Читать книгу Die blutroten Schuhe - Alana Falk - Страница 7

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Kati - Jahr VII

Verstohlen sah ich mich um, ob mir auch ja keiner folgte. Erst als ich mir absolut sicher war, öffnete ich die Tür, drückte mich hindurch und schloss sie hinter mir schnell wieder. Mit pochendem Herzen lehnte ich mich dagegen. Neuerdings kam ich extra etwas früher ins Theater, um die Garderobe für mich allein zu haben. Niemand sollte es sehen. Die anderen Solisten nicht, die auch einen Schminkplatz und einen Spind hier hatten, und auch nicht Yuki, deswegen konnte ich es nicht zu Hause tun. Außerdem wollte ich die Schuhe in meiner Nähe haben, wenn ich trainierte.

Ich zog mir meine Trainingssachen an und meine rosa Spitzenschuhe. Allein bei dem Gedanken an ein weiteres Training, bei dem David mich völlig übersah, krampfte sich mein Magen zusammen.

Ich ging noch mal zur Tür, vergewisserte mich, dass die Luft rein war und huschte wieder zurück zu meinem Spind. Ich griff hinein und schob ungeduldig den Seidenschal beiseite. Weicher Satin liebkoste meine Fingerspitzen, meine Haut und meinen Geist. Sofort beruhigte sich mein Herzschlag und die Gedanken in meinem Kopf hörten zu kreisen auf. Nur ein einziger blieb übrig, und kristallisierte sich zu einem klaren Bild. Der Gedanke an Irina und David. Es machte mir Angst. David hatte mich erst vor kurzem zur Ersten Solistin gemacht und jetzt hatte er mich schon wieder abserviert, zu Gunsten von Irina. Dabei war ich doch das neue Talent gewesen, seine Nachwuchshoffnung für die Kompanie. Tränen der Wut verschleierten meinen Blick.

Während ich mir mit einer Hand über die Augen fuhr, holte ich mit der anderen die Schuhe heraus und legte sie in meine Ellenbeuge. Sie waren so unglaublich rot, immer noch, nach all den Jahren. Wie flüssige Rubine. Keine Flecken, keine abgewetzten Stellen. Es musste ein besonders widerstandsfähiges Material sein. Auch die Sohle, die sich so unglaublich zart an meinen Fuß schmiegte, ihn stützte und mir Sicherheit gab, war noch genauso hart wie damals, als ich die Schuhe gekauft hatte. Sie scheinen unkaputtbar zu sein. Ich legte die Schuhe mit den Sohlen aneinander und hob sie mit den Spitzen an meine Lippen. Sofort spürte ich die Energie. Sie durchdrang mich und raste durch meine Adern bis in mein Herz. David hatte etwas in mir gesehen, als er mich engagiert hatte, und das war nicht plötzlich weg, nur weil Irina jetzt da war. Ich atmete tief durch und hob das Kinn. Ob ich mich verdrängen ließ, hatte ich selbst in der Hand. Ich würde einen Weg finden, zu zeigen, was ich wert war.

„Kati!”

Beinahe hätte ich die Schuhe fallen lassen. Schnell drückte ich sie an meine Brust. Obwohl ich mit dem Rücken zu dem Eindringling stand, wusste ich natürlich sofort, wer es war. Ich schloss die Augen. Cristan. So unauffällig wie möglich legte ich die Schuhe in den Spind zurück, ganz nach hinten. Es kostete mich Überwindung, meine Hände von dem weichen Satin zu lösen. Dann drehte ich mich zu Cristan um. Er stand in der Tür der Garderobe und starrte mich an.

„Cristan”, sagte ich mit zitternder Stimme, nur um die Stille zu füllen. „Was machst du hier?”

„Dasselbe könnte ich dich fragen. Du hattest doch gerade die roten Schuhe in der Hand.”

Hast du nicht mehr gesehen als das? Nur, dass ich sie in der Hand hatte? Hoffnung ließ mein Herz schneller klopfen. Und wurde zunichte gemacht.

Sein Blick lag zu eindeutig auf meinen Lippen. Er musste es gesehen haben. „Kati, das ist doch Wahnsinn.”

Ich seufzte, um gleichgültig zu erscheinen, aber am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.

Er kam auf mich zu, bis er ganz nah vor mir stand. „Merkst du gar nicht, was du da tust?” Zorn blitzte in seinen braunen Augen auf. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, bis ich gegen den Spind stieß. So hatte ich Cristan noch nie gesehen.

Aber dann dachte ich an das Gefühl, das mir die Schuhe eingeflößt hatten, diese Selbstsicherheit. Ich streckte den Rücken durch und hob das Kinn. „Was geht dich das überhaupt an?”

Er hob die Hände, wie um mich an den Schultern zu packen, aber dann ließ er sie wieder sinken, schloss stattdessen die Augen und atmete tief durch. „Mehr, als du glaubst”, flüsterte er kaum hörbar. Als er mich wieder ansah, wirbelten dunkle Farbstrudel durch seine Augen und machten mich schwindelig. „Kati, wie oft hast du das schon gemacht?” Seine Stimme war jetzt ruhig, fast resigniert.

