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1. Teil
II. Ein kolchisches Paradies

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Im Süden des Kaukasus, in einer dem russischen Zepter unterworfenen Provinz, liegt Schloss und Stadt Garika1, einst die Hauptstadt eines Königreichs gleichen Namens. Die unbedeutenden Häuser der Stadt ziehen sich am Fuße eines Felsens längs eines kleinen Flusses hin der den im Orient häufig wiederkehrenden Namen Karassu (Schwarzwasser) führt und der nur im Winter reißend, im Sommer aber gewöhnlich so seicht ist, dass man ihn durchwaten kann. Hoch auf dem Felsen, der steil nach dem Flusse abfällt, liegt Schloss oder Burg Garika, mit einer entzückenden Rundsicht auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus im Norden das herrliche Flusstal mit seinen Weinbergen jenseits des Flusses und die schönen Wälder im Süden und Westen. Es mag einst sehr fest gewesen sein; die Außenmauern sind aber längst geschleift, und einige im modernsten russischen Geschmack errichtete Pavillons und Nebenhäuser zeigen deutlich, dass hier eine neue Zivilisation unter den Fittigen des russischen Adlers eingezogen.

Es war in den ersten Tagen des Dezember, und die Wälder prangten noch in ihrem glühendsten herbstlichen Schmuck, als ein junger Reiter Schloss Garika verließ und den sanften Abhang hinabritt, der sich südlich vom Schlosse nach den Wäldern hinzieht und mit den herrlichsten Baumgruppen bedeckt ist. Er ritt ein prächtiges Pferd von echter Rasse und trug die Uniform eines russischen Milizoffiziers, jedoch nicht nur mit dem Abzeichen eines höhern Ranges, sondern auch mit einigen selbsterfundenen malerischen Verzierungen, wie der Orientale sie liebt und die russischen Generale sie gern gestatten, da Glanz und Schmuck des Offiziers dazu beitragen, sein Ansehen bei den eingeborenen Truppen zu erhöhen. Es war ein schöner junger Mann, noch nicht dreißig Jahre alt, mit vollem, schwarzem Schnurrbart und von mehr schlanker als kräftiger Gestalt. Das etwas blasse, aber noch jugendlich frische Gesicht zeigte einen träumerischen Ausdruck; auch war die Haltung des Reiters nachlässiger, als man sie bei europäischen Offizieren findet. Der Orientale lässt sich gehen, bis der Augenblick seine ganze Kraftanstrengung verlangt. Der Schnitt des Gesichts zeigte den Kaukasier oder Circassier.

Der junge Offizier ritt langsam unter den schönen Buchen hin, in Gedanken verloren, als plötzlich ein Mann in der ärmlichen Tracht der eingeborenen Bauern hinter einem Baumstamme hervortrat. Da er waffenlos war und seine spitze Mütze demütig in der Hand trug, so hatte der Offizier nicht nötig, nach seinem Säbel oder nach den Pistolen zu greifen, deren goldverzierte Schäfte aus den Halftern hervorglänzten. Er wollte auch ruhig, ohne auf den Bauer zu achten weiterreiten, als er sah, dass dieser ihm ein Papier hinhielt.

»Was willst Du? Eine Bettelei?« fragte der Offizier in der Sprache der Eingeborenen.

»Nein, hoher Herr! Ein Brief, der von weit, weit her kommt.«

Der Offizier nahm den Brief, der die Spuren langer Wanderung trug, nicht ohne den Ausdruck eines gewissen Missbehagens, in den sich Verwunderung mischte. Die einfache Aufschrift in französischer Sprache lautete: »An Daniel Garika in Garika.«

Der Offizier blickte nach dem Siegel, aber es war zerknittert und unkenntlich geworden. Endlich öffnete er den Brief und las nur die wenigen Zeilen:

»Ich lebe und denke an das Vaterland und vergangene Zeiten. Was denkst Du? Sei bereit, mir zu antworten, wenn ich Dich wiedersehe.

George Garika.«

Der Offizier stieß einen kurzen Ruf des Erstaunens aus und seine Wangen färbte ein helleres Rot. Dann wandte er sich mit dem Rufe: »Woher hast Du das?« an den Bauer. Aber dieser war verschwunden. Überrascht, fast bestürzt, hielt Daniel Garika auf seinem Pferde und las teils den Brief wieder und wieder, teils blickte er um sich, ob der Bauer nicht noch einmal erscheine. Aber er blieb allein unter den einsamen Bäumen deren rotes Laub im Winde rauschte und zuweilen ein glutfarbenes Blatt auf den herbstlichen Rasen niedersandte.

»George lebt – er lebt!« flüsterte er vor sich hin.

»Und was bedeuten diese seltsamen Worte? Vaterland, vergangene Zeiten – ich soll bereit sein, ihm zu antworten! Seit zwölf Jahren glaubte ich ihn tot! Wo war er denn? Wo ist er? Hier, in der Nähe?«

Und er blickte abermals um sich, als ob er eine fremdartige Erscheinung erwartete. Aber alles blieb still.

Nur in weiter Ferne ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen. Daniel untersuchte noch einmal das Siegel, fand es aber auch diesmal unkenntlich und zerriss nun den Brief in eine Menge kleiner Stücke und warf sie in den Wind, der sie verwehte.

Ein Reiter wurde unter den Bäumen sichtbar, ein junger Eingeborener. Sobald Daniel ihn erkannte, nahm sein Gesicht einen erwartungsvollen Ausdruck an, und er ritt dem Reiter entgegen, der demütig grüßte und ihm einen Brief überreichte, einen zarten Brief auf rosafarbenem Papier und mit frisch geschriebener Aufschrift: »Dem Prinzen Daniel Garika.«

Daniel erbrach ihn hastig und las die Worte in französischer Sprache:

»Mein lieber Prinz!

Nina und Michael besuchen eine Familie in der Stadt. Ich bin zurückgeblieben. Darf ich Sie erwarten?

Sophia.«

Daniel, freudig erregt, warf dem Reiter ein Geldstück zu, das dieser auffing, und rief.

»Ich komme!«

In demselben Augenblick erschien jedoch ein anderer Reiter auf schaumbedecktem Pferde und überreichte Daniel einen zweiten Brief, dessen Form und Aufschrift dieselbe Schreiberin bekundete. Daniel öffnete ihn diesmal zögernd und las die Zeilen:

»Mein lieber Prinz! Soeben kommt Paul. Ich melde es Ihnen in aller Eile, um Ihnen nicht unwahr zu scheinen. Wird dies ein Hindernis für Sie sein?

Ich hoffe nicht.

Sophia.«

Der zweite Bote erhielt keinen Lohn. Düster blickte Daniel Garika vor sich hin und gab dann den beiden Boten ein Zeichen, sich zu entfernen.

»Verwünscht!« rief er vor sich hin. »Immer dieser Paul! Soll das Spiel ewig dauern? Erst die Einladung, dann diese Nachricht hinterher! Der Teufel traue ihr! Gehe ich? Gehe ich nicht? Es ist mir eine Qual, mit dem hochmütigen Russen zusammen zu sein, mit ihm die Blicke und Worte Sophias zu teilen! Vorwärts – ja, ich will! Habe ich den Russen zu scheuen? Entweder Sophia oder – George, wenn Du kommst, werde ich Dir eine Antwort geben! Sie liegt in Sophias Hand. Du hast mich an die Vergangenheit erinnert, an die Zeit, in der unsere Ahnen Könige waren! Gut, wir wollen sehen, ob ein Kosakenhäuptling den Enkel eines Königs aus dem Felde schlägt!«

Und mit glühendem Antlitz sprengte er nach Westen den verschwundenen Boten nach.

