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1. Teil
III. Die Begegnung

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Es war ungefähr eine Woche später, um die Mitte des Dezembermonats, als Master George oder Giorgi, wie man ihn in seiner Heimat Garika genannt haben würde, in das ärmliche Zimmer eines niedrigen Hauses trat, das am Fuße des Forts von Tschefketil oder St. Nikolai lag. Es war bereits Dämmerung, und Johnny, der in einer Ecke auf einer Kiste saß und seine Pfeife mit echt türkischem Tobak tauchte, der ihm aber kaum so gut mundete, wie sein altenglischer Shag, stand auf und ließ ein mächtiges Wer da? Vernehmen. Im nächsten Augenblick aber erkannte er seinen jungen Herrn und hieß ihn freudig willkommen. George reichte ihm herzlich die Hand. Johnny zündete eine kleine Lampe an, unsern Küchenlampen ähnlich.

»Nun setzen Sie sich, Master George!« sagte er, auf die Kiste deutend und eine andere für sich selbst aus einem Winkel ziehend. »Freut mich von Herzen, dass Sie wieder da sind! Kann ich mit etwas aufwarten? Rum, Tee, geräuchertes Fleisch, das ist alles, was ich habe! Es gibt hier nicht viel, Master George! Und was es gibt, kann man weder essen noch trinken!«

George hatte sich im Zimmer umgesehen. Der junge Mann trug die Spuren einer längern Reise, aber sein Aussehen war gut. Die Bewegung, die Abwechselung des Lebens schien ihm heilsam gewesen zu sein. Bereits zeigte sich jener bräunliche Anflug auf seinen Wangen, der einem männlichen Gesicht so gut steht. Johnny bemerkte das auch und winkte George freundlich zu.

»Sehen ganz gut aus, Sir!« sagte Johnny. »Bekommen Farbe! Nun, etwas Rum?«

George bat um Tee und Fleisch, da er vom Morgen an nichts gegessen, und Johnny fing an, den Tee auf der Maschine, die man für diesen Zweck mitgenommen, zu bereiten.

»Du hast Dich ja hier ganz traulich eingerichtet!« sagte George. »Vor acht Tagen sah es noch gräulich in dieser Bude aus. Du bist unbezahlbar, Johnny. Überall weißt Du zu helfen!«

»Hab’s von Mr. Hywell gelernt – der versteht’s im Großen!« antwortete Johnny und lachte gutmütig, als er seine Blicke durch das Zimmer schweifen ließ, das trübselig und öde genug aussah, aber vor acht Tagen freilich nichts als die nackten und zerrissenen Wände gezeigt hatte.

»Seht komfortable hier!« fügte er scherzend hinzu. »Ein Salon für Miss Mary.«

»Lieber Johnny. wir wollen Gott danken, wenn Miss Mary ein solches Zimmer hat!« sagte George. »Ich bringe schlechte Nachrichten!«

Johnny hustete und machte sich mit dem Teegeschirr zu schaffen.

»Nur zu, Sir!« sagte er dann. »Wird hoffentlich nicht so schlimm sein!«

George erzählte. Als er nach stürmischer, aber sonst ungefährdeter Fahrt das von den Türken eroberte Tschefketil an der russisch-türkischen Grenze erreicht und dort erfahren, dass für den Augenblick in den Kaukasusländern alles ruhig, auch für die Dauer des Winters keine Bewegung Schamyls zu erwarten sei, hatte er sich schnell entschlossen, vor allen Dingen Nachrichten über Mr. Hywell einzuziehen. Er hatte ein Pferd gekauft, einen Führer genommen und war nach Kars aufgebrochen. Johnny war in Tschefketil zurückgeblieben. Von Kars hatte sich George nach Erzerum gewandt und war von dort nach dem Fort Tschefketil zurückgekehrt. Er hatte die Reise in fast unglaublich kurzer Zeit gemacht und sein Pferd dabei zugrunde gerichtet. Trotzdem hatte er nichts Bestimmtes erfahren. Wohl aber hatte er an beiden Orten vernommen, dass die Kurden an der persischen Grenze sehr unruhig seien und dass mehrere Karawanen von ihnen geplündert worden. Ein Gerücht wollte sogar von vornehmen Engländern wissen, die bei einem solchen Überfall gefangen oder getötet worden, und in Erzerum zeigte man George mehrere Gegenstände, die von Kurden verkauft worden und unzweifelhaft in England gearbeitet waren, auch von längerem Gebrauch zeigten.

Das war aber auch alles. Es blieb also, wie George dem aufmerksamen Johnny auseinandersetzte, nichts übrig, als den Versuch zu machen, den Weg nach Tauris so weit, als dies unter den jetzigen Umständen nur irgend möglich sei, zu verfolgen, womöglich Tauris, die Hauptstadt des nördlichen Persien, in der die Wege nach Russland und der Türkei sich trennen, zu erreichen und bei den dort wohnenden Engländern genauere Erkundigungen einzuziehen. George hatte sich genau davon unterrichtet, wie diese Reise unternommen werden müsse. Man hatte ihm geraten, sehr einfach zu reisen, jeden Prunk zu meiden, um die räuberischen Kurden nicht anzulocken, einen zuverlässigen Führer zu nehmen und sobald als möglich aufzubrechen, da die Gegend während des Winters verhältnismäßig ruhig und sicher sein werde.

»Ich für mein Teil bin entschlossen«, sagte George. »Willst Du mich begleiten, Johnny, oder willst Du mich hier erwarten?«

»Was ist Ihnen lieber, Sir?« fragte der Engländer.

»Natürlich Deine Begleitung!« sagte George.

»Nun, dann gehe ich mit Ihnen!« rief Johnny energisch. »Es ist hier verdammt langweilig. Indessen wenn Sie es verlangten und für besser hielten, so wollte ich hier schon noch ein Jahr lang sitzen und mir die phlegmatischen türkischen Schildwachen oben auf dem Fort und das unruhige Meer ansehen, aber lieber ist es mir, mit Ihnen Mr. Hywell aufzusuchen. Haben wir denn keinen Konsul bei den Kurden?«

George schüttelte lächelnd den Kopf und setzte ihm auseinander, dass die Kurden ein unzivilisiertes Volk an der türkisch-persischen Grenze seien, das fast unabhängig auf seinen Bergen lebe und neben etwas Viehzucht viel Räuberei treibe. Wenn Mr. Hywell wirklich von ihnen gefangen, und nicht – was freilich nicht unmöglich, aber doch immer nicht wahrscheinlich sei – bei der Verteidigung getötet wäre, so werde man ihn, wie schon Mr. Wiedenburg in Sinope angedeutet habe, in einem kurdischen Dorfe festhalten und Boten aussenden, um womöglich ein Lösegeld für seine Freilassung zu erhalten. Die türkischen Behörden um Schutz anzurufen sei schon im Frieden eine schwierige Sache; jetzt, wo die Türken der kurdischen Reiterei gegen die Russen bedürften, verspreche eine solche Einmischung gar keinen Erfolg. Auch sei es möglich, dass der Überfall von persischen oder ganz unabhängigen Kurden verübt worden; denn von vielen Stämmen dieser nomadisierenden Völkerschaft wisse man kaum, unter welche Oberhoheit man sie rechnen solle.

Trotz seiner Ermüdung traf George noch an demselben Abend die nötigen Maßregeln, um im Laufe des nächsten Tages aufbrechen zu können. Ein gutes Pferd für George, ein frommes Tier für Johnny, der noch sehr selten auf dem Rücken eines Pferdes gesessen, wurden gekauft. An Decken, Waffen und was sonst zur Reise nötig, war kein Mangel. Ein Führer sollte erst von Erzerum aus genommen werden, da George jetzt den Weg bis dorthin kannte. Das zurückbleibende Gepäck wurde der Obhut eines Armeniers anvertraut, auf dessen Zuverlässigkeit George bauen zu können schien. Dann legte sich George auf das Lager, das ihm Johnny mit väterlicher Sorgfalt bereitet hatte.

Johnny weckte den todmüden jungen Mann nicht.

