Читать книгу Wie kann man nur so oft umziehen? - Adolf Klette - Страница 6
ОглавлениеAm Anfang meiner Biografie präsentiere ich zunächst einmal meine Akteure:
Da sind als Erstes meine Großeltern mütterlicherseits und deren Geschwister und Kinder zu nennen:
Mutter Klara, eine geborene Cargnino. Sie wurde am 12. Juli 1891 in Netphen/Sieg geboren.
Ihr Vater war Italiener aus dem Landkreis Turin und war vor seiner Hochzeit nach Netphen umgezogen. Seine deutsche Familie bestand aus 11 Personen.
Das älteste Kind war Klara (meine Oma, rechts im Bild – oder später von mir auch Ömchen genannt), zwischendrin war Heini, der Sänger und die jüngste Schwester war Regine (ein Power-Pack).
Klara war die älteste der neun Kinder und kannte sich deshalb, was Kindererziehung, Haushalt und Feldarbeit betraf, schon frühzeitig gut aus. Sie war rein äußerlich eine gut aussehende, aparte Dame mit einer guten Figur. Nach ihrer Schulzeit hat sie in einem Doktor-Haushalt die Haushaltsführung und das Kochen ausgiebig und perfekt gelernt.
Heinrich Becker (der spätere Mann von Klara) wurde am 31. 10. 1891 in Siegen am »Unteren Schloss« geboren. Er entstammte einem alten Geschlecht von 1464.
Das Wappen des Geschlechts befindet sich in: »Siebmachers großes Wappenbuch bürgerlicher Geschlechter«.
Die Beckers sind ein weit verbreitetes Bürgergeschlecht und werden schon früh als »wohlbegabte« Bürger benannt; auch in der ehemaligen »Churpfalz« am Rhein.
Der Kaufmann Heini Becker in Konstanz führte zuletzt dieses mit Zufügung versehene Wappen, das ursprünglich Hartmann, Schöffe zu Frankfurt/Main 1464 als Siegel gebrauchte. Das Wappen sah lt. Wikipedia, wie folgt aus: »In goldenem Schilde ein blauer schmaler Sparren. Belegt mit einem silbernen Sporenrade, von drei roten Rosen begleitet. Zier: Geschlossener roter Flug, belegt mit dem silbernen Sporenrade. Decken: links blau zu Gold, rechts rot zu Silber. Merkmalszufügung: das Sporenrad.«
Da Heinrich den Schmiedeberuf erlernt hatte, waren seine Oberarme auch ganz schön kräftig. Wo Heinrich hinschlug, wuchs so schnell kein Gras mehr. Das hat ihm in seinem Leben auch oft geholfen. Vornehmlich in der Zeit, als er sich in seine spätere Frau Clara verliebte. Um sie zu treffen, fuhr er immer mit seinem Fahrrad von Siegen nach Netphen. Am Ortseingang gab es dann meist Ärger mit der Dorfjugend. Die wollten nämlich nicht, dass ein Ortsfremder ein Mädchen aus den eigenen Reihen wegholte.
Mit seinen »schlagkräftigen Argumenten« hat er sich irgendwann aber doch durchgesetzt und Klara am 15. 10. 1916 in Netphen/Sieg geheiratet. Sie bekamen drei Kinder im Abstand von jeweils ca. zwei Jahren: Werner, Hildegard und Gerhard.
Werner, der Älteste, kam körperlich ganz nach seinem Vater. Der heiratete dann seine Hanni und hatte mit ihr eine Tochter, die Karin Heidemarie hieß. Sie wurde am 27. 12. 1944 geboren und ist bereits in frühen Jahren, angeblich durch Trinken von Wasser nach dem Genuss von Stachelbeeren, im Juli 1948 verstorben. Leider ist Werner im Krieg vermisst. Man hat, trotz Vermissten-Suche, nichts mehr von ihm gehört.
Hildegard war die zweite im Bunde. Sie wurde am 10. 12. 1920 in Weidenau/Sieg um 9.00 Uhr geboren und am 19. 12. 20 in der St. Josef-Pfarrkirche in Weidenau getauft.
Am 31. 12. 1941 hat sie in Düsseldorf-Eller Adolf Klette geheiratet.
Am 30. 03. 2014 um 17 : 25 Uhr ist sie in Gescher, im Alten- und Pflegeheim, in Anwesenheit ihres Freundes Christoph, meiner Frau und mir, verstorben.
