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März 1936

Den Witz, den Kurt gestern vom Stapel gelassen hat, finde ich gut. Wie war der doch gleich?

Kurt´s stotternder, jüdischer Mitschüler hat sich beim Deutschlandfunk als Nachrichtensprecher beworben und ist abgelehnt. Auf die Frage warum, hat er stotternd geantwortet: “alles Antisemiten!”

Endlich mal ein Witz ohne Schweinereien.

In den Köpfen unserer Familie, machen sich neuerdings Juden breit, seit Vati, gegen unseren Willen, unbedingt in diese stinkfeine Ulmenallee ziehen will. Ich frage mich oft, was wir da zu suchen haben?

Wir Kinder wohnen gern in der Feldstraße, gegenüber der Gärtnerei Wieser. Die steht leer, einen tolleren Spielplatz gibt es nicht. Kurt hat da einen neuen Freund gefunden. Und nun das.

Etwas hat mich gestern erschüttert. Kurti kam nach Hause und war derartig verzweifelt, ich vermochte ihn nicht zu trösten. Verstehe aber auch wer kann.

Kurts bester Freund ist nur Halbjude, trotzdem wurde ihm, von heute auf morgen, der Schulbesuch des PvH-Gymnasiums untersagt. Er geht jetzt in eine Behelfsschule in der Braunschweiger Straße. Es ist zum Heulen. Kurt hatte Tränen in den Augen, als er uns das berichtete.

Spontan hat er seinem Freund die Chance eingeräumt, dass sie sich täglich zusammensetzen wollen, um den Unterricht zu wiederholen.

Eine gute Idee, finde ich. Unser Kurt, auf den kannst du dich verlassen, ein weites Herz hat er. Erst gestern dieser Schlag, und nun sitzen wir heute am 1. März in der Ulmenallee im Umzugs-Schlamassel. Wenigstens gut, dass es nicht mehr schneit. Es ist milde. Gestern noch Schneetreiben. Über Nacht ist der letzte Schnee weggetaut und die Sonne lugt hervor.

„Eines muss man Mutter lassen“, denkt Marie-Luise, die Älteste der 4 Rübnitzschen Kinder. Mutter ist eine perfekte Organisatorin. Jedem Zimmer im neuen Haus hat sie eine Nummer zugeteilt. Die entsprechenden Zimmernummern in der ersten Etage beginnen mit einer Eins und in der zweiten Etage mit einer Zwei. Das Parterre hat die 0 davor, der Keller ein -1.

Jedes Möbelstück bzw. Karton hat sie mit der Zimmernummer versehen, in die die Packer sie transportieren sollen. Alles klappt vorzüglich.

Den Möbelpackern scheint es Spaß zu machen. Selbst Franziska, unsere neue „Perle“, soll möglichst nicht dazwischenfunken.

Jetzt, wo wir das neue Haus beziehen, geht es nicht mehr ohne ein ständiges Hausmädchen, höre ich Mutter sagen. Vati willigt gleich ein. Überhaupt zieht er jedes Mal den Schwanz ein, sobald Mutti nur ‘grundsätzlich’ wird.

Ich habe schon manchmal vermutet, Vati hat ein permanent schlechtes Gewissen. Die neue Perle ist keine alte Frau, 33, aber schon Witwe. Ich mag sie, sie hat was Dynamisches, Zupackendes. Und sie ist die meiste Zeit gut gelaunt. Ganze 12 Jahre war sie verheiratet. Wenn ich daran denke, ich müsste in 3 Jahren heiraten, mir würde speiübel.

Die 100 qm Wohnfläche für 6 Personen in der Feldstraße waren schon sehr eng. Aber muss es dann gleich so ein Palast sein. Das Wohn- und Esszimmer ist hier größer als unsere ganze alte Wohnung zusammen. Ich finde das spinnert. Übertrieben.

Da braucht man jede Menge Hilfspersonal. Möchte nicht wissen, was Vati hier an Miete hinblättern muss. Jetzt sieht man erst, wie popelig in dieser Umgebung unsere alten Möbel wirken, die die Packer durch die mächtige Diele schleppen.