Es war fast Mittag am andern Tage, als George erwachte. Eine Stunde darauf saßen die beiden Männer im Sattel, und ritten die Straße nach Erzerum. George wählte diese, obgleich sie von Tschefketil aus die längere war, weil er immer noch hoffte, er werde in Erzerum etwas über Mr. Hywell hören oder ihm selbst begegnen.

Wieder war fast eine Woche vergangen, Weihnachten war nahe, der Winter hatte sich empfindlich fühlbar gemacht, und Johnny saß bereits ganz stattlich auf seinem überaus gutmütigen Pferde, als George und sein Gefährte, begleitet von einem armenischen Führer, die Karawanenstraße verfolgend, die über Bajazid nach Tauris führt, an einem kalten. trüben Morgen langsam den Abgang eines Berges hinaufritten. Auf der Spitze desselben zeigte ihnen der Führer die Richtung, in welcher der heilige Berg Ararat mit seinen beiden Spitzen liege, den man bei gutem Wetter vollkommen klar sehen könne. Heute aber lag in jener nordöstlichen Richtung nur eine graue Schneewolke.

»Trübe Aussicht!« sagte George zu Johnny und dachte mehr an Mr. Hywell und Mary als an den Ararat.

»Segel in Sicht!« rief Johnny, der diesen Ausdruck auch zu Lande liebte, und deutete die Straße entlang. Ein Reiter war auf dieser Straße ein Ereignis.

Denn obwohl in der Nähe die Türken mit den Russen kämpften, so war die Straße doch einsam. Es zogen wenig Truppen nach Bajazid, wo die türkische Armee meist aus Kurden bestand; der Karawanenverkehr war so gut wie vernichtet. So vergingen oft Stunden und halbe Tage, ehe man eines Reisenden ansichtig wurde.

Es war ein ermüdender Weg, durch öde Gebirge, in denen selten ein freundliches Tal das Auge erquickte, über kalte, einförmige Hochebenen. Jetzt verlieh der Winter der ganzen Landschaft einen noch trübern Charakter. Kein Wunder also, wenn George und Johnny und selbst der Armenier etwas schneller ritten, um die Reisenden in Augenschein zu nehmen, vielleicht einige Worte mit ihnen zu wechseln.

Es waren zwei Reiter, ein Reisender und ein Führer, und George glaubte schon von fern in dem einen von ihnen einen Europäer zu erkennen. Seine Tracht war freilich seltsam genug, aber an eigentümliche Zusammenstellungen der Anzüge wird man im Orient leicht gewöhnt. Saß doch auch George, in eine große Decke gehüllt, auf seinem Pferde, und Johnny trug eine Art Pelzrock zu seinem Seemannshut. Der Anzug jenes Reiters war aber nicht nur abenteuerlich, sondern auch zerrissen und beschmutzt; er schien aus einer Menge der verschiedensten Kleidungsstücke zusammengewürfelt zu sein.

Als George näherkam, sah er, dass der Reiter die Füße mit Tüchern umwickelt hatte, um die zerrissenen Beinkleider zu verbergen und sich gegen die Kälte zu schützen.

Trotzdem saß er stolz und zuversichtlich im Sattel und schien seinerseits George und Johnny aufmerksam zu mustern. Er trug einen dunklen Vollbart, doch schienen Backen- und Kinnbart von jüngerem Ursprunge zu sein als der starke Schnurrbart.

Als die Reiter dicht beieinander waren, wechselten die Führer einige Worte, und der Armenier sagte zu George, der Reisende sei ein Franke. Das ist im Orient die allgemeine Benennung für die Fremden. Darauf grüßte George in europäischer Manier und sprach den Fremden in französischer Sprache an; er fragte ihn, woher er komme, wie weit es bis zum nächsten größern Orte sei. Der Fremde, dessen braunes Auge fortwährend aufmerksam auf George und Johnny ruhte, antwortete in geläufigem Französisch, das jedoch nicht seine Muttersprache zu sein schien; dann fragte er, welche Befehlshaber in Erzerum kommandierten. George nannte dieselben; die Hauptführer der türkischen Truppen befänden sich jedoch nicht in der Stadt, sondern an der russisch-türkischen Grenze. Darauf fragte der Fremde, wie es mit Sinope stehe, ob es durch das Bombardement viel Schaden gelitten. George berichtete, was er damals gesehen. Er erwähnte dabei, dass er in dem Hause eines deutschen Herrn Zuflucht gefunden.

»Eines deutschen Herrn!« rief der Fremde lebhaft. »Sollte es der Zufall gewollt haben – Sinope ist ja eine kleine Stadt – dass Sie einen Herrn Wiedenburg gesehen oder gesprochen?«

»Wiedenburg!« rief jetzt George seinerseits mit stürmischer Lebendigkeit. »Um des Himmels willen, Sie sind doch nicht der Verwandte, den er erwartete mit Mr. Hywell und Mary?«

»Der bin ich! Und er lebt?«

»Er lebt! Aber Mr. Hywell und seine Tochter« wo sind sie? Ich bin sein Pflegesohn!«

»Ja – Mr. Hywell – das ist eine traurige Geschichte! Der alte Eisenkopf wollte nicht hören, und wählte den Weg nach Bajazid, statt nach Eriwan!«

»Und nun?« rief George bleich vor Erwartung.

»Nun ist er mit seiner Tochter gefangen bei den Kurden, und ich selbst habe mich aufgemacht, um zu sehen, ob Hilfe für beide zu finden ist«, antwortete Wiedenburg. »So sind Sie also Mr. George, den Mr. Hywell in Konstantinopel oder Sinope zu finden hoffte. Nun, Sir«, fügte er hinzu, in die englische Sprache übergehend, »es freut mich von Herzen, Sie zu finden! Sie glauben nicht, wie wohl es mir tut, zu wissen, dass Mr. Hywells Schicksal nun nicht mehr allein auf meinem Beistand beruht. Denn wie leicht kann so ein Kurde –«

»Gott verdamme das Volk!« rief Johnny, der mit weitgeöffneten Augen gespannt lauschte.

»Ja, das mag er!« sagte Wiedenburg beifällig nickend. »Wie leicht kann so ein Schurke einem aus seinem feigen Hinterhalt hervor das Lebenslicht ausblasen! Willkommen denn!«

Und er reichte George, dessen Wangen vor Aufregung glühten, die Hand, die dieser freudig ergriff. Er reichte sie auch Johnny, der sie vertraulich derb schüttelte und für den Augenblick nichts zu sagen wusste als:

»Doch wohl, Mr. Hywell! Ich hoffe es! Und Miss Mary doch auch gesund?«

»Wollen’s hoffen!« sagte Wiedenburg. »Und nun, Mr. George, zurück ins nächste Dorf, das kaum drei tausend Schritte hinter mir liegt! Wir müssen einen Kriegsrat halten. Gott sei Dank, dass ich endlich mit einem Menschen und nun gar mit einem Freunde über dieses Unglück sprechen kann!«

Er rief dem Führer einige Worte zu und ritt dann neben George die Straße zurück. Aber so groß war die Erregung der beiden, dass sie auch nicht ein einziges Wort mit einander sprachen, bis sie das Dorf und in diesem das Haus erreicht hatten, das für den Aufenthalt von Reisenden und Karawanen eingerichtet war.

Karawanserai ist der Name für die Räumlichkeiten, die der Reisende fast in allen orientalischen Städten und namentlich in den Orten, die an einer besuchten Straße liegen, antrifft und die ihm meist zur freien Benutzung geöffnet sind. In den größern Städten bestehen sie oft aus prächtigen Gebäuden, mit einer Menge von Räumlichkeiten für die Reisenden, ihre Diener und Pferde; an kleinern Orten sind sie natürlich einfacher. Immer jedoch enthalten sie verschiedene Räume, in denen die Reisenden und ihre Tiere ein bequemes Unterkommen finden und oft auch einen kleinen Bazar, in welchem man die notwendigsten Lebensbedürfnisse kaufen kann. Mit den Wirtshäusern Europas lassen sie sich freilich nicht vergleichen; sie bieten eben nur ein Obdach. Aber der Reisende führt auch im Orient alles, was zur Reise gehört, bei sich: Decken, Teppiche, Kissen, Gerätschaften, oft auch Lebensmittel.

