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VIII.

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Die erste direkte Annäherung erfolgte in der freundlich ausgestatteten Bastelecke, wo die beschädigte Würde der Gefangenen einen Überzug aus Häkeldeckchen und jahreszeitlichen Strohfiguren erhielt. Es war eine angenehme Abwechslung von der Last der Erinnerungen und der Eintönigkeit der hauswirtschaftlichen Pflichten. Zwei Katzen stolzierten in ihrem eigenen Takt durch den ganztätig offenen Arbeitsraum mit der Sitzgarnitur, die in ihrer platten Normalität irreführend wirkte.

Beschaffungskriminalität gesellte sich zu der Minderheit der Gewaltdelikte und Vermögensstraftaten strichen beruhigend über gekrümmte Katzenrücken. Nur wenige der Frauen hatten keine zu Tränen rührende Leidensgeschichte zu erzählen, die sich zu je einem Drittel aus Unterwerfung, Gewalt und sozialem Elend komponierte. Janina galt als traumatisiert und ungefährlich. Sie war eine Langzeitinsassin und als solche in der ungeschriebenen Hierarchie unantastbar. Das Bild der Frauengruppe war friedlich. Die Wortdolche und Gemeinheiten wirkten im Verborgenen und erzeugten Wunden, die sich in gelegentlichen Attacken Platz schufen. Dann waren die Uniformen gefragt.

Die rothaarige Aufseherin wurde, anders als der Rest der Vollzugsbeamtinnen, nicht mit der geringschätzigen Verniedlichung ‚Wachtel‘ bedacht. Sie war anders und man erkannte es auf den ersten Blick. Ihr Übergewicht trug sie direkt über der Gürtelschließe. Der kompakte Oberkörper ragte wie eine wuchtige Tonne gerade aus ihrem massiven Gesäß, das die Nähte der Uniformhosen auf das Äußerste strapazierte. Der Schultergürtel wirkte männlich muskulös und auf einem kurzen Hals saß ein kantiger Kopf. Schreiend rote Haare sprossen aus der Kopfhaut und wurden im Abstand weniger Wochen von einem Rasierer in eine streichholzkurze Disziplin gezwungen. Die Frau ohne Taille bewegte sich mit einem überraschend federnden Schritt auf austrainierten Beinen. Graue Augen, die unter der breiten Stirn zu eng zusammenstanden, um sympathisch zu wirken, sprangen von einem Punkt zum anderen, verharrten für Augenblicke, als müssten sie der erfassten Situation die Absolution erteilen und wanderten weiter.

Es waren Reptilienaugen, berechnend und lauernd. Wenn sie eine Unregelmäßigkeit entdeckt hatten, verbündeten sie sich mit dem bulligen Hals, der ansatzlos nach vorne ruckte und auf die Missetäterin wies. Einige der Frauen hätten geschworen, dass in solchen Augenblicken die Zunge aus dem dünnen Mund fuhr und in einer morbiden Vorfreude über die Lippen wischte. Nicht zu leugnen war, dass sich der Körper der Aufseherin zur Konfrontation bereit machte, sich straffte wie eine Sehne und sich mit dem grollenden Unterton der Verbalattacke als Vorhut in Bewegung setzte. Dieser Ablauf, den jede der Insassinnen zur Genüge kannte, hatten der Aufseherin den Beinamen ‚Bulldogge‘ eingebracht. Niemand in der Anstalt gebrauchte ihren bürgerlichen Namen und selbst die Direktorin hatte es sich nicht nehmen lassen, sich bei der letzten Weihnachtsfeier unter dem Gejohle der Inhaftierten bei ihrer leistungsfähigsten Kraft unter augenzwinkernder Verwendung ihres Spitznamens für ihre Verdienste um die Aufrechterhaltung der Disziplin in der Anstalt zu bedanken.

Die Bulldogge hatte noch eine weitere Angewohnheit, die für die Betroffenen noch unangenehmere Auswirkungen hatte. In wenigen Ausnahmefällen nämlich verschenkte sie ihr Herz an eine ihrer Schutzbefohlenen. An jenem Bastelnachmittag hatte sie ihr Herz an Janina verschenkt.

