Читать книгу Herz und Totschlag - Johanna Hofer von Lobenstein, Aj Sherwood - Страница 8

KAPITEL 1

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JON

»Ich schwöre«, sagte ich zu meinem Lover und Anker, als wir aus der Agentur traten, »wenn wir auch nur einen einzigen weiteren Fall bekommen, bei dem Fremdgehen mit einem Mord endet, werde ich nicht mehr an mich halten können.«

Donovan brummte zustimmend. Mein extrem geduldiger Partner war heute ausnahmsweise selbst am Ende seines Geduldsfadens angekommen. Wir hatten acht Tage am Stück durchgearbeitet, und das alles nur wegen zweier Idioten, die sich gegenseitig mehrfach betrogen und damit einen Welleneffekt ausgelöst hatten, der letztendlich zu vier Morden geführt hatte. Das Ganze aufzuklären, war so ähnlich gewesen wie eines dieser sauschweren Rätselspiele aus Metallringen, die Psychiater ihren Patienten manchmal zu lösen geben. Die hochschlagenden emotionalen Wogen bei allen Beteiligten hatten die Sache zusätzlich erschwert. Ich war mehrfach angeschrien worden, und das konnte Donovan nicht gut aushalten. Natürlich hatte er nach außen ganz gelassen für Ruhe gesorgt, aber es hatte ihm gehörig zugesetzt.

Wir brauchten beide eine Auszeit, Entspannung, vielleicht eine Runde heißen Sex, um Dampf abzulassen – aber daraus würde heute Abend nichts werden, denn wir erwarteten Besuch.

Wir waren schon auf halbem Weg zum Auto, als ich stutzte und meine Hosentaschen abtastete. Oh nein. Da fehlte etwas.

Donovan blieb stehen, aufmerksam wie immer. »Was ist denn? Hast du was vergessen?«

»Die Schlüssel, glaube ich«, gab ich zurück, während ich beide Hände in den Hosentaschen vergrub. Nada. »Verdammt. Ich habe sie, glaube ich, auf dem Schreibtisch liegen lassen.«

Er streichelte kurz meine Schulter und machte kehrt. »Lass nur. Ich gehe sie holen.«

Hoffentlich lagen sie auch wirklich auf dem Schreibtisch. Eine Suchaktion war so ziemlich das Letzte, wonach mir der Sinn stand. Wir waren so oft zwischen Agentur und Polizeirevier hin- und hergefahren – sie konnten wer weiß wo liegen. Aber nein, ich war ja auch hierhergefahren, die Schlüssel mussten also da sein.

Es war ganz klar: Ich war erschöpft.

Mit einem tiefen Seufzer ließ ich den Kopf in den Nacken fallen. Ich hatte mir selbst versprochen, den Fall abzuschließen und dann sofort Donovan nach Hause zu schleppen und ihn um den Verstand zu vögeln. Aber ehrlich gesagt war ich gar nicht mehr sicher, ob ich das noch in mir hatte – vor allem, da wir erst zu ihm fahren und eine Tasche für ihn packen mussten. Und das bedeutete eine weitere Verzögerung, bevor wir endlich nach Hause kämen.

Nun ja, genau genommen war es mein Zuhause, nicht Donovans. Und damit waren wir auch schon beim derzeit ständig wiederkehrenden Diskussionspunkt in unserer Beziehung. Ernsthaft, kaum hatten wir ein Problem gelöst, musste gleich das nächste sein hässliches Haupt erheben. Donovan wollte nichts lieber, als bei mir einzuziehen. Ich sah es jedes Mal, wenn wir darauf zu sprechen kamen. Noch schlimmer, ich bekam von allen Seiten Druck deswegen. Keiner konnte verstehen, warum wir so zögerlich waren. Wir waren jetzt seit vier Monaten zusammen, und wir kamen spektakulär gut miteinander klar.