Die Räumlichkeit zum Wohnen befindet sich unmittelbar neben dem Behältnis für die Pferde oder Esel; man kann sie fortwährend im Auge behalten.

In einem solchen Raume nun saßen George und Edmund Wiedenburg beieinander und schauten Johnny zu, der sich bereits in die orientalische Art zu reisen gefunden hatte und jetzt ein Feuer anzündete, um Tee zu kochen.

Die große strohumflochtene Rumflasche fehlte auch nicht, und Johnny hatte noch einige ähnliche im Vorrat.

Als er deshalb sah, wie Wiedenburg einen fast begehrlichen Blick auf die Flasche warf, reichte er sie ihm nebst einem Glase dar.

»Wohl bekomm’s, Sir!« sagte er. »Sie sehen etwas übernächtig aus – da wird’s guttun! Bei dem Kurdenvolk – damn! – mögen Sie wohl keinen vernünftigen Tropfen gekostet haben. – Ist Jamaika, Sir!«

»Mit Ihrer Erlaubnis!« sagte Wiedenburg lächelnd zu George, indem er sich das Glas zur Hälfte füllte.

»Ich glaube wohl, dass ich übernächtig aussehe, denn besonders gut ist es mir in der letzten Zeit nicht gegangen. Eine kleine Herzstärkung dürfte mir nicht schaden! Ich habe in den letzten Wochen außer Reis und hin und wieder einem Stück schlechten Hammelfleisches nichts genossen, und mit den Getränken sieht’s hierzulande kläglich aus. Vor Verzweiflung trinkt man freilich auch gegorene Milch! Überdies fehlte es mir an Geld. Ich musste sparsam sein mit den wenigen Goldstücken, die ich vor dem Falkenblick dieser räuberischen Kurden gerettet!«

»Ihre ganze Erscheinung spricht dafür, dass Sie Leiden erduldet«, sagte George. »Und wie ich fürchte, ist es meinem Pflegevater und Miss Mary nicht besser ergangen. Doch ich werde ja hören und will mich nicht f im Voraus mit Gedanken quälen. Stärken Sie sich, Sir, Sie haben es nötig! Und dann berichten Sie mir, wie es Ihnen und den beiden Personen ergangen, die mir die teuersten von allen sind, die ich kenne!«

Johnny beeilte sich mit dem Tee, und bald darauf durchzog auch der Duft des Fleisches, das der armenische Führer eingekauft und das er an einem kleinen Rost am Feuer briet, das Zimmer. Der alte Bursche zeigte sich als ein vortrefflicher Küchenmeister, und Wiedenburg war der dankbarste Gast, den man sich denken kann.

»Das nenne ich einen glücklichen Tag nach vielen trüben!« rief er heiter. »Einen Freund gefunden, Nachricht von meinem Onkel – ich nenne ihn so, obgleich er eigentlich ein entfernterer Verwandter ist – eine Tasse guten Tee – eine Hammelkotelette, einen Schluck Rum – verzeihen Sie diese Zusammenstellung, Sir! – das sind unerwartete Genüsse, und es ist mir, als könnte ich jetzt wieder hoffen, dass alles gut werden wird!«

»Und hier – zum Nachtisch!« sagte Johnny schmunzelnd und zeigte ein Päckchen Zigarren.

»Das ist ein Mann, der an alles denkt! Sie sind zu beneiden um einen solchen Haushofmeister, Mr. George!« rief der Deutsche. »Wahrlich, man lernt die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens schätzen, wenn man wochenlang durch die Berge dieses verwünschten Landes geirrt ist, und sie erhöhen die Annehmlichkeiten der Seele!«

Er sagte das heiter und froh, überhaupt deutete sein heller Blick, seine freie Stirn und der gesamte Ausdruck seiner Züge auf einen heitern Charakter, dem jedoch der Ernst zur rechten Zeit wohl nicht fehlte. George lächelte auch, aber seine Miene behielt etwas Trübes.

Und das ließ sich leicht erklären, wenn man bedachte, dass die Nachricht über Mr. Hywell und seine Tochter immer nur eine verhältnismäßig gute zu nennen war.

Edmund Wiedenburg hatte mit dem besten Appetit gegessen und getrunken und rauchte jetzt mit großem Behagen seine Zigarre. Johnny war leise mit dem Geschirr beschäftigt, und George schien zu harren.

»Nun also – zur Erzählung!« rief der Deutsche dann, und seine Züge wurden ernst.

»Verzeihen Sie, dass ich so lange geschwiegen, und halten Sie es nicht für Teilnahmslosigkeit, Mr. George. Aber nach so vielen geistigen und körperlichen Strapazen verlangt die menschliche Natur ein wenig Ruhe. Auch habe ich versucht, meine Erinnerung zu ordnen, um Ihnen einen kurzen und doch klaren Bericht zu geben. Die Einzelheiten werden Sie später erfahren, denn wir werden doch wohl beisammenbleiben und gemeinschaftlich handeln müssen. Ich werde ganz ruhig und einfach schildern, ohne zu klagen und auf das Geschick zu schmähen, denn das nutzt nichts. Sie sollen klare Einsicht in die Lage der Dinge erhalten, damit Sie mit mir vereint einen Beschluss fassen können. Man gewöhnt sich zuletzt auch an das Missgeschick, und gerade erst dann, wenn man es ruhig überblickt, darf man hoffen, es zu ändern.«

George bejahte stumm.

»Bis zu welcher Zeit reichen Ihre letzten Nachrichten von Mr. Hywell?« fragte Edmund Wiedenburg.

»Bis zur Zeit, in welcher mein Pflegevater im Begriff stand, Teheran zu verlassen«, antwortete George.

