Читать книгу Darky Green - Adrian Plass - Страница 14

2

Оглавление

Darky Greens morgendliche Routine lief stets genau gleich ab. Der Moment unmittelbar nach dem Aufwachen löste meist eine vorübergehende Panik aus. Dafür gab es eine Reihe von Gründen. Der Umstand, dass das zugeknöpfte Ende der Bettdecke sich manchmal während der Nacht zur Seite oder gar nach oben gedreht hatte, wo es doch nach unten gehörte; die Haare, die teils in alle Richtungen standen wie geknickte Federn, teils an der Seite seines Kopfes klebten; das zurückgebliebene Gefühl, in den fremden, unbekannten Gefilden des Schlafes das Ruder nicht in der Hand zu haben – all diese Dinge ließen ihn mit einem Satz aus dem Bett springen und sich in die beruhigende Routine des Waschens und der Schadensbehebung stürzen. Je eher alles wieder in Ordnung war, desto eher war die Gefahr vorüber. Er war sich dessen zwar nicht bewusst, aber der erwachsene Darky hatte immer noch Angst davor, Privilegien einzubüßen. Toilette, Dusche, Abtrocknen, reichlich Axe Dimension unter die Arme und um den Schritt, saubere Unterhosen an, Bett machen, Zimmer aufräumen. Dann war es Zeit, sich anzuziehen und an seinen Haaren zu arbeiten.

Anziehen war eine Kleinigkeit für Darky. Ein Fliegenschiss. Seit er zu Geld gekommen war, hatte er intensiv daran gearbeitet, sich einen »Look« zu verschaffen. Nachdem er ihn gefunden hatte, blieb er dabei. Es war viel einfacher, wenn alles seine Ordnung hatte. Die Unterwäsche lag in der großen Kommode in der Schublade oben links. Die Socken rechts. Jedes Paar sah gleich aus. Glatt weiß. Der Rest seiner Garderobe bestand aus sechs fast identischen Paar schwarzer Jeans in Kindergröße mit Aufschlag, vier Sätzen zu je fünf geknöpften Hemden in Blau, Rot, Grün und Schwarz, einer Sammlung von ledernen Schnürsenkelkrawatten im Cowboystil, teils silbern, teils golden gefärbt, vier Paar Hosenträger, alle rot, und vier dreiviertellangen Jacken im Teddyboystil, farblich passend zu den Hemden. Die Jacken waren Darkys Stolz und Freude. Er liebte es, sie in seinem Kleiderschrank hängen zu sehen, ihm als sein Eigentum ergeben und sich täglich demütig und bereitwillig seiner Auswahl unterwerfend. Ein Harem von Jacken. Sie stammten von »Edward The Seventh«, einer zweistöckigen Nobelboutique, die versteckt in einer kleinen Seitengasse der Regent Street lag, nicht weit vom Oxford Circus, und sie hatten einen Haufen Geld gekostet. Der Kauf einer weiteren dieser Jacken war einer der wenigen Gründe, aus denen sich Darky je irgendwo anders als in Lipsham oder Kington aufhielt. Er hatte mit der Boutique vereinbart, dass er angerufen wurde, wenn eine neue Farbe hereinkam. Das waren herrliche Ausflüge. Er genoss sie wie nichts anderes. Bald war es wieder so weit. Noch schöner war es, wieder nach Hause zu kommen und seine Neuerwerbung in seinen Kleiderschrank zu hängen, dann vom Bügel zu nehmen und wieder aufzuhängen, dann wieder abzunehmen und wieder aufzuhängen. Seine vier Paar Schuhe standen in einer säuberlichen Reihe auf dem Boden an der Seite des begehbaren Kleiderschranks, poliert und einsatzbereit. Es waren die spitzesten Schuhe, die er in seiner Größe finden konnte; fast wie echte Winkle Pickers nach italienischer Art.

Heute die blaue Jacke und ein blaues Hemd, dazu eine silberne Krawatte. Genau das Richtige für die Brautschau.