Gerhard war der jüngste der Becker-Kinder. Er hat später Gerda, die Tochter des Fahrrad-Großhändlers Hardt in Siegen, geheiratet. Sie bekamen eine Tochter, die Angelika hieß.
Soweit die Akteure der mütterlichen Seite, gefolgt von denen der väterlichen Seite:
Ich hatte ja auch Großeltern der väterlichen Seite, aber davon weiß ich leider so gut wie nichts. Nur so viel, dass mein Opa bei meiner Geburt schon verstorben war, aber Oma noch lebte. Die beiden hatten zwei Jungen: der eine war Franz und hatte zwei Jungen. Der andere war Adolf, der später mein Vater wurde.
Bei der Oma war meine Mutter Hilde mit mir einmal zu Besuch, als ich noch ein Baby war, sonst kann ich von denen also leider nichts berichten, da ich auch außer meiner Oma sonst niemanden kennen gelernt hatte.
Durch den frühen Tod meines Vaters ist mir seine ganze Familie insgesamt leider mehr oder weniger unbekannt.
Hildegard, die Tochter von Clara und Heinrich Becker, erlernte das Schneiderhandwerk, obwohl ihr Vater für sie einen kaufmännischen Beruf vorgesehen hatte; aber sie setzte sich diesbezüglich einmal durch. Nach der Schulzeit, im Juni 1936, hat sie deshalb ihre Lehre in dem Betrieb »Mina Feldmann Damen-Moden in Siegen« absolviert und dann auch dort am 20. 05. 1939 die Gesellenprüfung bestanden.
Hildegard war eine toll aussehende junge Frau, die aufgrund ihres Berufs auch verstand, sich immer entsprechend gut zu kleiden.
Im Juni 1939 sind ihre Eltern dann von Siegen nach Düsseldorf umgezogen. Ihr Vater hatte dort bei der Firma »Sommer, Maschinen- und Anlagenbau« eine neue Anstellung als Ingenieur und Abteilungsleiter gefunden.
Ihr Vater, eine kräftige, muskulöse Erscheinung, hatte zunächst den Beruf des Schmieds erlernt und später dann noch ein Ingenieur-Studium abgeschlossen.
Hildegard war ab 09. 06. 1939 dann in der »Damenschneiderei Dyballa« in Düsseldorf als Näherin tätig. Dort hatte sie auch das Zuschneiden erlernt und anschließend ihre Meisterprüfung absolviert.
Jeden Morgen fuhr sie deshalb mit der Straßenbahn von Düsseldorf-Eller in die Innenstadt von Düsseldorf.
Als Mittagessen wurde Hildegard von Mutter Clara immer ein Henkelmann mit frischem Essen mitgegeben.
Ein Henkelmann war ja ein tragbarer Emailletopf mit einem Griffdeckel. In diesem Topf musste mittags das Essen in heißem Wasser erwärmt werden.
Einmal aber waren die Kartoffeln, die im unteren Teil des Henkelmanns zum Vorschein kamen, etwas angebrannt. Hilde ließ diese dann im Henkelmann zurück.
Als nun ihre Mutter morgens den Henkelmann spülen wollte, fielen ihr die Kartoffeln in die Hände. Auf die Frage ihrer Mutter: »Warum hast du denn die Kartoffeln nicht gegessen?«, antwortete Hilde: »Die Kartoffeln waren etwas angebrannt!«.
Das hörte auch ihr Vater Heinrich, der sich gerade rasierte. Mit dem Rasierschaum im Gesicht kam er schnellen Schrittes anmarschiert und drückte Hilde seine fünf Finger ins Gesicht mit den Worten: »Was Mutter kocht, kann man auch essen!«
Ja, so war das früher. Man musste noch Respekt vor dem Lehrer, dem Ausbilder, dem Schutzmann, dem Pfarrer und erst recht vor den Eltern haben. Da spielte das Alter eines Kindes keine Rolle und auch die Sache nicht.
Wie ich schon erwähnte, fuhr Hilde ja mit der Straßenbahn der Linie 10, immer hin in die Düsseldorfer Innenstadt und abends nach Düsseldorf-Eller zurück.