Das Problem war ich. Meine tief sitzende Verunsicherung ließ mir die Worte im Hals stecken bleiben, jedes Mal, wenn ich ihn fragen wollte. Ich hatte mit angesehen, wie es bei meinen Eltern gelaufen war: zusammenkommen, sich trennen, neue Beziehungen eingehen, nur um die auch wieder zu zerstören. All das wollte ich uns einfach nicht antun. Ich würde mich nicht kopflos in etwas hineinstürzen und dann einfach hoffen, dass alles schon klappen würde, nur weil Donovan mein Anker war. Wir waren zwar ganz andere Menschen, und das war mir auch durchaus bewusst – Donovan war noch nicht mal ansatzweise mit meinem Vater oder Rodger zu vergleichen. Ich hatte einfach nur Angst, die Worte laut auszusprechen.

Mit einem weiteren Seufzer lehnte ich mich gegen den Humvee. Das musste unbedingt aufhören. Wie das gehen sollte, wusste ich noch nicht genau, aber wenn Donovan und ich eines gut konnten, dann kommunizieren. Wahrscheinlich, weil wir uns beide Mühe damit gaben. Wir mussten uns in Ruhe hinsetzen und darüber sprechen. Vielleicht konnte ich all meinen Mut zusammenkratzen, nachdem sein Freund wieder abgereist war.

Ich schaute auf die mechanische Armbanduhr, die mein sexy Freund mir geschenkt hatte, und fluchte leise vor mich hin. Donovans alter Army-Kamerad und bester Freund im ganzen Universum, Garrett, hatte sich für ein paar Tage angekündigt. Heute Abend würde er ankommen – in einer Stunde, um ganz genau zu sein.

Donovan freute sich riesig. Obwohl die beiden sich so nahe standen wie Brüder, hatten sie sich schon eine ganze Weile nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen. Seit fast drei Jahren, wie ich gehört hatte. Donovan war am Ende dann doch nicht als Kriminalberater bei der Psy eingestiegen, also war die Stelle nach wie vor nicht besetzt, und Garrett hatte diese Woche sein Bewerbungsgespräch für den Job. Ich spürte, dass Donovan Garrett nicht nur gern wieder in seiner Nähe haben wollte, sondern sich auch darauf freute, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten.

Allerdings lag da irgendetwas in der Luft. Auf Donovans Energiebahnen schwang in Bezug auf Garrett etwas mit, das ich nicht so recht deuten konnte. Es war keine Lust und auch kein romantisches Interesse – eher so etwas wie eine Erinnerung. Ein Schatten, der an etwas Tieferes, Intimeres als eine normale Freundschaft erinnerte. Donovan hatte keinerlei Andeutung gemacht, dass da jemals mehr gewesen war, und er hatte viele Geschichten von Garrett erzählt. Und dennoch …

»Du Psychopath!«, brüllte plötzlich eine wütende Männerstimme.

Erschrocken zuckte ich zusammen, fuhr herum und hob automatisch die Arme zur Verteidigung. Ein Mann – verdammt, das war Adams, der betrogene Ehemann vom letzten Fall. Sein Gesicht war fast schon lila vor Zorn, und seine Wut vibrierte wie eine rote Wand auf den Meridianen. Ihm standen die Haare zu Berge, als hätte er sie sich wiederholt gerauft, und er hielt einen Baseballschläger umklammert.

»Shiiiit.« Adrenalin durchströmte mich. Der Anblick des Mannes verriet mir, dass er vielleicht drei Sekunden davor war, zuzuschlagen, denn er schwang schon den Schläger über dem Kopf wie ein Samurai-Krieger. Man würde nicht vernünftig mit ihm reden können; in ihm tobten Schmerz und Wut, sonst nichts. Trotz des intensiven Selbstverteidigungstrainings, das ich in letzter Zeit absolviert hatte, hatte ich keine Ahnung, wie ich mich gegen einen Baseballschläger wehren sollte. Ich hatte nichts außer meinen bloßen Händen.

Also tat ich das einzig Vernünftige in dieser Situation. Ich holte tief Atem und rief, so laut ich konnte: »DONOVAN!«

Adams fletschte die Zähne und schoss mit Gebrüll auf mich zu.

Und ich? Ich rannte los.