Sobald sein Körper mit Kleidung bedeckt war, fühlte sich Darky schon viel wohler. Er war schon als Kind immer klein für sein Alter gewesen. Das Umziehen in Gegenwart anderer Jungen – oder das Finden von Wegen, es zu vermeiden –, war eines der schlimmsten, stressigsten Dinge in seinem Leben gewesen. In einem Heim in der Nähe von Hastings hatte man ihm wegen seiner pfeifenreinigerähnlichen Arme und Beine und seines klapperdürren Körpers den Spitznamen »Dolly« gegeben. Seither hasste er dieses Wort und Hastings ebenso. Hastings war ein großes, breites Gesicht mit einem höhnischen Grinsen darauf. Am liebsten hätte er Hastings mit einem Spaten eins über den Kopf gezogen und es spätabends irgendwo hinten im Garten vergraben. Jetzt, als Erwachsener, war er für immer zu klein für sein Alter. Er wünschte, er hätte mehr Schamhaare, und nicht in dieser schrecklichen rötlichen Farbe. Und noch manches anderes. Aber seine Kleidung, die hatte er gut im Griff, und das änderte alles. Oh ja, mein Sohn, das änderte alles.

Nun war es Zeit, sich vor seinem strategisch angebrachten Badezimmerspiegel die Haare zu kämmen. Beinahe ein körperliches Vergnügen. Zuerst das Gel. Herausdrücken. Einreiben. Dann das Beste. Mit den Fingern durch die Haare nach hinten verteilen. Weich und kühl und feucht. Ein paar Mal mehr, als eigentlich nötig gewesen wäre. Tat das gut.

Zum nächsten Teil der Prozedur brauchte er beide Arme und den ganzen Oberkörper. Er neigte sich auf die Seite, hob die Ellbogen auf eine Höhe mit seinem Kopf und schob sich mit der Linken die langen, blonden Strähnen zum Hinterkopf hin, während er mit der Rechten mit künstlerischem Schwung aus dem Handgelenk den Kamm führte, etwa so wie ein breiter Pinselstrich auf einer Leinwand. Dann schwang er den Oberkörper auf die andere Seite hinüber, als machte er Aerobic-Übungen, brachte die Arme wieder in Stellung und wiederholte den beschriebenen Kämmvorgang auf der anderen Seite. Dann noch ein letzter, entscheidender, geübter Vorwärtsstrich durch die Haare oben auf seinem Kopf, um die extravagante Tolle zu erzeugen, die sein Selbstbild mit einem schwachen Hauch von Clint Eastwood parfümierte.

Hätte er die Wahl gehabt, so hätte Darky am liebsten sein eigenes Gesicht nie wieder angeschaut. Deshalb waren die Haare und die Kleidung so wichtig. Wie so viele Männer pflegte er eine andauernde, mühsam aufrechterhaltene Fantasie über sein Aussehen, eine Hoffnung wider alle historische Erfahrung, er wäre vielleicht doch attraktiver, als er fürchtete, und die Mädchen verheimlichten aus Gründen, die nur sie selbst kannten, den positiven Anklang, den er bei ihnen fand. Für Darky war das harte Arbeit, aber jene Ruhekissen machten es ihm leichter, die Last zu tragen. Die Ironie dabei, wenn dieses Wort auch für ihn völlig unverständlich gewesen wäre, war, dass Darky trotz seines einen schielenden Auges, seiner beiden vorstehenden Schneidezähne und seiner dreieckigen Kopfform tatsächlich der Kümmerling aus einem Eastwood-Wurf hätte sein können. Eine schlecht getroffene Miniaturausgabe. Eine eingeschrumpfte Version des Originals. Eine Spitting-Image-Puppe, die in der Form versehentlich zu stark erhitzt wurde und ganz zerschmolzen und verformt herausgekommen war.