Man schrieb mittlerweile das Jahr 1940, die ersten Bomben waren auf Düsseldorf gefallen. Allerdings mit noch geringen Schäden im Stadtteil Flingern, rund um die Dorotheenstraße und den Hermannplatz (wo meine spätere Schule war). Das beunruhigte die Düsseldorfer noch wenig.
Die Dezembersonne lachte in die Straßen von Düsseldorf, als Hildegard wieder mit der Straßenbahn von der Arbeit nach Hause fahren wollte.
Zur selben Zeit stand Leutnant Adolf Klette an der Straßenbahnhaltestelle. Er war auf Besuch in Düsseldorf.
Ein freundliches Lächeln, ein Vorlassen beim Einstieg und durch die folgenden interessanten Gespräche waren die Zwei sich schnell näher gekommen.
In den nächsten Tagen trafen die beiden sich fast jeden Tag. Dadurch war Hildegard immer später zu Hause, als das sonst üblich war. Das fiel den Eltern natürlich sofort auf.
Die daraus folgenden Fragen nahmen kein Ende. »Warum kommst du jetzt erst? Sonst bist du doch immer früher nach Hause gekommen? Kam wieder keine Straßenbahn?« …
Das machte Hildegard aber nichts aus, die »Liebe war eben auch bei ihr stärker als alles Andere auf der Welt«.
Adolf, ihr neuer Bekannter, hatte studiert und war Dipl.-Kaufmann und Doktor der Handelswissenschaften. Er fand jetzt immer mehr Möglichkeiten, öfters nach Düsseldorf zu kommen.
Am 30. 04. 1941 sprach Hildegard ihrem Arbeitgeber der Firma Dyballa die Kündigung aus. Sie wollte jetzt auch einmal Zeit haben in Adolfs Heimat nach Bodenbach im Sudetenland zu fahren, im heutigen Tschechien.
Bodenbach war eine bedeutende Industriestadt im Elbtal. In Bodenbach wird man durch einen hoch aufragenden, bewaldeten Felsen »die Schäferwand« begrüßt. Hier bietet sich eine einmalige unvergleichliche Aussicht über Stadt und Land.
Von dort führt auch die 239 m lange Kettenbrücke über die Elbe zur Stadt Tetschen.
Auch die Stadt Tetschen auf der gegenüberliegenden Seite der Elbe hat eine Sehenswürdigkeit: das Schloss Tetschen. Es enthält Kunstsammlungen der Besitzerfamilie Thun und eine große Bibliothek.
In dem zugehörigen Schlossgarten flanierten Hilde und Adolf, wann immer es möglich war. So lernte sie auch viele Schönheiten aus Adolfs Heimat kennen und war davon schwer begeistert.
Da seine Eltern einen Taxibetrieb hatten, konnten die beiden auch öfters ein Auto benutzen. Das machte dann auch das Entdecken des weiteren Umlands möglich, z. B. auch die schöne »Böhmische Schweiz«, die Stadt Warnsdorf, die uralte Stadt »Böhmisch Kamnitz«, die Großstadt Reichenberg als ein Handels-, Kunst- und Kulturzentrum, das Riesengebirge, Dresden und natürlich auch Wien; dort hatte Adolf ja studiert.
In Tetschen-Bodenbach lernte Hildegard nun auch Adolfs Familie kennen.
Aus Adolfs Eltern und seinem Bruder »Franz« bestand die ganze Familie. Hildegard wurde mit offenen Armen empfangen und es wurde dann erst einmal nur viel erzählt.
Hier in Tetschen hatten Hilde und Adolf dann endlich auch einmal Zeit für sich, ohne dass jemand auf die Uhr sah, wann sie nach Hause kamen. Diesbezüglich waren Adolfs Eltern viel großzügiger als Hildegards Eltern.
Die Liebe zueinander wurde immer stärker. Es dauerte dann auch nicht lange, bis Adolf und Hildegard sich einig waren, für immer zusammen zu bleiben.
Als Adolf im Frühjahr 1942 das nächste Mal in Düsseldorf war, hat er sich bei Hildegards Eltern vorgestellt und um die Hand von Hildegard angehalten. Das hatte er sich aber nicht so schlimm vorgestellt. Zunächst musste er erst mal ein klares »Nein« verdauen. Denn er war nicht katholisch! Er war nur gottgläubig! Ja, du meine Güte, bis Hildegards Eltern endlich einwilligten, waren noch viele und auch sehr lange, teils unerfreuliche Gespräche, erforderlich.
