Читать книгу Das Herz der Schatten - Alec J. Archer - Страница 14
Fünfzehn
ОглавлениеAn dem Tag, an dem ich fünfzehn wurde, passte Chul mich allein im Gang vor unseren Quartieren ab. Seine übliche Igelfrisur hatte er gegen einen vollständig rasierten Schädel eingetauscht. Nur schwarze Punkte statt der Haare prangten an seinem Kopf. Es passte zu seinem Auftreten. Hässlich und derb.
Er lehnte seine Hand in Kopfhöhe gegen die Wand und versperrte mir mit seinem muskelbepackten Arm den Weg.
“Nun beschützt dich niemand mehr.”
Er war mittlerweile siebzehn Ceonsläufe alt und ein Adept. Sein Körper war unter dem Training der Shan Quai in die Breite gegangen und überragte mich fast um einen ganzen Kopf.
Er entschied jeden Kampf ohne Waffen für sich. Alle Raufereien unter Quai-Lam und Adepten. Ich war schlank, sportlich, im Kampf trainiert. Nicht so massig und muskulös wie er. Dass er es unter Waffen nicht mit mir aufnehmen konnte, half mir in diesem Augenblick herzlich wenig.
Er musterte mich von oben bis unten.
Ich war froh, dass der schwarze Baumwollanzug der Shan Quai nicht viele Konturen zeigte. Jeder sah sich irgendwie ähnlich darin.
Er grinste schmierig. “Einmal hattest du bereits meine Hand unter deinem Anzug. Jetzt wird es Zeit, dass wir unser gemeinsames Vergnügen fortsetzen.”
Ich verzog das Gesicht. Das Vergnügen war kein Gemeinsames. Es würde nie eins werden. Nicht mit Kerlen wie ihm. Zumindest nicht für mich.
“Sieh dich immer schön um, wenn du dich ausziehst”, ätzte er. “Es könnte sein, dass ich dich beobachte.”
Ich lächelte gelassener, als ich mich fühlte. “Ich passe schon auf.”
Er brachte sein Gesicht nah an meines. Ich fuhr zurück, wobei ich mir prompt den Hinterkopf an der Mauer neben seiner Hand stieß.
“Angst?”, höhnte er. “Die solltest du auch haben. Jetzt verfügst du über ein eigenes Zimmer.” Er tippte mir mit dem Finger auf die Nase, was meinen Hinterkopf abermals unsanfte Bekanntschaft mit dem harten Fels in meinem Rücken schließen ließ, da ich zurückzuckte.
“Es könnte sein, dass dir dort jemand einen Besuch abstattet.”
Ich kniff die Augen zusammen. “Das wagst du nicht. Du würdest ausgeschlossen.”
“Nur wenn ich erwischt werde.” Er grinste. “Und wenn man dir mehr glaubt, als mir. Ich werde behaupten, du hättest mich umgarnt, um deinen Körper”, er starrte unverhohlen auf meine Hüften, “besser einsetzen zu lernen.”
Chul grinste anzüglich. “Wir sind fast gleichgroß. Körperlich passen wir also gut zusammen.”
Er grabschte mit einer Hand nach meinem Hintern, um mich an sich zu ziehen.
Ehe ich mich versah, hatte ich ihm eine Ohrfeige versetzt.
Er schlug zurück. Ein Kinnhaken. Ich sackte halb bewusstlos an der Wand herunter, da mein Kopf ein drittes Mal Bekanntschaft mit der Wand geschlossen hatte; diesmal deutlich härter als zuvor,
Zu meinem Glück kam Kimiko vorbei. Chul wandte sich ab und stapfte davon.
“Dann eben ein andermal”, hörte ich ihn rufen, als er verschwand.
Nachdem ich nicht mehr alles doppelt sah, was drei Tage dauerte, bat ich Shing um zusätzlichen Unterricht im unbewaffneten Nahkampf. Ich hatte Angst. Riesige, blanke Angst, Chul könnte seine Drohung wahr machen und mich vergewaltigen. Mit fünfzehn stand mir wesentlich deutlicher vor Augen, was dies bedeutete. Angefangen von der Scham und der Schande, mit der Niederlage leben zu müssen, bis hin zur Möglichkeit einer Schwangerschaft. Niemals würde ich ein Kind von ihm austragen. Eher beging ich rituellen Selbstmord. Oder auch nicht rituellen.