Die alten Möbel dieser prächtigen Villa machen mich schwach, obwohl das gegen meinen Strich ist. Mich soll so ein Luxus nicht in seinen Bann schlagen. Die Küche allein, echte Delfter Kacheln, und ein herrliches Blumen-Tableau aus Delfter Fayance.

Die Küchenwände sind allerdings erschreckend kahl, alle Bilder abgehängt. Auch all die persönlichen Dinge der Weißens wurden abtransportiert.

Oben in der zweiten Etage, im größten Raum, hatte der Landgerichts-Direktor i.R. eine sog. “Judengalerie” errichtet. Er wollte anscheinend die kulturellen Leistungen der Juden seiner Mitwelt präsentieren.

Vati hat er all seine Schätze vorgeführt. Sogar einige kleinformatige „Liebermänner“ waren darunter. Was stehen geblieben ist muss ich mir unbedingt ansehen.

Nachdem Herr Weiß ja nun nicht mehr da ist, macht sich Vati Gedanken, was er mit den noch vorhandenen Kunstgegenständen anstellen soll. Ich schlage vor, nichts zu verändern, sondern alles an seinem Platz lassen.

Unsere Sabine ist ein Aas. Sie könnte sich freuen, aber zurzeit ist sie maulig. Dabei hat sie jetzt im Hause eine fantastische Rollbahn für ihren Rollstuhl. Durch die Riesendiele und das Treppenhaus, ich schätze 18 Meter? Alles ohne Schwelle und nirgendwo ein Absatz.

Dieses ‛Marakel’ fegt da unten hin und her, wie ein aufgeregtes Huhn. Was sie da trällert, möchte wissen, wo sie das herhat!

“Oh Schreck, oh Schreck, der olle Jud’ ist weg.

Der olle Jud’ muss wieder her, roch wie ein ganzes …

…Knoblauchmeer.

*****

“Nein, nicht nach oben, sehen sie, steht doch 0/4 drauf, da.”

Der Packer kneift die Augen zusammen, der Ärmste braucht eine Lesebrille.

„Hier, das Zimmer 4, im Parterre“.

Was für ein mächtiger ‛Rumms’ beim Absetzen des Kartons. Der ist aber auch schwer, voll von Büchern!

Andreas hat Pech, seine 12 B schreibt heute eine wichtige Mathearbeit. Mir hat die Ziegler’sche großzügig freigegeben. Das macht sie auch bei unseren Auswärtigen, wenn deren Familien schlachten. Schlachtfest nennen sie das.

Ach hier, das interessiert, unser Ernteeinsatz im Vorjahr. Diese 3 Bilder besitze ich auch. Die Frau auf diesem Bild, die Karin von Heckroth, die hab ich auf dem Strich. Mensch, die war hinter Andi her. Dieses Foto, toll wie der Andi das hingekriegt hat.

Karin mit dem Bauch auf der Wiese und gleich daneben der Kopf ihres geliebten Hektors.

Andi hat das geschickt fotografiert. Hektor grast! Nur so hat er Hektors Kopf an die Erde gekriegt, neben den von Karin. Die Karin, eine Zicke, wie sie im Buche steht. Was muss die für eine Wut im Bauch gehabt haben, als ich sie mit Andi überrascht habe, mittendrin.

Ich konnte mich später ausschütten vor Lachen. Diese Karin war eindeutig die treibende Kraft, bei dem ganzen Liebesgetue.

Der Andi erschien mir zuletzt schlapp, wie ein nasser Sack. Diese schwere Erntearbeit hatte dem Unterprimaner ganz schön zugesetzt.

Nun weiß ich wenigstens, wo morgen die Fahrt hingeht. Andi, du altes Schlitzohr. Mir wollte er es nicht verraten. Er ahnt, dass ich ihm nicht nach Absleben gefolgt wäre. Aber er will mich auf jeden Fall dabeihaben.

Immerhin, Absleben, 150 km sind es bestimmt. Hoffentlich hält seine alte NSU durch. Ich sitze nicht gern auf so einer alten Mühle. Ich komme mir immer vor wie ein Klammeraffe.

