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1 Waidhaus – Rozvadov

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Dass es in der Sankt Katharina-Kirche an der bayerischen Grenze keinen Pfarrer mehr gibt, das wusste ich. Dass dieses Gotteshaus schon seit Jahren geschlossen ist, war mir aber unbekannt.

Anfang November. Ein regnerischer Tag, kalt. Die vermooste Treppe hinauf zum Eingang ist rutschig, ich bewege mich langsam und halte mich mit einer Hand an der Mauer, die man seinerzeit hellgrau verputzt hat; jetzt besteht sie aus Sandstein und schmutzigen, braunroten Ziegeln. Hinaufzugehen und an der Klinke zu rütteln ist sinnlos, das weiß ich, und ich tue es trotzdem. Auch die Kirchentür aus Eiche ist vermoost und verkratzt, mit Glasscherben vermutlich.

Seit wann ist das so, frage ich mich. Ist der Pfarrer nach Bory gezogen oder lebt er nicht mehr? Ich gehe die glitschige Treppe wieder hinunter und halte Ausschau nach einem Menschen. Halb zwei. Niemand auf der Straße. Ich läute an dem Haus, das der Kirche am nächsten steht – gut in Schuss, wahrscheinlich frisch renoviert; ein Sandhaufen liegt neben dem Tor zum Hof. Der Summton der elektrischen Glocke ist schwach zu hören. Niemand öffnet.

Weiter also, zur deutschen Grenze, nach Rozvadov. Die nächste Ortschaft – Waidhaus – ist bereits auf deutschem Gebiet.

Ein oder zwei Mal bin ich früher durch diese beiden Dörfer gefahren, das ist schon lange her. Die improvisierten Läden der vietnamesischen Kleinhändler sieht man in Rozvadov nach wie vor, allerdings weniger zahlreich als vorher. Ebenfalls Saunas, Nachtlokale, viele Massagesalons mit exotisch klingenden Angeboten gibt es noch. Unzählige Neonlichter brennen zu meinem Erstaunen auch jetzt, am frühen Nachmittag.

Die meisten Souvenir- und Bekleidungsläden der Vietnamesen standen etwa dreihundert Meter nach dem Dorfende. Seinerzeit wollte ich dort ein paar Flaschen Becherovka für Freunde und einen Pullover für die Mutter besorgen. Drei oder vier Flaschen von dem böhmischen Kräuterlikör kaufte ich damals, einen Pullover nicht; zu grell war die Ware und das Gewebe vorwiegend aus Kunststoff.

Ah! Eine Überraschung: Die lange Reihe von Läden – Bretterwände, Wellblech als Dach – gibt es da noch, sie sind aber leer, zum größten Teil auch zerstört. Balken, Bretter, Plastikstühle und alte Tische liegen überall herum.

Weiter! Bergab in Richtung Bayern. Bis zur Grenze.

Jetzt wird mir allerdings bewusst, dass ich in einigen Sekunden das tschechische Gebiet verlassen werde; zuerst Waidhaus, dann auf die Autobahn. Nein, so schnell will ich der alten Heimat meiner Eltern nicht adieu sagen, ich kehre um. Ja, ich bin neugierig, was aus dem ehemaligen asiatischen «Einkaufszentrum Rozvadov» geworden ist.

Nach ein paar hundert Metern biege ich rechts ab, fahre auf den Parkplatz und steige aus. Was ich während der Fahrt nicht sehen konnte: Hinter der der Hauptstraße zugewandten Reihe von verlassenen Buden steht eine zweite Kolonne von Verkaufsständen, oder das, was von ihnen übriggeblieben ist – rostige Stangen, Pavatex-Platten, ein paar Balken und kaputte Fenster.

Darf ich weitergehen?, frage ich mich. Da liegen sogar viele Karton-Schachteln mit noch unbenützten Weingläsern. Ich fühle mich gehemmt, bin aber neugierig.

Am Ende der zweiten zerstörten Ladenreihe stehen einige Verkaufsbuden, die gut erhalten aussehen. Die Ausstellungsflächen sind zwar verdreckt, jedoch intakt, sogar die Tür zu einem kleinen Lagerraum wurde nicht abmontiert und geklaut, sie ist offen. Ich zögere, gucke mich um. Niemand beobachtet mich. Weiter also!

Ein fürchterlicher Gestank ist meine erste Wahrnehmung. Nach Fäulnis riecht es hier, nach Verwesung, säuerlich und scharf. Ich schaue in die dunkle Kammer; nirgends ein totes Tier oder faulende Felle von geschlachteten Kaninchen.

Chaos. Auf den Regalen, auf dem grobgezimmerten Tisch, auf dem Boden. Überall liegen verstaubte Damen– und Herrenbekleidung, fast neu aussehende Schuhe, aber auch Waffen aus Plastik und bunte Gartenzwerge … eben alles, was einem anspruchslosen Touristen wegen der tiefen Preise gefallen würde. Und Eines ist mir nun klar: Hier ist man in größter Eile abgereist. Ja, nur Chaos. Ich kann mich nicht erinnern, je etwas Vergleichbares gesehen zu haben, nicht in diesem Ausmaß.

Da ich schon vom Chaos rede: Wenn ich von Vojtyn, der kleinen Ortschaft nicht weit von Nejdek, zurückfahre, spüre ich Chaos auch in mir; nicht jedes Mal, aber oft. Es ist schon fast ein Jahr her, seit ich von diesem Dorf sprach, Herr Durbach, und ich glaube, damals nicht besonders ausführlich.

Es ist vielleicht nicht falsch, wenn ich jetzt etwas wiederhole – möglicherweise kommen ein paar neue Erinnerungen dazu.

Masaryk

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