Während er die letzten Feinheiten an seinen Haaren richtete, studierte er seinen Witz für den Friseur ein. Immer, wenn er sich die Haare schneiden ließ, erzählte er einen neuen Witz. Das war auch eines dieser Dinge, die er immer tat. Darky hatte noch nie vom Existenzialismus gehört, aber vielleicht hätte er eine große Übereinstimmung mit jenen Anhängern dieser Philosophie festgestellt, die der Auffassung sind, dass die Welt aufhöre zu existieren, sobald sie nicht anwesend seien. Darky Greens nebelhafte Vorstellung war, dass die Mitarbeiter des Salons »New Wave« in der Zeit zwischen seinen Besuchen in einer Art Aktivitäts- und Interessenvakuum lebten. Nichts passierte, wenn er nicht da war. Wie könnte es auch? Wenn er kam, zuvorkommend mit einem neuen Witz gerüstet, hatten sie zum ersten Mal seit seinem letzten Erscheinen wieder die Gelegenheit zu einer bedeutungsvollen Existenz.

Diesmal hatte er Macey anrufen müssen, um sich seinen Witz zu verschaffen. Macey oder John oder Kevo oder Baz, irgendeiner von denen hatte meistens einen parat. Dieser hier von Macey war erste Sahne! Er probierte ihn vor dem Spiegel.

»Also passt auf: Warum weint Mike Tyson beim Sex?«

Keiner der Phantomfriseure im Spiegel wusste, warum Mike Tyson beim Sex weint, aber sie alle lächelten in der Vorfreude auf das Gelächter über Darkys vorzüglichen Witz.

»Pfefferspray!«, sagte Darky und schob eine Seite seines Gesichts zu einem siegesgewissen Lächeln nach oben.

Alle kugelten sich vor Lachen.

»Zum Brüllen, was? Pfefferspray! Warum weint Mike Tyson, wenn er Sex hat? Pfefferspray! Leck mich am Arsch! Pfefferspray!«

Der war gut. Der würde prima ankommen. Er freute sich schon darauf, ihn zu erzählen.

Noch eine winzige Korrektur an seinen Haaren mit der flachen Hand an der widerspenstigeren linken Seite und er war bereit, die halbe Meile hinunter in die Stadt zu gehen.

Darky wohnte in einem Fünf-Zimmer-Haus direkt auf der Kuppe von Amberley Hill gegenüber der Victoria Avenue am Nordrand der Stadt. Gleich hinter dem Ende seines Gartens gab es ein Stück ansteigendes Gelände, das nach den Worten des Bauern, dem es gehörte, der höchste Punkt im ganzen Gebiet von Lipsham war. Das gefiel Darky sehr. Jenes eine Erfolgserlebnis seiner Kindheit im Schwimmbad hatte nie eine Fortsetzung erfahren. Er hatte sogar, teils, weil er nie weitere Erfahrungen in diesem Bereich sammeln konnte, und teils wegen seines Asthmaproblems, eine geheime Furcht davor entwickelt, irgendwo im Wasser zu sein, abgesehen von seiner Morgendusche, und besonders graute es ihm vor Überschwemmungen. Wenn er seine Gedanken auch nur bei der Aussicht auf jenen schrecklichen, vergeblichen Kampf um Atemluft verweilen ließ, bei dem hilflosen Rudern mit Armen und Beinen im aufgewühlten, brodelnden Wasser, überkam ihn schon die Panik und er bekam Atemnot und weiche Knie. Als das Wunder mit dem Geld passierte und sich plötzlich vor ihm ein unfassbar weites Panorama an Möglichkeiten auftat, war einer seiner Gründe für den Entschluss, dieses Haus zu kaufen, der, dass nach den Worten des Maklers, eines cleveren jungen Mannes namens Charles Kent, der bei Sealey & Sons in der High Street arbeitete, keinerlei Gefahr bestand, dass es je überflutet werden würde. Das war also in Ordnung. Wohlgemerkt, sollte es jemals doch überflutet werden, würde Darky zusammen mit Kevo und Baz und einem Hammer oder einem Lötkolben Charles zu Hause besuchen und ihm beibringen, keine beschissenen Lügen über Häuser zu erzählen.

Darky Green

Подняться наверх