Meine erste ‛Klammeraffenfahrt“ machte ich, da war ich erst 15. Sie wurde mir zum Verhängnis. Ein paar Nachmittage hatte mir der Peter beim Latein unter die Arme gegriffen. Wir waren uns in der NS-Kreisleitung begegnet, wo er einen Vortrag über den Roman „Volk ohne Raum“ von Jakob Grimm hielt.

Der männlich aussehende Peter gehörte zur Weiß-Dynastie, der Fabrikanten Familie, die jedermann in Rottlingen kennt. Halb Rottlingen arbeitet ja in deren Fabriken.

Peter war wohlhabend. Referendar im Höheren Lehramt. Aber er scheute sich noch eine Lehrerstelle anzunehmen. „Tretmühle, Tretmühle,“ lautete stets sein Argument, es zu lassen.

Mir bei meinen selbstverschuldeten Latein Schwierigkeiten unter die Arme zu greifen, machte ihm offensichtlich viel Spaß. Mir übrigens auch.

Eines schönen nachmittags, bei großer Hitze im August, fand ich mich dann plötzlich auf dem Rücksitz seines nagelneuen amerikanischen Motorrades wieder, ohne genau sagen zu können, wie ich auf das stählerne Ross gekommen war. Er hatte mich regelrecht überrumpelt. Es ging alles so schnell.

Dann startete er so rasant, ich musste Halt an seinem Körper suchen, um nicht nach hinten geschleudert zu werden. Keine 5 Sekunden dauerte es, und wir fuhren bereits 100 Stundenkilometer.

Auf der Bundesstraße 3 donnerten wir mit Spitzengeschwindigkeiten von 180 km gen Süden. Es dauerte nicht sehr lange und auch ich fand Gefallen an solch maßloser Raserei, bei 30 Grad Hitze.

Als meine Angst wich, erfühlte ich, das Klammeräffchen, erstmalig ganz bewusst, den strammen Leib meines jugendlichen Vordermannes.

Diese angespannte Bauchmuskulatur im auf und ab, wie eine Welle, den erregenden Duft seines verschwitzten Körpers, gemischt mit Natur- und Motorengerüchen. Eine seltsame, benebelnde Mischung.

Nach mehr als einer Stunde Raserei fand ich mich auf einer flauschigen Perlgrasmatte oberhalb von Neuhaus im Solling wieder. Neben mir lag Peter und schaute gelassen in den blauen Himmel. Weshalb nur war ich in diesem Moment total Luft für ihn?

Mich, die werdende Frau, die durchaus schon viel zu bieten hatte, vollständig zu ignorieren, so was ertrug ich nicht.

Zigmal hatte ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn mich, die taufrische Jungfrau, ein unbekannter Mann, ohne großes Federlesen einfach nähme.

So ein Gefühlserlebnis erregte mich jedes Mal aufs Höchste.

Wenn ich doch nur wüsste, was meinem ‛Beilieger’ jetzt durch den Kopf geht. Ich besitze nicht den Mut, ihn direkt anzuschauen, geschweige denn zu fragen.

Mein Herz hämmert wie ein Motor. Ich fühle eine quälende Hitze im Unterleib, die zwingend auf Vollzug drängte.

“Hast du Durst?“

“Das kann ich wohl sagen. Meine Kehle ist ganz trocken.“

Peter ist aufgestanden, hat der Motorradtasche eine Sektflasche entnommen, die er mit lautem Knall entkorkt. Eine Menge Sekt ergießt sich auf den Waldboden, der das bestimmt mag.

“Du zuerst!“

Peter zeigt mir nun ein so bezauberndes, verführerisches Lächeln. Ich bekomme Mut.

Der Sekt ist eine Wucht. Süß und fruchtig.

Mit jedem Schluck füllt er mir schäumend die Mundhöhle und dringt bis in die Nase. Es kribbelt, macht lustig, ich pruste vor Lachen!

Die Flasche kreist mehrmals, ich habe längst meinen Schwips.