Wie der Wind flogen Ross und Reiter durch den herbstlichen Wald. Der Reiter dachte nicht daran, die Schönheiten zu genießen, die sich nach allen Seiten hin darboten; sein Herz war voll Unruhe, und außerdem waren ihm ja diese Schönheiten etwas Altes. Die wundervollen, glühendroten Kronen der Buchen, Eichen und Linden, der Platanen, Eschen und Ulmen, zwischen denen die fast noch sommerlich grünen Ranken der Schlingpflanzen sich in südlicher Fülle hinzogen – er kannte sie ja von Jugend auf. Die Lichtungen mit ihrem bereits gelblichen, aber immer noch erfrischenden Rasen und ihren einzelnen malerischen Baumgruppen entlockten ihm kein Staunen der Bewunderung mehr. Dieses Paradies war sein Vaterland; er kannte den Namen jedes kleinen Dorfes, das aus den Bäumen an einem Bach hervorlauschte oder sich an einem dicht mit Gesträuch bewachsenen Felsen hinaufzog, und die herrlichen Formen der Baumwipfel und Berge riefen auch nicht ein einziges Mal das Bewusstsein ihrer Schönheit in ihm wach.

Seine Gedanken weilten bei denen, die er hinter ihnen finden sollte. So ritt er scharf fast eine halbe Stunde lang, bis der Wald sich plötzlich lichtete und eine Landschaft vor ihm lag, die jedes fremde Auge mit Entzücken erfüllt haben würde. Ein Tal, von mehreren Bächen durchzogen, die dem Karassu zueilten und deren Lauf von fast noch grünen Bäumen begleitet wurde, dehnte sich breit und gemächlich vor ihm aus. Zur Linken war es begrenzt von einem sanft im Halbkreis zurückweichenden Walde, vor ihm, jenseits des Tals, zog sich ein mäßiger Hügel hinauf, bedeckt mit Wald und Obstbäumen, die ein Schloss umrahmten, dessen Gemäuer durch das Laub hervorblickte. Nördlich von dem Schlosse, zur rechten Hand des Reiters, zeigten sich am Fuße des Hügels nach dem Karassu hin die Häuser eines kleinen Orts.

Lieblicheres und zugleich Edleres als die Formen des sanft schwellenden Hügels und der Umrisse der Baumgruppen vermochte man sich nicht zu denken. Hier und dort weideten Herden, von Knaben und Männern in der einfachen, aber malerischen Landestracht gehütet, eine Herde Füllen trabte über den weichen Wiesengrund, sich ergötzend in lustigen Sprüngen – es war in der Tat ein Bild des Paradieses!

Daniel Garika ritt etwas langsamer durch das Tal dem Schlosse zu. Er fürchtete, man könne ihn von dort aus bemerken, und mochte sich nicht zu eilig zeigen. Die Landleute, an denen er vorüberkam, zogen demütig ihre flachen Mützen; sie betrachteten ihn immer noch als den Herrn des Landes, über das der Großvater Daniels als König geherrscht hatte, bis Russland die Länder, welche den Süden des Kaukasus umspannen, unter sein Zepter zwang. Auch Schloss und Stadt Dari, die vor dem Reiter lagen, hatten einst den Garikas gehört.

Jetzt waren sie als Mitgift für Daniels Schwester Nina an den Grafen Michael Brazow gefallen, einen Russen.

Es war ein kleines, aber schönes Königreich gewesen, über welches die Garikas einst geboten. Jetzt war dem Königsenkel nichts geblieben als der Ertrag des Gebietes, das zu Garika gehörte, und sein Rang als Milizoffizier. Freilich war der Landstrich, den er sein nannte, immer noch so groß als manches deutsche Fürstentum.

Aber die Herrschaft lag in den Händen des Zaren und seines mächtigen Stellvertreters, des Generalgouverneurs von Cis- und Transkaukasien, damals Fürst Woronzow. Daniel Garika galt nicht mehr, vielleicht sogar weniger als jeder russische Untertan.

Kamen dem Fürsten düstere Gedanken, als er durch das Tal ritt? Fast schien es so, denn seine Stirn war gefaltet, seine Miene finster. Nach dem Tode seines Vaters und seiner Mutter in Petersburg erzogen, hatte er freilich die Macht Russlands bewundern und fürchten gelernt; jeder Gedanke daran, dass er einst wieder als eigener Herr in diesem Lande gebieten könne, war längst in ihm erstickt; über die Bemühungen Schamyls und seiner Genossen, dem riesigen Gegner Russland Widerstand entgegenzusetzen, zuckte er mitleidig und fast verächtlich die Achseln. Aber das Königsblut wallte den noch zuweilen in ihm auf. Er liebte Sophia, die Schwester Brazows. die sich seit einiger Zeit in Dari zum Besuch befand, aber er liebte sie nicht allein. Ein Reiteroffizier, Paul Ombrazowitsch, ein Freund und früherer Waffengefährte Michael Brazows, der das Kommando über eine in der Nähe stehende Kavallerieabteilung führte, machte ihr eifrig den Hof. Paul Ombrazowitsch war, wie es hieß, der Sohn eines Kosakenführers. Sollte ein Mann, der dem niedern Adel angehörte, den Sieg davontragen über den Enkel eines Königsgeschlechts, das seinen Ursprung ein Jahrtausend hinaus verfolgen konnte und einst unter den Herrschergeschlechtern von Kolchis berühmt gewesen war?2

Am Fuße des Hügels angelangt, spornte Daniel Garika sein Ross wieder an und sprengte den gut gebahnten Weg hinauf bis in den Schlosshof. Das Schloss war demjenigen von Garika sehr ähnlich, aus verschiedenen Gebäuden von ungleicher Bauart und verschiedenem Alter zusammengesetzt, umgeben von einer nicht allzu festen Mauer. Auf dem Hof sprangen Diener herzu, das Pferd des Fürsten in Empfang zu nehmen. Er fragte nach der Gräfin Sophia. Sie sei mit dem Major Ombrazowitsch in den Park gegangen, lautete die Antwort, erst vor kurzem, und hätte die Weisung hinterlassen, Früchte, Gebäck und Liköre nach dem Springbrunnen zu bringen.

Daniel ging hastig nach dem Park, das Herz klopfte ihm vor Eifersucht. Dann aber siegte sein Stolz; er mäßigte seine Schritte und ging langsam nach dem Teile des Parks, in welchem sich der Springbrunnen befand.

Der Park von Dari war wie derjenige von Garika nur ein gelichteter Wald, aber eben deshalb umso schöner; die Kunst hätte hier nur verderben können.

Blutrote Buchenblätter bedeckten den Boden und dämpften die Tritte Daniels. Ranken von wildem Wein, Efeu und Winden verbanden wie Girlanden und durchbrochene Teppiche die starken Eichen und Buchen, die schlankstämmigen Lorbeer- und die Myrten- und Rosengebüsche.

Durch diesen zauberischen Gartenschritt Daniel dahin, bis er das Rauschen des Springbrunnens und ein helles Lachen hörte. Es kam ihm der Gedanke, zu hören, was Sophia mit dem Major spreche. Die Eifersucht ist stets misstrauisch, ja sie entsteht nur aus dem Misstrauen. Langsam und leise näherte sich Daniel dem Springbrunnen, und durch die bunten Blätter hindurch sah er Sophia auf einer Bank in der Nähe eines hölzernen Pavillons sitzen. Der Major stand vor ihr.

