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I Das Buch Thoth –
meine persönliche Geschichte 1967 – 1968 (Erste Berührung)
ОглавлениеCharles im Juni 1968 in der Tenne, einem Nachtclub in Konstanz
Meine erste persönliche Berührung mit dem magischen Branding des Meisters hatte ich im Flower-Power-Hippie-Sommer 67, als mir jemand in der Kasernendisco in Göppingen, in der wir jeden Abend für die GIs rockten, bevor sie nach Vietnam ausgeflogen wurden, ein schrilles Buch mit der Bemerkung in die Hand drückte, das sei ein Text über den größten Satanisten dieses Jahrhunderts. Möglicherweise war es mein umgedrehtes Kreuz um den Hals aus einem Dracula-Film, das mich für dieses Präsent prädestinierte, vielleicht aber auch der Status des Drummers einer professionellen Rockband mit 900 Mark Monatsgehalt, was damals der Traum eines jeden Jungen war. Es war der Sommer des Welthits All you need is love, der Vorbote oder der Sommer vor dem Sommer der Liebe, der ein Jahr später kam: ein halbes Jahr bevor die Beatles ihr Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band-Album herausbrachten und die Stones ihr Their Satanic Majesties Request-Opus hinterher schoben, als Swinging London auf dem Höhepunkt shakte und swingte und sich die ersten Meditationsgruppen bildeten, die ein Jahr später in den fernen Osten pilgerten, die ersten Joints die Runde machten, aber nur unter den Trendsettern, die wussten, wo das Zeugs herkam. Als Jimi Hendrix auf dem Höhepunkt seiner Karriere seine Sternenbannerhymne durch die Metallsaiten quälte und durch die monströsen Marshalltürme wie Manna über die entrückte Zuhörerschaft ausstreute, als California dreaming Marihuana invoziering sich mit dem Sound von Mamas and Pappas oder Tyrannosaurus Rex allmählich in den Gehirnnebeln festsetzte und alle von einer Hippieranch oder einer Landkommune träumten, bis uns der Sharon Tate-Mord um Charles Manson aus unserer Haschischwolke aufschreckte. Es war die Erinnerung an die Illusion einer Gesellschaft von freien Menschen, wie sie sich zu Hunderttausenden im Schlamm von Woodstock suhlten, die Vision, wie sie friedvoll miteinander umgingen, wie sie aßen, schliefen, kackten, sich liebten und miteinander stritten, Babys zeugten, Freundschaften schlossen, Pot rauchten, Gedichte schrieben, Filme drehten, Bullen verarschten, einfach der ganz normale (abgehobene) Alltag, wie ich ihn am Ende der sechziger Ära in Erinnerung hatte. Unter dem kosmischen Sound der Hendrix-Nummer 3rd Stone From The Sun auf der ersten LP waren wir zum Aufbruch bereit, es fehlte nur noch ein Kick, ein Auslöser, da alles, was in der Luft lag, noch nicht richtig greifbar war und erst ein Jahr später gesellschaftliche Realität wurde, und deshalb kam mir der erste Kontakt mit den Schauergeschichten des grusligen Schwarzmagiers gerade recht. Es passte einfach wunderbar ins Konzept. Oder vielleicht zu dem mir bislang unbekannten Teil meines unterschwellig brütenden, magischen Charakters.