Ich sauste um den Humvee herum und verfluchte mich dafür, dass ich ihn vorhin abgeschlossen hatte. Wie gerne hätte ich mich jetzt ins Auto geflüchtet. Ich konnte Adams hinter mir hören, schnaubend wie ein wütender Stier, dann das hohe, metallische Kreischen, als er auf das Fahrzeug einschlug. Es klang nicht so, als habe er absichtlich zugeschlagen, eher wie ein Versehen, als ob er in seiner Hast ungeschickt dagegengestoßen wäre. Ich wagte aber nicht, mich umzudrehen – das würde mich ausbremsen, und gerade war er mehr als motiviert, mich einzuholen.

In vollem Tempo umrundete ich das Gebäude und hielt direkt auf die Agentur zu. Die Hintertür war nicht aus Glas, sondern massiv – dort würde ich eine Chance haben, mich in Sicherheit zu bringen.

Ich war noch mitten im Sprint, als ich Donovan aus der Tür stürmen sah. Er hatte im Sekundenbruchteil die Situation erfasst, und ich konnte die Verwandlung vom freundlichen Teddy zum gereizten Grizzlybären beobachten. Er raste an mir vorbei und bellte: »Rein mit dir!«

Ich gehorchte nur allzu gern und rannte aus Leibeskräften weiter, fest entschlossen, Hilfe zu holen, sobald ich ein sicheres Telefon erreicht hatte. Ich knallte so fest gegen die Tür, dass sie erzitterte, stieß sie auf und rief Sho, den ich aus dem Augenwinkel aus seinem Büro kommen sah, zu: »Ruf die Polizei! Adams ist draußen auf dem Parkplatz, mit einem Baseballschläger!«

»Verdammte Scheiße«, zischte Sho und zog schon sein Handy aus der Tasche.

Okay, gut, Hilfe war also unterwegs. Ich wirbelte herum, fing die Tür ab und hielt sie halb geöffnet. Ich wusste, dass ich sie eigentlich hinter mir schließen sollte, aber ich wollte sehen, ob Donovan Adams überwältigt hatte oder nicht. Na ja, ich konnte eigentlich sicher sein, dass er ihn außer Gefecht gesetzt hatte, aber hoffentlich auch, ohne sich dabei wehzutun.

In den zehn Sekunden, die ich nicht hingeschaut hatte, war es Donovan gelungen, dem Wüterich den Baseballschläger abzunehmen. Adams lag noch nicht ganz am Boden, sondern versuchte noch, mit den Fäusten auf ihn loszugehen. Aber das würde nicht lange dauern, da war ich sicher. Er war ganz offensichtlich nicht trainiert und schlug wild um sich, ohne die Kontrolliertheit eines geübten Boxers. Beim nächsten unkoordinierten Schlag benutzte Donovan seinen Schwung, um das Handgelenk des Angreifers festzuhalten und ihn damit vollends aus der Balance zu werfen.

Fast schon schneller, als ich gucken konnte, hatte Donovan ihn flachgelegt und auf die Seite gedreht. Er hielt ihn in einem typischen Krav-Maga-Griff und bog ihm den rechten Arm nach hinten, bis der Ellbogen an Donovans Brust lag und die Hand unter Spannung stand. So konnte er ihm mit einem Ruck ohne Weiteres das Handgelenk brechen, falls es notwendig sein würde.

Adams versuchte, sich zu wehren, wand sich wie eine Raupe und brüllte immer noch, ohne Worte von sich zu geben. Dann kam der Moment, in dem er sichtlich akzeptierte, dass er Donovans Griff nicht entkommen würde. Tränen strömten über seine Wangen, als seine Wut von Kummer und Schmerz abgelöst wurde.

Ich setzte vorsichtig einen Fuß nach draußen und fragte meinen Lover: »Okay?«

»Ich bin unverletzt«, beruhigte er mich. »Und ich habe ihn.«

Dank allen Engeln des Himmels. Ich wusste sehr wohl, dass mein Donovan stärker war als der Durchschnittsmann, aber wenn Menschen dermaßen ausrasteten, völlig aus der Bahn geworfen von Wut und Schmerz, konnten sie gefährlicher werden als ein tollwütiger Wolf. Ich war erleichtert, Donovan ganz ruhig dasitzen zu sehen, die Situation voll im Griff. »Sho hat schon die Cops gerufen.«

»Dann sind sie bestimmt gleich da.« Donovan schaute hinunter auf den Mann auf dem Boden, so etwas wie Mitleid im Blick. »Adams, Sie Trottel. Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«

»Wenn Ihre dumme Schwuchtel einfach die Fresse gehalten hätte, wäre meine Frau jetzt noch bei mir und nicht im Knast«, presste Adams hervor, der plötzlich wieder wütend wurde und sich unter Donovan aufbäumte. Er zischte auf, als das einen heftigen Schmerz durch sein Handgelenk jagte. Er ließ wieder locker, allerdings nicht freiwillig.