Sophia Brazow war keine regelmäßige Schönheit, aber ihr frisches Gesicht mit den zart geröteten Wangen, den dunklen, runden Augen war eins von denen, die im Sprechen Reiz und Leben gewinnen und durch die Beweglichkeit der Züge und durch den Ausdruck von Geist keine Betrachtung über die etwa mangelnde Schönheit aufkommen lassen. Die Form der Stirn und der Nase verrieten ein wenig den russischen Typus. Aber wenn sie lachte und die weißen Zähne durch die roten Lippen blitzten und die Augen so klar glänzten, erschien sie verlockend schön. Ihr ganzes Wesen trug den Stempel der Kraft, der Gesundheit und des Übermuts.

Sie mochte keine zwanzig Jahre alt sein, gewiss nicht darüber, und alles an ihr, der Teint, die Augen, die Lippen, das prächtige dunkle Haar, die gerundeten Formen der kaum mittelgroßen Gestalt, zeigte jene erste glänzende Frische der Jugend, die für sich allein schon oft Schönheit ist. Ihr Anzug war einfacher, als man ihn gewöhnlich bei den Russen des Orients, die ihn phantastisch ausschmücken lernen, findet; eine Art polnischer Schoßjacke, knapp anschließend, ein Seidenkleid, ein leichtes Hütchen und etwas Schmuck bildeten ihre ganze Toilette. Nur das fast rötliche Braun der Jacke und das helle Gelb des Kleides deuteten mit ihren lebhaften Farben auf den Orient.

Der Major war in seiner Dragoneruniform. Seine Gestalt war derjenigen Sophias ähnlich, nicht groß, kräftig, aber von guten Verhältnissen. Sein Gesicht zeigte den vollendeten Typus eines blonden Russen, die Augen nicht groß, aber glänzend, die Nase ein wenig emporgerichtet, die Stirn nicht hoch, aber voll Leben.

Hätte man sein Gesicht im Einzelnen prüfen wollen, so würde er die Probe der Schönheit schlecht bestanden haben. Und doch war der Eindruck, den er machte, durchaus kein ungefälliger. Auch in seinem Wesen lag Kraft und Gewandtheit, in seinen markierten Zügen Klugheit und Energie, seine ganze Erscheinung hatte etwas Abgerundetes, in sich Geschlossenes, das den entwickelten Mann kennzeichnet. Er hielt die Mütze in der Hand und sprach lebhaft mit Sophia. Die Sonne fiel auf sein rotblondes, starkes und gekräuseltes Haar, auf den stattlichen, wohlgeformten Schnurrbart und ließ sie wie Gold glänzen. So machte er den Eindruck eines kräftigen Soldaten, zugleich aber auch eines Mannes von geistiger Begabung und weltmännischer Durchbildung.

Ein wenig zu lebhaft waren seine Bewegungen, etwas zu scharf, fast lauernd war sein Blick. Der eifersüchtige Daniel mochte nicht so ganz Unrecht haben, wenn er behauptete, dem Major klebe etwas vom Parvenu oder wenigstens vom Abenteurer an. Es fehlte ihm die Ruhe des geborenen Aristokraten. Aber seine lebhafte Natur entschuldigte seine Beweglichkeit. Stirn und Augen verrieten, dass unruhige Gedanken sich hinter ihnen jagten.

Beide sprachen russisch, welche Sprache Daniel von Petersburg her, wo er nur russisch und französisch gesprochen, gut genug verstand. Der Major erzählte, wie er auf seinem Ritt nach Dari dem Bruder Sophias und dessen Gemahlin begegnet und ihnen schnell ausgewichen sei, um von ihnen nicht zu erfahren, dass Sophia sich allein auf dem Schlosse befinde, und dann mit ihnen umkehren zu müssen. Er erzählte gut, denn er besaß die Gabe, auch die unbedeutendsten Dinge in ein angenehmes Gewand zu kleiden. Die Damen fanden ihn sehr unterhaltend; Daniel dagegen behauptete, wenn er sich frei aussprechen konnte, der Major habe etwas vom Harlekin. Jedenfalls kannte Paul Ombrazowitsch die Frauen und wusste, wie man mit ihnen sprechen müsse.

»So gestehen Sie selbst ein, Major, dass Sie Unrecht getan haben, hierher zu kommen!« rief Sophia. »Sie hätten umkehren müssen, das fühlen Sie. Sagen Sie selbst, was daraus folgt!«

»Dass ich umso mehr Ihre Teilnahme verdiene, weil ich Ihretwegen einen Verstoß gegen die Konvenienz begangen«, antwortete der Major lächelnd. »Ich fühle mich strafbar, aber Sie dürfen mich nicht verurteilen!«

»Dennoch, weil Sie etwas gewagt, wozu Sie kein Recht hatten!« rief Sophia. »Oder würden Sie behaupten können, dass ich Sie zu solchen Besuchen ermuntert?«

»Und wenn ich es behauptete, Comtesse?« fragte der Major etwas keck.

»So würde ich Sie ohne Erbarmen Lügen strafen«, antwortete Sophia etwas ernster.

»Ich bitte um Verzeihung!« sagte Paul ergeben. »Reichen Sie mir Ihre Hand, Comtesse, als Zeichen der Vergebung und der Erlaubnis, bei Ihnen bleiben zu dürfen!«

»Ich würde sie Ihnen nicht geben, die Erlaubnis nämlich, wenn wir allein wären!« antwortete Sophia.

»Da ich aber den Fürsten Daniel bemerke, so fällt der Hauptgrund für meine Weigerung weg, und es sei Ihnen gestattet, mir Gesellschaft zu leisten.«

»Fürst Daniel?« fragte Paul, seinen Missmut augenblicklich hinter der schnellen Bewegung verbergend, mit der er sich umblickte. »Wo ist er denn?«

Daniel war glühend errötet, als die Worte der Gräfin ihm verrieten, dass ihre scharfen Augen ihn wahrscheinlich schon seit seinem Erscheinen bemerkt hatten. Doch fasste er sich schnell, zögerte noch einen Moment bei der Weinranke, hinter der er stand, als ob er etwas betrachte, und trat dann vor.

»Ich glaubte wahrlich, die Rebe dort treibe neue Blüten«, sagte er, gleichsam sein Zögern entschuldigend, und begrüßte sich dann mit Sophia Brazow.

Es konnte nicht auffällig scheinen, dass sie ihm die Hand reichte; – er war ja ihr Verwandter und galt in aller, selbst in des Majors Augen für den begünstigten Bewerber.

Daniel und der Major begrüßten sich höflich, etwas kalt, aber doch mit einer gewissen Vertraulichkeit, die allmählich zwischen Personen, welche sich oft sehen, eintritt.

Zwei Diener, die auf großen Schüsseln Früchte und Gebäck brachten, erleichterten das Anknüpfen der Unterhaltung, die jetzt französisch geführt wurde. Die Herren nahmen einige von den kleinen Kuchen und tranken Maraschino und Curaçao; von letzterem verschmähte selbst Sophia ein Gläschen nicht. Man sprach über das Wetter, das noch immer sehr schön war und den Aufenthalt im Freien gestattete, über das Befinden Michaels und Ninas und über den Krieg. Der Major hatte neue Nachrichten und die Bestätigung früherer Mitteilungen erhalten. Er berichtete, dass Fort Tschefketil (von den Russen St. Nikolai genannt) sich noch in den Händen der Türken befinde, dass aber die Generale Orbeliani und Bebutow die Türken bei Bajandur geschlagen hätten, und dass die Nachricht eines neuen, erst in den letzten Tagen erfochtenen Siegs bei Supliß angelangt sei. Die Türken, erzählte der Major, zögen sich überall zurück, doch hätten sie sich besser geschlagen als früher.