»Ja, von dort aus sandte er, glaube ich, seinen letzten Brief an meinen Oheim«, sagte der Deutsche. »Nun, dann wissen Sie, dass ich schon von Kalkutta aus, wo ich Mr. Hywell kennengelernt, mit Ihrem Pflegevater gereist bin. Ich muss nach Deutschland zurückkehren, um dort das Handlungshaus meines Vaters weiterzuführen. Nun wäre der Weg über Suez wohl der kürzere und sicherere gewesen, aber mein Wunsch, Persien und Armenien kennenzulernen, und zugleich der Gedanke, in der Gesellschaft eines so ehrenwerten und erfahrenen Mannes, wie Mr. Hywell ist, zu reisen, bestimmten mich, teil an dem Zuge durch Persien zu nehmen. Und ich hatte es wahrlich nicht zu bereuen. Mr. Hywell ist einer der achtbarsten Männer, die mir je im Leben begegnet sind, Miss Mary die freundlichste, liebenswürdigste Dame, und unsere Reise bot, außer einigen Unannehmlichkeiten, die ein weiter Weg durch Gegenden, die oft nur wenig bebaut sind, mit sich führt, nur Angenehmes und Belehrendes. In Teheran musste Mr. Hywell länger verweilen, als er wollte. Die englische Regierung hatte erfahren, dass Persien sich auf Seite Russlands neige, und wünschte dem entgegenzuwirken. Mr. Hywell erhielt die darauf bezüglichen diplomatischen Aufträge, konnte aber nichts ausrichten. Übrigens glaubte er nicht an einen baldigen Ausbruch des Kriegs; er war überzeugt, dass Russland und die Pforte noch unterhandelten und dass es den Bemühungen Frankreichs und Englands gelingen werde, diesen Unterhandlungen eine friedliche Wendung zu geben. Als wir deshalb Anfang September Teheran verließen und nach Tauris aufbrachen, war es sein fester Entschluss, den kürzesten Weg zur Rückkehr zu wählen und über Bajazid nach Erzerum oder Batum und von dort nach Sinope zu reisen. Eine Abteilung persischer Krieger begleitete uns bis Tauris. Hier lauteten die Nachrichten freilich ganz anders als in Teheran. Der Krieg zwischen Russland und der Pforte hatte bereits begonnen. Die Engländer und Amerikaner in Tauris und noch dringender die Persier und Armenier stellten nun Ihrem Pflegevater vor, dass er gut tun würde, über Eriwan nach Tiflis zu reisen, da das ganze Kurdenvolk, wie ein gestörter Wespenschwarm, in Unruhe und Aufregung sei. Aber er bestand auf dem kürzesten Wege, einmal, weil er, wie er sagte, schon zu viel Zeit verloren, und zweitens, weil ihm, als einem echten Engländer, keine Schwierigkeit unüberwindlich schien. Wir versahen uns mit zahlreicher Dienerschaft, zogen Erkundigungen über das Verhalten ein, das wir etwaiger Gefahr gegenüber einzuschlagen hätten, und brachen Ende September von Tauris auf, alle zu Pferde, Miss Mary ebenfalls, aber in einer Art von Palankin, den ihr Vater schon in Kalkutta für sie hatte anfertigen lassen und dessen sie sich auf der ganzen Reise bediente; die beiden englischen Dienerinnen, die sie begleiteten, ritten auf frommen Pferden. – Nach drei Tagereisen teilten uns die Führer mit, dass sie erfahren, die türkischen Kurden zögen in großen Haufen nach der russisch-türkischen Grenze, und da man wisse, dass sie gern alles mitnehmen, was ihnen irgendwie zu nehmen möglich sei, so sei es vielleicht besser, wenn wir umkehrten. Mr. Hywell wollte nichts davon wissen; er meinte, die persischen Kurden seien nicht besser als die türkischen, und doch hätte sich keiner an uns gewagt. Wir setzten also unsere Reise fort. Täglich entfernten sich jedoch einer oder zwei von unsern Dienern, um nicht zurückzukehren; sie fürchteten wahrscheinlich ein Zusammentreffen mit den Kurden. – Wir waren nicht mehr fern von Bajazid; vielleicht eine oder zwei Tagereisen, und ich kann wahrlich nicht sagen, ob wir uns noch auf persischem oder schon auf türkischem Gebiet befanden, als wir in einem kleinen Orte anhielten, um Menschen und Tieren die Mittagsrast zu gönnen. Es war ein rings von hohen Bergen umgebenes, unbedeutendes Nest; aber das Karawanserai fehlte nicht, und in diesem quartierten wir uns für einige Stunden ein. Abermals trat der Dolmetscher an uns heran und sagte uns, er habe gehört, es befinde sich ein Kurdenhaufe – von den sogenannten unabhängigen – in der Nähe und habe auf einer Felsenhöhe vor dem Orte sein Lager aufgeschlagen, gleichsam um uns abzuwarten. Mr. Hywell aber antwortete auch diesmal, dass wir nie vorwärtskommen würden, wenn wir uns durch derartige Bedenken aufhalten ließen. Wir brachen auf. Miss Hywell stieg wie immer in ihren Palankin und wir nahmen sie und das Gepäck in die Mitte. Bei der Musterung hatten wieder drei persische Diener gefehlt. Mr. Hywell war deshalb entschlossen, sich in Bajazid eine türkische Schutzwache auszubitten, möge es kosten, was es wolle. Ja, wären wir nur erst dort gewesen! Eine Viertelstunde hinter dem Orte sahen wir die Kurdenschar auf einer Anhöhe rasten. Wir errieten sogleich, dass es türkische oder unabhängige Kurden seien, denn statt der spitzen persischen Lammfellmützen trugen sie niedrige Filzmützen, die meist mit Tüchern umwickelt waren. Die Schar bot einen Anblick, der einen Maler begeistert haben würde, mir indessen nicht sonderlich gefiel. Es waren abenteuerliche Kerle, manche ganz rot gekleidet, in den verschiedensten Trachten, alle zu Pferde und bewaffnet, teils mit Flinten, krummen Säbeln und Pistolen, teils nur mit langen, schweren, lanzenartigen Stangen. Sie hielten so ruhig und beobachtend auf ihrer Höhe, dass es uns leicht war, zu erraten, wir seien der Gegenstand ihrer besondern Aufmerksamkeit. Unwillkürlich ritt Mr. Hywell, dessen Auge scharf nach der Höhe hinüberblitzte, in die Nähe seiner Tochter, und ich folgte seinem Beispiel. Die persischen Diener machten sehr lange Gesichter, nur unsere europäischen Diener, vier an der Zahl, zeigten sich unbesorgt. Natürlich unterbrachen wir unsern Ritt nicht. Die Straße führte, wie wir bald bemerkten, zu jener Felsenhöhe hinauf und dicht an ihr vorüber. Der Dolmetscher, ein Armenier, beriet sich mit Mr. Hywell und gab ihm den Rat, falls einige Kurden sich näherten, ihrem Anführer einige Geschenke anbieten zu lassen. Würden wir angegriffen, so sollten wir keinen Widerstand leisten, da er einer solchen Überzahl gegenüber doch vergeblich sein würde; er glaube Hakkarikurden in der Schar zu erkennen und das seien von allen Kurden die blutdürstigsten. – Mr. Hywells Gesicht war sehr ernst geworden; die Aufstellung der Kurden ließ kaum einen Zweifel, dass es auf einen Überfall abgesehen war. ›Es ist mir nicht um mich zu tun‹, flüsterte er mir mit einem düstern Blick zu, ›aber Mary! Mary!‹ Ich verstand ihn vollkommen, und da ich Miss Hywell in hohem Grade achten und verehren gelernt hatte, so wurde auch mir unheimlich bei dem Gedanken an all die Möglichkeiten, denen eine junge und schöne Europäerin unter diesem fast wilden Volke ausgesetzt sein konnte. Dann ritt er zu Miss Mary, sprach angelegentlich einige Worte mit ihr und zog die Vorhänge ihres Palankins dicht zu. Wenn ich sage Palankin, so haben Sie mich wohl verstanden. In Ostindien trägt man die Palankins; dieser ließ sich jedoch auf einem Pferde befestigen, war aber im Übrigen, ganz ähnlich einem indischen, mit Vorhängen, Kissen und Armlehnen versehen, konnte auch, wenn es nötig war, getragen werden. Darauf schickte Mr. Hywell die europäischen Diener zu den Saumtieren, welche das Gepäck trugen, und befahl ihnen, jeden, der sich denselben nähern würde, niederzuschießen, vorausgesetzt. dass er ihnen nicht vorher den Befehl gebe, die Verteidigung zu unterlassen. Wir waren jetzt in einer Linie mit den Kurden, und was ich vorausgesehen, geschah. Auf ein gegebenes Zeichen setzte sich die Horde in Bewegung und kam im Trab auf uns zu. Es fielen auch einige Schüsse, aber wohl nur, um uns einzuschüchtern. In wenigen Minuten waren wir auf allen Seiten umgeben. Wir mochten im Ganzen etwas über dreißig Personen sein; die Zahl der Kurden betrug wohl mindestens das Acht- oder Zehnfache. Mr. Hywell und ich hatten die Pistolen in die Hand genommen. Der armenische Dolmetscher aber rief uns heftig zu, wir möchten um Himmelswillen nicht schießen; vielleicht kämen wir mit einer Plünderung davon; würden wir gefangen, so möchten wir ein Lösegeld bieten. – Und damit wandte er sein Pferd und schien fliehen zu wollen, was ich ihm kaum verargen konnte. Mr. Hywell aber streckte ihm die Pistole entgegen und sagte: ›Bleibt, guter Freund! Gerade jetzt haben wir Euch nötig!