»Sie hat Sie mit drei Typen betrogen und den einen sogar umgebracht. Glauben Sie mir, Mann, sie wäre bestimmt nicht mehr da. Außerdem – wieso glauben Sie eigentlich, dass Sie vor ihr sicher gewesen wären?«

Adams schluchzte auf, offenbar im Zustand seliger Verdrängung: »Sie hätte mir niemals etwas getan. Sie liebt mich.«

Meine persönliche Meinung dazu war, dass es keine Liebe war, wenn man jemanden mehrmals betrog. Aber Adams war gerade definitiv nicht bereit, sich das anzuhören, und ich wollte es Donovan nicht noch schwerer machen, also hielt ich die Klappe.

Mit quietschenden Reifen, heulender Sirene und blinkendem Blaulicht fuhr ein Polizeiwagen vor. Ich erkannte den Mann und die Frau in Uniform und grüßte sie mit einem müden Winken. »Hallo, Lang, hallo, Clark.«

»Sind Sie okay?«, fragte Clark, während sie auf mich zulief. Sie hatte schon nach den Handschellen gegriffen.

»Niemand verletzt«, beruhigte Donovan sie. »Haben Sie ihn, Lang?«

»Ich habe ihn«, bestätigte der kräftige Polizeibeamte mit einem finsteren Stirnrunzeln auf dem runden Gesicht. Lang war nicht groß, aber gebaut wie ein kleiner Panzer. Ich hätte mich ehrlich gesagt noch nicht mal an einem guten Tag mit ihm anlegen wollen. Er hielt die Handschellen fest, die Clark um Adams’ freie Hand legte, dann schloss er sie um das andere Handgelenk. Er ließ Donovan aufstehen und zog Adams hoch. »Was zum Teufel war denn hier los?«

»Er ist der Ehemann einer Frau, die ich heute vernommen habe«, erklärte ich kurz, während ich förmlich fühlen konnte, wie sich unser Zeitfenster schloss. Wir würden nicht innerhalb der nächsten Stunde nach Hause kommen. »Jetzt ist sie in Haft und sieht einer Anklage wegen Mordes entgegen.«

»Aha, das Übliche also.« Clark nickte wissend. Ein Hauch von Empathie huschte über ihre Energiebahnen, aber hauptsächlich sah ich schwarzen Humor. Andererseits war Clark schon viele, viele Male gekommen, um auf mein Geheiß Leute in Gewahrsam zu nehmen. »Also gut, wir nehmen ihn mit. Ich brauche eine Aussage von Ihnen beiden.«

»Na klar«, antwortete ich müde. Verdammt, ich wollte heute nicht noch ein weiteres Mal aufs Revier. Aber ohne unsere Aussagen konnten sie ihn nicht einsperren.

Donovan trat zu mir, legte mir den Arm um die Taille und drückte mich kurz. Ich lehnte mich dankbar an ihn, schon weit über den Punkt der Erschöpfung hinaus. Und der Tag war noch nicht zu Ende. Mir war nach Fluchen zumute, aber mir fiel kein Kraftausdruck ein, der derb genug gewesen wäre.