»Ich muss gestehen, dass mich zuweilen doch ein Lüstchen anwandelt, den Tanz mitzumachen«, fügte er hinzu. »Ich habe zwar bessere Gegner mir gegenüber gesehen, die Kabylen, die Ungarn, die Tschetschenzen, aber das Pfeifen der Kugeln bleibt doch immer eine angenehme Musik, und wenn ich dächte, die Türken hielten stand, so ließe ich mich zum Fürsten Andronikow nach Akalzich versetzen.«

»Da sieht man, wie konsequent die Männer in ihren Behauptungen sind!« sagte Sophia achselzuckend. »Noch vor kurzem hörte ich Sie sagen, Sie möchten Ihre Garnison in Kureli mit keiner andern vertauschen.«

»Ich könnte bei dem Wortlaut meiner Behauptung beharren«, antwortete der Major lächelnd. »Eine andere Garnison wünsche ich mir nicht. Aber die kämpfende Armee ist keine Garnison. Übrigens kann man nicht wissen, ob wir nicht bald mit Schamyl zu tun haben werden. Dann würden auch Sie Ihren Säbel schleifen lassen müssen, Prinz!«

»Der ist noch geschliffen von der Zeit her, wo ich als Fähnrich gegen die Tschetschenzen kämpfte«, antwortete Daniel Garika mürrisch. »Und wenn ich mich nicht darum bewerbe, unter Orbeliani oder Andronikow in die aktive Armee aufgenommen zu werden, so liegt der Grund· nur darin, dass ich nicht das Interesse wie Sie bei diesem Kriege habe.«

Es zeigte sich Erstaunen auf dem Gesichte des Majors und der Gräfin. Es war das erste Mal, dass der Fürst eine Äußerung gemacht, die oppositionell klang.

»Ich will nicht weiter in Sie dringen«, sagte Ombrazowitsch, »aber Ihre Andeutung ist zu kurz, um mir verständlich zu sein.«

»Nun, ich meine, dass ich, obgleich ein russischer Untertan, doch die Vergangenheit noch nicht vergessen kann«, sagte Daniel mit derselben düstern Miene. »Es fällt mir nicht ein, mich Russland feindlich zu zeigen, ich erkenne die Macht und Oberhoheit des Zaren bereitwillig an und füge mich ergeben in mein Schicksal; davon habe ich Beweise genug gegeben. Aber so begeistert wie ein Altrusse kann ich mich nicht gegen diejenigen schlagen, die mir ein Königreich bieten!«

Sophia sah mit dem höchsten Befremden auf den Fürsten. Das war eine Äußerung, die, wenn sie in der gehörigen Form und vielleicht mit kleinen Abänderungen nach Petersburg berichtet wurde, dem Fürsten einen Pass nach Sibirien eintragen konnte. Schlummerte in diesem Manne, der in Garika ein untätiges und erschlaffendes Leben führte, wirklich noch etwas von dem Mute seines Vaters und seiner Großmutter? Sophia kannte als Familienmitglied die Geschichte der Garikas gut genug.

Der Großvater Daniels war ein entnervter, willensschwacher Mann gewesen, dem Russland ohne viele Mühe das Zepter aus den Händen genommen; anders aber die Großmutter, die einen russischen Offizier, der ihr den Gehorsam verweigerte und sie mit Gewalt nach Tiflis führen wollte, mit dem gezückten Dolch aus ihrem Zimmer vertrieben hatte, und erst später mit List und Gewalt nach Petersburg gebracht worden war, wo sie bald starb; anders auch der Vater Daniels, der überwiesen worden, dass er einen Aufstand der Bergvölker nicht nur heimlich unterstützt, sondern auch im Begriff gewesen, sich demselben anzuschließen. Man hatte ihn nach Sibirien geschickt; er war auf der Reise dorthin oder kurz nach der Ankunft gestorben. Auch die Mutter war bald darauf verschieden. Die drei Kinder, Daniel, Giorgi und Nina, hatte man in Petersburg erzogen. Dort war Giorgi verschwunden; es hieß, er sei beim Baden in der Newa ertrunken. Seit jener Zeit hatte, wie wir wissen, Daniel Garika dem russischen Gouvernement eine unbedingte Ergebenheit gezeigt, und die Heirat Ninas mit Michael Brazow, einem Altrussen von erprobter Treue, schien das Band zwischen den Kindern der früheren Könige von Garika und Russland so fest geknüpft zu haben, dass niemand mehr an eine Lösung desselben dachte.

»Altrusse oder Neurusse«, sagte der Major ernst, aber doch in ganz ruhigem Tone, »Sie sind immer Russe und müssen für die Ehre des großen Vaterlandes einstehen.«

»Das weiß ich«, antwortete Daniel kurz ablehnend. »Und dennoch wäre es zu viel verlangt, bei mir dieselben Sympathien für Russland vorauszusetzen wie bei einem Petersburger oder Moskauer, oder auch nur bei den Kosaken, die ja schon seit längerer Zeit die Untertanen, Russlands sind.«

»Haben Ihnen denn die Türken Anerbietungen gemacht, Prinz?« rief Sophia ungläubig.

»Nicht mir«, antwortete Daniel kurz ausweichend. »Ich habe nur von Versprechungen gehört, die sie ihren Bundesgenossen gemacht.«

»Hm – türkische Versprechungen!« sagte der Major lächelnd. »Wollen Sie sich mit den Kurden auf eine Linie stellen? Das sind auch Bundesgenossen der Türken.«

»Sie sind nicht schlimmer als die Baschkiren und –«

Daniel unterbrach sich. Er hatte sagen wollen: die Kosaken.

»Die Mongolen zum Beispiel!« fuhr er dann langsam fort. »Doch brechen wir davon ab. Sie kennen meine Gesinnungen. Ich bin dem Kaiser ergeben, wie es nur einer sein kann, und wenn er mich ruft, stehe ich ihm zu Diensten. Aber drängen werde ich mich zu diesem Kriege nicht.«

Man sah es den Augen und den Zügen Sophias an, dass sie verwundert überlegte. Woher plötzlich diese Missstimmung bei einem Manne, der bisher seine Milizuniform mit demselben Stolze und mit mehr Eitelkeit vielleicht getragen hatte, wie jeder russische Offizier? Erriet ihr kluges Köpfchen, dass Daniel Garika sich nur interessant machen, dass er andeuten wolle, die Umstände könnten ihn zu etwas anderem erheben, als er jetzt war, ja dass er sich vielleicht zu dem gefährlichen Wagestück, entschlossen habe, der russischen Regierung gegenüber den Missvergnügten zu spielen, um dadurch einige Konzessionen zu erlangen, Konzessionen, die sich möglicher weise selbst auf Sophia Brazow erstrecken konnten?

Denn Zar Nikolaus zog auch die Heirat liebenswürdiger Frauen in den Bereich seiner Politik, und wenn es rätlich erschien, Daniel Garika durch eine Heirat mit der Comtesse fester an das russische Interesse zu binden, so ließ sich voraussehen, dass der entsprechende Wink von Petersburg nicht ausbleiben würde.