Monate waren mittlerweile schon wieder vergangen, bis die Eltern letztlich dann doch einwilligten. Danach hat sich aber alles zum Guten gewendet.
Adolf nahm wieder Urlaub und heiratete seine Hildegard am 31. 12. 1942 vor dem Standesamt in Düsseldorf-Eller am Gertrudisplatz.
Hier entstand Anfang des 20. Jahrhunderts das im neugotischen Stil erbaute Rathaus, das mit der Gertrudiskirche zusammen 1901 bezogen wurde. Nach der Hochzeitsfeier sind die beiden dann wieder nach Tetschen gefahren, waren nur glücklich und sind wieder durch das schöne Sudetenland gereist.
Doch dieses Glück hielt leider nicht lange. In dem Urlaub wurde er vorzeitig wieder einberufen und musste zurück an die Front. Er musste ja dieser Aufforderung folgen!
Leider ist er aber nicht mehr zurückgekommen, da er am 24. 05. 1943 südlich von Leningrad, östlicher Kriegsschauplatz, gefallen war. Ihn traf ein Artillerie-Volltreffer, der das Glück für alle Zeiten beendete. Seine Schwadron hat ihn auf dem Heldenfriedhof in Sablino zur letzten Ruhe gebettet.
Trostlosigkeit, Trauer, Elend und Ratlosigkeit machten sich breit, als Hildegard diese Nachricht erhielt. Sie war ja zudem schon mit mir in anderen Umständen.
Der Krieg war mittlerweile europaweit ausgeufert. Das Elend war überall zu spüren.
Plötzlich kam ein Brief von Verwandten aus Altenhundem im Sauerland.
Die wussten ja auch, dass der Mann von Hildegard schon gefallen war. Deshalb meinten sie, dass es besser wäre, Hildegard käme für die Zeit bis zur Niederkunft zu ihnen. Der Krieg hätte ja dort noch nicht solche Ausmaße angenommen wie in Düsseldorf. Und da sie ja jetzt schon ohne Mann wäre, könnte man sich auch vor Ort ja auch viel besser um sie kümmern.
Es war der 03. 10. 1943, Hildegard fühlte den Zeitpunkt gekommen, dass ich auf die Welt wollte. Am 06. 10. 1943 ging der Zug, den sie nutzen musste, voll mit Soldaten von Düsseldorf in Richtung Sauerland. Gott sei Dank! ist sie auch heil in Altenhundem angekommen.
Aber sie hatte nicht mal das Bett dort richtig angewärmt, da musste sie schon ins Krankenhaus, ins »St. Josefs-Hospital« in Altenhundem.
Im Morgengrauen des 7. Oktober 1943 kam ich dann als gesunder »Wonneproppen« mit ca. fünf kg Eigengewicht zur Welt; was für ein Segen. Leider hatte mein Vater das nicht mehr erleben können. Meine Mutter hat mir dann aber seinen Namen »Adolf« gegeben. Da der Name aber mittlerweile nicht mehr sonderlich »aufbauend« war, nannte man mich einfach »Dolf«. Letztlich gab sie mir auch noch den Namen Dieter dazu, für den Fall, dass mir Adolf nun gar nicht gefallen würde.
Mutter und ich wurden am 20. 10. 43 aus dem St. Josefs-Hospital in Altenhundem endlich wieder entlassen. Kurz danach fuhr Mutti mit mir nach Düsseldorf zu ihren Eltern zurück bzw. meinen Großeltern.
So, von da an war Düsseldorf auch meine Heimat! Nicht »Altenhundem«!
Später ist mir dann auch bewusst geworden, dass ich ein »Düsseldorfer« bin.
Aber Altenhundem war nun mal der Ort der Niederkunft. Na ja! Was soll’s?
Erst die großen Angriffe 1943, 1944 und der Artilleriebeschuss vor Ende des Krieges brachten viel Leid in die Stadt Düsseldorf. Es waren bis Kriegsende mehr als 1.160.000 Bomben auf Düsseldorf gefallen und etwa 6.000 Düsseldorfer getötet worden.
Der Krieg war ja leider noch nicht vorbei, als sich 1944 der nächste Bombenangriff auf Düsseldorf ankündigte. Da wurden wir zwei, meine Mutter und ich, von anderen Verwandten eingeladen, zu ihnen nach Netphen im Siegerland zu kommen.