»Wir kommen sofort nach«, versicherte Donovan den Beamten. Dann senkte er die Stimme und sagte: »Verdammt noch mal. Das ist genau der Grund, warum ich Garrett gerne bei der Psy hätte.«

Ich verspürte plötzlich den Impuls, unseren Chef in Schutz zu nehmen. »Hey. Du weißt genau, dass Jim sich alle Mühe gibt, uns zu beschützen.«

»Ja, klar, aber überall kann er eben nicht sein. Tyson ist auch fast nie rechtzeitig zum Dienstschluss wieder im Haus. Es wäre wirklich nicht verkehrt, einen weiteren starken Mann zu haben.« Er zog mich an sich. »Aber hey. Immerhin habe ich dein Schlüsselbund gefunden. Es lag tatsächlich auf dem Schreibtisch.«

Ich prustete leise. »Gib schon her. Und ruf am besten Garrett an. Wir sind nie im Leben rechtzeitig zu Hause.«

»Wie wäre es, wenn ich ihm sage, dass er zu meinen Eltern gehen soll? Bei Mom kriegen wir sicher alle etwas zu essen.«

»Du bist ein Genie.« Ich hatte heute so was von keine Lust, zu kochen. Alani liebte es, uns mit Essen zu versorgen, hauptsächlich, weil sie uns dadurch regelmäßig zu sehen bekam. Und ihre Kochkünste waren himmlisch. Diese Frau hatte wirklich ihre Berufung als Sterneköchin verfehlt.

Wenigstens eine Sache würde heute gut laufen.

* * *

Alani verkörperte alles Gute in diesem Universum, also erwartete uns ein gedeckter Tisch, nachdem wir endlich das Revier hatten verlassen dürfen. Der Duft stieg mir verführerisch in die Nase. Ich hatte seit acht Stunden nichts gegessen, und mein Magen ließ mich sehr deutlich spüren, wie inakzeptabel das war.

Da ich das Haus nicht betreten konnte, war draußen auf der hinteren Veranda für uns gedeckt. Glücklicherweise war es heute schön und noch warm genug. Der Himmel mochte wissen, was wir im Winter machen würden. So weit hatte ich noch nicht vorausgedacht. Alani sah uns durch das Gartentor kommen und hüpfte gleich von der Veranda herunter, um mich zu umarmen. »Jon, mein armer Junge. Du hast ja einen schlimmen Tag hinter dir, so wie es sich anhört.«

»Gleich mehrere.« Ich genoss die Umarmung in vollen Zügen. Havilische Umarmungen waren unübertroffen, das würde ich vor jedem Gericht beschwören. »Vielen Dank, dass du für uns gekocht und Garrett unterhalten hast. Das hat uns wirklich eine Last von den Schultern genommen.«

»Aber natürlich, jederzeit.« Sie ließ mich los und umarmte ihren Sohn. »Ihr habt bestimmt Hunger. Es gibt heute nur Garretts Leibspeisen.«

»Und die werde ich auch garantiert nicht teilen«, ließ sich eine laute, mir unbekannte Tenorstimme vernehmen. »Da habe ich überhaupt keine Skrupel.«

Donovan lachte leise. »Ich hab’s mir schon gedacht, dass das dein Pick-up in der Einfahrt sein muss, Wilson. Beweg deinen Arsch hier rüber, und lass dich umarmen!«

Ein Mann, den ich bisher nur von Skype und Fotografien kannte, kam von der Veranda herunter, ein breites, koboldhaftes Grinsen auf dem Gesicht, und ich schaute mir Garrett Wilson zum ersten Mal richtig an. Er sah ein bisschen anders aus, als ich erwartet hatte. Erstens war er ziemlich klein. Kaum größer als eins siebzig, darauf hätte ich meine Weste verwettet. Dafür war er drahtig, und man konnte ahnen, wie viel Kraft in ihm steckte. Seine blonden Haare trug er nach wie vor militärisch kurz geschnitten, und er war immer noch tief gebräunt von der langen Zeit in der Wüste. Garrett sah weder besonders gut aus, noch wirkte er körperlich bedrohlich – von außen war er ein typischer Jedermann.

Aber der Schein konnte bekanntlich trügen.

Bisher hatte ich noch nicht viele Menschen gesehen, deren Beschützerinstinkt an den von Donovan heranreichte, aber Garrett Wilson konnte ihm in dieser Hinsicht durchaus das Wasser reichen. Er leuchtete wie ein Freudenfeuer, so hell, dass er selbst neben den Havilis nicht verblasste. Mein erster Eindruck war, dass ich diesen Kerl wirklich lieb gewinnen würde, wenn ich ihn erst mal besser kannte.