»Machen wir einen kleinen Spaziergang! Die Luft ist kühl«, sagte sie mit einiger Ungeduld.

Sie erhob sich, und die beiden Herren gingen neben ihr dem Walde zu. Das Gespräch wandte sich auf andere Dinge. Man sprach von Tiflis, wohin sich die Gräfin während der nächsten Monate begeben wollte, und beide Herren gaben ziemlich deutlich ihre Absicht zu erkennen, ihr dorthin zu folgen.

So gelangte man in den Wald, der von dem Park nur durch ein sehr einfaches Gitter getrennt war. Hier, an einem reizenden Platze, gebot Sophia Halt und setzte sich auf einen breiten Stein, der eigens zu diesem Zwecke hierher gerollt zu sein schien. Die beiden Herren blieben stehend neben ihr. Es war eine natürliche Rotunde, wie sie die Natur kaum schöner hervorbringen konnte. Sechs Säulen von den verschiedenartigsten Schlingpflanzen, unter sich durch schwankende Blättergewebe verbunden, bildeten fast einen Kreis und schlossen sich oben in einer Höhe von mehr als fünfzig Fuß zu einer farbenglühenden Kuppel zusammen, durch welche das Blau des Himmels nur wie Teile einer großartigen Mosaik hindurchschimmerte. Die fortwährende leichte Bewegung dieser Blätter, welche bei jedem Windhauch erzitterten, erhöhte den Farbenschimmer dieser aus Gold, Purpur und Smaragd geflochtenen Säulen und Wölbungen. Nur wenn das Auge scharf die Überfülle der Schlingpflanzen durchdrang, oder auch die suchende Hand das Auge unterstützte, entdeckte man, dass die sechs Säulen von alten, längst vermoderten Stämmen gebildet waren, die durch die tausendfachen Verschlingungen der Efeu-, Winden-, Brombeer-, Hopfen- und Rebenranken gestützt und zugleich mit einem glänzenden, aber trügerischen Schimmer jugendlichen Lebens geschmückt waren. Die Vegetation ist in diesem feuchten Erdreich so gewaltig, dass viele Stämme absterben, ehe sie die ganze Fülle und Kraft ihres Daseins erreicht haben, weil die Schmarotzergewächse ihnen Licht und Luft entziehen; dennoch bleiben sie oft noch jahrelang aufrecht, gestützt durch die Ranken der Schlingpflanzen, bis ein Sturm sie niederstürzt und sie dann den Boden zu noch größerer Fruchtbarkeit düngen. Diese Wälder sind oft selbst in der Nähe bewohnter Orte noch wirkliche Urwälder. Nur ihre Ränder sind gelichtet; in das Innere dringt selten der Fuß und noch seltener die Axt des Menschen.

Was den Reiz dieses natürlichen Kuppelbaus erhöhte, war die Öffnung nach der einen Seite hin, die durch eine natürliche Lichtung einen Blick in die weite, weite Ferne, bis zu den bläulichen Bergen des südlichen Kaukasus, bot – eine dufterfüllte Landschaft, eingefasst in den Barockrahmen der goldenen Blätter. Sophia liebte diesen Ort, und wahrlich nicht mit Unrecht; er war die Perle dieses Paradieses.

Die Unterhaltung drehte sich noch um Tiflis, diese schnell emporblühende Hauptstadt der südlich vom Kaukasus gelegenen Provinzen, um einige Maßregeln des Generalgouverneurs und um einige Familien, die von Petersburg aus nach Tiflis übergesiedelt, weil ihre Häupter zur kaukasischen Armee beordert worden.

Ombrazowitsch, unruhig und beweglich, wie er war, und vielleicht auch gelangweilt durch die Gegenwart Daniel Garikas, haschte hier und dort nach einem Käfer, besah ihn, warf ihn wieder fort, ging auch zuweilen einige Schritte in das Dickicht hinein, um einen seltenen Käfer zu fangen, nahm aber stets an der Unterhaltung teil.

Plötzlich stieß Sophia einen leichten Schrei aus und sprang auf.

»Eine Schlange!« rief sie. »Jagen Sie das Tier fort, meine Herren!«

In der Tat schlängelte sich·eine Natter langsam und in zierlichen Windungen über den mit gelben Blättern bedeckten Rasen. Sie kam furchtlos fast bis in die Mitte des freien Platzes, in die Gegend, in welcher der Major stand, der sie ruhig beobachtend erwartete.

Daniel hatte sich schnell nach einem Gegenstande umgesehen, mit dem er die Schlange verjagen könne, da er aber keinen fand, schien er im Begriff, den Degen ziehen zu wollen.

»Es hat gar keine Gefahr, Comtesse!« rief Ombrazowitsch. »Dies ist eine ganz unschädliche Natter!« er nannte den lateinischen Namen – »und wäre es selbst eine giftige, ich weiß mit diesen Tieren umzugehen!«

»Nehmen Sie sich in Acht, Major!« rief die Gräfin die sich nach dem Eingange der natürlichen Laube zurückgezogen hatte, dort aber, von Natur mutig, stillstand, um die geschickten, selbst graziösen Bewegungen der Schlange zu beobachten.

»Erlauben Sie, ich will sehen, ob ich meine alten Künste noch kann!« rief Ombrazowitsch lächelnd und trat auf die Natter zu, die sich zusammengeringelt hatte und ihn mit einer gewissen Scheu zu erwarten schien. Darauf schlug er den Ärmel seiner Uniform ein wenig zurück, sodass die rechte Hand freier wurde, und ließ ein leises, eigentümliches, fast singendes Zischen hören, während er die Hand starr nach der Schlange ausstreckte. Diese schien aufzuhorchen richtete dann schnell den Kopf empor, sah sich um und wiegte sich einige Sekunden lang auf ihrem schlanken Oberleibe. Dann schnellte sie auf Ombrazowitsch zu.

Sophia stieß einen Ruf des Schreckens aus. Der Major blieb ruhig stehen und begann nur die Hand zu bewegen, sehr langsam und in bestimmten arabeskenartigen Linien. Die Schlange hielt den Kopf beinahe eine Minute lang unbeweglich in erhobener Stellung, dann begann sie fast widerwillig die Bewegungen nachzuahmen, die allmählich schneller wurden. Ombrazowitsch zog nun mit der Hand verschiedene Linien durch die Luft; die Schlange, wie gebannt und beherrscht durch seinen Blick und seine Hand, folgte allen Bewegungen der letztern, senkte den Kopf, beschrieb Kreise, sich um sich selbst drehend, folgte auch dem Major, der jetzt seinen Standpunkt veränderte, aber unablässig dasselbe singende Zischen hören ließ. Es war ein eigentümliches Schauspiel, dessen Reiz durch die anmutigen Bewegungen des schlanken Tieres erhöht wurde. Die Gräfin trat unwillkürlich einige Schritte näher. Der Major aber sah sie nicht an; er hielt seine Blicke unverwandt auf die Natter gerichtet, die zuletzt jede Bewegung der Hand des Majors mit derselben Schnelligkeit nachahmte, mit der er sie tat. Endlich führte er sie an den Rand des Dickichts, ließ seine Bewegungen langsamer werden und streckte zuletzt lange die Hand unbeweglich über sie aus, bis die Schlange sich niederlegte und in Ruhe oder Ermattung zu versinken schien.