Den Blick bekomme ich nicht los von Peters schwarzer Motorrad-Hose, die im Schritt sichtlich praller und praller wird.

Ach Gott, so was muss doch unangenehm sein, kneifen.

Ich helfe ihm beim Ausziehen der festen Montur und der langen schwarzen Stiefel.

Ja, und da steht er, der Kleine, leicht wippend, sehr schüchtern. Blinzelnd schaut er in die ungewohnte Helligkeit. Suggestiv schlägt er mich in seinen Bann. Der übrige Peter ist Luft.

Ich fühle mit allen meinen Sinnen, dass er sich maßlos nach Wärme und Feuchtigkeit sehnt, nach geheimnisvoller Tiefe.

In diesem Moment, bei meiner Erregung im Leib, schaffe ich es nicht, ihn zu enttäuschen.

Also geschieht auch hier das, was in solchen Fällen immer geschieht.

Das erste Mal. Ich bin nicht besonders beeindruckt.

Eigentlich war es kaum mehr als mein übliches Gerangel mit Andi und Kurt.

Deshalb hat diese Premiere in meiner persönlichen Rückschau wahrscheinlich auch nie stattgefunden.

In der Folgezeit hab ich mich selbstredend weiterhin als Jungfrau empfunden.

Noch heute frage ich mich, wohin sich, meine damalige ständige Angst vor ungewollter Schwangerschaft, und alle sonstigen Skrupel, verzogen hatten.

Morgen soll nun die andere Fahrt losgehen.

Der Andi hat noch 300,- RM für den „Veteran“ hingeblättert. Ich denke, zu viel. Er sagt, der Preis sei in Ordnung.

Die schöne, schwarze Karin, wenn die doch nur nicht so hochnäsig wäre. Nun, auf diesem Bild lächelt sie wenigstens mal. Das ist selten. Wie lebhaft glänzen die dunklen Haare in der Sonne.

Bei der Ernte im letzten Sommer hat der Andi geschuftet wie ein Pferd. Ich sehe ihn noch vor mir mit viel Schweiß auf dem nackten Oberkörper.

Einige Knechte haben ihn zu gern aufgezogen. ‘Weizen-Pastor’ haben sie ihn genannt. Gewurmt hat es ihn. Warum bindet er denen auch auf die Nase, dass er später Theologie studieren will. Ihr Spott schadet ihm gar nicht.

Im Hochreichen von Getreidebündeln auf die Erntewagen war Andi Weltmeister. Hinterher war er kaputt. 14 Tage brauchte er, bis der Rücken wieder einigermaßen mitspielen wollte.

Trotzdem. Dem Andi hat es Spaß gemacht.

Mir brachte es mal viel Spaß, die beiden ausgerechnet dann zu stören, als sie gerade intim werden wollten, und ihnen mein tiefstes Bedauern zu bekunden. Ha, ha, Schadenfreude!

Mich haben die ‛von Heckroths’ überwiegend im Hause beschäftigt und im großen Gutsgarten. Anstrengend war das nicht. Meistens musste ich Obst pflücken, und es danach verarbeiten. In der Gruppe war es sogar kurzweilig. Ich hatte schon Langeweile befürchtet.

Pflück du mal beispielsweise den ganzen Tag nur Bohnen! 300 Hektar. Klein war das Gut nicht. Alles fruchtbarer, schwerer Weizen- und Rübenboden. Magdeburger Börde heißt die Gegend. Obwohl: Absleben liegt Halberstadt näher als Magdeburg. Jeden Sonntagabend gab es Tanz auf der Guts-Tenne. Ein alter Knecht, der Fritze, quälte eine Ziehharmonika. Er nannte es seine ‘Quetsche’. Fritze spielte gar nicht mal schlecht. Für meine Begriffe wurde leider viel zu viel Schnaps getrunken. Wer da nicht mithält, kommt sich verloren vor.