Die Daumen in den Gürtel gehakt, hatte sie sich an einen Pfeiler gelehnt. Der Flur glänzte und roch nach Schmierseife. Es war die Stunde vor dem Einschluss, die Stunde der Tauschgeschäfte und der Gerüchte. Die flammend roten Haare standen borstig von dem Schädel der Frau ab. Das Haargel hinterließ in allen Winkeln einen penetranten Geruch nach Kokos. Die Frauen senkten ihre Stimmen noch weiter herab. Heute Abend würde es noch eine Zellendurchsuchung geben. Die Begründungen waren immer die gleichen. Die Gefängnisleitung suchte nach Drogen und Waffen, Handys und allen anderen verbotenen Substanzen, die man in Körperöffnungen transportieren konnte. Vorboten der Durchsuchungen waren die lauernd zusammengekniffenen Augen der Bulldogge, die aus dem dicht gedrängten Schwarm der Frauen diejenigen aussonderte, die eine verräterische Körpersprache und eine Ausdünstung von Panik aufwiesen. Ohne ein Wort würde sie sie mit kalten Augen sezieren und das Versteck wittern, noch bevor sie die Matratze in der Zelle umgedreht und die Deckenlampe untersucht hatte.

Bei der Sache mit Janina wählte sie die zweite Form der Annäherung. Sie löste sich von dem Pfeiler und umkreiste die Herde in immer engeren Ovalen wie ein nächtlicher Jäger. Sie wippte mit dem Unterleib und sog den Atem hörbar ein, sodass sich ihre Nasenflügel blähten. Der Blick glitt über die fast stummen Frauen, die ihre Zwistigkeiten vergaßen und so eng zusammenrückten, dass ihr loser Halbkreis zu einem Klumpen schrumpfte. Es war längst klar, wem die besondere Aufmerksamkeit der Bulldogge galt. Die schlanke Frau mit den roten Händen hatte bis zuletzt blaue Bänder an Strohhälse geknüpft und stand unvermittelt auf, um den Kreis zu verlassen. Alle Augen folgten ihr, als sie gemessenen Schrittes mit der Haltung einer geborenen Aristokratin zu ihrer Zelle ging. In einigem Abstand folgte die Rothaarige, als ob sie eine wertvolle Investition zu sichern habe.

Das allgemeine Stimmengemurmel mündete in vereinzeltes hysterisches Gelächter, einige raue Zwischenrufe und dichten Zigarettenrauch. Die Erleichterung reichte bis zur Zelle der großen Frau und prallte von der breitbeinig dastehenden Aufseherin ab. Zu der Rothaarigen hatte sich eine mausgraue Existenz in Uniform gesellt, die eilfertig die Augen ihrer Vorgesetzten nach Befehlen absuchte und bei dem Wort: „Zellenkontrolle“, sogleich missbilligend und mit der Zunge schnalzend den Kopf schüttelte, als käme die Routinemaßnahme einer sofortigen Verurteilung gleich. Die Mausgraue entfernte auf einen Fingerzeig hin ein Poster eines männlichen Filmstars von der Wand. Ein Stapel Briefe fiel zu Boden. Die karge Möblierung wurde in die Zellenmitte gerückt und die Aufseherinnen betasteten Nähte, strichen prüfend über Kanten und überprüften die Toilette.

Das Zungenschnalzen der Mausgrauen nahm an Lautstärke zu, als sich in einem Teebeutel eine Substanz fand, die kein Tee zu sein schien. Die große Frau blieb mit gesenktem Kopf stehen und äußerte sich nicht zu dem Beweisstück, das vor ihren Augen baumelte. Es war ein vielfach verwendeter Taschenspielertrick, der immer dann zum Einsatz kam, wenn eine Durchsuchung nur magere Ergebnisse erbrachte. Alles würde in dem Protokoll stehen, das man ihr vorlegte. Alles würde Teil ihrer Akte werden, die dem Bewährungsausschuss mit einer negativen Stellungnahme der Anstaltsleitung zur Verfügung stand. Alles das konnte geschehen oder etwas völlig anderes, denn man würde ihr einen Vorschlag machen, wie sie das selbst verschuldete Unheil von sich abwenden könnte. Man würde testen, ob sich mit ihr vernünftig reden ließe und ob sie zu Gefälligkeiten bereit sei, wenn man ihr entgegen komme.

Das Gesicht der Mausgrauen sprach Bände. Die schwere Hand der Rothaarigen war anerkennend auf ihre magere Schulter gefallen und komplimentierte sie aus der Zelle. Die Zunge der Bulldogge leckte über ihre Lippen. Es war Zeit, den ersten Teil der Gefallen einzufordern.