Shing hatte ein Einsehen, nachdem er meinem panischen flehentlichen Bitten zu ende gelauscht hatte. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit - die Regeln der Gemeinschaft sahen eine solche Ausbildung nicht vor - willigte er ein. Er unterrichtete mich zusätzlich. Nachts, wenn er frei hatte, und ich eigentlich schlafen sollte. Zusätzlich zu unseren Schwertkampf-Einheiten, die mehr ein Training darstellten, als Unterricht zu sein.
Oftmals erschien ich übermüdet zu meinen gewöhnlichen Lerneinheiten. Ich hielt mich mit dem Kauen von Corffee-Blättern aufrecht, die anregend wirken. Die fremdartigen Völker der Xelvan bauten sie auf der Halbinsel Denantis an. Artgenossen Luritris, der Katzenfrau.
Daneben forschte ich gemeinsam mit Shing an den Methoden, die Lintang Patla uns gelehrt hatte.
Mittlerweile hatten sowohl Shing als auch ich Theorien entwickelt, wie man die Vorgehensweise der ungewöhnlichen Schwerttechniken auf den Kampf ohne Waffen übertragen konnte. Wir vervollkommneten unser Wissen auf beiden Gebieten.
Der Tag der Abrechnung war gekommen.
Ich schlich mich in der Dunkelheit aus dem unterirdischen Tunnelsystem, von dem außer den Shan Quai und einigen nahestehenden Eingeweihten, niemand etwas wusste. Wer das Geheimnis preisgab, starb. Da niemand einfach so sterben wollte, blieb es ein Geheimnis.
Ebenso wie die Ausbildung, mitten in Sang Dei. Unter den Straßen Sang Wan Yaos.
Diesmal lockte ich den ahnungslosen Chul in eine Falle. Er sollte mich überfallen. Es war früher Abend. Die Quai-Lam befanden sich bereits wieder in ihren Quartieren. Nur wenige der älteren Schüler trainierten noch außerhalb der Stadt. Der Weg zum Übungsgelände war verwaist. Shing wartete als Ein-Mann-Eingreiftruppe in der Nähe, falls etwas schiefging.
Wie erwartet stand Chul schon bald neben mir, als ich vortäuschte, mir beim Laufen den Knöchel verstaucht zu haben. Seine Haarstoppel wuchsen langsam wieder nach. Es sah lächerlich aus.
“Soll ich dich tragen”, lächelte er — wenn man bei einer Schlange von Lächeln reden kann.
“Nur in deinen Träumen”, murmelte ich.
“Ich glaube, wir zwei sind gerade ganz allein hier oben”, zwinkerte er mir zu.
“Darauf würde ich nicht wetten”, gab ich zurück.
Verunsichert sah er sich um.
Mist. Wenn ich so weitermachte, würde er noch Shing entdecken. Er sollte sich in Sicherheit wähnen.
Doch Chul war ebenso gierig nach Macht, wie er einfältig war.
“Dein Manöver ist so leicht zu durchschauen. Niemand hilft dir. Und du kannst diesmal nicht weglaufen.”
Er wies mit einem Nicken auf meinen Fuß.
“Und, was hast du jetzt mit mir vor?” stachelte ich ihn an.
“Das ist eine gute Frage”, antwortete er gedehnt. “Jetzt wo du mich fragst, bringst du mich auf eine ausgezeichnete Idee.” Sein Gesicht strahlte vor Selbstgefälligkeit.
“Du und ich werden uns zwischen den Bambusstämmen vergnügen. Einer muss dir ja zeigen, wie schön es ist, Lamasti zu opfern.”
Ich spielte weiter das verletzte Reh. “Nein, lass das. Du bekommst Ärger. Man wirft dich raus.”
Chul lachte. “Das haben wir doch schon beim letzten Mal besprochen. Keiner glaubt dir. Mittlerweile habe ich sogar einige der Meister auf meiner Seite. Sie werden meiner Aussage glauben.”
Ich riss die Augen auf. “Bitte hör auf, Chul.”
Er grinste dieses ekelhafte schleimige Grinsen, das ich ihm ein für alle Mal vom Gesicht wischen wollte.
“Bitte hör auf, Chul”, äffte er mich nach. “Bitte nimm mich, Chul. Sei sanft zu mir, Chul. Machs mir, Chul.”
Er lachte boshaft. “Ich gebe dir eine Chance, einigermaßen heil davonzukommen.” Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Ekelhaft. Ich würgte beinahe.