Mit ein paar langen Schritten hatte er meinen Lover erreicht, dann fielen die beiden sich in die Arme und drückten sich ausgiebig, bis Garrett sich schließlich auf die Fersen zurücksinken ließ. Ich hatte drei volle Sekunden, um zu beobachten, wie sie aufeinander reagierten, und da hatte ich auch meine Antwort auf die drängende Frage, ob die beiden mehr als nur Freunde gewesen waren: Sie waren hunderprozentig mal zusammen gewesen.

Obwohl – nein, das war nicht ganz richtig. Ich runzelte die Stirn und versuchte, die Energiebahnen klarer zu lesen. Sex. Das war es, was sie verbunden hatte. Ganz ohne emotionale Bindung. Keine Beziehung also. Vielleicht Freunde mit Vorzügen? Garrett war pansexuell, das war also durchaus denkbar.

Ich war ein bisschen unsicher, wie ich mich dabei fühlen sollte. Aber das war jetzt kaum der richtige Zeitpunkt dafür, mich ausführlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der heutige Abend stand im Zeichen des Wiedersehens, und wir waren hier zum Essen eingeladen. Daher setzte ich eine neutrale Miene auf, als Garrett sich erwartungsvoll zu mir umwandte. »Du bist also der berühmte Garrett Wilson.«

Garrett zuckte die Achseln und grinste. »Na, berühmt vielleicht nicht – aber ich bin es auf jeden Fall.« Er schüttelte mir kräftig die Hand, und ich spürte Schwielen, ähnlich wie an Donovans Händen. »Ich freue mich sehr, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen.«

»Gleichfalls.« Ich stockte und starrte dann mit wachsender Panik sein Handgelenk an. »Bitte sag mir, dass das keine teure Uhr war …«

»Ach, Mist«, sagte Donovan im gleichen Moment, den Blick ebenfalls auf die Uhr geheftet, die keine fünf Zentimeter von meiner Hand entfernt war.

»Äh, nein?« Garrett ließ meine Hand los und drehte sein Handgelenk mit der schwarzen Armbanduhr daran um. »Danke also, dass du sie gerade ruiniert hast.«

Na, das war ja ein toller erster Eindruck. »Entschuldige. Ich ersetze sie natürlich.«

Garrett grinste mich mit blitzenden Augen an. »Lass mal, ich bin ja selbst schuld. Es ist nicht so, dass Donovan mich nicht vorgewarnt hat, wie das mit dir und der Elektronik so ist. Es war eine billige Uhr, kein großer Verlust. Aber – du bist wirklich so gefährlich für elektronische Geräte? Obwohl ihr verankert seid?«

»Einen Anker zu haben, hat sich darauf fast gar nicht ausgewirkt«, seufzte ich. »Leider.«

»Außerdem hast du einen langen Tag gehabt«, tröstete mich Alani, die sich sofort auf meine Seite schlug. Wieso konnte diese Frau nicht meine Mutter sein? »Na komm schon, lasst uns essen, bevor alles kalt wird. Erzähl uns, was heute los war. Wieso ist dieser Mann auf dich losgegangen?«

Ich antwortete nach bestem Wissen, obwohl ich mich etwas benebelt fühlte und einen leichten Kopfschmerz verspürte. Wahrscheinlich, weil ich unterzuckert war und zu wenig getrunken hatte. Ich ging auf den Tisch zu und begrüßte Kanye: »Hallo.«

»Selber hallo«, gab er zurück. Donovans Vater sah so aus, als ob er sich sehr wohlfühlte in seinem bequemen Sessel, mit einem vollen Haus. »Setz dich und iss.«

»Mit Vergnügen.« Ich erzählte weiter, während wir alle unsere Teller füllten.

Donovans Eltern wirkten aufgebracht und besorgt, aber Garrett hatte den gleichen abschätzenden Blick wie Donovan, wenn die Gefahr bestand, dass eine Situation gleich aus dem Ruder laufen würde. Er ließ mich ausreden, dann beugte er sich vor und fragte ernst: »Bane. Jetzt mal ehrlich. Wie oft passieren dir solche Sachen?«

»Viel zu oft«, murmelte Alani grimmig.