H. R. Giger und Albert Hofmann im Frühling 2007
H. R. Giger und Sergius Golowin 1973
Timothy Leary und Sergius Golowin im Sinus-Studio in Bern 1972
Bei mir schlug Meister Therion wie eine Bombe ein, und als dieser Jemand, der mir diese Schrift in die Hand drückte, weiter erklärte, dass es sich bei diesem Menschen um einen Abtrünnigen direkt aus der Hölle handelte, dem jede menschliche Regung fehlte, passte das wie die Faust aufs Auge meines unschuldigen, wertherhaften Klischees des unverstandenen Bösen. Dass er daneben auch noch über übersinnliche Kräfte verfügen sollte, die er wie Mephisto in Goethes Faust zum vordergründigen Schaden seiner Umwelt benutzte, die seine Strategie nicht durchschaute, bis sich irgendwann alles wieder zum Guten wendete, war eigentlich nur folgerichtig. Auch wenn man weiß, dass es die inneren Prägungen oder unentdeckten Neigungen eines jungen Menschen sind, die sich ihn an die passenden äußeren Plattformen herantasten lassen, um seine eigenen unentdeckten Anteile nach außen zu tragen und in einem passenden Label spiegeln zu können, so wurde (meine Vorstellung von) Crowley plötzlich zum Sahnehäubchen auf dem etwas lauwarmen Gebräu meiner Weltanschauung, denn die Schamanen, die mich später auch anzogen, waren mir noch nicht bekannt1 und die langsam aufkeimende intellektuelle Auseinandersetzung mit politischen Fragen, die ein paar Monate später folgte, war mir ohne magischen Konsens in ihrer theoretischen Art zu trocken, sodass ich die Inhalte immer wieder mit ein bisschen Dampf aus der Wasserpfeife »nachspülen« musste. Das war noch bevor Politik vielen jungen Menschen auch Spaß zu machen begann, da sie den Alten das Fürchten beibringen konnten, wenn sie gegen den Vietnamkrieg protestierten und Molotowcocktails gegen den Kapitalismus warfen oder sich zu einer Demonstration vor dem Pentagon zusammenfanden. Noch bevor Ulrike Meinhof in der Zeitschrift Konkret ihre eigene Kolumne hatte, Herbert Marcuses kritische Weiterführungen sozialtheoretischer Ansätze von Hegel, Marx und Freud sich in hitzigen Diskussionsrunden in Studentenbuden mit Räucherkerzen und Potgeruch mischten, die Mao-Bibel im Entree jeder anständigen Kommune manchmal direkt neben Theodor Adornos fulminanter Entlarvung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse oder gar ausgehängten Scheißhaustüren als Zeichen kapitalistischer Befreiung lag2. Und auch ein paar Monate bevor die ersten Horrormeldungen über einen abgefahrenen Harvard-Professor über den großen Teich herüberschwappten, der in einem großen Interview von einer Wahnsinnsdroge erzählte, die der Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt (und in einer rasenden Velofahrt durch Basel nach deren versehentlichen Einnahme – ohne Kopfhörer und Pink Floyd-Sound – gleich auch selbst eingeweiht) haben soll. Die Rede war von einer Zauberpille, die das Bewusstsein in einen anderen Seinszustand katapultierte, von neuen menschlichen Schaltkreisen im Nervensystem, die dadurch erfahrbar werden, Quantensprüngen, die unsere Entwicklung angeblich so verfeinerten, dass wir wie Tachyonen aus den okkulten Traditionen unserer Gesellschaft hinausgeschleudert wurden. Erinnerungen übrigens, die heute in Phonokinetoskopen simuliert werden, um das Gefühl zu wiederholen, wie es war, als wir uns damals mit einer Birne voller Acid und Moody Blues im Ohr beinahe darüber totlachten, als der Kellner in einem Restaurant für die Getränke plötzlich Geld einziehen wollte, weil das mit dem flöten- und sitarunterlegten Om aus In Search of the Lost Chord im Hinterkopf nicht zu vereinbaren war. Ich ahnte damals nicht, dass Timothy Leary schon drei Jahre später auf seiner Flucht vor der amerikanischen Justiz Anfang der Siebziger bei uns im Schweizer Exil landen würde, umgeben von einem illustren Kreis Psychedelikern unter dem Primus inter pares Sergius Golowin und unter Beisein vieler junger Rebellen wie H. R. Giger, Walter Wegmüller oder auch der Züricher Hell’s Angels, bevor ihn die Behörden schließlich wieder in die USA auslieferten. Was ich aber noch weniger ahnte war, dass der besagte Professor einen direkten Kontakt zu Israel Regardie hatte, der nicht nur Weggefährte, sondern zwischen 1928 und 1932 auch Crowleys persönlicher Sekretär war und Leary mit dessen Werk in Verbindung brachte. Es lag auf der Hand, dass der mit LSD und anderen mystisch-ekstatischen Erfahrungen experimentierende »Drogenpapst« Leary sich prächtig mit dem Ex-Sekretär des »verruchtesten Mannes dieses Planeten« verstand. Leary bekannte sich später öffentlich zu den Schriften Crowleys und seinem thelemitischen Einfluss.