»Köstlich, Herr Major!« rief Sophia ganz entzückt und klatschte in die Hände. »Wo haben Sie das gelernt?«

»O, das ist nichts Besonderes«, erwiderte Ombrazowitsch, leicht Atem schöpfend. »Ich habe es einigen so genannten Schlangenbändigern abgelauscht und glaubte es wagen zu können, da diese Natter jedenfalls eine unschädliche ist. Man sagt, dass diese Tiere, wenigstens eine Zeit lang, ihrem Bändiger überall folgen. Wir wollen nachher sehen, ob das wahr ist!«

»O wie interessant!« rief Sophia. und es lag etwas so Bewunderndes in dem Blick, den die Comtesse dabei auf den Major warf, dass Daniel Garika vor Eifersucht erbleichte. Er fühlte, dass er bei diesem Intermezzo nicht nur eine sehr unbedeutende, sondern selbst klägliche Rolle gespielt hatte. Denn er hatte lange Zeit mit der Hand am Griff seines Degens gestanden, während der furchtlose Major die Schlange tanzen ließ.

Sophia wollte Näheres über die Kunst wissen, die man anwende, um diese Tiere zu bändigen. Ombrazowitsch erzählte, was er wusste, und erzählte, wie immer, leicht und interessant. Er kam dabei auf Algier zu sprechen, wo er eine Zeit lang mit den Spahis als Freiwilliger gegen die Beduinen gekämpft und zugleich den französischen Krieg gegen die Bergvölker des Atlas gründlich kennengelernt hatte. Daniel Garika sank nicht nur, wie es so oft der Fall war, zu der Rolle eines bloßen Zuhörers herab, sondern musste auch sehen, mit welchem Interesse Sophia der Erzählung des Majors lauschte.

Er war zehnmal im Begriff, sich zu entfernen, aber seine Eifersucht hielt ihn zurück.

Dabei verließen sie die Laube, ohne dass Ombrazowitsch und Sophia im Eifer des Erzählens und Hörens sich der Schlange erinnert hätten. Die Gesellschaft war schon an das Gitter gelangt, das den Park begrenzte, als der Major sich plötzlich umwandte.

»Ach«, rief er, »nun haben wir doch vergessen, darauf zu achten, ob die Schlange mir folgen würde!«

Sie standen still. Man hörte ein leises Rauschen in, den Blättern und sah dann die Natter in einer Entfernung von nur wenigen Schritten den Kopf erheben, fast als wollte sie andeuten, dass sie da sei.

»Nun, wahrlich, das ist erstaunlich!« rief Sophia überrascht. »Das ist seltsam, ich hätte es nimmer geglaubt, wenn ich es nicht gesehen. Diese Schlange wäre imstande, uns bis in das Schloss zu folgen!«

»Das wäre doch nicht angenehm«, sagte der Major lächelnd. »Ich werde sie verscheuchen!«

»O nein, nein!« rief Sophia bittend. »Wir wollen sehen, bis wie weit sie uns folgt. Es ist immer noch Zeit, sie zu vertreiben. Sie ist ja nicht giftig, wie Sie sagen!«

»Man könnte so ein Tier fast liebgewinnen!« sagte der Major gleichmütig. »Ich will später sehen, ob sie sich greifen lässt. Sie sehen wohl, es ist viel leichter, Schlangen zu bändigen als Herzen, und doch haben beide so viel Ähnliches!«

»Pfui, Major!« rief Sophia. »Wie wollen Sie das beweisen?«

»O, ich könnte hundert Ähnlichkeiten finden!« antwortete Ombrazowitsch. »Aber ich will mich mit der einen begnügen: beide sind aalglatt und entschlüpfen in dem Moment, in dem man sie gefangen glaubt.«

»Und doch sehen Sie, wie die Schlange demjenigen gehorcht und folgt, der sie zu bändigen weiß!« sagte Sophia mit einem Tone, der abermals das Blut aus den Wangen Daniels trieb.

»Es kommt nur darauf an, wie lange es währt«, sagte der Major lachend, und die Gesellschaft setzte ihren Weg fort.

Man achtete anscheinend nicht mehr auf die Schlange. Plötzlich aber trat Daniel zurück, und in dem Moment, in welchem der Major und Sophia sich umwandten, sahen sie bereits Daniel den Kopf der Schlange zertreten, die vergebens zu fliehen versucht hatte. Das Tier rollte sich wild im Laube, versuchte noch einmal den Kopf zu erheben, dann schleuderte es Daniel mit dem Fuß weit in den Park hinein.

Ombrazowitsch und Sophia standen fast erstarrt. Ein entsetzlicher Jähzorn blitzte in den Augen des Majors und ließ die Adern auf seiner markierten Stirn anschwellen. Sophia war bleich vor Entrüstung.

»Aber Prinz – Prinz, weshalb taten Sie das?« rief die Gräfin endlich mit zitternder Stimme.

»Comtesse«, antwortete Daniel ruhig, bleich und düster; »die Schlange war dicht an Ihren Fersen und erhob den Kopf. Ihr Leben, Ihre Gesundheit galt mir mehr als ein Scherz, eine Gaukelei. Die Versicherung des Majors, dass das Tier unschädlich sei, konnte mich nicht abhalten, es zu zertreten. Es war die Möglichkeit vorhanden, dass er sich täusche, und diese Möglichkeit genügte mir, zu tun, wie ich tun musste.«

»Ich danke Ihnen, Prinz!« sagte Sophia so kalt, dass es fast wie Hohn klang. Und dann; mit einer Stimme, deren Bewegung sich fast dem Weinen näherte, fügte sie hinzu: »Ein so schönes, so anmutiges Tier! Vor wenigen Minuten noch entzückte es mich, und nun –«

Sie brach kurz ab und wandte sich zum Gehen.

Ombrazowitsch hatte seinen Jähzorn niedergekämpft, aber in seinen hellgrauen Augen blitzte es noch drohend und unheimlich.

»Schade!« sagte er. »Sie waren zu vorsichtig, Fürst! Ich kann Ihnen die Versicherung geben, dass es eine ganz unschädliche Natter war. Sonst würde ich selbst an die Gefahr, die möglicherweise der Comtesse drohen konnte, gedacht haben. Nun, im Grunde ist nichts daran gelegen. Sie haben geglaubt, der Comtesse einen Dienst zu erweisen.«

»Ja, das glaubte ich«, antwortete Daniel kurz. »Und in ähnlichen Fällen würde ich ähnlich handeln.«

Die Gesellschaft ging dem Schlosse zu. Es wollte sich kein fließendes Gespräch wiederanknüpfen lassen.

Sophia war sichtlich verstimmt; Daniel erhielt auch nicht einen einzigen Blick. Der Major war fast der einzige, der sprach, meist über sehr gleichgültige Dinge.

Es war spät am Nachmittage, als man das Schloss betrat. Sophia hatte gewünscht, dass die Herren irgendeine Erfrischung nehmen möchten, ehe sie das Schloss verließen. Die Herren begaben sich in das Speisezimmer, in welchem ihnen ein leichtes Mahl aufgetragen wurde. Sophia erschien bald wieder bei ihnen. Sie war heiterer geworden, doch sprach sie fast nur mit dem Major.

Plötzlich lachte Daniel laut auf. Der Major, der sich soeben ein wenig erhoben hatte, um ein Glas zu nehmen, das Sophia ihm reichte, und auch die Gräfin sahen ihn verwundert an.