Mit meiner Mutter
In Netphen war ja mein Ömchen Clara geboren. Eine Schwester von ihr, die jüngste, war Regine, die lebte ja dort. Sie hat dann auch organisiert, dass Mutti und ich im Bauernhof von anderen Verwandten, nämlich von Werthenbachs, in Netphen-Brauersdorf wunderbar leben konnten.
Brauersdorf war ein Ortsteil von Netphen und die Häuser und Bauernhöfe konnte man mit zwei Händen zählen. So klein war der Ort. Der lag aber schön, zwischen zwei Berghängen und einem langgezogenen Tal.
Dort befand sich der kleine Hof von Werthenbachs. Mutti konnte im Haushalt und im Hof helfen und ich habe, wenn das Wetter es zuließ, nur draußen gespielt und hatte auch viel Neues zu entdecken. Trotz aller traurigen Umstände war die Zeit in Brauersdorf für mich eine schöne Zeit. Wir hatten genug zu essen. Ich lebte von Milch, Brot, Kartoffeln, Gemüse, Fleisch und Speck. Speck konnte ich in der Zeit noch nicht sagen, aber bei meinem Ruf nach »Peck« wusste jeder auch so, was ich meinte.
Im Hof gab es natürlich auch einen Hund, der hieß »Stroppi«. Bei mir hieß der »Toppi«, weil ich Stroppi auch noch nicht sagen konnte. Stroppi war ein weißer Mischlings-Hund. Der wurde schnell zu meinem Spielkameraden. Er passte aber auch gut auf mich auf, wenn z. B. alle auf dem Feld und wir beide alleine waren. Toppi zeigte mir auch ein wenig von unserer kleinen Welt im Hof und im Ort Brauersdorf.
Im Bauernhaus ging man über die Diele auch in den Stall. Chef im Stall war der Bulle. Obwohl der angekettet war, hatte ich aber immer schwer Respekt vor ihm.
Durch mein Erscheinen wurde er immer unruhig. Dann bewegte er sich hektisch, wenn ich mit Toppi wieder in den Stall kam. Aber die Kühe freuten sich, dass es ihn gab und auch, dass Toppi und ich wieder kamen.
Aus einer Ecke des Hofs blickte man auch auf einen Kaninchenstall. In dem lebten sieben Kaninchen, jedes in seinem eigenen kleinen Stall. Ein Kaninchen davon war der Mann, der Rammler und die anderen waren süße Frauen. Von denen war ich besonders begeistert. Das mit den »süßen Frauen« ist auch bis heute so geblieben!
Eines Tages habe ich gedacht, die Kaninchen müssten ja auch mal gebadet werden. Also nahm ich zwei von denen auf den Arm und ging damit über die Straße und runter zum Bach. Nachdem ich sie gut gewaschen hatte, habe ich sie zum Trocknen auf die Steine im Bach gelegt. Aber, was soll ich sagen, bewegt haben die sich leider nicht mehr. Da waren sie schon tot. Was für ein Elend! Meine Trauer kannte keine Grenzen und dazu gab’s auch noch Riesenärger.
Ein solches Badezeremoniell mussten die restlichen Tiere dann auch nicht mehr erleben … Aber die Erwachsenen hatten schon immer Panik, wenn ich nur in die Richtung Kaninchenstall lief.
Hinter dem Bach und am Fuß des Berges erblickte man das Backhaus; das fand ich auch sehr interessant! Da roch es immer stark nach Backwaren. Wenn nun frisches Brot gebacken wurde, war ich auch gerne dabei. Das Backhaus war dann auch einer meiner Lieblingsorte, weil es da schön warm war. Hier habe ich auch immer beim Backen zugeschaut. Manchmal durfte ich den Teig probieren, denn der schmeckte auch so gut wie es roch, mhhhh.
Manchmal kamen uns Opa und mein Ömchen besuchen und blieben einige Tage bei uns. Sonst wohnten sie ja bei Omas Schwester Regine.
Einmal war Opa mit dem Zug von Netphen nach Düsseldorf gefahren, um sein Fahrrad zu holen. Zurück ist er zu Fuß von Düsseldorf mit seinem Fahrrad und einem großen Koffer hinten drauf angereist. Das waren dann mal eben schlappe 150 km Fußweg. Als er bei uns ankam, war er doch sehr erschöpft. Er wollte aber sein Fahrrad haben, um in Netphen beweglich zu sein. Netphen war ja, wie ich schon sagte, Ömchens Heimat. Dort lebten die meisten Mitglieder ihrer Familie.
