutter einmal von diesen Gebeten erzählte, ermahnte sie ihn: «Aber, mein Junge, wie kannst du Gott um so etwas bitten? Wovon sollten wir denn leben, wenn dein Vater nicht mehr da wäre? Wir hätten noch nicht einmal Brot im Haus! Ich will nicht, dass du Gott noch einmal um so etwas bittest.»

Nun war es also beschlossene Sache, dass Ueli seine Cousine heiraten würde. An den Gedanken musste er sich erst gewöhnen. Bei den Schreinerarbeiten mit seinem Grossvater wendete sich Ueli noch stärker den feinen Details zu. Er hatte gelernt, viele verschiedene Dinge anzufertigen: Holzvertäfelungen, Fensterrahmen, mit Reliefs beschnitzte Haustüren, Tische, Bänke, Schränke, Käseformen. Sogar die Tür der Dorfkirche machte er. Sorgsam fügte er auf der Werkbank Bretter aus Kirschbaumholz aneinander, dann stellte er im Kopf lange Berechnungen an und murmelte dazu, als spräche er mit dem Holz, schliesslich setzte er mit dem Bleistift viele Markierungen, um dann die Motive, die der Grossvater auf braunes Papier gezeichnet hatte, mit grösster Sorgfalt in das Holz zu schnitzen. Stundenlang stach er Vertiefungen ins Holz, betrachtete das Schnitzwerk mit halb zugekniffenen Augen aus verschiedenen Blickwinkeln, strich mit den Fingerspitzen über das entstehende Relief, blies die Späne fort und liess so die einzelnen Motive des Reliefs hervortreten. Diese Arbeit tat er mit grosser Freude.

Als die Kirchentür fertig war, strich der Grossvater mit der flachen Hand zärtlich über deren Oberfläche und lobte ihn: «Sehr schön. Nicht einmal ich hätte das fertig gebracht. Die Reliefs sind makellos. Die Proportionen stimmen genau. Dabei bist du erst sechzehn. Aus dir wird einmal ein sehr guter Schreiner. Wie sehr habe ich mich abgemüht, deinem Vater das beizubringen! Dieser Steinemann konnte in deinem Alter noch nicht einmal einen Nagel gerade einschlagen. Gut, ich geb’s zu, ein guter Maurer ist schon aus ihm geworden, aber Stein ist schwerer als Holz, und man braucht beim Mauern viel Kraft. Nun schau ihn dir an, er ist schon ganz verbraucht und sieht beinahe älter aus als ich. Na ja, lassen wir das. Diese Tür wird dir ein Tor zur jenseitigen Welt und in der diesseitigen viele Türen öffnen. Gott lässt gute Taten nicht unbelohnt. Wenn du in Gottes Diensten Gutes tust, gibt er es dir vielfach zurück. Jesus kam nach einer langen Wanderung einmal durch ein Dorf und war sehr erschöpft und hungrig. Da kam ein Hirte zu ihm und gab ihm eine Schale Milch. Jahre vergingen, bis Jesus wieder durch dieses Dorf kam. Der Bauer lief eilig zu ihm und sprach: ‹Herr, vor vielen Jahren habe ich Euch eine Schale Milch zu trinken gegeben, das entspricht einem Tageslohn. Seit dieser Zeit gibt meine Kuh drei Schalen Milch am Tag.› Jesus wandte sich zu dem Hirten und sprach: ‹Was du Gott Gutes tust, wird dir tausendfach vergolten.› Dann ging er weiter.»

Das Lob des Grossvaters für die Kirchentür, die Ueli mit Bravour vollendet hatte, gab ihm Selbstvertrauen. In seinem Streben, ein guter Schreiner zu werden, war er ein grosses Stück vorangekommen. Die Arbeit lag Ueli, doch der Hauptgrund seines Erfolgs war, dass der Grossvater nimmer müde wurde, ihn in alle Geheimnisse dieses Berufs einzuweihen. Der Grossvater war der beste Schreiner und Zimmermann in der ganzen Umgebung. Er tat seine Arbeit hauptsächlich für Gotteslohn und mit dem Herzen. Ständig betonte er, dass auch Jesus Schreiner gewesen sei. Wenn es eine gute Sache zu tun gab, eilte er unverzüglich hin.

Die Grossmutter hingegen beklagte sich. «Wir haben noch nicht einmal Mehl im Haus, und du arbeitest für nichts. Du bist doch nicht der Herrgott, so dass du jedermann helfen musst. Wie oft gehst du zur Arbeit und kommst mit leeren Händen heim. In der ganzen Gegend gibt es kein Haus, in dem du nicht gearbeitet hast. Du arbeitest Tag und Nacht für Leute, die haben zehnmal mehr Mehl in der Vorratskammer als wir. Die Leute nutzen dich aus, weil sie wissen, dass du ein weiches Herz hast: Schreib es auf, ich komme später und zahle. In deinem Heft über die offenen Beträge ist bald keine Seite mehr frei!»

Der Grossvater nahm sich diese Nörgeleien seiner Frau niemals zu Herzen. «Ihr Weibsbilder sitzt den ganzen Tag auf der Ofenbank und häkelt Spitzen oder lasst die Spindel surren. Von dort aus schaut ihr auf die Welt, aber es gibt so viel, was ihr da nicht sehen könnt.»

Die Grossmutter war nicht auf den Mund gefallen und legte nach: «Nun hör mir mal gut zu, du grosser Kindskopf! Ich habe von ganz oben auf dem Säntis auf die Welt heruntergeschaut. Ich war sogar auf dem Hohen Kasten und hab von dort aufs Rheintal und nach Österreich geschaut. Und was hab ich gesehen? Überall nur Berge und Wald. Hast du mich einmal in eine Stadt ausgeführt? Von welcher Welt redest du denn? Sogar der Schornsteinfeger Zwicker hat seine Frau zum Einkaufen nach St. Gallen mitgenommen. Und dort hat er ihr Geschenke gekauft. Die Frau hat von den Häusern und Geschäften erzählt, da kann man nur neidisch werden! Du weisst das natürlich nicht, weil du so etwas auch noch nie gesehen hast! Du kommst ja höchstens bis auf die Schwägalp und wieder zurück nach Urnäsch. Das ist eben mein Schicksal. Alles, was ich am Leib trage, hab ich selbst genäht, und meine Kleider sind überall geflickt. Ich möchte auch ab und zu ein Stück Fleisch essen! Aber du bist ja nicht einmal imstande, die Wildschweine und Rehe im Wald zu jagen, die Gott uns allen gegeben hat. Wenn mir Gott nicht einen Mann gegeben hätte, der für die anderen umsonst arbeitet, wär mir all das erspart geblieben!»

Der Grossvater erwiderte die Klagen seiner Frau bloss mit einem leisen Schmunzeln in seinen Bart hinein.

Der Pascha aus Urnäsch

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