»Verzeihen Sie!« sagte Daniel, sein Lachen, das eigentümlich spöttisch klang, auch jetzt kaum unterdrückend. »Mir kam eben eine sehr lächerliche Idee! Ich bitte nochmals um Verzeihung.«

Sophia und der Major sahen sich an, als wollten sie sich fragen:

»Ist dieser Mann toll geworden?«

Eine Uhr, welche die fünfte Stunde schlug, erinnerte den Major daran, dass er schnell aufbrechen müsse.

»Begleiten Sie mich, Fürst?« fragte Ombrazowitsch. »Wir können eine Stunde zusammen reiten!«

»Ich bedaure«, antwortete Daniel. »Ich muss Nina sprechen, mit der ich über einige Sachen von Wichtigkeit zu reden habe.«

»Mir aber werden Sie es verzeihen, wenn ich in zwischen auf mein Zimmer gehe«, sagte Sophia. »Ich habe Kopfweh; ich fürchte, die Luft war mir zu rau.«

»Gewiss, Comtesse«, sagte Daniel. »Ich werde Sie doch nicht zwingen, sich mit mir zu langweilen? Ich werde mir den Inspektor rufen lassen und mit ihm Billard spielen!«

»Vortrefflich!« sagte Sophia heiter. »Die Männer sind nie verlegen, wie sie sich amüsieren sollen!«

Der Abschied Sophias von dem Major war ein sehr vertraulicher, fast herzlicher. Es schien, als habe dieser Tag die beiden einander sehr genähert. Daniel bemerkte es, aber es blieb trotzdem ein Lächeln auf seinen Zügen, gleichsam eine Erinnerung jenes Lachens, das er so plötzlich aufgeschlagen. Sophia schien befremdet darüber. Bisher hatte sie den Fürsten nur düster und mürrisch gesehen, sobald sie gegen den Major freundlich war. Sie verdoppelte also dem letztern gegenüber ihre Freundlichkeit. Aber auch das reizte den Fürsten nicht. Er schien wie umgewandelt, heiter, wie sie ihn selten gesehen. Sie würde diese Änderung verstanden haben, wenn Daniel die Hoffnung hätte hegen dürfen, mit Sophia allein zu bleiben, aber nach den Worten, die darüber gewechselt worden, war es unmöglich, dass er hoffen konnte, die Gräfin werde ihm Gesellschaft leisten.

Der Major hielt schon den Türgriff in der Hand, als sich Daniel Garika ihm noch einmal näherte.

»Also jene Schlange war wirklich ungefährlich?« fragte er.

»Ich glaube es versichern zu können«, antwortete der Major etwas befremdet.

»Und lässt sich vielleicht sogar zähmen, nicht nur bändigen?« fragte Daniel.

»Wohl möglich«, antwortete der Major, die Tür öffnend.

»Wie heißt sie doch gleich?« fragte Daniel scheinbar wissbegierig.

»Ich glaube,– es war Coluber sauromates«, antwortete Paul Ombrazowitsch. »Doch kann ich mich irren!«

»Ich danke verbindlichst!« antwortete Daniel höflich. »Es tut mir wirklich leid, das arme Tier zertreten zu haben!«

Der Major sah ihn seltsam verwundert an und verließ dann das Zimmer. Als er außer Hörweite sein musste, schlug Daniel dasselbe tolle Lachen auf. Sophia, die sich bereits an der entgegengesetzten Tür des Zimmers befand, um es zu verlassen, blickte zornig zurück.

»Fürst, Ihr Betragen ist heute fast beleidigend!« rief sie zu ihm herüber.

»Comtesse«, rief Daniel, sich zum Ernst zwingend. »Comtesse, ein einziges Wort. Ich will Sie nicht aufhalten. Ich will Ihnen nur sagen, dass es mir leidtut, die Natter getötet zu haben. Ich werde es in einem ähnlichen Fall nicht wieder tun; ich weiß nun, dass diese Art unschädlich ist.«

»Nun gut, Sie konnten das auch vorher glauben; der Major versteht sich auf solche Dinge!« antwortete die Gräfin, und sie zögerte ein wenig, als sei sie doch neugierig, den Grund von dem Lachen Daniels zu er fahren.

»Ja, aber ich wusste nicht, dass er sich so gut darauf verstände!« sagte dieser. »War es nicht wunderbar, wie die Schlange seinem Willen folgte? Ich fürchte, er versteht Herzen so gut abzurichten wie Schlangen!«

»Abzurichten? Wie soll ich das verstehen?« fragte Sophia.

»Mein Gott, ganz einfach!« antwortete Daniel. »Der Herr Major, der mit allerlei Leuten – weiß der Himmel, beinahe hätte ich gesagt, Gesindel – verkehrt zu haben scheint, hatte die Schlange gezähmt. Er trug sie in einer Blechbüchse bei sich. Ich sah die Büchse in seiner Tasche, als er sich erhob, um das Glas zu nehmen, das Sie ihm reichten. Auf mein Wort – es tut mir jetzt unendlich leid um das gelehrige und schöne Tier. Es ist ein Verlust für ihn! Zu wie schönen Belustigungen hätte ihm sein Zögling noch dienen können! Dass ich auch nicht früher auf die Idee kam! Ich sah in seiner Wohnung einige solcher Büchsen, und er selbst sagte mir, sie dienten zur Aufbewahrung lebendiger Schlangen. Deshalb machte er sich auch im Dickicht zu schaffen.«

Und wieder brach er in ein tolles, diesmal auch höhnisches Gelächter aus. Sophia stand erblasst an der Tür. Die Wahrscheinlichkeit der Behauptung Daniels lag auf der Hand.

Das gerade erbitterte sie. Getäuscht worden zu sein und Daniel Zeuge einer solchen Täuschung – das schmerzte!

»Fürst!« rief sie kalt und verächtlich. »Sie nehmen zu Kunstgriffen Ihre Zuflucht, die fast ebenso niedrig sind, als diejenigen des Majors wären, wenn er sie gebraucht hätte! Warum haben Sie davon nicht gesprochen, als der Major zugegen war? Es ist wahrlich leicht, einen Abwesenden zu verleumden!«

»Comtesse!« rief Daniel ernster, »ich schwöre Ihnen, er trug eine solche Kapsel in seiner Tasche. Hätte ich vorher eine Ahnung von diesem Betrage gehabt, ja, von diesem Betruge, ein solcher ist es! – so hätte ich das Tier nicht getötet, das dicht an Ihrer Ferse war, sondern den Moment abgewartet, in dem er es wieder einfing, und dann hätte ich ihn erbarmungslos bloßgestellt. Aber mit der leeren Kapsel konnte er leugnen – er ist nie verlegen um Ausreden! Und wozu soll ich ihn reizen? Es ist genug, wenn Sie es wissen und ihm künftig schärfer auf die Finger sehen können!«

»Fürst, ich danke Ihnen für diese artige Erklärung!« antwortete Sophia spöttisch. »Sie beweist, dass Sie mehr Phantasie besitzen, als Sie mir bisher gezeigt haben. Adieu, Fürst!«

