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PROLOG

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Der Rücken an einen Sandhügel gelehnt liege ich zusammengesackt am Boden und starre durch meine verschmierte gelbe Sonnenbrille. Sand soweit das Auge reicht. Sand mit ein paar Flecken vertrocknetem Gras dazwischen. Eine Wüste. Vage zeichnet sich ein Weg durch diese Einöde ab. Reifenspuren, die vermuten lassen, dass die nächste Zivilisation nicht mehr weit sein kann. Doch ich bewege mich nicht. Meine Beine fühlen sich an wie zwei rostige Maschinenteile, die ich schon seit Tagen mit mir herumschleppe. Es fühlt sich richtig gut an, sie endlich abzusetzen. Meine Leiste – dort wo der Vorderteil meines linken Beins an meinen Oberkörper grenzt – ächzt und wetzt bei jedem Schritt, doch jetzt, da ich endlich sitze, wird der Schmerz leichter, ja beinahe schon lustvoll.

Meine Gedanken scheinen sich bereits eigenständig gemacht zu haben. Mein Körper, mein physisches Wesen, sitzt hier und verschmilzt mit dem Sand, viel zu erschöpft, um zu denken. Aber die Wächter in meinem Kopf – diejenigen, die die Verantwortung für mein Überleben tragen – diskutieren fieberhaft miteinander.

Ich kann hier nicht den ganzen Tag rumsitzen. Mein Wasservorrat neigt sich dem Ende zu. Die Sonne ist zu heiß. Ich bin doch schon so weit gekommen. Denk an die Strecke, die du bereits zurückgelegt hast. Endlose Kilometer durch diesen höllischen Sand. Du kannst doch jetzt nicht einfach aufgeben. Bis zum Ziel, dem Strand, dem Meer, sind es nur mehr ein paar Kilometer. Du schaffst das. Komm, ein Schritt nach dem anderen. Du bist doch nicht den ganzen Weg bis hierhergekommen, um jetzt so knapp vor dem Ziel aufzugeben.

Ich erinnere mich nur mehr vage an all die Strategien, mit denen ich mich bis zuletzt auf den Beinen gehalten hatte. Am zweiten Tag, als es zum ersten Mal schwierig wurde, konnte ich mich anspornen. „Komm jetzt, du bist doch ein harter Kerl“, sagte ich mir da. „Du schaffst das. Zeig’s ihnen. Die Wüste mag zwar unerbittlich sein, aber einen Herrn Finn wird sie nicht stoppen.“ Ja, ich sprach wirklich von mir als Herr Finn. Das Rennen hatte bereits begonnen meinen Geist zu verdrehen.

Am fünften Tag wich das Draufgängertum dann dem Schmerz und ich tröstete mich durch die Nachtetappe. „Alles gut, mach dir keine Sorgen, du schaffst das. Es wird schon, lauf nur weiter.“ Die Nacht lag still und dunkel da. Der Sand unter meinen Füßen brutal tief. Aber ich schaffte es. Zweiundvierzig Kilometer in siebeneinhalb Stunden – doch ich kam ins Ziel.

Aber nun, so knapp vor dem Ende, war auch mein Wille völlig am Boden. Die Stimmen in meinem Kopf zwecklos. Ich bewege mich keinen Meter.

„Aufstehen und dich ins Ziel schleppen, das ist es, was du machen sollst. Aber warum? Wer hat denn diese dämlichen Regeln aufgestellt? Du brauchst da nicht mitspielen wie ein preisgekrönter Pudel.“ Das ist allerdings interessant. Ich rutsche etwas herum, damit das Gras nicht so sticht, strecke meine Beine aus und drücke meine Füße nach vorne. Meine Schuhe sind voller Sand, so, als ob sie drei Nummern zu klein wären. Das geht mir schon seit Tagen so. Eines der kleineren Übel im Gesamten betrachtet.