Schrecklich, diese glasigen toten Augen der lallenden besoffenen jungen Menschen, die vor sich hinstarren und denen, mit einem Mal, die jugendliche tänzerische Beweglichkeit und Leichtigkeit abhandengekommen ist. Nur noch ekelhaft riechende Stolperfritzen!

Wenn diese Burschen erst mal angetrunken sind, dann hast du als junge Frau, bei einigen Typen, nicht genügend Hände, um sie abzuwehren. Im nüchternen Zustand würden sie sich das nie erlauben.

Zum Tango tanzen hat Andi der Karin die Schritte vorgeführt. Dann haben die beiden einen Tango auf die Tenne hingelegt. Nun ja, der Rhythmus war zeitweilig nicht ganz perfekt.

Andi und ich, wir tanzen selbstredend flüssiger. Das ist ja klar. Mensch, was haben wir schon alles zusammen geschwoft. Hatten ja auch bei der ‘Knetschen’ gemeinsam Tanzstunde. Das war eine herrliche Zeit.

Am meisten hat es mich gefreut, dass mein Wunsch in Erfüllung ging.

“Nur unter einer Bedingung”, habe ich zu Andi gesagt, als er mit der Parole kam: “ In den Ferien gehe ich freiwillig vier Wochen in den Ernteeinsatz. Du kommst doch auch mit!?”

“Ja”, habe ich gesagt, “aber nur als eine Fremde für dich und die Umwelt. Klar?”

Manchmal ist Andi ein wenig begriffsstutzig. Typisch Mann.

Dauerte ein Weilchen, bis er es kapierte

“Ich werde nicht deine Schwester sein, sondern ein fremdes BDM-Mädel. Das musst du entsprechend organisieren.”

Und was hat er organisiert? Nichts!

Den Einberufungsbescheid zum freiwilligen Ernteeinsatz 1935 hat er zwar für uns beide besorgt. Aber was steht bei mir drauf?

Marie-Luise Rübnitz. Dieser Doofkopp!

Auf Papas Schreibmaschine wurde aus Rübnitz eine Schwanitz. Es passte gerade soeben noch dazwischen. Aus meinem Geburtsdatum im November wurde eines im April.

Urkundenfälschung?

Kann sein. Egal, mir war das einen Spaß wert.

Ich habe unabhängig von Andi dem alten ‘von Heckroth’ das Schreiben ausgehändigt. Gemerkt hat der nichts. Hat ja auch kaum hingeguckt.

Mir scheint ohnehin, Männer verschwenden ihre Zeit ungern für Kleinkram und Routine.

Der größte Witz war, dass ich auf dem Passfoto eine entstellende, scheußliche Brille trug, was er nicht monierte.

‘Mein letzter Wille, ‘ne Frau mit ‘ner Brille’.

Auch, wenn Männer nichts als Stroh im Kopf haben, diesen Spruch haben sie alle drauf. Es ist aber auch ein hässliches Gestell mit Fensterglas! Ich habe es in einer Kramkiste auf dem Spitzboden entdeckt.

Mutter entsann sich, dass ihre Mutter die hässliche Brille bei einer Theateraufführung trug. Aber das war dann wohl vor 30 Jahren. Auf Gut Heckroth war nicht nur die Karin hinter Andi her. Allen anderen Frauen ließ sie aber keinerlei Chancen. Die Karin hatte den Bogen raus. Den Ellenbogen.

Sie schirmte Andi geschickt ab, diese Zicke! Aber mich konnte sie nicht täuschen. Eins muss man dem Andi aber auch lassen. Er sieht verflucht gut aus. Viel zu schade für einen Pfaffen.

Am Anfang des Einsatzes ging es mir nicht so gut. Ich hatte wohl Heimweh.

Mir fehlten auch meine Jungmädel. Am Ende des Ernteeinsatzes hätte ich zu gerne meiner Familie das Gut mal vorgeführt. Papa hätte bestimmt seine helle Freude an den vielen starken Belgier-Pferden gehabt. Auch an den Reitpferden.

Kurtchen, unser Pflanzen-Fachmann, er fände hier draußen sein Botanik-Paradies. Wilde Stiefmütterchen. So was Kleines, Niedliches.