“Wieso hast du es dauernd auf mich abgesehen?”, wollte ich wissen.
Chul breitete die Arme aus. “Komm schon”, sagte er, “wenn sich jemand so schön wehrt wie du, macht es doch erst richtig Spaß. Diese Memmen ohne Mumm schlag ich nur zum Spaß.”
Er brachte eine Hand an den Mund und tat, als würde er mir ein Geheimnis zuraunen. “Glaub ja nicht, dass es was nutzt, wenn du dich verstellst. Ich kenne dich zu gut.”
Er tat, als überlegte er. “Nun ja. Nicht gut genug, schätze ich. Daran müssen wir beide noch arbeiten.”
Er grinste dreckig. Seine Augen entkleideten mich bereits.
“Du ziehst dich jetzt schön langsam aus, und ich sehe zu. Dann schieben wir beide ein Nümmerchen, wobei ich dir nicht allzu sehr weh tun werde, und wenn es mir gefallen hat, was ich sehr hoffe, wende ich mich weiterhin an dich, anstatt an die hübsche Quai-Lam, mit der du Freundschaft geschlossen hast — wie heißt sie doch gleich? Chaia?” “Du wirst Chaia nicht anrühren”, belehrte ich ihn in drohendem Tonfall. Ich musste die dreizehnjährige vor ihm schützen. Sie durfte ihm nicht in die Hände fallen. “Du willst mir drohen?”, lachte er. “Lass das lieber. Sonst fallen mir noch ein paar nette Dinge ein. Zum Beispiel könnte ich zu unserem nächsten Treffen ein paar meiner Freunde mitbringen. Die wollen sicher auch ein wenig Spaß.” “Du bist so abartig, Chul”, entgegnete ich mit einem Kopfschütteln. Ein angeekeltes weiteres Schütteln durchlief meinen Körper, während ich mich erhob. Chul trat vor. Er griff nach meinem Arm. “Hiergeblieben, Süße.” Ich trat einen raschen Schritt nach hinten. Er lehnte sich vor, da er dachte, mein Fuß wäre verstaucht. Mit eben jenem Fuß trat ich vor seine Kniescheibe. Er ging vor mir zu Boden und hielt sich das Bein. Ich ließ mich mit vollem Gewicht auf ihn fallen, den Ellbogen voran. Er jaulte auf, als ich einen der Rückenmuskeln im Bereich der Nieren außer Gefecht setzte. Er wälzte sich auf den Rücken. Grabschte nach meiner Taille. Ich ließ es zu. Mein Ellbogen krachte von oben auf seinen Oberarm herab. Der Bizeps. Angespannt. Das tat hoffentlich weh. Aufheulend zog er den Arm zurück. Mit dem anderen verpasste er mir eine schallende Backpfeife, so dass ich zur Seite flog. Benommen rappelte ich mich auf. Meine Wange brannte. Ich spürte seine Stiefelspitze in meinen Rippen, als er mit voller Wucht zutrat. Schweratmend lag ich auf dem Rücken. Er hockte über mir. “Du Schlampe! Das büßt du mir.” Er machte sich mit dem unverletzten Arm an der Verschnürung meines Kampfanzugs zu schaffen. Er wurde nur mit zwei Bänderpaaren gehalten. Eines hatte er bereits geöffnet. Ich verdrehte die Augen nach oben. Hinter mir wollte Shing eingreifen. Ich schüttelte den Kopf. Er verbarg sich wieder hinter einem dicken Bambusstamm. Die zweite Verschnürung löste sich. Mein Bauch lag frei. Ich hieb mit meinem Ellbogen nach seinem gesunden Arm. Ich rutschte ab. Er knurrte, steckte den Schmerz jedoch weg. Er riss an meinem Hosenbund. Ein kräftiger Ruck. Der Stoff der Hose war widerstandsfähig, um den Belastungen des Trainings gewachsen zu sein. Er riss dennoch unter seiner brachialen Kraft. Schmerz durchzuckte meinen unteren Rücken. Halb nackt lag ich vor ihm. Der gewickelte Lendenschurz und das Brustband waren die einzigen Hindernisse, die er überwinden musste. Ich hatte nicht vor, ihn auch nur an eines heranzulassen. Chul stieß einen Pfiff aus. “Das ist mal ein netter Anblick. Du bist mit Abstand die rassigste Stute in unserem Stall. Du wirst mich zu schätzen wissen.”