Aber Netphen war damals nicht mehr als ein kleines Nest und deshalb war ein ÖPNV auch nicht wirklich vorhanden.
Irgendwann im Frühjahr kam der Tag, an dem die amerikanischen Soldaten nach Brauersdorf und auf unseren Hof kamen und ihn beschlagnahmten. Dann hat man uns Bewohner zuerst einmal mit dem Nötigsten in den Keller verfrachtet.
Kurz darauf mussten wir auch dort wieder raus, da man das Bauernhaus komplett als Kommando-Zentrale benutzen wollte. Wo aber sollten wir jetzt hin?
Da hatten die drei Männer (2 vom Hof und mein Opa) kurzerhand entschieden, ein großes Erdloch in den dem Hof gegenüber liegenden Waldhang zu buddeln. Dazu ging man vom Hof über die Straße über die Bach-Holzbrücke am Backhaus vorbei in den Waldhang.
Unsere Männer hatten sich mit dieser Idee ganz schön was vorgenommen.
Drei Tage haben sie gebuddelt. Dann sind wir alle in das große Erdloch umgezogen, das die Männer unserer Familien ausgebuddelt und mit Reisig und Ästen abgedeckt hatten.
Mutti und mir gegenüber waren die Amerikaner aber immer sehr nett. Zu Anfang hatte meine Mutter immer Weinkrämpfe bekommen, wenn die »Jungens« erschienen. Manchmal brachten sie uns sogar Schokolade und andere Leckereien. Darüber haben wir zwei uns natürlich sehr gefreut und unseren Angehörigen auch etwas mitgegeben.
Nach einigen Tagen waren sie auf einmal weg, die Amerikaner. Jetzt konnten wir endlich wieder auf den Hof zurück. Damit hatten Mutti und ich auch unser Zimmer wieder zur Verfügung und bis auf den Krieg, war alles wieder gut.
Der Krieg war dann im Mai 1945 endlich vorbei. Einige Monate später wurden Mutti, meine Großeltern und ich mit unseren Sachen auf einen großen LKW geladen und wieder nach Düsseldorf gebracht.
(In der Neuzeit wollte ich den Hof in Brauersdorf noch einmal besuchen, aber da war davon nichts mehr zu sehen. An der Stelle hatte man eine Talsperre gebaut.)
August 1945 in Altenhundem. In diesem Jahr wurden durch Bomben von 390 Häusern in Altenhundem 26 zerstört und 156 beschädigt, da Altenhundem ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn meine Mutter mit mir dort geblieben wäre?!
Meine Mutter und ich waren aber zu dem Zeitpunkt, Gott sei Dank!, schon wieder in Düsseldorf, obwohl Düsseldorf mittlerweile auch zu fast 50 % zerstört war. Aber ich hatte meine Heimat gefunden. Das Haus meiner Großeltern war ja auch unbeschädigt.
In Düsseldorf angekommen, lebten Mutti und ich dann, gut versorgt, bei Opa und meinem Ömchen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Ömchen war meine Mutter, Opa war der strenge Vater und Mutti war meine Freundin. Mit Mutti konnte ich immer spielen, lachen und manchmal auch dummes Zeug machen. Einmal haben wir im Haus der Großeltern »nachlaufen« gespielt. Erst sind wir auf die Terrasse, dann durch das Badezimmer-Fenster wieder in das Haus. Das hatte viel Spaß gemacht. Das hätten Opa und Ömchen aber nicht gut gefunden, wenn sie das gesehen hätten. Aber manchmal waren sie eben auch mal nicht da.
Nach Kriegsende hatte Mutti die Idee »wir zwei besorgen uns mal eine eigene Wohnung«.
Die wurde dann irgendwie in Eller Wirklichkeit. In einem unbeschädigten Haus auf der Gertrudisstraße genau neben der neugotischen Gertrudiskirche, die 1901 eingeweiht wurde. Die eigentlichen Mieter waren nämlich für längere Zeit verreist und hatten uns beiden ihre Wohnung überlassen. Diese »Traumwohnung« bestand aus drei Räumen: 1 Küche, 1 Schlafzimmer und 1 Bad.