‹ Der Armenier blieb, denn Mr. Hywells Augen, so freundlich hell sie sonst auch sind, können doch zu Zeiten sehr drohend aussehen. – Die vielen Pferdehufe hatten den Staub aus den Felsen und auf der Landstraße so schnell und heftig aufgewirbelt, dass er uns wie eine dichte Wolke umzog. Wir konnten kaum zehn Schritt weit sehen. Mr. Hywell rief den europäischen Dienern zu, die Gepäckpferde näher zu führen; wir beide nahmen neben Miss Mary Platz, deren Dienerinnen sich dicht zu ihr gedrängt hatten. Da tauchte plötzlich dicht vor uns eine Kurdenschar aus der Staubwolke auf, voran zwei Reiter, deren Gesichter ich in meinem Leben nicht vergessen werde. Von ihrer Tracht will ich schweigen – Sie haben ja jetzt wohl schon Kurden gesehen – es ist eine wahre Räubertracht; die Söhne der Abruzzen sind idyllische Schäfer gegen diese in die grellsten Farben gekleideten Dämonen. Ich will nur erwähnen, dass in ihren Gürteln wahre Batterien von Pistolen und krummen Dolchen steckten, und dass ihre langen Flinten ihnen fast wie Spieße über den Kopf wegragten. Es war ein alter und ein junger, Vater und Sohn, beide sich so ähnlich wie ein alter Wolf dem jungen; der alte mit grauschwarzem Bart, der junge mit wirklich prächtigem, rabenschwarzem Bartwuchs, beide mit durchdringenden Luchsaugen und Nasen, die wie Habichtschnäbel gekrümmt waren; der Alte mager wie ein Gerippe, nur Sehnen und Knochen, der junge aber in seiner Art ein Prachtexemplar, die Galgenphysiognomie abgerechnet ein ganz kapitaler Bursche. Um mir die allgemeine Benennung zu ersparen, will ich Ihnen sogleich sagen, wie sie hießen, denn diese unfreiwillige Bekanntschaft war leider eine dauernde. Der Alte hieß Tamir-Aga, sein Sohn Kaschir-Aga; der Alte war Häuptling eines unabhängigen Kurdenstamms, ob der Hakkari- oder Rewandis-Kurden, das weiß ich nicht genau, tut auch nichts zur Sache, denn von diesen beiden Stämmen ist der eine immer grausamer, wilder, fanatischer und – beutegieriger als der andere. Übrigens verrieten uns schon die zahllosen Schals, die sie zu dicken Wülsten um ihre Filzmützen gewickelt hatten, dass es sogenannte vornehme Kurdenhäuptlinge seien. Sie ritten prächtige Pferde. Wie sie uns musterten, ihre Flinten im Arm haltend, nun, Mr. George, so muss der wilde Luchs seine Beute mustern! Wir hielten die Pistolen in Schusshöhe auf dem Hals unserer Pferde. Dann rief Tamir-Aga einige Worte, die wie das Gurgeln eines Betrunkenen klangen – ich sah, wie die Sehnen seines nackten Halses dabei tanzten – und unser armenischer Dolmetscher stieg vom Pferde, neigte sich demütig vor dem Kurden und hielt ihm einen ziemlich langen Sermon. Was der Mann geschwatzt haben mag, weiß ich nicht, er sah windelweich aus. Tamir-Aga gurgelte wieder, und zwar heftiger als vorher. Darauf wandte sich der Armenier zu uns und sagte in seinem gräulichen Französisch-Italienisch, der Kurde sei bereit, uns das Leben zu schenken, aber nichts weiter. Wir sollten seinem Sohne folgen, der werde uns an einen sehr angenehmen und sichern Ort führen. Dort solle über unser Lösegeld verhandelt werden. Er beschwor uns nochmals, keinen Widerstand zu wagen; wir seien ja unser nur sieben Männer. Und leider war es so! Denn als wir uns bei diesen Worten umblickten, sahen wir auch nicht mehr einen einzigen von unsern tapfern Persern. Sie hatten den Rest der Löhnung, die ihnen noch zustand, im Stich gelassen und den verhüllenden Staub benutzt, um nach dem nächsten Orte zurück zu fliehen. Jetzt wäre Widerstand allerdings Wahnsinn gewesen. Mr. Hywell knirschte mit den Zähnen vor Zorn und rief dann nach dem Palankin: ›Mary, es ist Zeit!‹ Darauf verhandelte er mit dem Dolmetscher. Er bot den Kurden einen Teil seines Geldes und seiner Waren gleichsam als einen Durchgangszoll, wollte aber auf jeden Fall weiterreisen und drohte mit den Repressalien des englischen Gesandten in Konstantinopel, berief sich darauf, dass die Engländer eine befreundete Macht der Türkei wären; der Armenier hörte geduldig zu, und unbeweglich lauschten die Kurden, um die sich jetzt fast ihre ganze Schar im Kreise versammelt hatte. Dann begann der Dolmetscher seine Unterhandlung mit Tamir-Aga, der dieser jedoch bald durch eine drohende Bewegung nach seinem Gürtel und mit einem Zornesblitz auf Mr. Hywell und mich ein Ende machte. Der Armenier wandte sich wieder zu uns: Tamir-Aga sei unerbittlich; wir müssten seinem Sohne folgen und Gott danken, dass man uns nicht die Köpfe abschneide. Das Weitere werde sich finden; er, der Armenier, sei ebenfalls verurteilt worden, Kaschir-Aga zu begleiten, um ferner zum Dolmetscher zu dienen. Was war darauf zu erwidern? Ich sah, wie es in Mr. Hywell kochte, aber auch er bezwang sich. Er rief den europäischen Dienern zu, das Räubervolk gewähren zu lassen, und sagte dann dem Dolmetscher, dass er nur auf freier Weiterreise bestehe. Der Armenier wagte kaum, diesen Einwand vorzubringen. Tamir-Aga streckte drohend die Faust gegen uns aus und ließ uns befehlen, sogleich von unsern Pferden zu steigen und die Waffen abzuliefern. Auch mir kochte jetzt das Blut. Aber dreihundert bewaffneten Männern gegenüber ließ sich nichts tun, als gehorchen. Wie zögerten zwar, aber es richteten sich so viele Flintenläufe auf uns, dass wir abstiegen. Ich weiß nur noch, dass ich in jenem Augenblick sehnlich wünschte, Russland oder irgendein Volk möge dieses Räubervolk zu Paaren treiben. Die Türken sind zu schwach dazu. Omer-Pascha hat es einmal versucht und sie auch hart in die Enge getrieben, sogar einen ihrer Häuptlinge gefangengenommen. Aber was nützt das? Jetzt sind sie wieder obenauf und werden vielleicht die Nestorianer, die einzigen Christen, die unter ihnen zu wohnen wagen, bald ganz vernichten. Die Türkei müsste hier ein Beobachtungscorps unterhalten können. Doch zu unsern Erlebnissen zurück. Ich finde wohl noch später Zeit, Ihnen etwas von den Kurden und wie es in dem Innern ihrer Bergländer bestellt ist, zu erzählen. – Also wir stiegen ab. Nun wollten sich die Kurden von allen Seiten wie Geier auf das Gepäck werfen, aber Tamir-Aga scheuchte die Rotte zurück und vertrieb sogar einen seiner Reiter, der den Sattel von meinem Pferde nehmen wollte, mit einem Pistolenschuss, der jedoch nicht traf. Sie können sich vorstellen, in welcher Besorgnis wir während dieses Getümmels wegen Miss Mary waren. Endlich aber gelang es Tamir-Aga, die Ruhe wiederherzustellen, und es begann eine regelrechte Verteilung der Beute; natürlich behielten die beiden Agas den Löwenanteil. Unsere europäischen Diener wurden bis aufs Hemd ausgeplündert, die Gepäckballen von den Pferden gerissen und aufgeschnitten. Es war eine reiche Beute. Mr. Hywell hatte in Ostindien große Einkaufe an Schals und andern Erzeugnissen des Landes gemacht, und die Kurden, die sich sehr wohl auf den Wert dieser Artikel verstanden, jauchzten laut auf. Am meisten gefielen ihnen jedoch die Waffen, Messer und Geräte, die sie fanden; das meiste davon eigneten sich Tamir-Aga und sein Sohn zu. Endlich näherte sich der letztere dem Pferde Miss·Marys. Mr. Hywell trat vor seine Tochter und sagte dem Dolmetscher, er möge dem Kurden erklären, dass die Franken keine Beleidigung ihrer Frauen duldeten, und dass er noch Waffen besitze, um sie zu verteidigen. Der Armenier sagte dem Kurden davon, was er für gut finden mochte, und dieser tat, was ihm gefiel. Er ließ durch den Dolmetscher antworten, dass die freien Kurden die Weiber achteten, und begnügte sich damit, den Vorhang zu öffnen, der den Palankin verschloss. Ich beobachtete