Aus einem Gebräu von Andeutungen und aufgeregt vorgetragenen Zweideutigkeiten glaubte der Todesengel zu wissen, was auf ihn zukam. Die Insassin wog die Optionen ab und versuchte die Rationalität am Abgrund ihres Verstandes in ihrem Kopf zu verankern, der ein unkontrolliertes Gewitter unterschiedlichster Empfindungen in ihr auslöste und den Körper mit Herzklopfen, schweißnassen Gliedmaßen und einem Krampfen in der Magengegend traktierte, das ihr die Luft abschnürte und sie in Panik versetzte. Nur mühsam entsann sie sich der bewährten Atemtechniken und zwang sich, die schweren Schritte der Aufseherin zu ignorieren, die beständig um sie herum führten.

Die Frau hielt die Augen geschlossen und atmete. Sie war nicht überrascht, als ein kalter Gegenstand ihr Kinn berührte und es anhob. Die unverwechselbar raue Stimme forderte sie auf, die Augen zu öffnen. Stoff raschelte. Das grelle Deckenlicht bohrte sich nicht mehr in ihre Lider. Zwei flache Brüste schoben sich in ihr Gesichtsfeld. Sie schienen nur eine lose Beziehung zu dem breiten Brustkorb zu bilden, der sich im Rhythmus der schnellen Atemzüge hob und senkte. Das maliziöse Lächeln der Rothaarigen verscheuchte die Gedanken aus dem Gesicht der gebeugt sitzenden Frau und übernahm die Vorherrschaft. Die Frau folgte dem Druck unter ihrem Kinn. Eine Hand tastete nach ihren Händen. Sie ließ es geschehen. Die Ärmel der Uniformbluse baumelten wie machtlose Fetische von der Deckenleuchte und verloren sich im Halbdunkel.

Die Rothaarige besaß Routine. Sie ignorierte den Widerwillen in der Haltung ihrer Partnerin und korrigierte deren Ungeschicklichkeiten mit lenkenden Eingriffen. Ihre Hände und Knie zwangen Gliedmaßen in die richtige Position und ihr massiger Körper befriedete erobertes Terrain. Den meisten Nutzen verschaffte ihr allerdings ihre Stimme, die in einem eindringlichen Flüstern die Gedankenarbeit für beide übernahm, denn sie waren ein Team, das niemand auseinanderbringen sollte. Die Stimme versicherte, dass die Behandlung die Frau zu etwas Besonderem machen würde.

„Ab jetzt gehörst du mir“, sagte die Stimme mit einem Keuchen. Sie sagte es, als ob die Frau in das Eigentum der anderen übergehen würde. Die Augen der Liegenden öffneten sich weit und sahen die Umrisse der Wand hinter den stacheligen Spitzen der roten Haare. Der Gestank nach süßlichem Kokosaroma war überwältigend. Der Mund der anderen strich über ihren Hals. Die Lider über den inquisitorischen Augen hatten sich geschlossen. Weiches Fleisch berührte die Wangen der Frau. Ein Entkommen war unmöglich. Die undeutlichen Worte aus dem schmalen Mund dirigierten sie, erzählten mit einem hämischen Unterton von den Gepflogenheiten in den früheren Weiberzuchthäusern mit ihren verlausten Schlafkatakomben und dem kniehohen Brackwasser in den Zellen, um gleich darauf ungeahnte Vergünstigungen in Aussicht zu stellen.

Die Schenkel der Frau hatten sich geteilt, um einem Knie Platz zu machen, das mit übermütigen Stößen um Zugang ersuchte. Die Beine der Rothaarigen waren verspielt wie junge Fohlen. Ihre Stimme wurde tiefer und verlor die Rauheit. Samtene Versprechen strichen über die Hüften der halb entkleideten Frau. Kräftige Finger hoben ihr Becken an. Arme wie Schraubstöcke wanden ihre Hände unter ihrem Körper hervor, wo sie sich versteckt hielten und zeigten ihnen mit Nachdruck, was zu tun war. Eine beschäftigte Zunge hielt in ihren Bemühungen inne und versprach mit ekstatischer Hast, die Frau dürfe sich etwas wünschen.