Es gibt hier so viele Wiesen und Ackerblumen, aber keiner kennt sie beim Namen. Wahrscheinlich interessiert es niemanden. Kurtchen könnte mir gewiss vieles erklären. Botanik - sein Ein und Alles. Mit Fremdsprachen und Mathematik kannst du ihn jagen.

Und die Sabine, unser ‘Bienchen’, hier hätte sie sich in all die vielen Pferde, Kühe, Schweine, Ziegen sowie Katzen und Hunde verlieben können. Tiere bedeuten ihr alles.

Stundenlang kann sie ihnen zuschauen. Allein die vielen Schwalben in den Ställen; mit den Jungen im Nest. Was hätte sich Sabine darüber gefreut.

Wenn ich nur gewollt hätte, wer weiß, wer weiß!

Der alte Herr v. Heckroth, ich glaube, er ist ein geiler Bock. So wie er mich immer angeschaut hat. Das hat ihn verraten Das Reiten wollte er mir unbedingt beibringen.

Ich hab’ diesem Trottel nicht verraten, dass ich schon als Zweijährige bei Vater auf dem Schoß mitgeritten bin.

Sind einige Bilder im Album, die ich nicht kenne.

Guck einer an: Ein Passbild von der lieben, blonden Hedda!

Weshalb die Mädel alle so mit ihren Passbildern herumwerfen müssen. Ehrlich gesagt, ich finde des blöd.

Von mir kriegt keiner mein Foto.

Ach, und hier, das ist ja auch neu. Sein originellstes Bild.

Die ‘Voigtländer’, die er zu Weihnachten geschenkt bekam ist toll: Jeden Tropfen hat sie abgebildet. Das schafft meine billige Agfa-Klack natürlich nicht; trotz 1/10 Belichtung.

„Guck dir das an.“ Ich begieße Bienchen mit einem mächtigen Schwall kalten Wassers und sie schaut drein wie eine Begossene.

„Nun ja, ich hatte Angst um den Rollstuhl“, hat sie später gesagt, als wir sie damit aufgezogen haben.

Einem Rollstuhl schadet doch so ein bisschen Wasser nicht. Das trocknet schnell wieder. Schadenfreude ist die reinste Freude!

Und hier: wie diese fremden Bengel auf dem Bild lauthals lachen, nachdem sie einen von ihnen ins Wasser geschleudert haben. Die reinste Lust schaut ihnen aus den Augen!

Ich weiß noch genau, über was ich an diesem Nachmittag nachgedacht habe.

Ich habe intensiver als sonst an Bienchen gedacht.

Wie sehr muss sie bei solcher Hitze ein kühles Bad vermissen. Wir kamen gerade aus dem Wasser.

Ach, und noch so ein lustiges Bild: Auch Kurtchen hatte sich einen Sandeimer zum Wasserholen ausgeliehen, sich von hinten ans Bienchen angeschlichen und ‛schwapp’!

Trotzdem. Besser, sie weiß es vorher. Ihr Schreck war riesengroß; die Aufnahme zeigt es.

Egal, egal, es war ein wunderschöner Nachmittag.

Ich mag es sehr, wenn wir 4 Geschwister zusammen sind, man fühlt sich gleich viel sicherer.

Die Gelegenheiten werden leider von Jahr zu Jahr seltener. Jeder hat seine Verpflichtungen, dauernd ist einer unterwegs.

Kurt wird übrigens im Wasser immer schneller. Er hat jetzt den richtigen Kraulstil raus. Mich, als ältere Schwester überrundet er schon.

Ich bevorzuge noch immer meinen altmodischen Bruststil. Der ist nicht so schnell. Ich bin deshalb aber nicht unglücklich.

Himmel, aber jetzt muss ich mich unbedingt wieder um den Umzug kümmern!

Mutter wird mich schon vermisst haben.

Obwohl alles klappt wie am Schnürchen.

Ich soll den Packern Kaffee oder Bier anbieten, wenn sie fleißig sind, und ein paar Schnittchen.

Ich werde mich drum kümmern.

Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst

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