sein Gesicht, während er es tat, und blickte auch zu Miss Mary empor. Ihr Gesicht war bleich und ruhig und hatte etwas Eigenes, das ich vorher nicht an demselben bemerkt und mir nicht zu erklären wusste; der Kurde betrachtete sie nicht lange, ließ den Vorhang fallen und wandte sich ab. Der Dolmetscher musste ihm noch im Auftrage Mr. Hywells sagen, dass Miss Mary krank sei; Kaschir-Aga antwortete abermals, die Weiber würden geachtet werden. Es verging eine gute Stunde; dann war die Teilung beendet. Ein Teil des Gepäcks wurde wieder auf die Saumtiere geladen, es war der Anteil des Häuptlings und seines Sohnes. Dann trennten sich ungefähr vierzig Kurden von der großen Schar; unser Armenier, der ihren Worten lauschte, teilte uns mit, dass der junge Kurde beauftragt sei, uns nach seiner Heimat zu führen, wo wir fürs erste bleiben sollten. Mr. Hywell begann die Unterhandlungen von neuem. Er verlangte, dass ich oder die Diener oder der Dolmetscher nach Bajazid gesandt würden, um wegen eines Lösegelds zu unterhandeln, denn auf dieses war es abgesehen. Aber man antwortete, dazu sei immer noch Zeit, wenn wir erst Kosh und Dschulamerk erreicht hätten. Wie der Ort oder die Gegend eigentlich hieß, habe ich nie genau erfahren; aber jene beiden Namen habe ich öfters gehört. Es blieb gar nichts weiter übrig, als sich willenlos dem unvermeidlichen Schicksal zu beugen und auszuharren. Der Armenier, dem wir unsererseits reichen Lohn versprachen, wenn er sich unserer annehmen und uns, wenn es ihm möglich sei, aus den Händen dieser Räuber befreien wolle, riet uns an, schweigend alles zu ertragen. Er werde uns für fränkische Heckhims, das heißt für Ärzte ausgeben, die zu einem Fürsten im fernen Osten berufen gewesen seien, ihn zu heilen, und nun mit reichen Geschenken zurückkehrten. Denn der Stand eines Arztes sei der einzige, den diese Menschen noch ein wenig, selbst bei einem Franken, achteten, weil sie abergläubisch seien und glaubten, dass dem Heckhim geheime Mittel zu Gebote ständen, ihnen zu schaden. Da wir nun in der Tat manche Tränkchen Pulver und Pillen in unserer Reiseapotheke bei uns führten, so konnten wir allerdings unter diesen Leuten leicht ein paar Ärzte vorstellen, und wir beschlossen, dem Rate des Armeniers zu folgen. Erst gegen Abend trennten sich Vater und Sohn. Unser Los war es, wie ich bereits erwähnte, mit dem letztern in seine Heimat zu ziehen. Kaschir-Aga ließ uns jetzt noch unsere Waffen; ein Versuch zur Flucht, umgeben von vierzig Kurden wäre ja doch eine Torheit gewesen! Langsam schlugen wir den Weg nach Süden ein, quer über die Berge. Ich beriet mich mit Mr. Hywell, aber wir fanden keinen Trost. Dass Tamir-Aga nicht eingewilligt, uns einen Boten nach Bajazid senden zu lassen, erklärte sich sehr leicht; er fürchtete eine Verfolgung durch türkische Truppen und wollte uns, ehe der Überfall bekannt wurde, nach seinem Gebirge in Sicherheit bringen, wo uns zwar Mond und Sonne bescheinen, die türkische Macht uns aber gar nicht oder nur spät erreichen konnte. So zogen wir denn trübselig dahin, Miss Mary zuweilen Mut einsprechend. Unsere europäischen Diener, die in der Tat bis aufs Hemd ausgeplündert waren, hatten sich in die Leinwand gehüllt, mit welcher unsere Ballen umwickelt gewesen. Aber es waren treue Burschen; ich habe sie weder damals noch später murren hören. Einer stand in meinen Diensten, die drei andern gehörten zu Mr. Hywell. Schon damals sah übrigens der letztere ein, dass gar nichts weiter übrig bleibe, als an einen türkischen Befehlshaber in Bajazid oder Erzerum und an meinen Verwandten in Sinope zu schreiben und dieselben um Vermittelung zu bitten. Dies ist auch, wie ich sogleich erwähnen will, geschehen. Aber entweder haben die abgesandten kurdischen Boten ihr Ziel nicht erreicht, oder sie haben es nicht erreichen wollen, aus Furcht, augenblicklich in Bajazid oder Erzerum gehängt zu werden. Ich will mich nun mit dem Bericht unserer Reise so kurz als möglich fassen und Ihnen nur mitteilen, was für Sie zum Verständnis des Folgenden notwendig ist. Wir übernachteten auf freiem Felde. Kaschir-Aga hatte die Freundlichkeit, Miss Mary und ihren Dienerinnen sein Zelt abzutreten. Wir andern schliefen in unsere Decken gehüllt, unter freiem Himmel. Als ich am andern Morgen durch das Gebet geweckt wurde, das Kaschir-Aga sprach und seine Kurden kniend anhörten, denn bei aller Räuberei sind diese Kurden gute und gläubige Mohammedaner, so wie die Räuber in Spanien und Italien fromme Christen sind – bemerkte ich, dass wir uns auf einem Berge befanden. Ein Dorf war weit und breit nicht zu sehen, und wäre dies auch der Fall gewesen, so hätten wir es doch vermieden; denn die Kurden trauen sich untereinander nicht und der eine bestiehlt den andern, wo er nur kann. Kaschir-Aga wollte uns womöglich unbemerkt nach seiner Heimat führen; da waren wir sicher. Bald darauf ging es zum Aufbruch, nachdem wir zum ersten Mal saure Milch mit gekochter Gerste genossen, ein Gericht, das später meine Lieblingsspeise werden musste, da es nichts anderes gab, ausgenommen höchst selten ein Stück Lamm oder Hammelbraten. Ich war übrigens sehr verdrießlich, denn man hatte in der Nacht mein ganzes Gepäck vom Pferde gestohlen und mir nur den Sattel gelassen; bis dahin hatte ich gehofft, Herr meines notdürftigsten Reisegepäcks zu bleiben, nun aber begriff ich, dass ich bald in denselben Zustand mit unsern Dienern versetzt sein würde. Vorsichtig verbarg ich die Mehrzahl der Goldstücke, die ich besaß, im Stiefel. Meine Wertpapiere und Kreditbriefe nützten mir hier natürlich gar nichts. Ich stand höchst missvergnügt an mein Pferd gelehnt, als ich Mr. Hywell aus dem Zelt treten sah, seine Tochter führend. Miss Mary war verschleiert. Sie ging sehr langsam und schien sich auf ihren Vater zu stützen. Ich fürchtete, Aufregung, Schrecken und Ermüdung hätten ihr eine Krankheit verursacht, und trat ihr unwillkürlich näher. Mr. Hywell kam einer Frage von mir zuvor, indem er den Schleier von dem Gesichte seiner Tochter zurückschlug. Entsetzt blieb ich starr stehen. Die angenehmen und lieblichen Züge der Miss Hywell waren entstellt, ihre Haut mit roten und blauen. fast schwarzen Flecken bedeckt. Ich vermochte kein Wort zu sprechen. Mr. Hywell ließ den Schleier fallen und half seiner Tochter in den Palankin steigen. Dann wandte er sich zu mir. ›Behalten Sie nur Ihr ernstes und bestürztes Gesicht, Wiedenburg!‹ sagte er zu mir. ›Die Sache ist nicht so schlimm, wie sie scheint. Ich habe Mary gebeten, sich Gesicht, Hals und Hände mit einer scharfen Mixtur zu bestreichen, die man zu Arzneizwecken anwendet. Das hat jene Entzündung hervorgerufen, eine Art Ausschlag, der aber sehr ungefährlich ist und bald verschwinden wird, wenn Mary das Mittel nicht weiter anwendet. Sie erraten, weshalb ich es getan habe. Die Orientalen haben einen großen Abscheu gerade vor derartigen Krankheiten; ich denke also, Mary wird vor allen Zumutungen dieses Herrn Kaschir-Aga sicher sein.