»Comtesse!« rief Daniel, und mit einem einzigen tigerhaften Sprunge war er an ihrer Seite und ergriff ihre Hand – sein dunkles Auge funkelte und seine Lippen bebten –»Comtesse, Sie müssen mir Rechenschaft geben, Sie müssen! Weshalb glauben Sie diesem Abenteurer, diesem Betrüger mehr als mir? Weshalb beleidigen Sie mich, indem Sie ihm vertrauen? Heute will ich Ihre Antwort, jetzt, in dieser Minute! Ist eine wahnsinnige Liebe, ist eine hingebende Aufopferung, ein alter und berühmter Name, ein Leben ohne Makel nicht imstande, es mit den Künsten eines Gauklers aufzunehmen? Ich bin dieses Spiels müde, Comtesse! Er oder ich! Es wird mir schwer, diese Worte auszusprechen. Ich verachte diesen Menschen; ich sollte auch Sie hassen, weil Sie mich in die Lage versetzen, sein Rivale zu sein. Doch ich habe alles bisher für ein Spiel Ihrer Koketterie gehalten, ich glaubte an Ihr Herz, wenn es auch mit mir spielte. Aber ich bin es müde, in Gegenwart dieses Menschen gedemütigt zu werden. Wenn Sie mich nicht lieben, so sagen Sie es und ich weiß, wo ich Ersatz zu suchen habe. Aber wenn Sie mich lieben, so will ich diesen Mann, gerade ihn, aus Ihrer Nähe entfernt wissen, denn er handelt nicht ehrlich. Er gebraucht Mittel, mit denen kein Mann gleichen Schritt halten kann, dem die Liebe, das Herz und den Kopf durchglüht. Ich verstehe es nicht, mit kalter Berechnung eine Kokette zu erobern!«

Die Gräfin war anfangs erbleicht; dann hatte sie ihn starr angeblickt; der Schrecken verlor sich aus ihren Zügen, es zeigte sich etwas wie Teilnahme in ihnen.

So hatte Daniel nie zu ihr gesprochen; so – um einen Lieblingsausdruck der Frauen zu gebrauchen – interessant war er ihr nie erschienen. Es blitzte Feuer und Kraft in ihm auf. Der träge Enkel eines Königsgeschlechts schien sich noch einige Tropfen Heldenblut bewahrt zu haben,

»Fürst«, sagte sie ruhig, »lassen Sie vor allem meine Hand frei, Sie zerbrechen sie!«

»Gut!« sagte Daniel. »Aber ich muss um jeden Preis eine Antwort haben!«

»Ich verzeihe Ihnen Ihre maßlose Kühnheit nicht«, fuhr Sophia fort, »aber ich werde sie verschweigen. Wir sind Verwandte und ich möchte nicht, dass Michael sich mit Ihnen entzweite. Sie verlangen eine Antwort. Welche? Ob ich Sie liebe? Ich weiß es nicht. Ob ich den Major liebe? Ich glaube es nicht. Sie haben kein Recht, mich mehr zu fragen. Ich habe nie ein Wort zu Ihnen gesprochen, das Sie berechtigen könnte, mir die Freiheit meines Willens zu rauben. Ich werde den Major sehen, so oft es mir gut dünkt. Ich bin ein Gast in diesem Hause und würde es verlassen, wenn man meinen Willen einengen wollte; aber das wird man nicht tun. Ich habe keine andere Antwort für Sie, Prinz! Sie müssen sich damit begnügen und mögen tun und lassen, was Sie wollen.«

»So lieben Sie mich nicht, Sophia?« fragte Daniel, der sie bei jedem Satze hatte unterbrechen wollen und dessen Lippen vor Bewegung bebten.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Sophia.

»So werden Sie auch nicht meine Gattin werden?« fragte der Fürst.

»Ich werde Ihre Hand annehmen, sobald ich weiß, dass ich Sie liebe!« antwortete Sophia.

Daniel stand eine Minute stumm und bleich; die Gräfin erwiderte kühn seinen fast drohenden Blick.

»Das ist eine ausweichende, also verneinende Antwort!« sagte er dann mit schwerer Stimme.

»Ausweichend und verneinend, wie Sie wollen!« antwortete Sophia. »Ich kann sie nicht anders geben. Ich werde mich nicht binden, bevor ich nicht meines eigenen Gefühls sicher bin. Im Übrigen verlange ich, dass Sie in meiner Gegenwart achtungsvoll von dem Major sprechen. Er hat sich mir stets als ein Mann von Ehre gezeigt, und ehe Sie Beschuldigungen gegen ihn aussprechen, müssen Sie die Beweise dafür besitzen. Adieu Fürst! Wenn diese Szene nicht die letzte derartige gewesen ist, so verlasse ich Dari und verbiete Ihnen überall, wo es auch sei, den Zutritt zu mir!«

»Comtesse!« rief Daniel fast schmerzlich, »Sie treiben mich zum Äußersten!«

»Ich folge nur Ihrem Beispiel!« antwortete Sophia. »Ein Mann sollte so viel Achtung vor einer Frau haben, dass er eine Erklärung erst dann verlangt, wenn er der Gegenliebe sicher ist oder dass er sich wenigstens in ehrerbietigen Ausdrücken erklärt. Sie tun beides nicht. Deshalb, Fürst, werden Sie es verzeihlich finden, wenn ich von jetzt an eine vorsichtigere Haltung Ihnen gegenüber annehme. Es gibt, wie es scheint, Männer, denen man kein Vertrauen beweisen darf, ohne dass sie nicht anmaßend würden!«

»Sophia!« rief Daniel. »Sie entstellen, Sie übertreiben! Wie oft haben Sie mich glauben lassen, dass Sie mich lieben! Wie oft haben Sie meine Erklärung; herausgefordert! Sie wissen, alle, die uns kennen, betrachten uns bereits als Verlobte –«

»Das ist nur ein Zeichen, wie oft die Welt sich täuscht, und wie oft Männer sich durch ihre Eitelkeit verblenden lassen, mehr zu sehen, als sie sehen sollten!« unterbrach ihn Sophia kurz. »Noch einmal, Fürst, jede ähnliche Szene muss zu einem vollständigen Bruch zwischen uns führen. Seien sie vernünftig, seien Sie besonnen; daraus werde ich ersehen, dass Sie mich wirklich achten, und dann wird die Zeit vielleicht auch nicht fern sein, in der ich wirklich weiß, ob ich Sie liebe!«

Sie sagte das Letztere mit einem so plötzlichen Übergang vom kalten Ernst zur scherzenden Koketterie, ihre Augen warfen plötzlich einen so glänzenden aufmunternden und zugleich zärtlichen Blick auf Daniel, dass dieser abermals ihre Hand ergreifen wollte. Aber bereits hatte sie die Tür geöffnet und verschwand in derselben.

Noch lange stand Daniel auf derselben Stelle. Das also war der Erfolg dieses Tages gewesen! Endlich raffte er sich auf, verlangte sogleich nach seinem Pferde und ritt zurück nach Garika, langsam, denn die Dunkelheit gebot Vorsicht. Oft knirschte er mit den Zähnen vor Zorn und nannte sich einen Schwächling; dann wieder lächelte er und das Herz klopfte ihm stärker, denn er sah ihren verheißenden, glühenden Blick.

Spät langte er in Garika an, so klug, so entschlossen, so einig mit sich selbst wie immer!

1

Unserer Erzählung liegen außer den allgemeinen historischen noch einige andere wirkliche Ereignisse zugrunde. Wir erwähnen dies mit dem Bemerken, dass nicht nur die Namen der betreffenden Personen, sondern auch die Ereignisse selbst nach eigener und freier Erfindung geändert und dem Plane zu dieser Erzählung angepasst worden sind. D. V.

2

Wir verstehen hier unter Kolchis nicht nur den schmalen Küstensaum am östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, sondern auch die Gebiete landeinwärts bis nach Georgien hin. D. V.

Der Held von Garika

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