Ich hörte förmlich, wie Shing hinter dem Bambus mit den Zähnen knirschte. Abermals schüttelte ich den Kopf und hoffte, dass er es sah.
Chul hatte es ebenfalls wahrgenommen.
“Doch, mein Täubchen”, gurrte er. “Jetzt bist du fällig.”
Er hatte geglaubt, dass mein Kopfschütteln ihm galt. Recht so.
Als er sich mir näherte, stießen meine Beine aufwärts zu seinem Hals. Ich legte ihm eine Beinschere an. Er starrte auf meine Hüften, als wollte er mich mit schierer Willenskraft ausziehen.
Ich drückte mit einem Ruck fester zu. Spürte die Querfortsätze seiner Halswirbel an meinen Fußknöcheln.
Er nahm seine Hände zu Hilfe. Wollte die Schere aufsprengen.
Als das nicht fruchtete, stieß er seine Hände nach vorn, um mir brutal zwischen die Beine zu greifen.
Ich drückte kräftig zu. Es knackte. Chul verdrehte die Augen und sackte bewusstlos zu Boden.
Schweratmend erhob ich mich. Die Fetzen der Hose meines Kampfanzugs fielen auf halber Strecke zu Boden. Ich schnürte mir wenigstens die Jacke wieder zu, unter der, wie mir bewusst war, die Wicklungen meiner Lendentücher zu sehen waren.
Da ich mit Shing allein war, störte es mich im Augenblick nicht weiter.
“Verreck, du Bastard.” Ich trat Chul dahin, wo es einem Kerl am meisten weh tut. Er stöhnte in seiner Bewusstlosigkeit auf.
Shing, der neben mich trat, ächzte mitfühlend.
Ich lachte. “Ich dachte, du hasst ihn ebenso?”
Er lächelte. “Und ich habe eine grobe Vorstellung davon, was ihm in den nächsten Tagen blüht. Wenn er wieder normal laufen kann, wird er ein gefährlicher Feind.”
Ich lächelte zurück. “Nicht, wenn er weiß, dass ich ihn das nächste Mal kastriere.”
Shing hob eine Braue. “Ich bin froh, dass ich auf deiner Seite stehe.”
Ich nahm ihn unvermittelt in die Arme und presste mich gegen seinen warmen Trost spendenden Körper. “Shing, das wirst du immer.”
Er schob mich mit gestreckten Armen von sich. “Ist ja gut, Kleines.”
Ich wollte mich wieder an ihn kuscheln. Er wehrte ab.
“Shing, was ist?”
“Nichts.”
“Halt mich ganz fest. Bitte.” Ich war innerlich aufgewühlt. Seine Nähe tat gut. Außer ihm hatte ich niemanden.
Shing seufzte. “Ich setze mich auf diesen Findling. Dann setzt du dich neben mich und lehnst dich an. In Ordnung?”
Ich tat, was er vorschlug. Er hielt mich schließlich im Arm. Ich blickte zu seinem Gesicht auf, wie ein Kind.
“Shing?”, fragte ich.
“Ja?”
“Wieso darf ich mich nicht auf deinem Schoß ganz an dich kuscheln, wie früher?”
Er sah auf mich herab. Dann kitzelte er mich durch, bis ich mich aufrichtete und von ihm abrückte.
“Darum.”
Mehr Antworten bekam ich nicht von ihm.
Später brachte Shing Chul zurück. Wie ich wusste, schlug er dem Kerl, dem ich seine Familienplanung im doppelten Sinn durcheinandergebracht hatte, eine Geschichte vor, bei der er halbwegs sein Gesicht wahren konnte. Er sollte erzählen, beim Balancieren schmerzhaft abgerutscht zu sein. Das sei für Chul sehr viel besser, als zuzugeben, von mir schmachvoll besiegt worden zu sein, hatte mir Shing später versichert, als er mit einer neuen Hose für mich zurückkehrte.
Shing hat ihm noch einiges über mich erzählt. Zum Beispiel von meinen Kastrationsplänen, die ich ausführen würde, sollte er Chaia auch nur ansprechen oder mir ein weiteres Mal auf die Pelle rücken.
Chul hat mich seit diesem Tag nie wieder angerührt. Er geht mir seither immer brav aus dem Weg. Auch seine Freunde.
Chaia hat sich nie beklagt. Ich hatte meine selbstauferlegte Aufgabe gründlich erledigt.