‹ Ich war sehr beruhigt und lobte ihn wegen seiner Vorsicht. Inzwischen kam der Armenier zu uns und fragte Mr. Hywell im Auftrage des jungen Kurdenhäuptlings, wie es komme, dass er seine Tochter nicht heile, da er doch ein Heckhim sei. Der alte Herr antwortete ihm, er könne diese Krankheit nur heilen, wenn sie einen gewissen Höhepunkt erreicht habe. Bald darauf ging es weiter, dem Hochgebirge zu. Es war kein leichter und angenehmer Marsch, denn wir vermieden die wenigen gebahnten Wege, die es dort geben mag. Acht Tage lang, waren wir unterwegs, und da ich mich allmählich in meine Lage fand, so gewann ich geistige Ruhe genug, um Beobachtungen anzustellen. Es war ein echtes Gebirgsland, dem es nicht an herrlichen und leidlich angebauten Tälern fehlte und das mit einiger Kultur zu einem sehr fruchtbaren Lande umgewandelt werden könnte. Nur ein Zehntel von dem Fleiße und der Gartenbaukunst der Perser wäre den Bewohnern dieses Landes zu wünschen, dann könnte es mit den reichsten Ländern Asiens wetteifern. Die Dörfer, die ich sah, erschienen mir sehr unbedeutend; in die Nähe größerer Städte, obwohl sie dort existieren sollen, kamen wir nicht, weil Kaschir-Aga sie vermied. Zur Rechten sah ich zuweilen den Spiegel des Wansees, dem wir uns einige Male bis aus wenige tausend Schritt näherten. Ich unterhielt mich, so oft es anging, mit dem Armenier, um möglichst viel von ihm über das Land zu erfahren; aber er wusste selbst nicht viel mehr, als was ich aus Reiseberichten kannte. Tatsache ist es, dass nur sehr wenige Europäer bis jetzt in dieses Land vorgedrungen sind. Er erzählte mir manches von den Nestorianern, die von Katholiken und Protestanten für höchst ungläubig gehalten werden, und die sich nicht sehr wesentlich von ihren mohammedanischen Landsleuten unterscheiden. Dass amerikanische Missionäre, die sich in Urmiah in Persien niedergelassen, darauf hinwirkten, die Nestorianer zu protestantisieren, wusste ich bereits. Urmiah war aber doch zu fern um eine schnelle Hilfe oder Vermittlung der Amerikaner hoffen zu lassen, auch wenn es uns gelang, sie zu benachrichtigen. Dennoch richtete ich meine Gedanken im Geheimen auf diese Missionäre und auf die Bergnestorianer, die denn doch am Ende immer Christen, wenn auch von ganz besonderer Art sind. Sie werden jetzt freilich, nachdem vor ungefähr zwanzig Jahren die größere Mehrzahl von den Kurden ermordet worden, als Sklaven behandelt; aber gerade deshalb durfte ich hoffen, dass sie mir beistehen würden, den Kurden einen Streich zu spielen. Freilich hemmte mich überall meine Unkenntnis der Sprache, und dem armenischen Dolmetscher durfte ich nicht unbedingt trauen, da er eine Heidenangst vor den Dolchen und Pistolen der Kurden hatte. Zuletzt kamen wir in ein wahres Alpenland mit schneebedeckten Bergen, die Heimat unseres Kaschir-Aga. Hier vermied er die Dörfer nicht mehr, sondern zeigte im Triumph seine Beute. Gewöhnlich ritt er vorauf, zuweilen würdigte er uns auch der Ehre seiner Gesellschaft und legte uns durch den Dolmetscher Fragen über persische und türkische Verhältnisse vor. Im Ganzen kümmerte er sich jedoch wenig um uns. Der Armenier aber, der sich öfter auf eigene Hand mit ihm unterhielt, sagte uns, Kaschir-Aga sei ein ganz gescheiter Bursche, dessen Absichten darauf hinausgingen, sich von den Türken ganz unabhängig zu machen, das heißt, nicht einmal den Tribut zu zahlen, den die Türkei zuweilen zu erheben pflegte. Dass ich mit Mr. Hywell und Miss Mary ungestört sprechen konnte – unser Armenier verstand kein Englisch, sondern nur ein halb italienisches Französisch – war noch das Beste, sollte aber leider bald aufhören. Wir hatten nun die Heimat Kaschir-Agas erreicht, ein kleines Dorf, dessen Häuser am Abhang eines Berges hingen wie Schwalbennester und ebenso kotig aussehend, aus der Erde hervorragend und wie Maulwurfshöhlen unter derselben fortlaufend. Nur die Häuptlingsfamilie bewohnte ein steinernes und ziemlich geräumiges Gebäude. In diesem letztern wurden Mr. Hywell und seine Tochter einquartiert. Mir wies man die Wohnung eines Kurden zum Aufenthalt an ein Schmutzloch sondergleichen. Indessen auch dagegen härtet sich der Mensch durch Gewohnheit ab. Sie sehen, ich fühle mich ganz wohl in meiner jetzigen Hülle, obwohl ich mit meinen Lumpen und meinem gewachsenen Bart aussehen muss wie das Urbild eines neapolitanischen Lazzarone. Das Schlimmste aber war, dass man mir allmählich alles stahl, was man mir noch gelassen. Wohin mein Pferd gekommen, wusste ich nicht, von meinen Kleidungsstücken verschwand eins nach dem andern. Einmal ertappte ich einen jungen Kurden dabei, mir meine Beinkleider zu stehlen, als ich eben des Morgens erwachte; wahrscheinlich wollte er sie wie einen Schal als Siegestrophäe um seine Filzmütze binden. Ich gab dem Jungen eine Ohrfeige; die Natter fuhr mit dem Messer auf mich zu. Da ergriff ich seine Hand und renkte ihm das Handgelenk aus. Nun heulte er durch das ganze Dorf. Ich begab mich sogleich nach der Wohnung des Häuptlings, denn es war uns gestattet, frei im Dorf herumzugehen, und beklagte mich durch den Armenier bei Kaschir-Aga. Aber ich kam übel an. Der Junge war ein Vetter Kaschir-Agas, und wenig fehlte, so hätte man mir Nase und Ohren abgeschnitten. Fürs erste verurteilte man mich, die Hütte nicht zu verlassen, und das war streng genug, denn nun konnte ich weder Mr. Hywell noch Miss Mary mehr sprechen. Letztere war immer noch entstellt, aber, wie mir Mr. Hywell klagte, ging die Tinktur zu Ende, und dann gab es kein Mittel mehr, Mary hässlich zu machen, wollte man nicht zugleich ihre Gesundheit untergraben. In meiner Hast fasste ich nun den felsenfesten Entschluss, sobald als möglich zu fliehen. Ich zeigte mich sehr gefügig, ließ Kaschir-Aga um Gnade bitten und erhielt denn auch nach ungefähr einer Woche die Erlaubnis, die Hütte wieder verlassen zu dürfen. Inzwischen waren jene kurdischen Boten, von denen ich gesprochen, nach Bajazid und Erzerum mit Briefen Mr. Hywells abgesandt worden. Dieser bestärkte mich in meinem Entschluss, das Dorf zu verlassen und in Bajazid schnelle Hilfe zu suchen. Denn mich nach Urmiah zu den nordamerikanischen Missionären zu wenden, hatte ich aufgegeben, da ich einsehen gelernt, wie gering der Einfluss dieser Männer hier im Gebirge sei. Vielleicht konnten sie indessen später als Unterhändler gute Dienste leisten. Zuerst hatte ich daran gedacht, mit den vier europäischen Dienern gemeinsam zu fliehen. Aber der Gedanke, dass dann Mr. Hywell ganz allein allen Möglichkeiten ausgesetzt sei, änderte meine Ansicht. Auch waren diese Diener jetzt nicht mehr im Dorfe, sondern im Hause des Häuptlings einquartiert. Mir allein gönnte man noch einige Freiheit, ich vermute, weil man mich für den Bräutigam der Miss Mary hielt und glaubte, ich würde nicht ohne sie fortgehen. Miss Hywell, die der Kurde mit Recht für die wertvollste Person hielt, durfte das Haus niemals verlassen. So beschloss ich denn, nachdem ich noch einmal mit Mr. Hywell alles verabredet und wir Miss Mary Trost und Mut eingesprochen, mein Heil zu versuchen. Geld konnte mir Ihr Pflegevater leider nicht geben, da man auch ihm allmählich alles gestohlen. Ich besaß nur noch einige türkische Goldmünzen, die ich mir in Tauris eingewechselt, und ein Messer, das ich bis dahin sorgsam verborgen gehalten. In einer sehr dunklen Nacht entwich ich aus der Hütte; heute sind es gerade vierzehn Tage, und gelangte unbemerkt aus dem Dorfe. Ich wanderte immer nach Norden, mich nach den Sternen richtend. Nun, ich will Sie mit dem Bericht meiner Wanderung nicht ermüden. Wahrscheinlich bin ich verfolgt worden, aber man hat mich nicht entdeckt. Bei Tage hielt ich mich verborgen, fand auch zuweilen Gastfreundschaft bei armen Nestorianern. Mein vollständig zerrissener und beschmutzter Anzug. dessen Lücken ich, wie Sie sehen, durch Tücher, die ich mir kaufte, zu ergänzen suchte, schützte mich wahrscheinlich vor räuberischen Angriffen. So erreichte ich den Wansee und die Stadt Wan, fand hier jedoch zu meinem Leidwesen keinen Menschen, dem ich mich in englischer oder französischer Sprache hätte verständlich machen können, und kaufte für ein Billiges dieses Tier, das ich reite, das damals krank und hinfällig war, sich jetzt aber erholt hat. Nun lag es mir vor allen Dingen daran, eine Stadt zu erreichen, in der sich ein vernünftiger Kommandeur befand. Ich musste abermals meinen Weg durch das Gebirge nehmen; als ich aber die große Karawanenstraße erreichte, erfuhr ich, dass ich fast ebenso weit von Bajazid als von Erzerum entfernt sei, und beschloss deshalb, nach letzterer Stadt zu reiten, wo sich einige Kaufleute befinden, die meinen Namen kennen. Ich nahm mir, um sicher zu sein, einen Führer, und unser beiderseitiges Glück wollte es, dass wir uns trafen. Das ist meine einfache Geschichte. Nun lassen Sie uns zusammen überlegen, was zu tun ist!«