Nachdem sich die Hände der Liegenden erst zögerlich, dann ohne Skrupel den Regieanweisungen der Rothaarigen fügten, wurde klar, dass die Frau sich alles wünschen durfte. Sie war ihren Händen dankbar, war auch dankbar dafür, dass sie unabhängig vom Rest des Körpers agierten und das Richtige taten und bewunderte die Einschätzungskraft ihres einzigen männlichen Besuchers, der das Potenzial ihrer Hände mit bewundernden Blicken begriffen hatte, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

Mit zurückgeworfenem Kopf glitt sie ohne körperliches Empfinden in das gemeinsame Stöhnen der Körper, eine schlanke Silhouette unter einem breiten Rumpf. Ihre Augen wurden mit zunehmender Heftigkeit in Richtung Wand gedrückt. Die Welt stand auf dem Kopf und sah eigentümlich und fremd aus. Die Stelle, an der das Poster hing, war seltsam kahl und schien wie ein bewusst heller gehaltenes Rechteck. Ihre Augen vermochten nicht mehr, den Männerkörper zu rekonstruieren. Die Erschütterungen ließen den Ansatz der Erinnerung zerspringen.

Was ihr in den Sinn kam, war das freundliche Gesicht ihres Besuchers, sein bubenhafter Ausdruck mit Nickelbrille und feisten Wangen. Die blonden Haare ungebärdig und anspruchslos geschnitten. Seine kräftigen Unterarme mit dem Besatz feiner Härchen. Eine kräftige Figur, charakterstarke Hände. Sie schloss die Augen und ließ sich treiben. Ihre Atemnot verstärkte die Vision. Sie fühlte, dass sich ihre Hände mechanisch bewegten. Saugende Geräusche und eine Hitzeaufwallung in ihrer Beckengegend. Sie schwitzte und rang nach Atem.

Der Mann löste sich aus ihrer Vorstellungswelt und stieg von der Wand ihrer Erinnerungen herab. Sie entspannte sich. Das Gefühl war vertraut. Der Mann gab ihr Sicherheit. Sie konnte ihn überall auf ihrem Körper spüren. Voller Verlangen krallte sie sich in die Haare und riss sie zurück. Die Haare waren erstaunlich borstig und feucht. Sie presste die Schenkel zusammen. Ihre Arme arbeiteten wie Kolben Sie hielt den Atem an. Ihr Kopf fiel zur Seite. Jemand schrie. Der Schrei war gedämpft.

Ein Grunzen und ein feuchtes Geräusch ließen den Mann verblassen. Er zog sich mit einem wissenden Lächeln aus ihrer Vorstellung zurück. Er war nicht böse. Ohne ihn hätte sie die Situation nie bewältigt. Mit einer trägen Handbewegung winkte sie ihm nach. Die Luft in der Zelle war kühl auf der Haut. Sie fror und tastete nach ihren Kleidern.

Die Rothaarige befestigte ihre Gürtelschnalle mit einem Ruck. Sie hatte den Blick abgewendet, als wolle sie ihrer Neuerwerbung einen Rest Privatsphäre gönnen.

„Ich verlange ungehinderten Briefkontakt ohne Zensur und Besuch ohne Aufsicht.“ Die Stimme der großen Frau war beherrscht und schwemmte die Peinlichkeit der vergangenen Minuten aus den Ritzen der Zelle. „Das ist mein einziger Wunsch“, bekräftigte sie, ohne die Stimme zu erheben. Mit ruhigen, arbeitsamen Händen knöpfte sie ihr Kleid zu.

Die Rothaarige fuhr sich mit der flachen Hand durch die Haare, als müsse sie entscheiden, ob die Art der Ansprache ihre Beziehungsebene verletze. Mit einem Ruck entfernte sie die Bluse von der Deckenbeleuchtung. Im hellen Licht glänzte der Schweiß auf ihrem Bauch. Ihr Bauchnabel neigte sich über den Hosengürtel und spähte auf ihre klobigen Schuhe.

Mit verächtlich gekräuseltem Mund schaute sie auf die vor ihr Sitzende. Die Frau hatte ihre Arme verschränkt und wie ein Bollwerk unter ihrer Brust verankert. Der schmale Mund der Aufseherin vollführte eine kauende Bewegung und gähnte. Betont gelangweilt bemerkte sie, dass derartige Wünsche schwer erfüllbar seien, weil sie eine Verbotsgrenze überschritten. Sie überdehnte das Wort ‚Verbot‘ und schnalzte mit den Fingern, um zu zeigen, dass Verbote für eine Frau wie sie nicht existierten, wenn die Gegenleistung stimmte.