Ich presste die Lippen zusammen. Ich hatte keine Ahnung, warum er das wissen wollte, aber ich hatte mich schon genug lächerlich gemacht. Ganz sicher würde ich ihm nicht verraten, dass ich schon seit mehreren Wochen jeden Morgen dieses Ritual abhielt. Und wie gut es sich anfühlte. Es half mir, Irinas perfekte Arabesquen zu ignorieren und die Art, wie David sie dabei ansah. Ich schlug die Tür meines Spindes zu und wollte gehen. Cristan griff nach meinem Arm und hielt mich zurück. Ich starrte seine Hand an. Seit damals, seit jenem Augenblick beim Vortanzen für die Kompanie, hatte er mich nicht mehr berührt.

„Wie oft, Kati?”

Wut stieg in mir auf. „Du meine Güte, es sind nur Schuhe!” Ich versuchte nicht daran zu denken, wie sich die Schuhe auf meiner Haut anfühlten und dass es für mich ganz sicher nicht einfach nur irgendwelche Schuhe waren. „Lass mich los!” Ich riss meinen Arm aus seinem Griff und starrte ihn böse an. Er war kreidebleich geworden. So schnell wie sie gekommen war, verflüchtigte sich meine Wut wieder.

„Ja, es sind nur Schuhe”, flüsterte er. „Und deswegen sollten sie nicht eine so große Rolle in deinem Leben spielen.”

„Alle haben Glücksbringer, Cristan. Was ist denn nur so schlimm daran?”

Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Anfangs hatte ich sie für braun gehalten, bis ich festgestellt hatte, dass sie genauso undefinierbar waren wie seine Augen. Sie changierten im Licht wie das Gefieder eines Greifvogels.

„Gar nichts.” Er klang irgendwie müde, aber er hielt meinen Blick fest. „Wenn man es nicht braucht, um sich gut zu fühlen. Wenn man sich nicht schuldig fühlt, weil man es tut. Dann ist gar nichts falsch daran.”

Ich starrte ihn an wie ein hypnotisiertes Kaninchen. Wie konnte er so genau wissen, was ich fühlte? „Du tust ja gerade so, als wäre ich abhängig. Das Ritual ist nur ein Spiel für mich. Ich kann jederzeit wieder damit aufhören. Hier.” Ich nahm die Schuhe aus dem Spind. „Ich brauche sie nicht.” Ich streckte ihm die Schuhe hin. Es war nur ein Bluff. Der Gedanke, dass er sie wirklich nehmen könnte, verschlug mir den Atem. Um Gottes Willen, nimm sie mir nicht weg.

Er wich zurück und hob erschrocken die Hände. „Nein, ich will sie nicht. Ich kann sie nicht nehmen.”

Erleichterung ließ meine Knie weich werden und ich hätte mich am liebsten hingesetzt. Nein. Ich musste mich zusammen reißen. Ich zuckte mit den Schultern. „Dann eben nicht.”

„Warte.” Er hatte die Stirn gerunzelt. „Wenn du wirklich glaubst, dass du die Schuhe nicht brauchst, dann versprich mir, dass du sie zwei Monate lang nicht tragen, nicht einmal anfassen wirst.”

Meine Augen wurden groß. Zwei Monate? Das war irgendwann Mitte September. Eine Ewigkeit. Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg, aber mein Kopf spielte nicht mit. Als das Schweigen sich immer mehr in die Länge zog, sah Cristan mich traurig an und schüttelte den Kopf. „Du kannst es nicht, nicht wahr?”

„Doch!” Es sollte laut und fest klingen, aber meine Stimme klang sogar in meinen eigenen Ohren dünn. Wo war jetzt die Selbstsicherheit von vorhin?

„Versprich es. Bis zur Tagundnachtgleiche.”

Tagundnachtgleiche? War das nicht irgend so ein okkultes Datum? Ich zuckte mit den Achseln, es gab jetzt Wichtigeres. „Woher weißt du, dass ich mich daran halten werde?”

Er hielt meinen Blick mit seinem fest. „Ich weiß von deiner dritten Regel.”

Ich starrte ihn an. Wie konnte er davon wissen? Diese Regel kannte nur meine Mutter und eigentlich diente sie nur dazu, die anderen beiden Regeln zu schützen.

Brich niemals ein Versprechen.

Ich musste schlucken. Ich hielt mich an meine Regeln. Immer. Noch nie hatte ich eine davon gebrochen. Ich schüttelte den Kopf.

„Cristan, das ist doch lächerlich.”

„Gut, dann sollte es ja kein Problem sein, mir dein Versprechen zu geben.”

Alles in mir schrie auf, es nicht zu tun. Gleichzeitig verbot mir die Selbstachtung, Cristan ins Gesicht zu sagen, dass ich es nicht konnte.

Ich öffnete den Mund. Kein Ton kam heraus. Sag es. Los. „Gut, ich verspreche es.” Ich schloss die Augen und senkte den Kopf. Zwei Monate ohne die Schuhe. Zwei Monate mit Irina, die ich ohne das Ritual durchstehen musste. Ich sah wieder auf, direkt in Cristans Augen. Warum tust du mir das an?

Dabei wusste ich genau warum. Er hatte Recht, mit allem, was er gesagt hatte. Ich brauchte die Schuhe und ich brauchte das Ritual. Ich brauchte das Gefühl, das sie mir gaben, und die Freiheit, die sie versprachen. Die Ironie daran war, dass mich das nur dazu brachte, mich noch mehr nach den Schuhen zu sehnen. Jetzt schon fieberte ich darauf hin, dass die zwei Monate vorbei waren, damit ich den roten Satin wieder anfassen konnte. Cristans Ziel war es gewesen, dass ich die Schuhe aufgab, aber er hatte nur erreicht, dass ich sie noch dringender wollte.

Die blutroten Schuhe

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