„Richtig mutig wäre es jetzt, auf dich selbst zu hören, und nicht auf die anderen“, meint der Genius in meinem Kopf. „Die anderen werden dir nur sagen, dass du das Rennen beenden musst, dass niemand so knapp vor dem Ziel aufgibt. Aber du, du bist anders als die anderen. Du spielst nach deinen eigenen Regeln. Du musst niemandem etwas beweisen. Wenn du aufhören willst, dann hör einfach auf.“ Regungslos hier herumzusitzen kommt mir vor, als wäre dies der höchste Akt der Rebellion. Ich werde zum James Dean des Wüstenultras. Es wird schon jemand kommen und mich finden. Sie werden zwar versuchen mich zu motivieren, das Rennen zu beenden, aber da spiele ich nicht mit. Ich werde es ihnen schon zeigen. Ich spiele nach meinen eigenen Regeln.

„He, Finn!“ Ich blicke auf. Ein älteres deutsches Paar um die sechzig steht vor mir. Ich weiß nicht genau, ob sie lächeln oder Grimassen schneiden.

„Alles in Ordnung?“, fragt mich Gudrun mit sanfter Stimme. Sie sieht ziemlich schockiert drein.

„Komm, steh auf“, bellt Hansmartin mich an. „Komm mit uns.“

Bevor ich es noch so richtig realisiert habe, hieve ich mich hoch und wir setzen uns im Gänsemarsch in Bewegung. Wieder durch den Sand watend, meine Leistengegend schmerzend. Die gesamte Ausrüstung, meine Kleidung, mein Rucksack, mein Kopftuch kleben an meinem verschwitzten Körper. Schon seit Tagen presst die Sonne jeden Tropfen Feuchtigkeit langsam aus meinem Körper und meinem Geist heraus, als wäre ich in einem Schraubstock gefangen. Aber jetzt stehe ich wieder und bewege mich, immer Hansmartins Fußstapfen folgend. Niemand sagt ein Wort. Die beiden sind fast genauso erschöpft wie ich, doch wir kämpfen uns weiter voran. Alles nur im Schritttempo, doch beide verwenden Walking-Stöcke und bewegen sich zielstrebig vorwärts. Ich starre auf Hansmartins Rucksack, der sich auf und ab bewegt, als er sich seinen Weg durch den Sand bahnt. Irgendwann beginnt sich mein Körper langsam zu erholen. Ich fühle ein leichtes Zucken in meinen Beinen. Mein Kopf wird wieder klarer. Unbewusst beginne ich zu traben.

„Ah, gut, gut“, sagt er. „Geh nur. Wir sehen dich dann im Ziel.“ Und mit diesen Worten beginne ich wieder zu laufen. Die Dünen wachsen nun langsam zu Bergen an; die höchsten Dünen des Rennens, aber ich kann das Meer fast schon riechen. Ich nehme meine Sonnenbrille ab und stecke sie in die Tasche. Der Sand ist weiß. Ich stapfe die hohen rutschigen Hänge hinauf und hüpfe und stolpere auf der anderen Seite wieder hinunter. Ich stelle mir vor, ich wäre ein Kind, das ganz aufgeregt zum Meer läuft.

Mehrere Male denke ich, ich wäre endlich am Ziel, doch da türmt sich die nächste Düne vor mir auf. Aber jetzt bin ich voller Adrenalin. Ich höre schon, wie das Ziel nach mir ruft. Und plötzlich bin ich da. Ein Zieleinlauf aus Ballons. Zelte. Menschen, die zwischen den Wellen auf- und abtauchen. Ich bin unter den Letzten, die ins Ziel kommen und die meisten hier erholen sich bereits im Lager, kochen und waschen ihre Kleidung. Zwei holländische Läufer sehen mich die Ziellinie überqueren und applaudieren mir verhalten. Ihr Enthusiasmus, die anderen beim Zieleinlauf zu bejubeln, hält sich mittlerweile bereits in Grenzen. Ein gelangweilter Fotograf erhebt sich aus seinem Stuhl im Schatten und richtet seine Kamera auf mich. Er fragt, wie ich mich fühle. Für das Rennvideo, sagt er.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Nach allem, was ich durchgemacht habe, sollte ich eigentlich vor Emotionen überschäumen, doch ich fühle mich eigenartig wortkarg.

„Es war hart“, ist alles was ich herausbringe. „Verdammt hart.“ Mit diesen Worten nehme ich meinen Rucksack ab und stolpere den Strand hinunter, hinein ins kühle Nass des Golfs von Oman und lasse mich in die Wellen fallen.

„Nie wieder werde ich so etwas Dämliches machen“, sage ich zu mir.

Der Aufstieg der Ultra-Läufer

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