„Jetzt, da du mein Mädchen bist, können wir über alles reden“, sagte sie lakonisch und wandte sich zum Gehen. „Ich werde sehen, was ich tun kann, wenn du tust, was nur du für mich tun kannst.“ Die Aufseherin schenkte der Sitzenden einen kokett gemeinten Augenaufschlag und ein maliziöses Lächeln, das keiner Interpretation bedurfte. Dann verließ sie mit schweren Schritten den Raum. Als das Licht gelöscht wurde, stand die Frau noch immer vor dem Handwaschbecken und bespritzte sich mit kaltem Wasser, um sich reinzuwaschen.

In den nächsten Tagen war die Frau mit den roten Händen der Mittelpunkt des allgemeinen Getuschels. Fragmente der Gerüchte drangen an ihr Ohr und verletzten ihre Seele, die die neuen Narben mit Fassung trug. Ohne auf die Gehässigkeiten zu achten, lächelte sie der Rothaarigen schüchtern zu, als sie das nächste Mal Dienst tat und erntete einen durchdringenden Blick und einen Brief, der von der Zensur verschont geblieben war. Ein erneuter nächtlicher Besuch der Aufseherin verlief zu deren Zufriedenheit und brachte den Zugang zu dem Essen aus der Personalkantine. Briefe, die die Frau schrieb, wurden bei fortdauerndem Wohlverhalten direkt befördert.

Mit den Freiheiten vertiefte sich auch die Intimität der Insassin und ihres Besuchers, wobei er auf Kameradschaft und sie auf Zuneigung setzte und sich ihr Gedankenaustausch irgendwo in der Mitte traf. Mit jeder unkontrollierten Nachricht wuchs ihr Vertrauen zueinander und schon bald raunten die vertrauten Buchstaben bisher Verborgenes in das Ohr des anderen. Die Frau gestand, dass sie sich schuldiger gemacht habe, als es in der Dokumentation den Anschein gehabt hatte und wartete mit schmerzlicher Ungeduld auf die Erwiderung, die verständnisvoll und begütigend ausfiel. Der Mann erging sich in Andeutungen über ein lieb gewonnenes Hobby, das viele als bizarr bezeichnen würden und öffnete sich gerade soweit, dass sie atemlos staunte, den Brief zerknüllte und dann wieder glatt strich und ihn schließlich am Abend in der Zelle zu Asche verbrannte, weil der Schreiber befürchten musste, dass ihm Schaden entstünde, wenn die Informationen in die falschen Hände gerieten.

Die zwischenzeitliche Euphorie machte es leichter, die besitzergreifende Zuneigung der Rothaarigen zu dulden, die jede Übergabe eines Briefes in eine Machtdemonstration verwandelte, die bittenden roten Hände ignorierte und Gefallen forderte, die weitere Waschungen nach sich zogen. Das Wechselspiel der beiden wurde in der sensationsarmen Umgebung der Haftanstalt zu einem Gegenstand von Wetten. Jeder Blick und jede Bewegung wurde taxiert. Die meisten Frauen setzten auf die gewissenlose Macht der Bulldogge, die in der Vergangenheit so manches Spielzeug gebrochen und von sich geworfen hatte. Sie war eine gestählte Kämpin, die Untersuchungen und Dienstaufsichtsbeschwerden mit stoischem Gleichmut über sich ergehen ließ und triumphierend auferstand. Sie hatte aus Fehlern gelernt und Speichellecker wie die Mausgraue um sich geschart, die ihr den Ärger vom Leib hielten.

Einige wenige jedoch setzten ihren Einsatz auf den undurchschaubaren Todesengel, der erhobenen Hauptes und mit intaktem Rückgrat die Aufmerksamkeiten der Aufseherin über sich ergehen ließ und beinahe entrückt wirkte. Sie schritt unbeeindruckt von den Zwischenrufen und Gesten der Mithäftlinge und deren anzüglichem Grinsen die Gänge entlang. Wer die Intelligenz dazu besaß, machte einen Bogen um sie, denn in Wirklichkeit übte sie ohne ein Wort mit dem eigenartigen Zauber ihres Körpers Macht über die Rothaarige aus. Sie wirkte wie eine Frau, die seit langer Zeit nach einem Plan lebte. Der Plan schloss ihren Brieffreund ein. Er war ein wesentlicher Bestandteil. Das sagten sich ihre Arme, die nacheinander zugriffen, als die Aufsicht den Besucherraum verließ. Es war wenig Zeit und vieles zu bereden.

Im Zellentrakt begleiteten die Gedanken einer Frau das Duo.

Es waren die Gedanken einer Schadenstifterin.

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