George hatte der ganzen Erzählung mit derselben trüben und wehmütigen Miene gelauscht. Jetzt, als Edmund Wiedenburg schwieg, fuhr er wie aus einem Traume auf, fast als habe er den Schluss gar nicht gehört.

»Seltsam! Traurig!« sagte er. »Hat Mr. Hywell zuweilen mit Ihnen von mir gesprochen? Hat Miss Mary sich meiner erinnert?«

»Nun sicherlich!« antwortete der Deutsche. »Mr. Hywell und seine Tochter sprachen stets mit der größten Teilnahme von Ihnen. Ich glaubte anfangs, als ich so oft den Namen George hörte, Sie seien wirklich ein Sohn oder Neffe Mr. Hywells, bis er mir später sagte, Sie hätten ihm geschrieben, Sie wollten nach dem Orient gehen und sich, wenn es möglich sei, an dem Kampf gegen die Russen beteiligen, und er könne dies nur billigen, da Sie ja ein Sohn Kaukasiens seien. Miss Mary sprach stets von Ihnen wie von einem Bruder. Beide freuten sich innig darauf, Sie in Sinope oder Konstantinopel zu finden!«

George versank wieder auf einige Minuten in seine Träumerei. Dann aber schien er sich aufzuraffen.

»Dank Ihnen, Dank, Mr. Wiedenburg«, rief er lebhaft, »dass Sie sich meines Pflegevaters und Miss Marys so warm angenommen. Die teuren, unglücklichen Menschen, was müssen sie erdulden! Was können wir tun, Sir, sie zu befreien? Ich bin zu allem bereit! Ich scheue kein Opfer, nichts, ich gebe jeden andern Plan auf, bis Mr. Hywell und seine Tochter befreit sind.«

»Ja, Sir, die Antwort ist leider nicht leicht«, antwortete Wiedenburg, »und wir müssen sehr reiflich jeden Schritt überlegen, denn das Leben Mr. Hywells und seiner Tochter schwebt in Gefahr, sobald die Kurden die Absicht wittern, die Gefangenen zu befreien, ohne Lösegeld zu zahlen. Das letztere war, wie ich von Mr. Hywell hörte, für uns alle auf dreißigtausend türkische Dukaten angesetzt. Wie sollen wir diese oder auch eine weit geringere Summe auftreiben! Und anders als in gemünztem Gelde nimmt der Kurde keine Zahlungen. Auch dürfte sich der mutige Mr. Hywell kaum dazu verstehen, den Räubern eine solche Summe zu gewähren, falls sich irgendein anderer Weg zur Befreiung zeigt. Nur der Gedanke an Miss Mary könnte ihn zur Zahlung eines Lösegelds geneigt machen. Ich denke, wir senden einen Boten nach Sinope zu meinem Verwandten, teilen ihm das Vorgefallene mit und bitten ihn, für alle Fälle möglichst viel gemünztes Gold zu sammeln und in Bereitschaft zu halten, zugleich aber nach Konstantinopel einen Bericht an den englischen und österreichischen Gesandten zu senden und sie zu bitten, die Pforte zum schleunigsten Handeln aufzufordern. Es ist möglich, da ja doch jetzt des Kriegs wegen eine Menge Menschen auf den Beinen sind und eine gewisse Rührigkeit selbst in diesen Gegenden herrscht, dass man sich schnell entschließt, etwas für Mr. Hywell und seine Tochter zu tun. Wir aber müssen uns nach Bajazid oder irgendeinem Ort begeben, an welchem sich ein vernünftiger Kommandeur befindet, womöglich zu Guyon oder, wie er jetzt heißt, Churschid-Pascha. Dieser muss es übernehmen, Mr. Hywell, seine Tochter, die Diener und Dienerinnen den Händen Kaschir-Agas zu entreißen, sei es·in Güte oder mit Gewalt. Ich denke, die unmittelbares Einwirkung eines hochstehenden Kommandeurs und das Versprechen einer Geldsumme werden ihren Einfluss aus Tamir-Aga, den Alten, nicht verfehlen. Im Notfall müsste man ihn als Geißel festhalten, bis Kaschir-Aga die Gefangenen herausgegeben hat. Aber das alles bedarf der ruhigsten und nüchternsten Überlegung, und vor allem haben wir Geld nötig. Das Dringendste erscheint mir also, einen von unsern Führern nach Sinope zu senden, um meinen Oheim zu bitten, uns eine Anweisung auf irgendeinen Kaufmann in Bajazid, Erzerum oder Kars zu senden. Denn in diesem Lande kann man nichts ausrichten, ohne nicht immer die Hand in der Tasche zu haben.«

Das wurde denn auch sogleich getan. Wiedenburg schrieb einen Brief an seinen Oheim, dem George einige Zeilen hinzufügte, und damit man sicher sei, dass der Bote den Brief wirklich in Sinope abliefere, gab man ihm nur eine kleine Summe, mit dem Bedeuten, dass, Mr. Wiedenburg ihm das Dreifache in Sinope auszahlen werde. Georges Führer ritt sogleich mit dem Briefe die Straße zurück. Wiedenburg aber bat George, sich der Ruhe hingeben zu dürfen. Denn jetzt, zu einem Resultat und einer gewissen Beruhigung gelangt, fühlte er sich nach so vielen Wochen körperlicher Anstrengung und geistiger Aufregung plötzlich von unwiderstehlicher Ermattung überwältigt.

Der Held von Garika

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