Asyl für Timothy Leary – Brief vom 3. 7. 1971 an den Bundesrat, die höchste schweizerische Instanz
Mein unbekannter Freund, nennen wir ihn einmal in Anlehnung an Crowleys Terminologie meinen persönlichen Schutzengel3, faselte unter dem Mantel der Verschwiegenheit irgendetwas von einer Rache an einigen hundert Jahren europäischer Kultur-Bevormundung durch die Verbindung von Musik und Magie, was ich nicht richtig verstand, jedenfalls beschwichtigte er mich, als ich ihn blöd anglotzte, mit dem Spruch, Crowley sei auch der Schöpfer des Friedenszeichens gewesen (gespreizter Zeige- und Mittelfinger), mit dem wir Hippies uns untereinander grüßten, und damit waren meine Bedenken zerstreut. Er sagte weiter, jede Veränderung begänne mit Provokation und Rebellion. Das wäre die Hefe im Teig der menschlichen Entwicklung, aber am Ende jeder Entwicklung entstünde eine bessere Welt. Diese Argumentation war mir aus meiner Pubertät nicht unbekannt, als wir die Autoreifen unserer Nachbarn zerschnitten und alles, was unsere Väter für gut befanden wie beispielsweise ein gesichertes Studium, rundweg ablehnten. Ich kam mir vor wie Richard Wagner auf den Dresdener Balustraden, der sich plötzlich inmitten eines Aufstandes fand, obwohl ihn im Bann seines eigenen Schöpferdämons Politik eigentlich gar nicht interessierte. Genauso wenig beschäftigte mich auch die revolutionäre Botschaft, die er mir da ins Ohr säuselte, und Probleme mit dem Christentum hatte ich bis anhin auch (noch) keine4, aber die Bezeichnung größter Satanist war schon eher etwas, das in meinen Ohren klingelte, denn ein solcher Titel kam in meiner persönlichen Gewichtung gerade nach den Begriffen größter Schlagzeuger oder größter Gitarrist. Um die Jahrhundertwende, fuhr mein himmlischer Schutzengel an diesem heißen Juni-Spätnachmittag in der stickigen Disco fort, bevor er für immer verschwand, soll der Magus in der Wüste eine Vision gehabt haben, die ihm versicherte, dass er Luzifer persönlich sei, und auch, wenn man später erfuhr, dass diese Halluzination auf seine Mutter zurückging, die ihn Beast oder Tier 666 nannte, wenn er als Kind unartig war, eine Bezeichnung, die sie als frömmelnde Sektiererin der Johannes-Apokalypse entlehnte (Offenb. 11,7), tat das der Begeisterung keinen Abbruch. Sätze wie Der Weg zum Himmel führt durch die Hölle waren einfach zu stark, um meinen rebellischen Geist nicht zu entzünden, und mein magischer Verstand folgerte messerscharf, diese Botschaft müsste in den geplagten Köpfen rebellierender Gymnasiasten und Lehrlinge gut ankommen. Ich malte mir förmlich aus, was für ein kreativer Stich ins Herz eines jeden verkrusteten Paukers es doch wäre, wenn ihm die Schüler auf die Standardfrage Was wollt ihr werden? nicht mit einer üblichen Standardantwort wie Arzt oder Rechtsanwalt, sondern mit einer crowleyschen Vision wie beispielsweise Rächer der Enterbten, Advocatus Diaboli der Intellektuellen oder einfach größter Magier dieses Jahrhunderts kämen. Also gründeten wir flugs unseren magischen Kreis. Andere Schauergeschichten, dass Crowley Fledermäusen den Kopf abbiss oder Ziegen schlachtete, gingen mir dagegen auf den Geist, denn ich hatte schon immer etwas gegen körperliche Gewalt. Mich interessierten vielmehr die psychischen Prägungen, die Menschen beeinflussen, und die Möglichkeit, wie man solche unbewussten Befehle selbst manipulieren kann. Und auch die sexuellen Protzereien, von denen das Buch nur so strotzte, interessierten mich nur soweit, wie sie mir halfen, mit meiner verklemmten Sexualität endlich alle Frauen flachzulegen, indem ich mir ein mystisches Gebräm überzog und damit meinem geschrumpften Selbstbewusstsein einen gehörigen Wachstumsschub verpasste. Auch der Höhepunkt der geschilderten Provokationen, dass es beispielsweise zu seinen zahlreichen Perversionen gehörte, sich auf den Teppich zu entleeren mit der Behauptung, seine Exkremente seien etwas magisch Anmutendes, ließen mich völlig unberührt; sie fielen mir erst wieder ein, als Fritz Teufel zwei Jahre später in einem großen Happening mitten in seiner Gerichtsverhandlung den Richtern auf den Tisch schiss.