»Vielleicht einmal im Monat?« Ich zuckte zusammen, dann hob ich die Hände und lächelte verlegen. »Es geht auch gar nicht immer nur um mich. Meine Kollegin Carol bringt auch jede Menge gefährliche Jungs hinter Gitter. Wir versuchen ja, die Agenturadresse geheim zu halten, aber leider müssen wir bei den Vernehmungen immer unsere Namen nennen, und auch die Lizenznummern und den Namen der Agentur. Damit wissen die Verbrecher so ziemlich alles, was sie wissen müssen, um uns später abzupassen.«

Garrett sah so aus, als hätte ich ihm gerade das letzte Stück zu einem Puzzle in die Hand gedrückt. Donovan und er wechselten einen so vielsagenden Blick, wie es nur Leute können, die sich schon ewig kennen. Ich gab mir wirklich große Mühe, nicht eifersüchtig zu werden. »Okay, Mann. Langsam verstehe ich, warum du mich angerufen hast. Ich kann nur hoffen, dass euer Chef mich mögen wird.«

»Darauf trinke ich.« Donovan hob sein Bier und stieß mit Garrett an.

»Ich will mich aber nicht darauf verlassen«, fügte Garrett hinzu, nachdem er getrunken hatte. »Ich habe nächste Woche noch ein anderes Vorstellungsgespräch.«

»Sehr gut«, lobte Kanye. »Und wo wohnst du?«

»Na ja, Donovan sagte, ich könnte bei ihm bleiben, bis ich etwas Eigenes gefunden habe. Bane hat mir auch sein Gästezimmer angeboten, aber ich denke, ich wohne lieber in Donovans Haus, damit die beiden Turteltäubchen ihre Privatsphäre haben«, erwiderte Garrett mit einem Augenzwinkern. »Ich habe schon ein paar Besichtigungstermine für Wohnungen in meiner Preiskategorie. Ich dachte, ich nutze die Zeit zwischen den Bewerbungsgesprächen für die Wohnungssuche.«

Alle gaben sich große Mühe, mich nicht anzusehen, während er sprach. Das brauchten sie auch gar nicht. Donovan war fast fertig mit der Renovierung des Hauses, das er von seiner Großmutter geerbt hatte. Noch ein paar Kleinigkeiten, vielleicht zwei Monate, wenn er nur am Wochenende daran arbeitete, dann war das Haus so weit. Logistisch wäre es am sinnvollsten, wenn er danach zu mir zog. Ich wusste es. Alle anderen wussten es auch.

War ich emotional bereit für diesen Schritt? Null.

»Ich bin sehr zuversichtlich, dass du eingestellt wirst«, sagte Donovan in die Stille hinein. »Es ist wirklich ein gutes Arbeitsklima. Die Leute sind super.«

Garrett griff nach seinem Glas. »Das dachte ich mir, wenn sie es euch beiden so leicht gemacht haben. Keine Homophobie dort, hm?«

»Nein«, bestätigte ich, erleichtert über die Wendung, die das Gespräch nahm. »Ich bin noch nicht mal der einzige schwule Mann. Der andere ist unser IT-Fachmann, Michael Sho.«

»Sie sind alle supernett und aufgeschlossen«, bekräftigte Donovan. »Kann ich bitte mal das Hühnchen haben, Mom? Danke. Garrett, wann sollst du vorbeikommen?«

»Gleich Mittwoch früh. Ihr kennt euren Chef ja am besten. Wonach sucht er denn genau?«

Aufgrund des Interessenkonflikts konnte ich Jim schlecht bitten, Garrett einzustellen. Dafür konnte ich Garrett jede Menge Tipps für das Gespräch geben. Während Donovan und ich ihn darauf vorbereiteten, nahm ich mir vor, bei nächster Gelegenheit herauszubekommen, wie das zwischen den beiden eigentlich gewesen war. Ich bezweifelte keine Sekunde, dass Donovan bis über beide Ohren in mich verliebt war, aber wenn Probleme drohten, wollte ich lieber jetzt Bescheid wissen und sie direkt im Keim ersticken.

Herz und Totschlag

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